E-Book, Deutsch, 340 Seiten
Boks Dieses Zimmer ist bereits besetzt
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95791-082-0
Verlag: Unsichtbar
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-95791-082-0
Verlag: Unsichtbar
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Markus Leben meint es nicht so mit ihm. Jedenfalls ödet es ihn an. Routine und Struktur, als junger Mann im Auftrag von Recht und Ordnung.
Allein sieht er den Tagen entgegen und lässt sich mehr oder weniger treiben.
Plötzlich die Chance - Der junge Kommissaranwärter soll verdeckt ermitteln - eine wahrscheinlich kriminelle KünstlerWG in einem besetzten Haus beschatten, dort leben.
Doch mit der Zeit verschmilzt sein neues Umfeld mehr und mehr mit ihm und macht seine eigentliche Arbeit erheblich schwerer als gedacht.
Ein Zwiespalt.
'Es war erstaunlich, dachte ich, da gibt es versteckt, kaum auffallend, einen kleinen Huckel auf einer geradlinig verlaufenden, sauber asphaltierten Straße, der eigentlich kaum zu merken ist und unbeachtet fortwähren könnte- bis irgendwer Angst bekam und beschloss diesen Huckel zu verteufeln - Ich bin verdammt nochmal nie über einen Huckel gefahren, was wusste ich schon ?' Markus, verdeckter Ermittler
Aron Boks wurde 1997 an einem sonnigen Mittwoch im Mai, kurz vor 17 Uhr, im Harz geboren.
Genauer gesagt: in Wernigerode.
In den sauberen Umgebungen ostdeutschen Mittelgebirgsflairs wuchs er behütet und gesund auf und beschloss nach dem Abitur dies zu ändern.
Mit 18 Jahren begann er mit selbst geschriebenen Texten aufzutreten und ist seitdem auf zahlreichen Bühnen und Lesungen im gesamten deutschsprachigen Raum zu finden.
2016 wurde er Magdeburger Stadtmeister des Poetry Slams, sowie U20 Landesmeister des Poetry Slams Sachsen-Anhalt.
Im Februar 2017 erschien darauf seine erste Textsammlung 'Mittwochskind' beim Unsichtbar Verlag.
Aron Boks lebt zur Zeit in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Drei
Bei dem Gedanken daran, die halbe Stunde mit dem Bus zu meiner Wohnung zu fahren, überkam mich Stress, da ich an die aushärtenden Brote, den Staub und den schimmelnden Kaffee dachte, der morgen auch noch warten würde, wenn ich nicht erst wieder um zehn Uhr auf der Wache sein musste, also besuchte ich Winzent. Er rechnete nicht mit meinem Kommen, war aber zu dieser Zeit so gut wie immer zuhause, das war angenehm. Sobald ich vor der Tür stand, erschien in seinem Gesicht ein Lächeln, Freude über mein Kommen, in seinen Augen schimmerte jedoch dieser schwer zu beschreibende Ausdruck des Verwirrten, Orientierungslosen. Hastig trat er zur Seite, gewährte mir Einlass und ich sah Knäuel aus Wäsche, Papier und anderem Kram, welcher den Boden im Verlauf des Tages nun einmal erreichte und welcher Mühe bereiten würde, wieder aufgelesen zu werden. Dazu lag auf jedem dieser Stapel ein eigener Notizzettel, der Punkte wie »Wäsche«, »Abzuarbeiten« oder »DONNERSTAG« beinhaltete. Heute war Donnerstag. Bei jeder Sekunde, die ich länger auf die Stapel schaute, wurde das Spiel seiner Augen hektischer und er versuchte eilig, mich in seine Küche zu dirigieren. Winzent bewohnte eine Einzimmerwohnung, ungefähr 15 Gehminuten von Lisa entfernt, ein paar Ecken galt es zu durchqueren, jedoch alles in allem ein einfacher, schöner Weg, und vor dem Haus gab es einen Bäcker mit Bänken vor der Tür, eine Sandfläche und zwei unbeklebte Mülleimer. Daneben eine alte Holztür, durch die man über einen großen quadratischen Innenhof, eingekesselt durch balkonbesetzte Häuserblocks, eine zweite Holztür erreichte, an dessen Klingelkasten mit Klebeband ins unterste Eck Winzents Nachname geklebt worden war. Drückte man die Klingel, waren nach einer kurzen Wartezeit immer erst zwei aufeinanderfolgende Räuspertöne zu hören, dann ein überartikuliertes »Hallo?«. Man sagte seinen Namen und egal, wie oft man dieses Prozedere auch schon gehört hatte, es wurde einem detailliert der doch eher unkomplizierte Weg in die Wohnung im vierten Stock erklärt. Dort war nach einem erneuten Klingeln, diesmal an der Wohnungstür, ein hektisches »Moment, Moment, gleich« zu hören, dann laute, fast stampfende Schritte, ein Türöffnen und dann dieser Gesichtsausdruck. Ein hagerer, blonder junger Mann, der sich mir am ersten Tag im Gegensatz zu den zahlreichen anderen Anwärtern dadurch einprägte, dass er fortlaufend sein Gesicht betastete und mit den Händen über seine hohen Wangenknochen unter den blauen Augen streifte. Wärme hatte er trotzdem in seiner Erscheinung, eine unbeholfene, unbedrohliche Atmosphäre umgab ihn, zugleich Nervosität, das Ganze konnte man im weitesten Sinne als positive Energie bezeichnen. Deswegen besuchte ich ihn gern und war froh, dass er es war, der während der Konferenzen, während der normalen Arbeit, während dieser ganzen, verdammt langen Schreibtischzeit so dicht neben mir sitzen musste, dass ich seinen Atem hören konnte. »Hallo!« Und doch sah alles an ihm irgendwie unfertig aus, das Etikett seiner Unterhose schaute aus der engen, hochgezogenen Hose heraus und einige Knöpfe seines Hemdes steckten in den falschen Knopflöchern. Auch so war immer irgendetwas unstimmig an ihm, so hatte er beispielsweise die Angewohnheit, einem ungefragt ausführlich zu berichten, womit er sich die letzten Tage beschäftigt hatte, offenbar um seine Stapel aus Planungshäufchen zu legitimieren. In einem kleinen Bereich vor der Küche lagen mehrere Stapel Bücher, die nach irgendeinem System zusammengestellt worden waren, und ich erinnerte mich daran, vor ein paar Tagen, um genau zu sein, vor einer Woche – wir sahen uns selten an anderen Tagen als am Donnerstag –, eins dieser Bücher herausgeholt zu haben, und ich ging zu seiner kleinen Bibliothek herüber und machte mich auf die Suche nach diesem. Neben Winzents Bett standen mehrere Kaffeetassen, daneben Skizzen und diverse Schnipsel, und an der rechten Bettkante war ein Wasserkocher angeschlossen, neben dem auch mehrere Tüten Instant Kaffeepulver lagen. Er bot mir einen Kaffee an, und ich spürte dieses Ziehen in meinem Magen wieder deutlicher und nickte. Das Wasser kochte und Winzent starrte auf die dreckigen Tassen neben seinem Bett. Das Gerät wurde immer lauter, gefolgt vom einsetzenden Dampf, und die fortwährend dringlicher klingenden Geräusche verstärkten die Panik in seinen Augen. Gleich würde er irgendetwas tun müssen. Mit Druck konnte er nicht gut umgehen, also zögerte er noch eine Zeit lang, aber dann sprang er doch auf, ergriff zwei verdreckte Tassen und rannte los in Richtung Küche. Kurze Zeit später kehrte er mit sauberen Tassen zurück sowie etwas Milch, aber nicht im Karton, nein, in einer kleinen Karaffe. »So, wenn schon Kaffee, dann aber auch schön gemütlich, was?« Der Kaffee schmeckte sogar ganz passabel, obwohl er bloß aus einem Tütchen kam. Als wir, ohne großartig miteinander zu reden, etwa die Hälfte davon getrunken hatten, fing Winzent an, seine Strickjacke abzutasten. Erleichterung erhellte sein Gesicht, als er schließlich fand, was er gesucht hatte: Tabak, Zigarettenfilter und Drehblättchen. Ich nickte anerkennend, drehte uns zwei und wir rauchten. Verzückt und mit einem überlaut ausgehauchten »Ahhhh« vorweg, musterte er mich dabei erwartungsvoll und sagte langsam: »Ist das nicht schön? So etwas Schönes am Morgen, leckerer Kaffee und Zigarette, herrlich.« Ja, schön war das. Dann zupfte er an seinem T-Shirt herum und fragte ruhig und wie einstudiert: »Sag mal, hast du schon gefrühstückt?« »Also, …« »Na ja, ich hab jetzt auch nicht so krassen Hunger, aber wenn du jetzt was … Ich meine, ich könnt ja was machen, das wäre ja schön, aber krassen Hunger habe ich wie gesagt nicht. So’n bisschen nur.« »Ja«, antwortete ich nur und erlöste ihn mit einem raschen Lächeln. Das schien ihn zu erleichtern und er eilte in die Küche, und als nächstes erklang ein orchesterähnliches Zusammenspiel von Blechen und Töpfen, kurz darauf fiel offenbar ein Glas zu Boden, es folgte jedoch Entwarnung: »Haha, alles gut, daaas wird schön, ich mach was Schönes, dauert nur’n kleines bisschen, aber ich bin gleich fertig, mach dir keine Sorgen, das wird schön.« Ich wartete einfach und sah mich im Zimmer um. Dieses Zimmer hatte ein System, strahlte aber trotzdem Unpersönlichkeit aus, weil es zu viele unstimmige Nuancen miteinander vermischte. Da lagen einzelne Artikel, herausgeschnitten aus irgendwelchen Zeitschriften, zwar zerknittert und wild übereinandergestapelt, dennoch erkennbar absichtlich zwischen Bücherregal und Türrahmen platziert, Notizzettel und Schreibblocks auf einer kleinen Kiste im rechten Eck des Raumes, daneben ein kleiner Haufen Bilder. Es waren jetzt schon fünfzehn Minuten vergangen, aber alle fünf Minuten ertönte sein »Warte, warte gleeeich«. Auf dem Schreibtisch lag halb gefaltet sein Dienstausweis: Winzent Hirte, ein einfacher Name für einen Menschen seines Kalibers. Ein Sonderling, ohne Frage. Wobei der Sonderling eine allgemeine Faszination ausstrahlte. Faszination, ja, aber faszinierend waren auch die Gestalten, die sich mir morgens vor den U-Bahnhöfen auftaten. Fratzen, die ohne erkennbaren Grund in meine Richtung grinsten und lachten, und bestimmt nicht, weil sie sich über mich freuten. Nach weiteren fünf Minuten rief mich Winzent zu sich in die Küche. Er hatte auf mehreren Frühstücksbrettchen nahezu alles, was er im Kühlschrank hatte, präsentiert und in kleinen Portionen arrangiert, wirklich detaillierte Feinarbeit. Dazu gab es Süßigkeiten und Brot. Wir setzten uns an den Tisch, Winzent goss uns frischen Kaffee in die Tassen und sprang auf. »Ach manno, manno, manno, die Milch! Warte!« Als wir beide saßen, uns gegenseitig und den kleinen, runden Tisch ansahen, spürte er, dass sein Kaffee nicht mehr diese kochende Hitze, sondern lediglich Restwärme besaß, also sprang er wieder auf, aufgescheucht durch irgendetwas, schüttete den alten Kaffee weg und ließ den Wasserkocher wieder fauchen und die Grundlage für frischen produzieren. Ich platzte heraus: »Haha, wir haben wirklich nur noch zwanzig Minuten und hier sieht es aus, als wären drei Sonntage auf einen Tag gefallen.« Es war nicht wirklich überlegt, einem Menschen wie Winzent so etwas zu sagen. Nein, mit Druck konnte er einfach nicht umgehen. Er lachte hektisch auf und wurde sichtlich nervöser, stapelte sich gleich zwei Scheiben...