E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Historical
Cheney Herz im Spiel
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7337-6496-8
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Historical
ISBN: 978-3-7337-6496-8
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herzlos setzt Mariannes Vormund sie als Pfand im Glücksspiel ein - und verliert sie an den vermögenden Peter Desmond. Voll banger Erwartungen, wie ihr Schicksal in den Händen des Fremden aussehen wird, reist Marianne zu seinem Landsitz. Dort tritt ihr ein sehr attraktiver Mann entgegen. Sein erster heißer Kuss lässt keinen Zweifel daran, für wen er sie hält und was er mit ihr vorhat ...
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1. KAPITEL
Dafür, dass der Sommer gerade erst begonnen hatte, war die Nacht zu heiß. Die Fenster standen offen, doch nur ab und zu wehte eine frische Brise ins Zimmer.
Ein Mädchen saß bekleidet am Fußende des Bettes.
Für diese Jahreszeit war die junge Frau zu warm angezogen, und angesichts der späten Stunde trug sie das Oberteil viel zu hochgeschlossen. Daher war es kein Wunder, dass ihr kleine Schweißperlen auf der Stirn standen. Aber der Grund, weshalb ihr der Schweiß aus den Poren trat und in Rinnsalen langsam den Rücken herunterrann, war in Wirklichkeit ein anderer.
Marianne wartete auf ihren Onkel Horace. Übellaunig war er meistens, aber wenn er beim Kartenspiel verlor, wurde er gewalttätig. Und leider verlor Horace Carstairs fast immer, wenn er spielte.
Carstairs war nicht ihr leiblicher Onkel. Nachdem ihre Eltern im vergangenen Jahr gestorben waren – ihr Vater an den Folgen eines Jagdunfalls und ihre Mutter drei Monate später an einer Influenza, die sie sich in ihrem durch die Trauer geschwächten Zustand zugezogen hatte –, war das Mädchen durch Gerichtsbeschluss Carstairs zugewiesen worden.
„Ich kann das Mädchen nicht aufnehmen“, hatte Carstairs eingewandt. „Ich bin unverheiratet. Sie werden doch einem alten Junggesellen wie mir keine solche Verantwortung aufbürden wollen?“
Aber das Gericht hatte Mr. Carstairs daran erinnert, dass die Justiz, da die junge Dame unter staatlicher Vormundschaft stand, über sie und ihr bescheidenes Erbe verfügen konnte. Carstairs hätte sich vielleicht weiter gewehrt, aber der Richter erklärte sich bereit, ihm als Vormund aus dem Erbe des Mädchens eine Jahresrente auszusetzen.
Mr. Carstairs bestritt seinen Lebensunterhalt durch verschiedene Tätigkeiten, von denen einige, wenn auch nicht alle, legal waren, und da er als Geschäftsmann ebenso wenig gewitzt war wie als Kartenspieler, hatte er gegen zusätzliche Einkünfte nichts einzuwenden. Das Entgelt, das der Richter ihm aussetzte, war ihm damals also ganz gelegen gekommen.
Marianne Trenton, die noch vor kurzem ein Heim und eine liebevolle Familie besessen hatte, musste nicht nur mit ihrer Trauer fertig werden, sondern fand sich auch noch mit einemmal als Mündel eines Mannes wieder, den sie nicht kannte und binnen kurzem verabscheute.
Als Marianne endlich hörte, wie unten ein Schlüssel im Türschloss herumgedreht wurde, sprang sie erschrocken auf.
Ängstlich lauschte sie auf die Schritte ihres Onkels, der im Haus umherging und seinen Überrock an den Garderobenständer neben der Vordertür hängte. An dem Tisch in der Halle blieb er stehen, um die Post durchzusehen. Sie dachte, er würde vielleicht in den Salon gehen, um die Zeitung zu lesen, aber nach einer kurzen Stille, in der er, wie sie sich vorstellte, die Schlagzeilen überflog, näherten seine Schritte sich der Treppe.
Die schweren Stiefeltritte klangen, als stammten sie von einem kräftigen Mann, aber Mr. Carstairs war nicht muskulös, sondern hager und schmächtig. Seine Schultern waren schmal, und sein Gesicht mit der spitzen Nase und den dicht zusammenstehenden Augen wirkte verhärmt.
Marianne erstarrte. Wenn heute Abend alles gut verlaufen war, würde Onkel Horace weitergehen, den Flur entlang und in sein eigenes Zimmer. Dann könnte sie sich endlich entkleiden und ins Bett schlüpfen. Aber wenn er verloren hatte, würde er die Tür aufstoßen und über sie herfallen, ohne dass sie sich wehren konnte. Das Ausmaß der Misshandlungen, die sie würde erdulden müssen – brutale Schläge – hing stets von der Höhe seiner Verluste ab.
Seine Schritte näherten sich der Tür. Weit riss sie die grünen Augen auf, ihr Atem wurde flach, und jetzt hielt sie ihn an. „Na los, nur zu“, flüsterte sie, als er vor ihrer Tür stehen blieb. Voller Angst wartete sie darauf, dass er mit dem Stiefel gegen das dünne Holz trat, das sich zwischen ihnen befand.
Stattdessen klopfte es leise an ihrer Tür.
Verblüfft stieß sie den angehaltenen Atem aus. „Herein“, sagte sie.
Langsam öffnete sich die Tür.
„Du bist noch auf“, begann Onkel Horace.
„So ist es“, antwortete sie.
„Konntest du nicht schlafen?“
„Nein, ich habe gewartet …“ Sie verstummte.
„Gewartet? Auf mich? Ich bin gerührt, Marianne.“ Sie schwieg.
„Ich habe noch einmal über unsere Lage nachgedacht“, fuhr er fort. „Du weißt, dass ich nicht unbedingt geeignet bin, ein junges Mädchen großzuziehen, und ich vermute, dass du hier nicht glücklich gewesen bist. Zu oft warst du allein, ohne eine Möglichkeit, unter Leute zu kommen. Du bist in einem Alter, in dem du andere Menschen kennen lernen solltest.“
„Also, ich …“
Carstairs unterbrach sie. „Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns nach einer neuen Stelle für dich umsehen. Etwas mit einer besseren Perspektive.“ Er hatte sich halb abgewandt und beiläufig gesprochen, als wäre ihm all das eben erst eingefallen, aber jetzt betrachtete er sie aufmerksam von der Seite und beobachtete ihre Miene.
„Eine neue Stelle? Das hört sich an, als sollte ich mich nach einer Arbeit umsehen. Meinst du das, Onkel Horace?“
„Nein, nein. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Aber eine andere Umgebung, einen größeren Bekanntenkreis, das schlage ich dir vor.“
„Soll ich jemand besuchen? Vielleicht eine meiner alten Freundinnen?“ fragte sie.
„Das auch wieder nicht“, erwiderte Carstairs ausweichend.
„Was dann?“
„Es ist keine deiner alten Freundinnen, sondern ein mir bekannter Gentleman. Du wirst Ende der Woche abreisen.“
„Abreisen?“
„Am Freitagmorgen wirst du mit einer Kutsche abgeholt. Bis dahin musst du reisefertig sein.“
„Eine Kutsche? Und wohin bringt die mich?“ fragte Marianne, die sich die größte Mühe gab, diesen furchteinflößenden Mann, der ihr Vormund war, zu verstehen.
„Der Herr besitzt ein Landgut in der Umgebung von Kingsbrook. Ich glaube, er möchte dich dort unterbringen.“
„Ich soll London verlassen?“
„Es ist nicht weit“, erläuterte Carstairs. „Und du wirst zweifellos in einigen Wochen wieder zurück sein.“
Horace Carstairs musste sich zu seiner Schande eingestehen, dass er bis zum heutigen Abend die Möglichkeiten, die Marianne ihm eröffnete, nicht erkannt hatte. Sie war ein unverdorbenes junges Mädchen und, soweit er wusste, Jungfrau. Wenn Desmond ihrer überdrüssig war, konnte er ihre Dienste von neuem verkaufen.
„Und wer ist nun der Herr, den ich besuchen soll?“ wollte Marianne wissen. Endlich stellte sie die Frage, die sie am meisten beschäftigte.
Doch ihrVormund schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. „Du kennst ihn nicht“, sagte er.
„Ein Philanthrop.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Für Marianne war offensichtlich, dass jeder Mann, der sie von Onkel Horace fortnahm, ein Menschenfreund sein musste.
Als Marianne am nächsten Morgen aufstand, teilte man ihr mit, Mr. Carstairs sei in aller Frühe nach Barnett aufgebrochen, um einen Kredit aufzunehmen.
Sie war verwirrt und erschrocken. Onkel Horace war abgereist, ohne ihr das Geringste über ihre neuen Lebensumstände mitzuteilen. Als Bette sie über Mr. Carstairs’ plötzliche Geschäftsreise informierte, war die junge Frau mit einemmal nicht mehr sicher, ob sie die gestrige Episode nicht geträumt hatte. Es war spät gewesen, und vielleicht war sie eingeschlafen. In ihrer unbequemen Lage am Fußende des Bettes hatte sie wohl besonders lebhaft geträumt.
Mit der Nachmittagspost traf jedoch ein Brief ein, der ihre vage Erinnerung bestätigte.
Miss Trenton,
Ihr Vormund hat Sie inzwischen zweifellos über Ihren bevorstehenden Umzug in Kenntnis gesetzt. Ich freue mich darauf, Sie kennen zu lernen. Mein Diener wird am Freitagmorgen um sieben bei Ihnen sein. Die Fahrt nach Kingsbrook wird den größten Teil des Tages in Anspruch nehmen, so dass Sie früh aufbrechen müssen. Bis dahin verbleibe ich, le tiens, ma biche. P. Desmond.
Marianne, deren Französischkenntnisse äußerst dürftig waren, ahnte nicht, dass Mr. Desmond sie seinen „Schatz“ genannt hatte, noch war ihr klar, wie unverschämt vertraulich die letzte Wendung des Gentleman gewesen war.
Freitagmorgen stand Marianne bei Sonnenaufgang auf. Als um kurz vor sieben Mr. Desmonds Kutscher läutete, war sie angekleidet und erwartete ihn.
Wie Mr. Desmond in seinem Brief angekündigt hatte, nahm die Fahrt zu seinem Anwesen in der Nähe von Reading den Vormittag und den größten Teil des Nachmittags in Anspruch. Es war heiß. Um acht Uhr bedauerte Marianne schon, dass sie ihr dreiteiliges Kostüm gewählt hatte, das nur mit der Jacke komplett wirkte.
An einem kleinen Gasthaus am Wegesrand hielten sie an, um zu Mittag zu essen. Marianne war geradezu gerührt, als der Kutscher zwei Einpfundnoten hervorzog und erklärte, Mr. Desmond habe sie ihm mitgegeben, um für alle Ausgaben aufzukommen, die sich unterwegs vielleicht ergeben würden.
So genoss Marianne ihr Mahl außerordentlich und trank sogar ein Glas Wein, der sie wunderbar in die Lage versetzte, den Rest der Fahrt in der schaukelnden, drückend heißen Kutsche zu verschlafen.
Erschrocken fuhr sie hoch, als der Kutscher den Wagenschlag aufriss. Er hatte sich als „Rickers“ vorgestellt.
„Wir sind da, Miss“, verkündete der Fahrer jetzt.
„Wo denn?“ Marianne fühlte sich noch ganz benommen vom Genuss des Weines.
„Kingsbrook.“ Mit einer weit ausholenden Geste riss Rickers die beiden Türen der Kutsche auf, und Marianne verschlug es den Atem.
Soeben hatten sie eine...




