E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Böhm / Hesse "For eyes only"
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-360-51039-6
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die wahre Geschichte des Agenten Horst Hesse
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-360-51039-6
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Horst Hesse musste untertauchen. In der DDR. Die US-Justiz hatte ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt, denn er hatte dem MID, dem Nachrichtendienst der US-Armee, einen enormen Schlag versetzt: Als Doppelagent im Auftrag der DDR brachte er es im MID zum Leiter der Abteilung Agentenwerbung und entwendete die komplette Agentenkartei. Eine Aktion, die zur Enttarnung von 521 Spionen und zu 140 Verhaftungen in der DDR führte. Dieses Husarenstück diente als Vorlage für den DEFA-Spionagethriller "For eyes only". Doch über den Mann, der den Stoff geliefert hatte, erfuhr man nichts. Er musste geschützt werden. Jahre nach seinem Tod wird nun das Geheimnis gelüftet: Peter Böhm rekonstruiert das Leben eines der interessantesten Spione des 20. Jahrhunderts, den keiner wirklich kannte.
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Der Ingenieur und die Soubrette Der »Gothaische genealogische Hof-Kalender«, wegen des Verlagsortes kurz »Der Gotha« genannt, war Wilhelmine Kleemann wohl ziemlich egal. Noch ihre Mutter gehörte zum sächsischen Hofadel und war eine von Dannenberg. Obwohl es zum Standesbewusstsein des deutschen Adels gehörte, in diesem Konvolut verzeichnet zu sein, nahm sie in Kauf, daraus gestrichen, gleichsam aus dem blaublütigen Nest verstoßen zu werden. Mehr noch: Sie wurde enterbt. Warum sie verstoßen und enterbt wurde? Ganz einfach: Sie hatte einen Gemeinen, einen Bürgerlichen geheiratet. In der Familie Hesse wurde dieser Sachverhalt nicht ohne Stolz über die Generationen hinweg kolportiert. Dieses Selbstbewusstsein übertrug sich auch auf Wilhelmines Schwiegertochter Martha, die 1921 in Calbe an der Saale Hermann Hesse geheiratet hatte. Das Handeln von Wilhelmine prägte die Grundhaltung in der Familie Hesse: Privilegien verachtend und sozial geerdet. Doch Schwiegertochter Martha Hesse, geborene Pansemann, blieb ihr Leben lang etwas zurückhaltend, distinguiert-vornehm, wie ihre Enkel später erzählen sollten. Der Oma habe man die Familientradition angemerkt. Calbe, Stadt an der Saale, erlebte zu Zeiten von Hermann Hesse (1896–1967) und Martha Hesse (1901–1977) eine erste industrielle Blüte als Textilzentrum. Die zweite wirtschaftliche Hochphase erfasste die wegen des fruchtbaren Bodens und des extensiven Zwiebelanbaus auch »Bollen-Calbe« genannte Kleinstadt in der DDR. Ab 1950 entstand dort das erste und einzige Niederschachtofenwerk der Welt. Wer in den 50er Jahren in der DDR zur Schule ging, lernte, dass man in einem Niederschachtofen »arme« Erze mittels Braunkohle verhütten konnte. Doch 1963 stellte der VEB Eisenwerke West den Betrieb wieder ein – wegen zu geringer Produktivität. Wilhelmine und Heinrich Hesse betrieben in der Hohendorfer Straße einen Kolonialwarenladen. Ein solcher Laden war zu deutschen Kolonialzeiten – sie währten nur kurz – ein Lebensmittelgeschäft, das vor allem mit überseeischen Genussmitteln wie Kaffee, Reis, Kakao, Gewürzen und Tee handelte. Heute ist dieser Begriff aus unserem Sprachgebrauch verschwunden. Er versteckt sich zwar noch im Namen der Handelskette Edeka. Das ist nämlich die Abkürzung für »Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin« (E. d. K.). Ansonsten ist er aber seit den 70er Jahren in Deutschland ausgestorben. Der Tante-Emma-Laden, inzwischen gleichfalls vom Verschwinden bedroht, kommt dem Kolonialwarenladen wohl am nächsten. Am 9. Dezember 1896 zeigte Heinrich Hesse dem Standesbeamten Mittelstadt durch die Hebamme Marie Bald die Geburt eines Sohnes namens Hermann Hesse an – wohlgemerkt in Calbe, nicht in Calw! Der berühmte Großschriftsteller aus dem Nordschwarzwald konnte wohl kaum als Namenspate herhalten. Der nachmalige Literaturnobelpreisträger war neunzehn Jahre alt, ihn kannten damals nur Verwandte und Freunde. Hermann Hesse erlernt den Beruf des Flugzeugmechanikers auf dem Flugplatz Magdeburg. Das war kein gewöhnlicher Beruf wie Schreiner, Bäcker oder Schmied. Flugzeuge waren – so archaisch uns die verwegenen Kisten aus dem frühen 20. Jahrhundert heutzutage auch anmuten – Spitzenprodukte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. So war es kein Wunder, dass Hermann Hesse im September 1915, also ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als Flugzeugwart zu den kaiserlich-deutschen Luftstreitkräften nach Breslau eingezogen wurde. Der Erste Weltkrieg war keineswegs die Geburtsstunde des Luftkriegs. Bereits im Revolutionsjahr 1849 ließen die Österreicher während der Belagerung Venedigs aus Ballons 110 Bomben auf die Lagunenstadt fallen. Im Ersten Weltkrieg wurden jedoch die ersten, lange Zeit gültigen Luftkriegskonzepte entwickelt. Das war möglich, weil zum ersten Mal Flugzeuge eingesetzt wurden – auch wenn die Zeppeline anfangs noch die »Großkampfschiffe« waren. Bis zum Kriegsende 1918 bauten die Hauptakteure des Völkergemetzels zusammen mehr als 150 000 Flugzeuge – Deutschland allein 48 000. Im Januar 1919 aus dem Militärdienst entlassen, musste Hermann Hesse feststellen, dass seine Ausbildung als Flugzeugmechaniker nichts mehr wert war. Der Versailler Vertrag verbot Deutschland ausdrücklich eine Luftwaffe. Artikel 198 lautete: »Die bewaffnete Macht Deutschlands darf keine Land- oder Marine-Luftstreitkräfte umfassen.« Calbe, eine auch durch die Landwirtschaft geprägte Stadt, bot dem Mechaniker eine neue Perspektive: den Bau von Motormühlen, die im Deutschland der 20er Jahre schrittweise die Windmühlen ersetzten. Wann genau er die fast fünf Jahre jüngere Martha Pansemann kennenlernte, ist nicht überliefert. Sicher dagegen ist, dass sie am 8. August 1921 heirateten. Ihr Sohn Horst wurde am 12. Mai 1922 in Magdeburg geboren; er blieb ihr einziges Kind. Es war sicher nur ein Zufall, dass genau an jenem Tag die Operette »Frasquita« von Franz Lehár in Wien uraufgeführt wurde. Doch es passt irgendwie zur Passion von Mutter Martha, als Operettensängerin zu dilettieren: Sie ist auf verschiedenen Plakaten als Mitwirkende verzeichnet. Das Repertoire waren Rollen in den Gassenhauern ihrer Zeit: »Der Bettelstudent«, »Die lustige Witwe« und »Der Zigeunerbaron«. Heiter ist die Kunst, ernst jedoch das Leben. Und so fand das künstlerische Engagement der Martha Hesse ein ebenso jähes wie frühes Ende. Ihre Schwiegermutter erkrankte schwer, so schwer, dass sie den Kolonialwarenladen nicht mehr führen konnte. Längst war aus dem Geschäft ein kleines Unternehmen mit Fleischerei, Lager und eigener Likörproduktion geworden. So verschwand die Soubrette von der Bühne und fand sich hinterm Ladentisch wieder. Ihr Sohn Horst wird sich sein Leben lang erinnern an die Gerüche von Zimt, Kardamom, Tabak, Kaffee. Sein Vater, der Tüftler Hermann Hesse, kreierte stets neue Schnäpse. Großer Zuspruch war einem Likör beschieden, der mit Pfeffer gewürzt wurde – eine ganz scharfe Sache. Doch auch dieser Erfolg hielt nicht lange an. Die Zeiten waren dem Genuss nicht gewogen: Erst beeinträchtigte die Inflation des Jahres 1923, dann die Weltwirtschaftskrise von 1929 das Geschäft negativ. Besonders die Hyperinflation war dem Auskommen abträglich. Hermann Hesse war ein gutmütiger Mensch. So schrieb er auch zu Zeiten der galoppierenden Geldentwertung klammen Kunden den Einkauf an. Diese Inflation kam nicht wie der Dieb in der Nacht, unbemerkt und schleichend. Sie war von der Regierung des Reichskanzlers Wilhelm Cuno hausgemacht. Da die Regierung die vom Versailler Vertrag auferlegten Reparationen weder in Geld – als Währung war die Goldmark gefordert – noch in Naturalien, zum Beispiel Kohle, leisten zu können vorgab, besetzten französische und belgische Truppen im Januar 1923 das Ruhrgebiet und versetzten die Region in eine Beinahe-Kriegszeit. Der sogenannte »Ruhrkampf« brach los. Zugleich wurde eine chauvinistische Kampagne entfacht, die mit der Kriegspsychose von 1914 vergleichbar war. Vom passiven Widerstand in Ämtern und Behörden über Streiks in den Betrieben bis hin zu Sabotageakten an Brücken und Kanälen reichte das Waffenarsenal der rheinischen Insurgenten. Diese Maßnahmen, von der Regierung Cuno unterstützt, teilweise sogar initiiert, trugen nicht zu einer Lösung der Probleme bei, vielmehr verschärften sie die Auseinandersetzung. Da die Menschen im besetzten Ruhrgebiet den neuen Herren von der linken Rheinseite nicht dienen wollten, gab es von denen natürlich auch keinen Lohn. Darum mussten sie von Berlin alimentiert werden. Das geschah mit einer sogenannten Papiermark, die, ehe man sich’s versah, wegen der extensiven Geldvermehrung buchstäblich das Papier, auf dem sie gedruckt wurde, nicht mehr wert war. Nutznießer waren 300 deutsche Papierfabriken, die voll und ganz damit beschäftigt waren, die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Rund 150 Druckereien arbeiteten Tag und Nacht, obwohl man schrittweise dazu überging, Geldscheine nur noch einseitig zu bedrucken. Für ein Frühstücksei beispielsweise, das im Jahre 1912 sieben Pfennig kostete, verlangte man im November 1923 den stolzen Preis von 320 Milliarden Papiermark. Die Masse der Deutschen, der sogenannte »kleine Mann auf der Straße«, war innerhalb weniger Monate ihre angesparten Rücklagen los, sie waren nichts mehr wert. Grund und Boden, Immobilien, Maschinen und Anlagen hingegen verloren nicht an Substanz. Am 9. November 1923 war ein US-Dollar 628,5 Milliarden Papiermark »wert«. Nur langsam erholte sich die deutsche Wirtschaft von diesem ökonomischen Erdbeben – aber sie erholte sich. Auch der Bau ziviler Flugzeuge kam langsam in Gang: bei Junkers in Dessau, Fokker in Schwerin oder Dornier am Bodensee. Hermann Hesse kehrte zu seiner alten Leidenschaft zurück und erfüllte sich einen Traum: Er studierte in Magdeburg und Berlin-Adlershof Flugingenieurswesen. 1934 war auf Befehl von Hermann Göring im Süden Berlins die Höhere Fliegertechnische Schule (HFTS) gegründet worden. In welcher Funktion dies geschah, scheint unerheblich, Göring war Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für Luftfahrt und Reichskommissar für das preußische Innenministerium sowie Ministerpräsident Preußens. Erheblich jedoch ist die Tatsache, dass diese Schule ein Baustein für die systematische Vorbereitung des Nazireiches auf einen neuen Krieg war. Dort wurde Personal für die deutsche Luftwaffe ausgebildet. 1941, da tobte dieser Krieg bereits im dritten Jahr, zog die HFTS nach Jüterbog. Die Adlershofer Liegenschaften wurden von der Deutschen Versuchsanstalt für...