Cebeni | Die Wildrosentöchter | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Cebeni Die Wildrosentöchter

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-24444-6
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-24444-6
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Roman so verführerisch wie der Duft wilder Rosen ...

Als ihre große Liebe Lorenzo stirbt, glaubt Cassandra, nie mehr glücklich werden zu können. In ihrer Trauer widmet sie sich voll Hingabe den Weinreben und Rosenstöcken auf dem toskanischen Gut, das ihr Mann hinterlassen hat. Doch dann findet sie einen auf das Jahr 1944 datierten Liebesbrief. Fasziniert beginnt Cassandra Nachforschungen anzustellen, die in die Vergangenheit ihrer Familie führen. Als ihr Großvater jede Auskunft verweigert, bekommt sie Hilfe von Enea, dem ernsten, aber attraktiven Chorleiter des Dorfes. Und während die Rosen auf dem Gut zu blühen beginnen, kommen die beiden einer tragischen Liebesgeschichte auf die Spur ...
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1

Dezember 2003

Der Blick von La Carraia auf Montelupo war atemberaubend.

In der diesigen Winterluft sah der kleine Ort wie verzaubert aus, denn ein Schleier schien über allem zu liegen, tauchte die Silhouette der Kirche San Biagio, die umstehenden Häuser mit den erdfarbenen Dächern, das zinnenbewehrte Rathaus auf dem großen Platz, die Weinberge und Olivenhaine, die sich außerhalb der Mauern mit den beiden Stadttoren entlangzogen, in ein sanftes Licht. Und dahinter breitete sich die typische toskanische Hügellandschaft aus.

Ich seufzte, während die Dachbalken aus Eichenholz in der Kälte knackten.

Es war Dezember. Die Kinder warteten ungeduldig und voller Vorfreude auf Weihnachten, die Straßen des kleinen Ortes waren vom Duft der Holzfeuer in den Stuben erfüllt. Ich hörte die Musik der Dudelsackpfeifer, der Zampognari, und die der Händler, die jeden Morgen ihren Stand auf der Piazza delle Erbe aufschlugen und den Frauen ihre Waren aufschwatzten, während die Männer in der Bar saßen und über Fußball diskutierten.

Fröstelnd zog ich mir die Ärmel des schwarzen Pullovers über die Handgelenke, um meine Finger zu wärmen.

Ich war traurig, wie fast jeden Tag seit einem Jahr. Der Kalender erinnerte mich daran, dass das Datum, das für mich immer den Nachgeschmack einer Niederlage haben würde, unaufhaltsam näher rückte. Der vierundzwanzigste Dezember. Als ich in der Fensterscheibe mein trauriges Gesicht mit den heruntergezogenen Mundwinkeln sah, wandte ich den Blick ab und wischte mir mit der Hand über die Stirn.

In diesem Moment hörte ich rasche Schritte auf der Treppe. Schnell schaltete ich das Gas unter der Espressokanne aus und schaute zur Tür. Da stand er, der kleine General, der mich in den letzten zwölf Monaten am Leben gehalten hatte: meine Schwiegermutter Mercedes. Sie war zwar nur einen Meter sechzig groß, hatte aber einen eisernen Willen und scharfe stahlblaue Augen.

Eine Frau von altem Schlag, die in der Familie die Zügel mühelos in der Hand hielt, die Blätterteig noch selbst machte und nichts von modernen Küchengeräten hielt. Sie hatte mich in der dunkelsten Stunde meines Lebens fest in den Arm genommen und mich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr losgelassen. Seit jeher hatte sie den Herausforderungen des Lebens ins Auge geblickt, schon als Kind hatte sie seine Grausamkeit kennengelernt – sie war vom Pferd gefallen und hinkte seitdem.

Trotzdem hatte sie sich nicht unterkriegen lassen, war die Seele des großzügigen Anwesens auf dem Hügel, das seit Jahrhunderten den Carrais gehörte.

Obwohl sie diesen Namen erst seit ihrer Eheschließung trug, war sie La Carraia, bildete eine Einheit mit diesem Besitz, war kraftvoll wie die Rebstöcke und die Olivenbäume, deren Erzeugnisse weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt waren, und sanft wie der Wind, der vom nahen Lago delle Rose herüberwehte. Vor allem jedoch war sie die Mutter eines Sohnes, den sie entgegen aller Gesetze der Natur vorzeitig zu Grabe hatte tragen müssen.

Meinen Ehemann.

Lächelnd sah ich sie an. Sie und Aurora hatten am Abend zuvor Perlen aufgefädelt und dabei einen Heidenspaß gehabt. Die Kette schmückte jetzt ihre Brille.

»Guten Morgen«, begrüßte ich sie – sie antwortete mit einem Seufzen und verschränkte die Arme über dem ausladenden Busen. Erst auf den zweiten Blick fiel mir ihr angespannter Gesichtsausdruck auf. Er verhieß nichts Gutes, denn normalerweise war sie optimistisch.

»Stimmt etwas nicht?«

»Wie man’s nimmt«, murmelte sie und stampfte mit dem Fuß auf den gekachelten Küchenfußboden. »Zumindest ist es ärgerlich.«

Als sie den Kaffeeduft roch, schenkte sie sich eine Tasse ein, goss Milch aus dem Kühlschrank dazu und griff nach der hölzernen Zuckerdose, deren Deckel mein Mann immer dreimal drehte, bevor er sich einen Löffel Zucker nahm. Das war seine Art gewesen, das Glück zu rufen, wie er es nannte. Viel genutzt hatte es ihm nicht.

»Gibt es Schwierigkeiten?«, hakte ich nach, weil ich nicht verstanden hatte, was sie meinte.

Mercedes rückte die Brille zurecht, ihre Brust hob und senkte sich unter dem bordeauxfarbenen Kaschmirpullover, den ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.

»Es geht um Primo. Du weißt ja, er ist auf einer Eisplatte ausgerutscht und hat sich den Oberschenkelknochen gebrochen. Nichts Ernstes, behaupteten die Ärzte im San Carlo di Ottona, doch wie es aussieht, ist es zumindest sehr langwierig. Nun ja, er dachte bereits seit einer Weile darüber nach, die Leitung des Chores abzugeben, immerhin ist er nicht mehr der Jüngste. Bloß stehen wir jetzt eine Woche vor dem Konzert ohne Dirigenten da«, sagte sie und zuckte mit den Schultern. »Absagen oder verschieben können wir nicht mehr.«

»Warum nicht?«, fragte ich, aber ich musste sie nur ansehen, um zu verstehen, dass ich dieses Thema besser mied. Gedankenverloren rührte ich in meiner Tasse und schaute zu, wie das Weiß sich mit dem Braun vermischte. »Und jetzt?«

Mercedes setzte sich zu mir an den Tisch und schlug die Beine übereinander.

»Fürs Erste hat er einen Ersatz gefunden, der heute Nachmittag zur Probe kommt. Vorausgesetzt, er schafft es, die Straßen sind glatt, und wer weiß, ob sie bis dahin frei sind.«

Sie deutete auf die Glastür zum Garten, hinter der man zwei Zitronenbäume sah, die gut geschützt der Winterkälte trotzten, während sich Dutzende Alpenveilchen, die vom Frühjahr bis zum Herbst mit ihren weißen, lila und rosa Blüten erfreuten, in den Schutz der wärmenden Hauswand duckten. Ich schob den Vorhang zur Seite, und mein Atem hinterließ kleine Kreise auf der kalten Scheibe.

Inzwischen hatte ich mehrere Winter in diesem Haus inmitten der Weinberge verbracht, die sich je nach Jahreszeit in eine andere Farbe kleideten, und doch begeisterte mich dieses Schauspiel jedes Mal aufs Neue. Die gewundenen Wege, die nackten Weinstöcke, die sich wie Krallen in den schneebedeckten Boden bohrten, die Olivenbäume, deren silberne Blätter unerschütterlich der Kälte widerstanden.

Ich lächelte der steinernen Fassade des Kirchturms von Montelupo zu, dessen Glockengeläut jetzt kurz vor den Feiertagen die Gläubigen zur Messe rief, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Ich schob mir eine Strähne aus dem Gesicht und trat einen Schritt zurück, während ich zusah, wie schüchterne Flocken vom windstillen Himmel fielen. Erneut begegnete mir in der Scheibe mein Spiegelbild, mein bleiches Gesicht mit den riesigen grünen Augen, in denen kein Strahlen mehr lag, und den kurzen Haaren, die ich neuerdings trug, weil ich mich so weit wie möglich von der Frau entfernen wollte, die mir von meinem Hochzeitsfoto auf der Kommode entgegenlächelte. Bald musste ich sie mal wieder schneiden lassen, dachte ich und schaute zu meiner Schwiegermutter, die mich aufmerksam beobachtete.

»Mach dir keine Sorgen, ich fahre dich mit Aurora zur Kirche und auch wieder nach Hause«, sagte ich.

»In Ordnung, aber vielleicht wartest du dann auf uns, nicht dass du unnötig hin und her fährst bei dem Wetter«, schlug sie vor, wenngleich ich die Idee, dass sie Aurora mit in den Chor schleppte, nie gut gefunden hatte – allerdings hatte Mercedes in diesem Fall vielleicht sogar recht, und es war gut für meine Tochter. Dennoch hasste ich in manchen Momenten ihre pragmatische Art.

Bei seinem Eintreten fiel mir sofort auf, wie sich über alles in dem großen, hohen Gebäude Spannung legte. Die Mädchen aus dem Chor, die ihre Rucksäcke und iPods auf die vorderste Kirchenbank geschmissen hatten und jetzt vor dem Altar standen, wandten die Köpfe, um einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der rasch durch das Längsschiff auf sie zukam. Er trug eine Umhängetasche über der Schulter und eine rote Windjacke unter dem Arm.

»Entschuldigt bitte die Verspätung, die Straßenverhältnisse sind nicht die besten heute«, sagte er und lächelte entwaffnend.

Ich schaute weiter zu meinem kleinen Mädchen, hatte mich in eine Bank seitlich des Altars gesetzt, damit Aurora mich immer im Blick hatte und sich nicht verloren fühlte, denn sie tat sich schwer mit Menschen, die ihr nicht vertraut waren. Seit Lorenzos Tod hatte sie sich regelrecht eingekapselt, und die diversen Ärzte, die wir aufgesucht hatten, stellten immer das Gleiche fest: selektiver Mutismus.

Organisch fehlte ihr nichts, es war der Schmerz, der sie bisweilen verstummen ließ.

In der Luft lag Weihrauchduft, die Kirche war von warmem Kerzenlicht erhellt, und ich gab mich Gedanken hin, die ich sonst lieber vermied. Ich wollte nichts von diesem Mann, der da am Kreuz hing und mich betrachtete, ich wollte meine Ruhe. Er und ich lagen im Streit, und ich hatte nicht die Absicht, ihm das zu verzeihen, was er mir angetan hatte.

Mit dem Zeigefinger tastete ich nach Lorenzos Ehering, den ich um den Hals trug, umklammerte ihn und wiederholte den Namen meines Mannes wie ein Mantra, als ob ich damit das Bild verscheuchen könnte, das mich so sehr quälte: ein Sarg vor dem Altar, darauf ein Blumenkranz und davor Don Anselmo, der die Totenmesse las.

»Darf ich?«

Ich fuhr herum, bemerkte erst jetzt den Mann mit der Tasche und der roten Windjacke und einem freundlichen Lächeln, das mich an Lorenzo erinnerte.

»Ja«, antwortete ich knapp und schaute wieder zu Aurora, die so zart und zerbrechlich aussah wie ein Papiervogel bei einem Sturm.

»Gut, dann lasse ich das hier liegen. Ich bin Enea.« Er streckte mir seine Hand entgegen und zwang mich auf diese Weise, ihn anzusehen.

Für den Standard in Montelupo lag er eindeutig über dem Durchschnitt, er war hochgewachsen wie ein Basketballspieler, hatte ein offenes Gesicht, unbändige goldblonde Haare und einen bräunlichen Teint, als käme er...


Cebeni, Valentina
Valentina Cebeni wurde 1985 in Rom geboren, doch sie trägt das türkisblaue Meer, das die Küste Sardiniens umspielt, im Herzen. Bereits seit ihrer Kindheit hat sie zwei große Leidenschaften: für mitreißende Geschichten und für das Kochen und Backen. Sie liebt es, über die Rezepte ihrer Familie die gemeinsame Vergangenheit wiederzuentdecken. Mit ihren gefühlvollen Romanen hat sie sich in die Herzen ihrer Fans geschrieben.



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