E-Book, Deutsch, Band 4, 280 Seiten
Reihe: Mike Müller-Reihe
Dessaul Ihr letztes Spiel
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98679-036-3
Verlag: MAXIMUM Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Bochum-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 4, 280 Seiten
Reihe: Mike Müller-Reihe
ISBN: 978-3-98679-036-3
Verlag: MAXIMUM Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die schwere Eisenkette schmiegt sich, nicht allzu eng, um ihr rechtes Handgelenk.
Mikes Lebensgefährtin Alice ist weg. Spurlos verschwunden. Und das genau zur Heim-EM 2024. Mike erinnert dieser persönliche Fall sehr an 2006, als zur Heim-WM seine erste große Liebe Valerie entführt wurde. Damals war Mike als junger Student für ernsthafte Ermittlungen noch viel zu unerfahren.
Kann er Alice finden und dafür sorgen, dass es mit ihr ein besseres Ende nimmt als das letzte Mal? Mike lässt sich auf das tödliche Spiel mit dem Entführer ein – und begibt sich dabei in größte Gefahr …
Mike Müllers vierter Fall führt uns zu seinen Anfängen als Detektiv, zum deutschen Fußballfieber während der Heim-WM und zu zwei spannenden Entführungen, bei denen nichts ist, wie es scheint …
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
2024
An Englishman in New York
Alice, meine Sekretärin und Lebensgefährtin, liebt Rotwein. Aber sie trinkt ihn nicht morgens, mittags oder nachmittags, sondern erst am Abend, gern bei einem französischen Film auf Netflix oder, alte Schule, auf DVD. Dann soll es bitte schön französischer Rotwein sein, denn Alice mag alles, was aus Frankreich kommt. Sie besteht auch darauf, dass man ihren Namen französisch ausspricht. Wehe, jemand spricht ihn englisch aus oder deutsch oder – Höchststrafe! – italienisch.
Alice verehrt sogar französische Fußballer, selbst dann, wenn sie gegen Deutschland Tore schießen. 2016 war es Monsieur Griezmann, der uns im EM-Halbfinale zwei Tore einschenkte. 2021 drosch Hummels das Leder ins eigene Tor. Allerdings im ersten, letztlich nicht entscheidenden Gruppenspiel. 2024 könnte es der pfeilschnelle Edeldribbler Mbappé werden, der uns irgendwann aus dem Turnier kickt. Obwohl, Griezmann spielt auch noch. Ach, ich bin bestimmt viel zu pessimistisch.
Morgen Abend geht sie los, die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland, unsere Jungs bestreiten als Gastgeber das Eröffnungsspiel gegen Schottland. Da sollte ein Sieg drin sein, oder? Dann schauen wir weiter.
Ich schweife ab, kaum dass diese Geschichte begonnen hat. Alices Vorliebe für französischen Rotwein und die Fußball-EM haben mit der Besorgung, derentwegen ich an diesem Juninachmittag im Bochumer Ehrenfeld unterwegs bin, nur am Rande zu tun. Es geht um das Getränk, das Alice morgens, mittags und nachmittags bevorzugt: Tee. Im Ehrenfeld versteckt sich zwischen Cafés und Boutiquen ein Teeladen namens Tee-Marie. Wahrscheinlich heißt die Inhaberin Marie, eine sympathische Mittvierzigerin, die ihren Kunden Dosen mit duftenden Tees unter die Nase hält und jede und jeden fachkundig berät.
Alice vertraut ihr. Normalerweise besorgt sie dort ihren Tee selbst, doch heute hat sie jede Menge Schreibkram zu erledigen, da der Meisterdetektiv Mike Müller, also meine Wenigkeit, zuletzt drei Fälle gelöst hat: zwei Versicherungsangelegenheiten und eine Beschattungsgeschichte. Beim letztgenannten Fall konnte ich visuell und akustisch belegen, dass die Gattin untreu war. Ein schmutziges Geschäft. Und dieser Auftrag schloss sich seinerzeit nahtlos an die Observation des untreuen Steffen an, des Gatten der damaligen Rektorin der Bochumer Ruhr-Uni. Da die Sache unterm Strich sehr unglücklich verlief und endete, nahm Constanze Matthäus ihren Hut, verließ Universität und Stadt und fing irgendwo neu an. Ich weiß nicht, wo, und es interessiert mich nicht mehr als eine kleine, halbe Bohne. So dicke waren wir nicht, auch wenn ich es ihr hoch anrechne, dass sie mich fürstlicher als vereinbart entlohnte. Ihre finale Überweisung ist längst nicht aufgebraucht und bildet mit den aktuellen Einnahmen die gesunde Basis für ein in finanzieller Hinsicht sorgenfreies Leben.
Alice tippt also Berichte und Rechnungen und ich entlaste sie in Sachen Tee. Damit nichts schiefgeht, steckt ein Spickzettel mit drei Teesorten in meiner Hosentasche.
Ich überquere gerade das Herz des Viertels, den Hans-Ehrenberg-Platz, als die U-Bahnstation „Schauspielhaus“ einen Mann um die vierzig ausspuckt, der mir bekannt vorkommt. Dunkle Haare, mediterraner Teint, rosafarbenes Poloshirt, hellblaue Bermudas, Birkenstocks. Nun gut, früher mögen die Haare etwas länger gewesen sein und die Kleidung anders auffällig, ich bin mir aber meiner Sache sicher.
„Simon?“, rufe ich.
Der Mann hält mitten im Schritt inne, mustert mich, lächelt. „Mike?“
Ich bejahe.
„Mensch, Mike!“ Simon freut sich sichtlich.
Schon umarmt er mich wie einen guten alten Freund, der ich auch bin, oder besser: der ich war, bis vor achtzehn Jahren. Dann zerstritten wir uns, vereinfacht ausgedrückt, und verloren uns aus den Augen. Zuvor hatten wir uns zwei Jahre lang eine Wohnung in der Ferdinandstraße geteilt. Es war eine schöne Zeit.
Simon knetet unverdrossen meine Schultern, begutachtet mich dabei. „Gut schaust du aus“, findet er. „Die Glatze steht dir. Echt!“
Simon schaut ebenfalls gut aus. Auch ohne Glatze – besten Dank auch! Während ich in den vergangenen achtzehn Jahren um etwa achtzehn Jahre gealtert bin, wirkt er kaum einen Tag älter als 2006. Ich wette, statt seiner verwittert ein Porträt von ihm, das gut verborgen vor fremden Augen auf dem Speicher seines Eigenheims lagert.
Ja, ich weiß, das Bild mit Dorian Grays Bildnis verwende ich häufiger.
„Wie geht’s dir?“, frage ich.
„Gut, gut geht’s mir. Und dir?“
So hüpft der Dialog zwei, drei Minuten lang munter hin und her, bis wir uns entschließen, das zufällige Wiedersehen im nächstgelegenen Café zu begießen – sehr nahe gelegen, keine fünfzehn Meter entfernt von unserem Standort.
Der Außenbereich des I am Love ist ein buntes Sammelsurium aus Tischen, Tischchen, Stühlen, Stühlchen, Hockern, Bänkchen und so weiter. Wir finden einen echten Tisch mit echten Stühlen und ich drücke auf die Klingel, um dem Personal anzuzeigen, dass wir Wünsche haben. So läuft das hier.
Es dauert nur eine Minute, dann kommt ein junges Mädel in Jeans und schwarzem T-Shirt angerannt. „Was kann ich euch Gutes tun?“
Hier duzen sie gnadenlos, egal ob die Gäste sechzehn sind oder sechzig oder irgendwo in der Mitte, wie Simon und ich. Wir bestellen Cappuccino.
„Was für ein schöner Zufall“, nimmt Simon den Gesprächsfaden wieder auf. „Ich wollte gerade zu Tee-Marie.“
„Das gibt es nicht“, sage ich lachend und erkläre Simon, dass ich das gleiche Ziel habe.
„Bist du Teetrinker, Mike?“
„Nein, der Tee ist für meine Freundin.“
„Freundin?“
„Hm?“
„Freundin klingt so unverbindlich“, erklärt Simon.
„Ach so. Weiter bin ich noch nicht gekommen. Du?“
„Ehemann und Vater.“
„Kenne ich sie? Oder ihn?“ Früher nahm Simon es nicht so genau.
Er bekommt einen Lachanfall. „Gute Frage, Alter. Sehr gut. Es ist eine Frau und du kennst sie nicht. Sie heißt Valentina. Wir sind seit zehn Jahren zusammen, seit acht Jahren verheiratet, seit sechs Jahren Eltern, seit vier Jahren Eltern von zwei Kindern, beides Mädchen, Anna und Sophie.“
Ich warte vergeblich auf Familienfotos. Stattdessen bringt die Kellnerin unseren Kaffee. Ich stecke mir eine Zigarette an.
„Der ewige Raucher“, kommentiert Simon.
„Du nicht?“
„Zwölf Jahre rauchfrei. Ich habe es mir in Köln abgewöhnt.“
„Köln?“, frage ich.
„Ach, das weißt du gar nicht. Ich habe damals mein Studium in Köln abgeschlossen und blieb anschließend dort.“
Im Folgenden erzählt Simon mir, wie er seine Valentina kennenlernte. Es ist keine spannende Geschichte. Simon arbeitet jetzt als Dozent für evangelische Theologie an der Ruhr-Uni, eine halbe Stelle, der Rest geht für die Betreuung der Kinder drauf. Valentina bekleidet eine leitende Funktion bei der AOK in Dortmund, verdient besser als Simon, arbeitet deswegen ganztags. Seit sechs Monaten wohnen sie in Bochum, in Weitmar, nicht weit von mir entfernt.
„Und deine Freundin?“, wechselt Simon das Thema.
„Sie heißt Alice.“
„Wie habt ihr euch kennengelernt?“
„Über eine Annonce.“
„Ein Dating-Portal?“ Simon wirkt belustigt.
„Nein, eine Stellenanzeige. Ich habe eine Sekretärin gesucht.“
„Eine Sekretärin?“
„Ich bin Privatdetektiv und hasse den Papierkram.“
„Privatdetektiv? Nach der Sache damals überrascht mich das nicht.“
„Lass uns bitte nicht darüber reden“, unterbreche ich meinen früheren Mitbewohner. Ich möchte nicht an den Sommer 2006 erinnert werden. Das hat nichts mit dem Streit mit Simon zu tun, denn der folgte erst später.
„Okay. Ich will keine alten Wunden aufreißen, Mike. Das kann ich nachvollziehen. Auch wenn ich mich an die Fußball-WM gern erinnere.“
„An die WM ja.“ Simon und ich haben uns die Deutschlandspiele gemeinsam angeschaut, haben gefeiert und gelitten. Es war grandios. Die Spiele gegen Schweden, Argentinien, gegen …
Egal.
„Und jetzt die Heim-EM …“ Simon beendet den Satz nicht. Ich schätze, er wartet auf meinen Einsatz.
„Du meinst, wir sollten unser Wiedersehen so richtig feiern und uns morgen Abend das Eröffnungsspiel zusammen ansehen?“
„Zum Beispiel. Wie sieht es mit deiner Freundin aus?“
„Alice? Die interessiert sich nur mäßig für Fußball.“ Abgesehen von französischen Fußballern, aber diese Information behalte ich für mich. „Begeistert sich denn Valentina dafür?“
„Abgesehen von einem kleinen Intermezzo 2014 schaut sie sich kein Fußballspiel an. Damals ließ sie sich von der allgemeinen Euphorie anstecken.“ Simon lächelt. „Also abgemacht?“
„Abgemacht. Kommst du zu mir? Ich wohne dort hinten.“ Ich zeige grob in die entsprechende Richtung. „In dem Eckhaus Hattinger Straße und Yorckstraße, Hausnummer einundsechzig.“
„Klasse, Mike. Ich freue mich. Soll ich Bier mitbringen?“
„Bier lagere ich im Kühlschrank. Immer.“
„Sehr gut.“
Wir trinken unsere Cappuccini aus und gehen gemeinsam zu Tee-Marie. Anschließend tauschen wir Mobilnummern aus und verabschieden uns. Recht beschwingt spaziere ich nach Hause und pfeife einer feschen Lady mit Sonnenbrille hinterher, obwohl...