Dribbusch | Das Haus des Dämmerlichts | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Piper Schicksalsvoll

Dribbusch Das Haus des Dämmerlichts

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-492-98596-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Reihe: Piper Schicksalsvoll

ISBN: 978-3-492-98596-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein düsteres Familiengeheimnis und eine Liebe, die nicht sein darf - für alle Leser von Melanie Metzenthin, Hanni Münzer und Claire Winter»Jeder Wahnsinn hat seinen Sinn. Auch wenn wir das nicht immer gleich verstehen.« Zunächst begreift die junge Charlotte diese Worte nicht, als sie im Januar 1943 in das Nervensanatorium Schattwald eingeliefert wird. Doch dann erfährt sie am eigenen Leib, wie wichtig Menschlichkeit in Zeiten des Schreckens ist, und steht plötzlich vor einer Entscheidung über Leben und Tod.Siebzig Jahre später entdeckt Anne per Zufall die Tagebücher ihrer verstorbenen Großmutter Charlotte und muss bald erkennen, dass die Geschichte von Schattwald weitergeht und sie in tödlicher Gefahr schwebt?...Bei »Das Haus des Dämmerlichts« handelt es sich um eine Neuausgabe des 2016 im Piper Verlag unter dem Titel »Schattwald« erschienen Werkes.
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1. Kapitel


Hamburg / Innsbruck, Dezember 2014

Das Sonnenlicht war grell. Die Konturen von Haus und Garten traten scharf heraus. Viel zu scharf. Irgendetwas stimmte nicht.

Der Mann, der im Garten vor dem Haus mit den vielen Erkern stand und mir zuwinkte, schien auf mich gewartet zu haben. Um ihn herum flatterten Vögel mit buntem Gefieder, ohne jede Scheu, so als sei der Mann ihr Wärter, der sie fütterte und zähmte. Dem sie vertrauten. Ich trat näher. »Ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin«, sagte ich zu dem Mann. Er schien älter zu sein als ich selbst, trug sein Haar sorgfältig gescheitelt und musterte mich mit wasserhellen Augen.

»Es ist höchste Zeit, dass du kommst«, sagte er und legte mir eine feingliedrige Hand auf die Schulter.

»Ich gehöre nicht hierher.«

»Doch, natürlich.«

»Ich fühle mich nicht sicher.«

»Aber wir sind doch bei dir. Alle.«

Wir betraten das Haus, in dem es halbdunkel war. Der Mann ging voran. Wir liefen durch einen langen Gang, dessen Wände sich in der Ferne zu treffen schienen. Links und rechts hingen kleine, unförmige Gegenstände, als hätte sie jemand sorgfältig an die Wände genagelt.

Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, fuhr ich zurück. Was da angenagelt war, das waren die Köpfe toter Vögel. Die bunten Vögel, die den Mann zuvor draußen ohne Scheu umschwärmt hatten, schauten mich aus leeren Augen an, aufgespießt wie tote Schmetterlinge. Hier drinnen herrschte der Tod.

Ich erstarrte vor Angst. Der Mann wandte sich zu mir um. Er hatte kein Gesicht mehr. Da war einfach nichts, ein leerer Fleck.

Ich wollte mich umdrehen und fortlaufen, doch meine Beine reagierten nicht, sie blieben stehen wie festgewachsen, als gehörten sie nicht mehr zu mir. Der Mann ging auf mich zu und streckte seine Hände nach mir aus.

»Nein!« Ich schreckte schweißgebadet hoch. Die Angst wich erst langsam aus meinen Gliedern, als ich erkannte, dass ich in meinem Schlafzimmer lag. Der Morgen graute. So früh war es, dass noch kein Sonnenstrahl zu sehen war. Ich hatte nur geträumt.

Ich drehte mich instinktiv nach links, um Schutz zu suchen bei dem vertrauten Körper. Alex. Mein Mann. Doch der Platz neben mir war leer.

Ja, natürlich, Alex war ja gegangen. Nach dreizehn Jahren Ehe. Das erste Gefühl der Erleichterung, dass alles nur ein Albtraum war, wich tiefem Schmerz, wie ich ihn in den vergangenen Wochen jedes Mal beim Aufwachen verspürte. Der Schmerz fuhr wie ein Messer in meinen Bauch.

Es war so ein abgedroschenes Klischee. Wie in den Frauenillustrierten. In den Boulevardblättern. In feministischen Essays. Den Texten, die ich als Ressortchefin bei »LaVie« bearbeitete, der gehobenen Frauenzeitschrift, in deren Artikeln, Bildern und vor allem Anzeigen sich die gut verdienende Frau ab vierzig wiederfinden sollte.

Wegen einer Jüngeren verlassen zu werden! Mit sechsundvierzig. Immer wenn mir bewusst wurde, dass genau das auch mir passiert war, war mir, als könnte ich kaum atmen. Nicht nur wegen der Trauer. Sondern auch wegen der Wut. Und wegen der Scham. Ich schämte mich, eine Verlassene zu sein. So tief war ich gesunken.

Dabei war es mein Job als gut bezahlte Ressortleiterin der Abteilung Lebenshilfe, den Leserinnen das Gefühl zu geben, sie könnten immer handeln, etwas ändern, damit es ihnen besser ging und sie geliebt wurden. Von einem Mann.

Ich hatte die Magazinseiten mit Tipps füllen lassen, was zu unternehmen sei gegen sinkende Sexfrequenzen und Sprachlosigkeit am Frühstückstisch in einer Langzeitehe.

Doch jetzt war ich ausgeliefert. Emotional abhängig von meinem Mann, der mich nicht mehr haben wollte. Ich fing an zu schwitzen, während ich dalag und grübelte wie so oft in den vergangenen Wochen. Der Tag stand vor mir wie ein viel zu hoher Berg.

Ich dachte an meine Freundin Sabine, deren Mann ihr vor zwei Jahren eröffnet hatte, er liebe eine andere. Das müsse sie akzeptieren. Trennen wolle er sich nicht. Die beiden haben eine Tochter.

Sabine, Soziologin mit einer beachtlichen Sammlung an feministischer Literatur, versicherte mir daraufhin, sie wolle um Hartmut kämpfen. Sie quälte sich durch eine Diät nach der anderen. Sie ging zu einer Kartenlegerin und erhoffte sich von ihr Auskunft darüber, warum es mit ihr und ihrem Mann nicht mehr klappte. Sie schlief einmal extra über Nacht bei einem alten Freund auf dem Sofa, nur um für Hartmut den Eindruck zu erwecken, sie habe einen Liebhaber.

Wenn ich an Sabine dachte, war mir, als öffne sich eine Falltür in ein dunkles Loch. Tief im Innern spürte ich, wie abhängig auch ich von Männern war. Ich hatte kein Recht, Sabine zu verachten. Mir war doch das Gleiche passiert.

Alex hatte mit seiner Projektassistentin angebandelt. Was er vier Monate lang verschwieg. Irgendwann hatte er sich ein neues Handy gekauft, mit großem Display. Und dann, während einer Autofahrt, geschah es.

»Sonja« erschien auf dem Display, als ich nach dem glockenhellen Klingelton einen Blick auf Alex’ Handy auf der Ablage warf.

»Wer ist denn Sonja?«

»Eine neue Projektassistentin. Kollegin.«

»Und warum samstags?«

»Was?«

»Warum die samstags anruft.«

»Hat ja nicht angerufen, mir nur eine SMS geschickt.«

»Warum samstags ’ne SMS

»Hey, schnüffelst du mir nach?«

»Aha. Ah so. Wie alt ist sie denn?«

Am Ende hatte Alex alles zugegeben. Das Schlimmste war, dass er die Affäre mit Sonja dann noch auf eine höhere Ebene hob.

»Ich bin nicht mit Sonja zusammen, weil sie jünger oder irre sexy ist«, hatte er verkündet. »Es ist vielmehr so, dass ich mich irgendwie anders erlebe, wenn ich mit ihr Zeit verbringe. Lebendiger. Sonja ruft irgendwas wach in mir, irgendwas Verschüttetes.«

Schon die Erinnerung an diesen Satz sorgte dafür, dass sich meine Wut in Bitterkeit verwandelte. Es war so unfair.

»Schluss!«, sagte ich zu mir selbst und schwang die Beine aus dem Bett. Ich stand auf und taumelte zum Bad, stieg in die Duschkabine und zog die Plastikhaube über die Haare. Bestimmt sah ich bescheuert aus mit der Duschhaube, aber ich wollte meine Haare hinterher nicht aufwendig föhnen müssen. Ich ließ das heiße Wasser über Kopf und Körper laufen und griff zum Duschgel. Es roch nach Limone und Ingwer, bio und teuer. Der Duft schenkte mir ein Gefühl von Luxus und Vertrautheit. Ich blieb lange unter der Dusche, das Wasser regnete über mich wie ein warmer Sommerschauer. Dann drehte ich den Hahn nach rechts und duschte wie immer eiskalt nach.

Nach dem Abtrocknen riskierte ich einen Blick in den Spiegel. Ich sah aus wie aus der Welt gefallen. Dieser verängstigte Blick. Die kinnlangen Haare mit der Mischung aus naturbraunen, blondierten und ergrauten Strähnen, das berüchtigte Herbstblond, wie eine Kollegin mal sagte. Und dann die dunklen Ränder um die Augen. Ich war so verhärmt. Wer konnte so jemanden lieben?

Mir kam der Albtraum wieder in den Sinn. Die flatternden Vögel. Sie hatten ihrem Beschützer vertraut. Sie waren von ihm verraten worden. Wer war der Mann? Es konnte nicht Alex gewesen sein. Alex war ein dunkler Typ mit raspelkurzen Haaren, der Mann im Traum war hellhäutig gewesen und hatte eine Messerschnittfrisur mit sorgfältig gezogenem Seitenscheitel.

Ich wandte den Blick vom Spiegel ab. Schluss mit dem Selbstmitleid. Auf mich wartete ein anstrengender Tag. Heute stand bei »LaVie« das Thema Glück auf der Tagesordnung. Ein Dossier war geplant. Die große Runde war angesagt, mit Chefredakteur Peter Gäbler, Dossierchefin Rieke, mir als Leiterin des Ressorts Lebenshilfe und den Fotofrauen. Auch die Anzeigenabteilung würde erscheinen.

Ich zog mich an, heute musste es das taubenblaue Kostüm sein und die grauen Wildlederpumps. Chefinnen-Look. Mir war übel. Es wurde nicht besser, als ich in der Küche eine Portion Müsli in die Schale schüttete, eins dieser viel zu süßen mit Rosinen, Datteln und Bananenchips.

Das Telefon klingelte. Um halb neun am Morgen, auf dem Festnetz zu Hause, wer konnte das sein?

Auf dem Display sah ich eine Nummer mit österreichischer Vorwahl. Mein Herz schlug schneller. Es gab nur einen Menschen, den ich in Österreich kannte. Aber sie würde nicht mal eben so am frühen Morgen anrufen. Weil ich aus ihrem Leben vor langer Zeit verschwunden war.

Eine fremde Frauenstimme mit österreichischem Akzent erklang im Hörer. »Tschuldigen’s die Störung so früh am Morgen. Spreche ich mit Frau Südhausen, bittschön?«

»Am Apparat. Und wer sind Sie?«

»Ich bin die Frau Pramstaller aus Innsbruck. Eine Freundin Ihrer Großmutter, Frau Charlotte Waldhofer. Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen eine bedauerliche Mitteilung machen.«

»Ja?« Mir dämmerte etwas, das ich nicht wahrhaben wollte. Nicht jetzt. Nicht um halb neun Uhr morgens auf dem Sprung in die Redaktion. Vor einem Meeting, in dem ich stärker wirken musste, als ich mich fühlte.

»Es ist leider so, dass Ihre Großmutter gestern verstorben ist. Im Zentralkrankenhaus in Innsbruck. Sie hatte einen Schlaganfall. Sie hatte mir einmal gesagt, Sie seien ihre nächste Angehörige. Die Enkelin. Ich fand Ihre Telefonnummer im Adressbuch.«

Für einen Moment stockte mein Atem. Großmama Charlotte. Sie musste über neunzig gewesen sein. Der strengste Mensch, der mir je in meinem Leben begegnet war. Und der merkwürdigste. Ich hatte meine Großmutter kaum noch gesehen, seitdem ich elf Jahre alt war. Damals war der Unfall passiert, der meine Familie zerstörte und mich alleine mit meinem Vater zurückließ.

»Der Schlaganfall kam so plötzlich«, hörte ich die Frau am Telefon sagen. »Ihre Großmutter hat oft von Ihnen gesprochen....


Dribbusch, Barbara
Barbara Dribbusch arbeitet seit 1993 als Redakteurin bei der taz und hat bereits ein Sachbuch veröffentlicht. Ihre Freizeit widmete sie in den letzten Jahren den Recherchen zu ihrem ersten Roman »Das Haus des Dämmerlichts«, insbesondere zur Geschichte der Psychiatrie in den 1920er- und 1930er-Jahren sowie im Nationalsozialismus.



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