Ditfurth | Die Himmelsstürmerin | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Ditfurth Die Himmelsstürmerin


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95988-180-7
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-95988-180-7
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Gertrud Elisabeth Freiin von Beust wächst wohlbehütet im Schloss ihrer Eltern bei Weimar auf. Nichts stört ihre romantische Sicht auf die Welt. Nach ihrer Adoption durch den Herzog von Schleswig-Holstein scheinen schließlich alle Wege für ihren Aufstieg in den europäischen Hochadel und eine sorglose Zukunft geebnet. Doch der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges erschüttert die Idylle, und Gertrud gelangt nach Paris, wo sie dem deutschen Deserteur Albert Lauterjung, Messerschleifer und Sozialdemokrat, begegnet. Er bringt ihre Weltanschauung ins Wanken - und erobert ihr Herz. Als die Pariser Commune die alte Ordnung hinwegfegt, muss sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie steht ... »Ein richtig schöner Roman« Die Welt

Jutta Ditfurth, Autorin, Soziologin, politische Aktivistin, Ökologische Linke, Stadtverordnete von ÖkoLinX-Antirassistische Liste in Frankfurt/Main. Seit 2001 wurde Jutta Ditfurth für die Wählervereinigung immer wieder in den Römer gewählt. Der Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit liegt aber im außerparlamentarischen emanzipatorischen linken Bereich. Sie hat auf mehreren Kontinenten gelebt, studiert und u.a. als Forscherin und Reporterin gearbeitet. Sie war Mitgründerin der Grünen (1980) und von 1984-1988 deren Bundesvorsitzende. Sie verließ die Grünen 1991 und gründete im selben Jahr die Ökologische Linke (ÖkoLinX) mit. Sie war Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Journalistenunion (dju)/IG Medien (1989-1995), dju-Bundesvorsitzende sowie Mitglied im Hauptvorstand der IG Medien (1992-1995).

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1
Glücksburg,
Anfang September 1870
Sie bog sich nach hinten. Seine Hand hielt ihren Rücken. Ihre Zehenspitzen schwebten über das Parkett. An der Decke des Roten Saals verloren kutschenradgroße Leuchter die Konturen, Tausende von Kristalltropfen funkelten, als flögen sie im Rhythmus der Musik frei durch den Saal. Gobelins und Gemälde lösten sich in Farbflecke auf, während sie an ihnen vorbeitanzte. »Wie freundlich, dass du mich führen lässt.« Sie lachte. »Warum sollte es nicht andersherum sein?« »Du kommst auf sonderbare Ideen!« »Ich fliege, du lässt mich schon nicht fallen.« Er wirbelte sie in einer raschen Umdrehung über das Parkett. Sie schloss die Augen. »Wir sind allein.« »Wenn wir ein paar Hundert Gäste vergessen.« »Ich sehe niemanden!« Er drehte sie mit großen Schritten zu der einen Seite des Saals. Gäste wichen dem stürmischen Paar aus. »Hier sind sie!« Er wirbelte sie im schnellen Dreivierteltakt zur anderen Seite. »Und hier – und hier.« »Wie hingebungsvoll« und »reizend« hörte er und »Was für ein Paar!«. »Keiner wagt, uns in die Quere zu tanzen. Da glotzen sie und bewundern das Schönste, das ich je von einer Reise mitbringen konnte. Sieh dir ihre Gesichter an!« Stattdessen neigte die junge Frau ihren Kopf noch weiter nach hinten, und ihr Blick verlor sich in den Lichtern an der Decke des Saals. Dann zwinkerte sie ihm zu, und beide lachten. Herzog Karl von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg war soeben siebenundfünfzig Jahre alt geworden. Er achtete darauf, dass er keinen Bauch bekam und dass seine Oberschenkel durch Fechten und Reiten stramm blieben. Er pflegte seinen Schnurrbart und wusste nicht, dass seine Haut nach frisch geschlagenem Holz roch, was in Gertrud ein Gefühl der Anhänglichkeit auslöste, nicht so kindlich wie gegenüber ihrem Vater, aber auch nicht so bedrohlich aufregend, wie sie sich die Beziehung zu einem Liebhaber vorstellte. Sie erlag dem Irrtum, zwischen ihr und dem Adoptivvater würde es sich um eine auf Dauer unbeschränkt sorglose, ihre Sinne so sanft wie unverfänglich reizende Beziehung handeln. Die Neunzehnjährige hieß Freiin Gertrud Elisabeth von Beust. Man feierte ihre Adoption durch den Herzog, dessen Geburtstag und den Wiedereinzug in Schloss Glücksburg, das im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 den preußisch-österreichischen Truppen als Hauptquartier gedient hatte und danach vollständig hatte renoviert werden müssen. »Die Kleine blickt in eine glanzvolle Zukunft«, tuschelte die Grünholzer Familie des neuen Onkels Fritz. »Sie bekommt allen Schmuck der Herzogin!«, giftete Tante Luise, Äbtissin in Itzehoe und eine Schwester des Herzogs. Die Verwandten des Herzogs begafften an diesem Abend jeden Tanzschritt der sorglosen Konkurrentin um das Erbe des kinderlosen Karl, als wäre auch ihre winzigste Bewegung nur ein Schachzug auf dem Weg zur umkämpften Beute. Die Gäste, jetzt zu Beginn des Balles noch steif am Rand der Tanzfläche, umrahmten den Tanz des Paares. Fräcke und pastellfarbene Abendkleider, tiefe Dekolletés, weiße Fliegen und Schärpen, kriegerische Gesichter und Diademe, Schnurrbärte und Ohrgehänge, knochige Glatzen und gepuderte Schultern, steife Manschetten und Rüschen, Lorgnons, Rosen, Siegelringe und Glacéhandschuhe. Uniformen und Orden, wohin man blickte, besonders solche aus dem Krieg von 1864 zwischen Preußen und Österreich auf der einen und Dänemark auf der anderen Seite, in dem Dänemark unterlegen gewesen war und ein Drittel seines Territoriums verloren hatte, darunter auch Glücksburg.   Vor wenigen Tagen, am 4.?September 1870, hatten die vereinten deutschen Armeen bei Sedan die französische Armee geschlagen. Frankreichs Kaiser Napoleon III. hatte kapituliert. Dieser grandiose frühe Sieg, samt der Gefangennahme von Hunderttausenden französischer Kriegsgefangener, gab dem Fest in den Augen seiner Gastgeber einen weiteren wundervollen Anlass. Ein Teil des Personals war nur dazu abgestellt, in den Weinkeller hinunter- und wieder heraufzueilen, damit jeder Gast zu jeder Zeit mit echtem französischen Champagner, beschlagnahmt in Frankreich, einen Toast auf den baldigen endgültigen Sieg ausbringen konnte. »Nach Paris!«, prosteten sie triumphierend. »Nach Paris!« Die an der neutralen Haltung ihres Königshauses orientierte dänische Minderheit am Glücksburger Hof hielt sich zurück. Den Jubel überließ man der preußischen Mehrheit um Herzog Karl. Die beiden Menschen auf der Tanzfläche gaben sich ausgelassen ihrem Vergnügen hin. Herzogin Wilhelmine Marie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg stand neben ihrer Hofdame Frau von Hedemann, der ihr Missmut tief in die Mundwinkel eingraviert war. Die Herzogin, zweiundsechzig Jahre alt und damit fünf Jahre älter als der Herzog, verfolgte jede Bewegung des tanzenden Paares. Frau von Hedemann sah, wie angestrengt sich die Herzogin bemühte, ihre Mimik zu disziplinieren. Sie witterte ihre Chance. »Sie hätten das Recht auf den Eröffnungswalzer gehabt, Hoheit.« Die Hofdame traf einen Ton zwischen Flüstern und Zischen, der im näheren Umkreis der beiden Frauen Aufmerksamkeit erregte. »Es ist sein Geburtstag«, antwortete die Herzogin steif.   Gertrud lag im Arm ihres Adoptivvaters. Sie war mittelgroß, schmal und tanzte in einer schulterfreien, nilgrünen, rosenübersäten Wolke aus Seide, Spitze und Tüll. Rotblonde Haare, von Martha mühsam aufgetürmt, kringelten sich aus einer sorgfältig gesteckten Ordnung von Nadeln und Kämmen den langen, schmalen Hals entlang. Ihr Gesicht war oval, mit einem schön geschwungenen Mund, einer unauffälligen geraden Nase, grünen Augen und regen dunklen Augenbrauen. »Besser eine Tochter von einer Reise mitbringen als ein Rennpferd, das sich das Bein bricht.« »Dreh mich linksherum, sonst fliege ich zum Fenster hinaus bis zur Ostsee!« »An deinem Tisch stehen die jungen Männer Schlange. Gefällt dir einer?« »Muss ich mich entscheiden?« Der Herzog lachte und fasste sie enger. »Verdreh ihnen den Kopf, aber lass dir Zeit. Bleib noch eine Weile bei uns.« Nach dem Tanz eilte Gertrud hinauf in das zweite Geschoss. Vor dem Spiegel ihres Schlafzimmers im Westflügel kühlte sie Gesicht und Dekolleté. Martha Blumenstein, ihre Zofe, betupfte Gertruds Nase mit einem Gesichtsleder, damit die Haut nicht glänzte, strich mit einem weichen Quast Körperpuder auf Hals, Schultern und auf den Ansatz der Brüste. Die gleichaltrige braunhaarige Frau legte einen Schal über Gertruds Schultern und ordnete ihre Haare. Martha arbeitete selten, ohne zu plappern. Gertrud von Beust hatte sie von zu Hause, aus Langenorla, mitgebracht. Manchmal vermisste sie ihre Eltern, wenn sie zwischen den Bällen, der Wildschweinjagd, den Ausflügen nach Berlin, Potsdam und an die Badestrände der Ostsee einen Moment Ruhe fand. »Der Herzog ist ein gut aussehender Mann. Schade, dass er verheiratet ist.« »Er ist mein Adoptivvater. Red keinen Unsinn.« »Die Herzogin schien nicht sehr erfreut.« Martha zupfte an einer Locke, die längst saß. »Ihre Mundwinkel hingen bis zum Kinn.« Gertrud lächelte. »Dumme Martha. Du siehst Gespenster.« Sie betrachtete sich im Spiegel, skeptisch und zufrieden zugleich. Martha zuckte ungerührt mit den Schultern und hielt den Mund.   Der junge Hedemann, Sohn der Hofdame, hatte sich gleich zweimal in Gertruds Tanzkarte eingetragen. Er hielt sich für einen unwiderstehlichen Helden, seitdem er seinen Kaiser Maximilian in Mexiko überlebt hatte. Gertrud war sich sicher, dass Hedemann aus Mexiko nur deshalb heil wiedergekommen war, weil er sich vor dem Feind versteckt hatte. Sein Tonfall war langweilig, und seine Stimme meckerte wie ein alter Schafbock. Hedemann hatte keinen Krümel Humor und noch weniger Charme. Gertrud strich seinen zweiten Eintrag auf ihrer Tanzkarte durch, was er mit finsterem Blick quittierte. »Ich muss für Gerechtigkeit sorgen.« Sie zwinkerte einem jungen Vetter des Herzogs zu, dem sie rasch den übernächsten Tanz und die den Ball abschließende Mazurka einräumte. So setzte Hedemann alles auf Sieg. Mitten in einer Drehung des einzigen Tanzes, den Gertrud ihm gewährt hatte, sank er, seine Chance auf die denkbar schlechteste Weise nutzend, vor ihr auf die Knie und bat sie um ihre Hand. Heiraten wollte dieser Laffe sie? Sie blickte auf einen pomadigen Mittelscheitel und brach in ein so heiteres Gelächter aus, dass nicht ein einziger von mehr als hundert Ballgästen Hedemanns Niederlage übersehen konnte. Man tuschelte, kicherte, vorsichtig noch, denn die Hofdame von Hedemann hatte genug Einfluss, um Verbindungen zu vergiften oder Einladungen zu verschaffen. Nur die wenigen, die sich unabhängig von ihrer Gnade wussten, lachten schallend. Frau von Hedemann ballte ihre Fäuste vor Wut und fauchte ins Ohr der Herzogin: »Auch diese junge Dame darf einen Kavalier nicht derartig bloßstellen.« »Er hat sich denkbar töricht angestellt.« Die Herzogin hätte gegen eine Verbindung der neuen Tochter mit dem Sohn der loyalen Hofdame nichts einzuwenden gehabt. Eine rasche Verlobung hätte ihr mehrere Probleme zugleich vom Hals geschafft. »Wie laut sie lacht! Man merkt, sie kommt vom Land.« »Wir leben auch auf dem Land, liebe Hedemann.« »Gewiss, gewiss! Aber der thüringische Adel ist von besonderer –...



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