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E-Book, Deutsch, Band 12, 208 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin

Eik Goldmacher

Kappes 12. Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1932)
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95552-011-3
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kappes 12. Fall. Kriminalroman (Es geschah in Berlin 1932)

E-Book, Deutsch, Band 12, 208 Seiten

Reihe: Es geschah in Berlin

ISBN: 978-3-95552-011-3
Verlag: Jaron
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Im Juni 1932 wird in Charlottenburg Elisabeth Tirschenreuth, eine gebildete junge Frau aus gutem Hause, erdrosselt aufgefunden. Die attraktive Blondine war für den Wissenschaftler Dr. Harry Bernsdorff tätig und wusste von der bahnbrechenden Entdeckung, die sich in dessen Institut für Atomforschung ankündigte. Bernsdorff steht als Jude sofort unter dringendem Tatverdacht, denn der antisemitische Zeitgeist ist mittlerweile auch im Polizeipräsidium am Alexanderplatz spürbar. Kommissar Hermann Kappes Vorgesetzter drängt darauf, Bernsdorff trotz zweifelhafter Beweislage zu verhaften. Doch Kappe nimmt entgegen aller Anweisungen seine eigenen Ermittlungen auf ... 'Es geschah in Berlin', der große Kettenroman um Kommissar Hermann Kappe, spiegelt in fiktiven Kriminalfällen das Berlin des frühen 20. Jahrhunderts wider. In Band zwölf schildert der versierte Berliner Krimiautor Jan Eik einen spannenden Kriminalfall vor dem Hintergrund des aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland.

Jan Eik, geboren 1940 in Berlin als Helmut Eikermann, ist seit 1987 freiberuflicher Autor und Publizist. Er schrieb zahlreiche Kriminalromane und -erzählungen sowie Hör- und Fernsehspiele. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u. a. 'Der siebente Winter' (1989), 'Der Geist des Hauses' (Ein Friedrichstadtpalastkrimi, 1998) und 'Trügerische Feste' (2006). Im Jaron Verlag erschienen von ihm u. a. der Kriminalroman 'Am Tag, als Walter Ulbricht starb' (2010, mit Horst Bosetzky), 'Schaurige Geschichten aus Berlin' (2007) und 'Der Berliner Jargon' (2009). Für die Krimireihe 'Es geschah in Berlin' verfasste er u.a. 'Der Ehrenmord' (2007), 'Nach Verdun' (2008, mit Horst Bosetzky), 'Goldmacher' (2009), 'In der Falle' (2011) und 'Polnischer Tango' (2012). In der Krimireihe 'Es geschah in Preußen' erschienen von ihm: 'Verhängnis in der Dorotheenstadt' (2011) und 'Attentat Unter den Linden' (2012, mit Uwe Schimunek).
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EINS


DER MORGEN verspricht, was man nach der lang anhaltenden Kälte von einem Frühsommertag erwartet. Unwirklich blau leuchtet der Himmel über der Stadt. Die kühle Luft weht einen Hauch von Frische durch die Straßen, und der Verkehr in der breiten Allee hält sich in Grenzen.

Kriminaloberkommissar Hermann Kappe genießt das seltene Glück eines morgendlichen Frühstücks auf dem Balkon. Wenigstens für eine halbe Stunde darf er sich rundherum wohl fühlen, bevor er sich wieder dem täglichen Trott ergibt, der längst nicht mehr die alte, gemütliche Gangart ist, an die er sich in 23 Dienstjahren gewöhnt hat. Ein neuer Geist muss und wird hier einziehen, hat Kriminalpolizeirat Brettschieß schon ein paar Mal gedroht, und er und seinesgleichen meinen es ernst, das weiß Kappe. Wenn diese Richtung wirklich einmal an die Macht gelangt, dann gute Nacht, Marie.

So angenehm der Morgen scheint, Kappes Gedanken sind schon wieder im Dienst. Kein Wunder. Längst ist die Atmosphäre im Polizeipräsidium vergiftet von politischen Auseinandersetzungen, die mehr oder weniger offen ausgetragen werden. Die einen, zu denen sich Kappe stillschweigend zählt, halten sich an die verfassungsmäßige Ordnung, andere wie Liebermann von Sonnenberg oder neuerdings auch Nebe, der Chef des Raubdezernats, haben nur ihren Hitler und seine braune Partei im Kopf. Im Augenblick sind SA und SS zwar verboten, doch wen schert das schon. Auf den Straßen herrschen Einschüchterung und Gewalt, ständig gehen Rote und Braune aufeinander los.

Mord und Totschlag – dafür ist Kappe dienstlich zuständig, doch die meisten Delikte werden zurzeit der Politischen Polizei übertragen. Die hat sogar einen Beamten, den Polizeimeister Teichmüller, zur Mordinspektion abgeordnet. Teichmüller muss zwischendurch aber immer wieder im Felseneck-Prozess aussagen. Die Nazis hatten die rote Laubenkolonie überfallen, es hat Tote und Verletzte auf beiden Seiten gegeben, und die Richter versuchen vergeblich, Licht in das Dunkel der Tatnacht zu bringen. Am Ende werden die Braunen wieder gut dabei wegkommen.

Kappe seufzt und trinkt gedankenverloren seinen Kaffee aus.

«Na, sehr redselig bist du nicht gerade», sagt Klara tadelnd.

«Dabei hast du extra das Frühstück auf dem Balkon bestellt!»

Das hat er wirklich. Er liebt den Blick über die morgendliche Allee dort unten, in die von Osten her die langerwartete Sommersonne scheint. Mitte Juni, und noch immer ist es kühl. Das Gewimmel der Fußgänger, das Gebimmel der Straßenbahnen – Kappe klingt es angenehm in den Ohren. Selbst Klara hat sich inzwischen an die helle, große Wohnung und wohl oder übel auch an die Gegend gewöhnt. Das Kaufhaus von Hermann Tietz gegenüber mag das Seine dazu beigetragen haben. Dort kann sie immer mal einen Blick hineinwerfen, wenn auch selten etwas kaufen. Zaghaft hatte Klara einmal davon gesprochen, sich dort vielleicht als Verkäuferin zu bewerben. Was für ein Gedanke in diesen Zeiten! Überall wurde Personal abgebaut. Das Geld könnten sie schon gebrauchen. Kappes Gehalt ist gerade mal auskömmlich. Jedenfalls brauchen sie nicht zu hungern, und die Kinder gehen anständig gekleidet in die Schule.

Die verabschieden sich jetzt. Margarete wirkt wie aus dem Ei gepellt, Hartmut ist wie immer ungekämmt. Sie haben auf Klaras Wunsch – «Lasst mich mal ein paar Minuten mit Papa ungestört» – in der Küche gefrühstückt wie gewohnt, wo es den Jüngsten nun nicht mehr hält.

«Du wolltest mit mir in den Zoo, Papa!», kräht der vierjährige Karl-Heinz, Klaras Sorgenkind und Kappes Liebling.

«Aber nicht heute», vertröstet Kappe ihn, «vielleicht am Wochenende.»

Klara ist skeptisch. «Wenn sie bis dahin nicht wieder einen umbringen und du Tag und Nacht im Dienst verbringst», sagt sie spitz.

Kappe weiß, dass sie Recht hat, aber ändern kann er es nicht. Der Mord an einem Ehepaar vor einem Monat hat ihnen eine Menge Arbeit beschert, und jetzt müssen sie sogar noch nach einem gefährlichen Chicagoer Juwelenräuber fahnden. Sollen die Amerikaner sich doch gefälligst alleine um ihre Gangster kümmern! Nicht mal die Entführer und Mörder des Lindbergh-Babys haben die bis heute gefunden.

In Berlin ist die gesamte Kriminalpolizei bis an die Grenze des Zumutbaren überlastet, das muss selbst Polizeivize Weiß zugeben, doch Stadt- und Staatssäckel sind leer, und Weiß muss mehr als Kappe um seinen Posten fürchten. Die Braunen haben sich auf den Vizepräsidenten eingeschossen und verhohnepipeln ihn jeden Tag in ihren Blättern.

«Warum macht man auch einen Juden zum Polizeipräsidenten?», hatte Klara angemerkt.

Es war einer der wenigen Fälle, in denen Kappe die gewohnte Ruhe verlor und die Faust auf den Tisch donnerte. «Weil er ein hervorragender Fachmann und ein guter Deutscher ist!», brüllte er.

«Da ist es doch wohl gleichgültig, ob er an Moses oder an die Jungfrau Maria glaubt!»

Klara war richtig erschrocken. «Ich meine ja nur …», hatte sie sich schwach verteidigt. «Er könnte sich doch eine Menge Ärger ersparen …»

«Du auch!» Damit war Kappe aufgestanden. So weit war es jetzt schon: Die Politik schwappte in die eigene Familie.

Er tritt aus dem Haus auf den breiten Bürgersteig. Siebzehn Minuten braucht er für den Weg zum Präsidium. Die Straßenbahn benutzt er nur bei starkem Regen. Mit der Untergrundbahn fährt er nicht gerne. Außer dicken Kabelsträngen gibt es im Tunnel nichts zu sehen, da scheint ihm das Fahrgeld für nur zwei Stationen verschwendet. Andererseits gefällt es ihm natürlich, direkt an der neuen U-Bahn-Linie E zu wohnen, die bis raus nach Friedrichsfelde fährt. Weiter als bis zur Frankfurter Allee, zur Ringbahn, ist er allerdings noch nicht gelangt – dienstlich. Was er privat braucht, findet er hier in der nächsten Umgebung, zwischen Weberwiese und Strausberger Platz. Das hat selbst Klara inzwischen eingesehen. Das prächtige Kino im Germania-Palast ist nicht weit, das Rose-Theater liegt beinahe gegenüber, zum Varieté in der Plaza kann man laufen, und im Residenz-Theater am Schlesischen Bahnhof waren sie auch schon mal.

Schlesischer Bahnhof bleibt allerdings ein Reizwort für Klara, mehr als ein paar Schritte wagt sie sich nie in die Frucht- oder Koppenstraße hinein. «Hier beginnt die Unterwelt», pflegt sie naserümpfend zu sagen, und sie hat nicht einmal unrecht. Wobei die Lebuser oder die Fürstenwalder Straße auf der Nordseite der Großen Frankfurter auch nicht gerade vornehme Adressen sind, wie Kappe weiß. Dass sich auf dem Strausberger Platz einst das Berliner Schafott erhob, hat er seiner Frau lieber nicht verraten. Ist da nicht mal einer gehängt worden, der dem König versprochen hatte, aus Blei Gold zu machen?

Ja, der Berliner Osten ist nun einmal ein raueres Pflaster als die beschauliche Idylle von Britz, wo sie vier Jahre lang gewohnt haben. Die Berliner Ringvereine – angeblich gibt es 85 davon –, in denen Hunderte von Straftätern organisiert sind, haben die Stadt in einem breiten Gürtel rings um den Alex fest im Griff und rekrutieren hier ihre Mitglieder. Prostitution, Zuhälterei, Einbruch, Raub, Diebstahl – so etwas geht auf deren Konto. Sexualstraftaten oder Mord allerdings widersprechen dem Ehrenkodex. Zu den rauschenden Vereinsbällen laden sie großherzig die Kripo ein.

Aber eigentlich ist das Vergangenheit. Nicht mal den Ganoven geht es gut in diesen schlimmen Zeiten. Der kriminelle Nachwuchs verspricht sich mehr davon, in die Kampforganisationen der Parteien abzuwandern und auf den Straßen Krieg zu führen. Gerade kommt Kappe an dem Haus vorbei, in dem zwei Jahre zuvor der SA-Führer Horst Wessel erschossen worden ist. Zwei Burschen in bräunlichen Hemden stehen rechts und links vom Eingang als eine Art Ehrenwache. Uniformen dürfen sie nicht tragen, dennoch markieren sie eine straffe, militärische Haltung.

Für den in der Frankfurter Allee erschossenen Oberwachtmeister Kuhfeld steht keiner Ehrenwache, denkt Kappe bitter. Gegen die Polizistenmörder vom Bülowplatz hat noch immer kein Prozess stattgefunden. Zwei der Täter sollen nach Moskau entkommen sein.

Neuerdings führt die Verlängerung der Großen Frankfurter Straße direkt auf die Landsberger Straße zu, doch Kappe biegt vorher in die Kaiserstraße ab und sieht den Ziegelbau des Präsidiums schon vor sich. Er braucht nur noch die Alexanderstraße zu überqueren, das Portal V zu durchschreiten und in den dritten Stock hinaufzusteigen, wo ihn schon Kommissar Gustav Galgenberg erwartet, der treue Kollege seit Kappes erstem Tag bei der Kripo.

Kappe, der seine Herkunft aus Wendisch Rietz nicht vergessen hat, fühlt sich längst als Berliner. Galgenberg jedoch ist Berliner. Mit Leib und Seele, nölend und vermeckert und mit seiner respektlosschnoddrigen Schnauze der Schrecken aller Vorgesetzten. Aber auch der Ganoven. Dem macht keiner was vor, das wissen sie alle.

Wie immer hat Galgenberg die Zeitung vor sich und blickt kaum auf, als Kappe eintritt. Dann jedoch schiebt er das Blatt mit einer verdrießlichen Geste von sich und schlägt mit dem Handrücken drauf. «Debededehakapeh!», sagt er ebenso unverständlich wie verächtlich. Ob er damit die Zeitung oder die darin kritisierte Regierung meint, bleibt offen.

«Wenn du meinst …», erwidert Kappe. Er hat sich längst abgewöhnt, sich nach der Bedeutung von Galgenbergs eigenwilligen Äußerungen zu erkundigen. Die liefert er meist ungefragt. So ist es auch diesmal.

«Doof bleibt doof, da helfen keene Pillen», erklärt Galgenberg. Kappe widerspricht ihm nicht.

Beinahe schnurgerade zieht sich die Kantstraße vom Zoo bis zum Funkturm durch den Berliner Westen. Selbst um...


Jan Eik, geboren 1940 in Berlin als Helmut Eikermann, ist seit 1987 freiberuflicher Autor und Publizist. Er schrieb zahlreiche Kriminalromane und -erzählungen sowie Hör- und Fernsehspiele. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u. a. „Der siebente Winter“ (1989), „Der Geist des Hauses“ (Ein Friedrichstadtpalastkrimi, 1998) und „Trügerische Feste“ (2006). Im Jaron Verlag erschienen von ihm u. a. der Kriminalroman „Am Tag, als Walter Ulbricht starb“ (2010, mit Horst Bosetzky), „Schaurige Geschichten aus Berlin“ (2007) und „Der Berliner Jargon“ (2009). Für die Krimireihe „Es geschah in Berlin“ verfasste er u.a. „Der Ehrenmord“ (2007), „Nach Verdun“ (2008, mit Horst Bosetzky), „Goldmacher“ (2009), „In der Falle“ (2011) und „Polnischer Tango“ (2012). In der Krimireihe „Es geschah in Preußen“ erschienen von ihm: „Verhängnis in der Dorotheenstadt“ (2011) und „Attentat Unter den Linden“ (2012, mit Uwe Schimunek).



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