Carey Felix Castor - Den Teufel im Blick
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8025-9013-9
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 01, 400 Seiten
Reihe: Felix-Castor-Reihe
ISBN: 978-3-8025-9013-9
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Cool, cooler, Felix Castor - der abgefahrenste Exorzist Londons ermittelt in seinem ersten Fall! Felix Castor ist einer der besten Exorzisten Englands. Als er einen Geist aus einem Museum in London vertreiben soll, hört sich das zunächst nach einem leichten Job an. Doch schon bald sind sämtliche Bewohner der Geisterwelt hinter ihm her, um ihm das Leben zur Hölle zu machen. Irgendjemand scheint im Hintergrund die Fäden zu ziehen - und er hat es auf Castor abgesehen.
Mike Carey wurde in Liverpool geboren. Nach einem Englischstudium arbeitete er einige Jahre als Lehrer, um sich schließlich als Comic-Autor einen Namen zu machen. Mit der Felix-Castor-Serie gibt er sein Debüt als Romanschriftsteller und landete gleich mit dem ersten Band einen großen Erfolg.
Weitere Infos & Material
1
Normalerweise trug ich einen zaristischen Armeemantel – mitunter auch als Paletot bezeichnet – mit eingenähten Taschen für meine irische Tin Whistle, mein Notizbuch, einen Dolch und einen Becher. An diesem Tag hatte ich mich für einen grünen Smoking mit einer künstlichen welken Blume im Knopfloch, pinkfarbene Lacklederschuhe und einen aufgemalten Groucho-Marx-Schnurrbart entschieden. Von Bunhill Fields im Osten fuhr ich quer durch London – das Zentrum meiner Kraft. Ich musste allerdings zugeben, dass ich mich alles andere als stark fühlte. Wenn man aussah wie ein Pistazieneis samt Waffel, war es nicht so einfach, den harten Burschen herauszukehren.
Die Wirtschaftsgeografie Londons hatte sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert, aber Hampstead war geblieben, was es immer gewesen war, und an diesem kalten Novembernachmittag, als ich für Sünden büßte, die ich nicht zählen konnte, und in etwa so fröhlich aussah wie eine Tricoteuse, die soeben erfahren hatte, dass die täglichen Hinrichtungen wegen schlechten Wetters abgesagt worden waren, wollte ich nach Hampstead.
Um genau zu sein, mein Ziel war Grosvenor Terrace Nummer 17: ein bescheidenes kleines frühviktorianisches Meisterwerk, von Sir Charles Barry in der Mittagspause zusammengeschustert, während er den Reform Club erbaute. Ob es einem gefiel oder nicht, es war aktenkundig: Für einen Tausender bar auf die Hand nahm der große Mann nebenher jeden Auftrag an und bediente sich vom Material des Projekts, an dem er jeweils gerade offiziell arbeitete. Man konnte seine illegitime architektonische Nachkommenschaft überall von Ladbroke Grove bis Highgate antreffen und hatte ständig ein unbehagliches Déjà-vu-Gefühl, als sähe man die Nase des Milchmanns im Gesicht seines Erstgeborenen.
Ich parkte den Wagen weit genug von der Haustür entfernt, um dem Haushalt, den ich besuchen wollte, eventuelle Peinlichkeiten zu ersparen, und bewältigte die letzten einhundert Meter, bepackt mit vier Reisekoffern voll hochspezialisierter Ausrüstungsgegenstände, zu Fuß. Die Türklingel gab einen schneidenden, zweckdienlichen Summton von sich, der klang wie der Bohrer eines Zahnarztes, der von widerspenstigem Zahnschmelz abrutschte. Während ich auf eine Reaktion wartete, betrachtete ich den Vogelbeerzweig, der rechts neben der Haustür an die Wand genagelt war. Schwarze, weiße und rote Bänder waren in der vorgeschriebenen Reihenfolge daran befestigt, aber dessen ungeachtet … ein Vogelbeerzweig im November hatte sicher nicht mehr allzu viel Saft in sich. Ich kam zu dem Schluss, dass dies eine sehr ruhige Gegend sein musste.
Der Mann, der die Tür öffnete, war vermutlich James Dodson, der Vater des Geburtstagskinds. Ich entwickelte sofort eine tiefe Abneigung gegen ihn, um Zeit und Mühe zu sparen. Er war ein massiv wirkender Mann, nicht groß, aber steinhart: graue Augen wie Kugellagerkugeln, grau meliertes Haar, das den grauen Gesamteindruck auf seine Art unterstrich. In den Vierzigern, aber wahrscheinlich genauso fit und gepflegt wie zwanzig Jahre zuvor: zweifellos jemand, der genau wusste, wie wichtig gute Ernährung, regelmäßige sportliche Betätigung und ständige moralische Überlegenheit waren. Pen hatte gesagt, er sei Polizist: Polizeipräsident in spe, der in der Agar Street als einer der Geburtshelfer des neuen Regierungsdezernats für Organisiertes und Kapitalverbrechen arbeitete. Ich hätte bei ihm wahrscheinlich auf Polizist oder Priester getippt, wobei die meisten Priester sich großzügig gehen ließen, noch ehe sie die vierzig erreicht hatten: Das war eine der Vergünstigungen, wenn man einer höheren Berufung folgte.
»Sie sind also der Alleinunterhalter«, sagte Dodson, wobei es eher klang wie »Sie sind ein wertloses Stück Scheiße und haben meinen Hund vergewaltigt«. Er machte keine Anstalten, mir bei den Koffern zu helfen, von denen ich je zwei in einer Hand trug.
»Felix Castor«, bestätigte ich, meine Miene alleinunterhalteruntypisch neutral. »Ich sorge stets für gute Laune.«
Er nickte unverbindlich und öffnete die Tür ein Stück weiter, um mich einzulassen. »Es werden wohl mehr Kinder sein als ursprünglich angegeben. Ich hoffe, das macht nichts.«
»Je mehr, desto besser«, antwortete ich über die Schulter und ging weiter. Ich musterte das Wohnzimmer mit einem, wie ich hoffte, professionell wirkenden Blick, aber es war für mich nur ein belangloser Raum. »Das ist gut. Alles da, was ich brauche. Super.«
»Wir wollten Sebastian zu seinem Vater schicken, aber der verdammte Kerl hat irgendwelche Probleme auf der Arbeit«, erklärte Dodson hinter mir. »Das wäre dann ein Kind mehr und noch ein paar zusätzliche Freunde …«
»Sebastian?«, fragte ich. Fragen zu stellen war ein Reflex bei mir, egal ob ich Antworten hören wollte oder nicht: Das lag definitiv der Arbeit, die ich machte. Ich meine, die ich gewöhnlich machte. Die ich ab und zu machte. Auf die ich eigentlich gut verzichten konnte.
»Peters Stiefbruder. Er stammt aus Barbaras voriger Ehe, so wie Peter aus meiner. Sie kommen ganz gut miteinander aus.«
»Natürlich.« Ich nickte ernsthaft, als würde ich routinemäßig die Zuverlässigkeit des familiären Rückhalts meiner Auftraggeber überprüfen, ehe ich mit meinen Zaubertricks und den schrägen Slapsticknummern startete. Peter war das Geburtstagskind: Er war gerade vierzehn geworden. Wahrscheinlich schon zu alt für Clowns, Zauberkünstler und Eiskrem- und Tortenschlachten. Aber das war nicht mein Problem. Man engagierte auch Leute, die nichts anderes taten, als ständig bunte Bänder aus einer Dose mit gebackenen Bohnen zu ziehen.
»Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie alles aufbauen können«, sagte Dodson ein wenig unsicher. »Bitte verschieben Sie keine Möbel, ohne mich oder Barbara vorher zu fragen, und wenn Sie irgendetwas aufs Parkett stellen, das Kratzer hinterlassen könnte, fragen Sie nach Schutzmatten.«
»Danke«, sagte ich. »Ich trinke Bier, wenn Sie sich eins genehmigen sollten. Aber wenn es geht, kein helles.«
Er ging bereits zur Tür, als ich das sagte, und reagierte nicht. Wahrscheinlich würde ich ihm ebenso wenig etwas zu trinken aus dem Kreuz leiern können wie einen Zungenkuss.
Also fing ich an auszupacken, was durch die Tatsache erschwert wurde, dass diese Kisten während der letzten zehn Jahre kein einziges Mal aus Pens Garage gekommen waren. Zwischen dem Bühnenzauberkram befanden sich Dinge, die mich kurz – und auch länger – innehielten ließen. Ein Schweizer Offizierstaschenmesser – es hatte meinem Freund Rafi gehört –, dessen Spitze abgebrochen war; ein selbst gebastelter Fetisch, der aus einem mumifizierten Froschkadaver und drei rostigen Nägeln bestand; ein mit Federn geschmückter Snood, der ein wenig fadenscheinig aussah, dem jedoch immer noch ein schwacher Parfümduft anhaftete; und die Kamera.
Scheiße! Die Kamera.
Ich drehte sie in den Händen hin und her und tauchte sofort in einen intensiven Tagtraum ein. Es war eine Brownie Autographic No. 3, und zusammengeklappt erinnerte sie eher an die Butterbrotdose eines Schulkinds als an irgendetwas anderes. Doch sobald ich die Verriegelungen löste, sah ich, dass der rote Lederbalg noch immer an Ort und Stelle war; der mattierte Sucher war intakt, und – Wunder über Wunder – die handbetriebenen Stellrädchen, die die Optik in Arbeitsstellung brachten, funktionierten anscheinend noch immer. Ich hatte das Ding auf einem Flohmarkt in München aufgestöbert, als ich als Rucksacktourist durch Europa reiste. Es war fast hundert Jahre alt, und ich hatte etwa ein Pfund dafür bezahlt, was dem geforderten Preis entsprach, da die Linse in der Mitte einen Sprung hatte. Das war nicht von Bedeutung – nicht für das, was ich damals damit im Sinn hatte –, daher betrachtete ich es als Schnäppchen.
Ich musste die Kamera jedoch beiseitelegen, da in diesem Moment eine sehr vollbusige, sehr blonde, sehr schöne Frau, die für jemanden wie James Dodson offensichtlich viel zu gut war, die ersten Partygäste hereinführte. Oder auch für jemanden wie mich, um fair zu sein. Sie trug eine weiße Bluse und darüber ein asymmetrisch geschnittenes Kakihemd, auf dem vermutlich an irgendeiner Stelle der Name des Designers verewigt war und das mehr kostete, als ich in einem halben Jahr verdiente. Trotzdem sah sie jedoch ein wenig verhärmt und müde aus. Das Leben mit James Superbulle hinterließ solche Spuren, vermutete ich, oder möglicherweise auch das Leben mit Peter, gesetzt den Fall, Peter war dieser mürrische Strahl trüben Sonnenscheins, der neben ihr hertrottete. Er hatte die Aura klotziger, aggressiver Kompaktheit seines Vaters, gepaart mit der misstrauischen Verstocktheit eines Halbwüchsigen: Es war irgendwie eine äußerst unattraktive Kombination.
Die Dame stellte sich mit einer Stimme, in der genügend natürliche Wärme lag, um elektrische Heizdecken überflüssig zu machen, als Barbara vor. Sie stellte auch Peter vor, und ich bot ihm ein Lächeln und ein Kopfnicken an. Aus irgendeinem atavistischen Impuls, wahrscheinlich hervorgerufen durch die Tatsache, dass ich mich in Hampstead befand, versuchte ich, ihm die Hand zu schütteln, aber er entfernte sich bereits in Richtung eines soeben eingetroffenen neuen Gastes, den er lautstark begrüßte. Barbara schaute ihm mit einem schwer zu deutenden, buddhamäßigen Lächeln hinterher, das auf die Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente schließen ließ, aber als sie sich wieder zu mir umdrehte, war ihr Blick fokussiert und klar.
»So«, sagte sie. »Sind Sie bereit?«
Zu allem, hätte ich fast gesagt – aber ich entschied mich für ein schlichtes...




