E-Book, Deutsch, Band 16, 461 Seiten
Davis Das Geheimnis des Scriptors
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98690-057-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Fall für Marcus Didius Falco - Der 16. Fall | Ein Must-Have für alle Fans von John Maddox Roberts!
E-Book, Deutsch, Band 16, 461 Seiten
Reihe: Ein Fall für Marcus Didius Falco
ISBN: 978-3-98690-057-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lindsey Davis wurde 1949 in Birmingham, UK, geboren. Nach einem Studium der Englischen Literatur in Oxford arbeitete sie 13 Jahre im Staatsdienst, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihr erster Roman »Silberschweine« wurde ein internationaler Erfolg und der Auftakt der Marcus-Didius-Falco-Serie. Ihr Werk wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Diamond Dagger der Crime Writers' Association für ihr Lebenswerk. Die Website der Autorin: www.lindseydavis.co.uk Bei dotbooks erscheinen die folgenden Bände der Serie historischer Kriminalromane des römischen Privatermittlers Marcus Didius Falco: »Silberschweine« »Bronzeschatten« »Kupfervenus« »Eisenhand« »Poseidons Gold« »Letzter Akt in Palmyra« »Die Gnadenfrist« »Zwielicht in Cordoba« »Drei Hände im Brunnen« »Den Löwen zum Fraß« »Eine Jungfrau zu viel« »Tod eines Mäzens« »Eine Leiche im Badehaus« »Mord in Londinium« »Tod eines Senators« »Das Geheimnis des Scriptors« »Delphi sehen und sterben« »Mord im Atrium« Ebenfalls bei dotbooks erscheint der historische Roman »Die Gefährtin des Kaisers«, der auch im Sammelband »Die Frauen der Ewigen Stadt« erhältlich ist.
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Kapitel I
»Wenn der mit Steinen schmeißt, lernt er mich kennen«, grummelte Petronius. »Ich schnapp mir den kleinen Lümmel ...«
Es war ein heißer Tag am Ufer der Tibermündung in Ostia. Petro und ich hatten dringend was zu trinken gebraucht. Wegen der Hitze hatten wir uns nur aus der Vigiles-Kaserne bis in die erste geöffnete Kneipe schleppen können. Eine üble Spelunke. Wir waren stets dem Motto gefolgt: »Geh nie in die erste Kneipe, die du siehst, weil sie bestimmt nichts taugt.« In den letzten fünfzehn Jahren, seit wir uns in einer Anwerbeschlange für die Legionen begegnet waren, hatten wir uns auf der Suche nach was zu trinken immer ein ganzes Stück von zu Hause und von der Arbeit entfernt, für den Fall, dass man uns verfolgte und fand. Tatsächlich waren wir dabei in zahllose üble Kaschemmen geraten, aber nicht viele, in denen Kollegen herumsaßen, denen wir aus dem Weg gehen wollten, und nur sehr wenige, von denen unsere Frauen wussten.
Verstehen Sie mich nicht falsch, wir zwei sind aufrechte Römer mit traditionellen Wertvorstellungen. Natürlich bewundern wir unsere Kollegen und beten unsere Frauen an.
Genau wie der alte Brutus hätte jeder Redner von uns sagen können, dass Marcus Didius Falco und Lucius Petronius Longus ehrenwerte Männer seien. Und ja, der Redner hätte die Behauptung mit einer Ironie unterlegt, die selbst die dämlichste Volksmenge kapiert hätte ...
Wie Sie sehen, hatte ich in der Hitze zu schnell getrunken. Ich schwafelte bereits. Petronius, der erfahrene Ermittlungschef der Vierten Kohorte der Vigiles in Rom, war ein bedächtiger Mann. Er hielt den Weinbecher mit seiner großen linken Hand umklammert, aber sein schwerer rechter Arm ruhte momentan auf unserem Tisch vor der Kneipe, während er sich dem langsamen Abgleiten in die Trunkenheit hingab.
Er hatte sich hierher zum Dienst versetzen lassen und führte ein angenehmes Leben – vor allem, da der Gangster, auf den er wartete, überhaupt nicht auftauchte. Ich war hier, um nach jemand anderem zu suchen – was ich Petro allerdings nicht erzählt hatte.
Ostia, der Hafen von Rom, war eine pulsierende Stadt, aber die Kaserne der Vigiles war baufällig und die Kneipe daneben einfach schrecklich, kaum mehr als ein Schuppen, der an der Wand der Kaserne lehnte. Nach jedem Feuerlöschen blockierten die Vigiles-Mannschaften die enge Seitengasse, standen mit ihren Weinbechern herum, erpicht darauf, sich das Kratzen aus den rauhen Kehlen zu spülen, und für gewöhnlich genauso erpicht darauf, sich über ihre Offiziere zu beschweren. Im Moment war die Straße fast leer, und so konnten wir mit ausgestreckten Beinen auf zwei niedrigen Hockern an einem winzigen Tisch sitzen. Andere Gäste gab es nicht. Die Tagesschicht machte ein Nickerchen im Wachlokal und hoffte, niemand würde in einer überfüllten Wohnung durch Unachtsamkeit Feuer auslösen oder, wenn doch, dass niemand Alarm schlagen würde.
Petro und ich plauderten über unsere Arbeit und unsere Frauen. Nach wie vor in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, behielt Petronius Longus dabei auch den Jungen im Auge. Der Kleine wirkte zu angespannt, schien etwas im Schilde zu führen. Ein kicherndes Grüppchen wäre irritierend genug. Aber falls dieser Einzelgänger einen Stein durch das Tor der Kaserne werfen, dann Schmähungen rufen und wegrennen sollte, würde er meinem alten Freund direkt in die Arme laufen.
Allerdings war der Kleine höchstens sieben. Petronius würde ihm vermutlich nicht die Arme oder Beine brechen.
Nachdem Petronius die Augen zusammengekniffen und den Jungen eine Weile beobachtet hatte, setzte er unsere Unterhaltung fort. »Na, wie gefällt dir deine Bude, Falco?«
Ich schnaubte verächtlich über seine Frotzelei. »Mir ist schon klar, warum du da nicht bleiben wolltest.«
Petro war ein Raum in der Kaserne von Ostia zugewiesen worden. Er hatte sich geweigert, ihn zu beziehen, hatte mir die düstere Zelle aber für diese Woche überlassen. Wir hatten genug Erfahrung mit dem Kasernenleben aus der Zeit bei der Zweiten Augusta, unserer Legion in Britannien. Selbst Feldlager in abgelegenen Provinzen waren besser organisiert als dieser Saftladen. Der Dienst in Ostia war auf vier Monate beschränkt und wechselte im Turnus zwischen den sieben Kohorten Roms. Diese Regelung stand unter ständiger Kritik, und das merkte man.
In einer Seitenstraße des Decumanus Maximus kurz hinter der Porta Romana gelegen, waren die Gebäude vor drei Jahrzehnten hastig errichtet worden, als Claudius seinen neuen Hafen baute. Zuerst hatte der Kaiser einige der ungehobelten Stadtkohorten zur Bewachung der funkelnagelneuen Lagerhäuser eingesetzt. Brände in den Getreidespeichern hatten zu einem Umdenken geführt. Die Regelung wurde verschärft, und die Städtischen, einfache Soldaten, wurden von den besser geschulten Vigiles abgelöst, die ausgebildete Feuerwehrmänner waren. Roms lebenswichtiger Getreidenachschub sollte bei ihnen in sicheren Händen sein, das Volk würde nicht hungern müssen, die Stadt wäre frei von Krawallen, und jeder würde den Kaiser lieben, der für all das gesorgt hatte.
Hier geschah jedoch dasselbe wie in Rom. Während die Vigiles auf Feuerwache waren, vor allem bei Nacht, griffen sie nicht nur Brandstifter auf, sondern jede Art von Kriminellen. Jetzt überwachten sie den Hafen und behielten die Stadt im Auge. Die Bewohner Ostias versuchten immer noch sich daran zu gewöhnen.
Petronius, der wusste, wie man seine Vorgesetzten in den Sack steckte, mischte sich in das Tagesgeschehen nur ein, wenn es ihm passte. Sein Spezialeinsatz war zeitlich unbegrenzt, und so hatte er seine Familie mitgebracht. Inzwischen lebte Petro mit meiner Schwester Maia zusammen, die vier Kinder hatte, und er selbst hatte in Ostia eine noch junge Tochter, mit der er in Kontakt bleiben wollte. Um sie alle unterzubringen, war es ihm gelungen, sich eine Villa zu ergaunern, geliehen von einer sehr wohlhabenden örtlichen Kontaktperson der Vigiles. Wie das vonstattengegangen war, hatte ich noch nicht spitzbekommen. Aber aufgrund dessen stand mir sein ungemütlicher Raum in der Kaserne zur Verfügung. Was war ich doch für ein Glückspilz.
»Dieser miese Schuppen hat seine Nützlichkeit längst überlebt«, grummelte ich. »Er ist zu klein, er ist dunkel, er ist vollgestopft und außerdem angefüllt mit schlechten Erinnerungen all der Gauner, die durchs Tor hereingezerrt und nie wieder gesehen wurden. Die Latrine stinkt. Es gibt kein Kochhaus. Ausrüstungen liegen über den gesamten Exerzierhof verstreut, weil jede Einheit denkt, dass sie, wenn sie nur vier Monate hier ist, alles zum Verrotten rumliegen lassen kann, damit die nächste Gruppe es aufräumt.«
»Ja, und die große Zisterne hat Schimmel angesetzt«, stimmte Petronius hämisch zu.
»Oh, vielen Dank. Erzähl bloß meiner Mutter nicht, dass du mich über einer Senkgrube untergebracht hast.«
»Mach ich nicht«, versicherte er mir, »wenn du mir versprichst, es deiner Frau nicht zu erzählen.« Er hatte Angst vor Helena Justina. Zu Recht. Meine hochwohlgeborene Liebste hatte viel strengere Moralvorstellungen als die meisten Senatorentöchter, und sie wusste ihre Ansichten darzulegen. Petronius gab sich zerknirscht. »Tja, der Raum ist ungemütlich, und es tut mir leid, Marcus. Aber du bleibst ja nicht lange, oder?«
»Natürlich nicht, Lucius, alter Kumpel.«
Das war gelogen. Lucius Petronius hatte mich willkommen geheißen, als hätte ich ihn nur besucht, um mich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Ich verschwieg ihm meinen eigenen Auftrag in Ostia. Letztes Jahr, als mich Kaiser Vespasian wegen irgendwelcher undurchsichtiger Palastangelegenheiten nach Britannien geschickt hatte, war Petro mir dorthin gefolgt. Nur durch Zufall hatte ich erfahren, dass er die Hauptfigur bei einer ernsthaften Jagd nach einem Großgangster war. Mich wurmte immer noch, dass er mir das verschwiegen hatte. Jetzt zahlte ich es ihm heim.
Er trank von seinem Wein. Dann zuckte er zusammen. Ich nickte. Ein abscheulicher Jahrgang.
Ohne ein Wort erhob sich Petronius. Ich blieb sitzen. Langsam ging er auf den Jungen zu, der immer noch reglos vor dem Tor stand. Sie waren etwa fünf Schritte von mir entfernt.
»Hallo, Kleiner.« Petro klang ganz freundlich. »Was willst du denn hier?«
Der Junge hatte einen dünnen Körper unter einer abgetragenen Tunika. Sie war recht sauber, von schlammiger Farbe, eine Nummer zu groß für ihn, und aus einem Ärmel schaute eine weiße Untertunika hervor. Er sah nicht wie ein gebürtiger Ostianer aus. Seine Nationalität ließ sich nicht bestimmen, aber die Kleiderschichten deuteten auf einen Anwohner des Mare Internum hin; nur Verrückte aus dem Norden entkleiden sich in der Hitze. Er trug keinen Gürtel, jedoch ausgetretene braune Sandalen, deren Riemen sich vor Alter wellten. Sein Haar war zu lang, und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Aber er war gut genährt und körperlich in guter Verfassung. Er wirkte wie ein Junge aus der Handwerkerschicht, musste vielleicht im Familienbetrieb hart arbeiten und durfte in den langen Sommernächten viel zu lange aufbleiben.
Er blickte zu Petronius Longus auf. Was der Junge da sah, war ein großer Mann, der mit freundlichem Gesichtsausdruck ruhig auf eine Antwort wartete, jemand, der sich mit den örtlichen Kindern auf der Straße Bohnensäckchen zuwarf. Der Junge schien ganz pfiffig zu sein, aber eindeutig keine Ahnung zu haben, dass er hier einen Offizier vor sich hatte, dessen brutale Verhörmethoden legendär waren. Alle Vigiles sind hart, doch Petronius konnte unverbesserliche Kriminelle dazu bringen, vernichtendes Belastungsmaterial gegen ihre Lieblingsbrüder hinauszuplärren. Dazu brachte er sie sogar, wenn die Brüder unschuldig waren, obwohl er im Allgemeinen...




