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E-Book, Deutsch, Band 33, 404 Seiten
Reihe: edition pace
Eisner / Bürger Revolte für den Frieden
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-3685-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Nachlese, Erinnerung und Kontroversen - Mit Beiträgen von Helmut Donat und Lothar Wieland
E-Book, Deutsch, Band 33, 404 Seiten
Reihe: edition pace
ISBN: 978-3-8192-3685-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kurt Eisner (geboren am 15.5.1867 in Berlin als Sohn eines jüdischen Unternehmers, ermordet am 21.2.1919 in München): Journalist und sozialdemokratischer Politiker (SPD, ab 1917 USPD). Nach Beginn des 1. Weltkrieges glaubte er im Kontext der tradierten "sozialdemokratischen Russophobie" zunächst der offiziellen Kriegserzählung des deutschen Kaiserreichs und verteidigte dann erstaunlich lange die Zustimmung seiner Partei zu den Kriegskrediten (die Soldaten befänden sich subjektiv in einer Verteidigungslage, sie bräuchten Waffen). Er erkannte jedoch von August 1914 bis Anfang 1915 immer klarer die Kriegsschuld der Herrschenden in Deutschland und wurde schließlich zum energischen Gegner des militärfreundlichen Establishments in der SPD (das er noch im Februar 1919 wegen der kriegs- und systemstützenden Haltung scharf anklagen wird). 1917 schloss sich Eisner deshalb der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei) an, deren Leitgestalt er in Bayern wurde. Gegen den Widerstand der bayerischen SPD konnte Eisner (USPD) die entscheidenden Impulse beim Münchener Munitionsarbeiterstreik (Januar 1918) und zur bayerischen Revolution vom November 1919 geben. Er wurde erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Seine Ermordung durch Graf Arco-Valley am 21.2.1919 war Gipfelpunkt einer beispiellosen, weithin auch antisemitischen Hetze der militär- und systemtreuen Kreise, die ihre Macht wiedererlangen wollten.
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Parlamentarismus und Ministerialismus
(Die Neue Zeit, Jahrgang 1900/1901)5
[„Der Eintritt eines Sozialisten in ein bürgerliches Ministerium stellt keine Eroberung der politischen Macht dar, auch keine teilweise. Die Erwerbung eines Ministerportefeuilles ist nur graduell verschieden von der Erlangung eines parlamentarischen Mandats … Die Eroberung der politischen Macht vollzieht sich in der Eroberung des Volkes für den klar bewußten Sozialismus.“]
Die Frage, wieweit es der Sozialdemokratie gestattet sei, an den politischen Arbeiten und Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft teilzunehmen, hat auch die deutsche Partei seit jeher beschäftigt. Während sie damit begann, so ziemlich alles zu untersagen, hat sie schließlich das Problem dahin gelöst, ungefähr alles nicht nur zu erlauben, sondern zu fordern. Die Prüderie der Abstinenz spielt keine Rolle mehr in der mächtig gewordenen deutschen Partei.
Im Beginn mißtrauten die Eisenacher selbst dem Bismarckschen „Geschenk“ des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts. Man dachte anfangs sogar an Wahlenthaltung. Dann entschloß man sich, zwar an den Wahlen sich zu beteiligen, aber nur aus agitatorischen Gründen, beileibe nicht, um den bürgerlichen Parlamentarismus und damit die bürgerliche Gesellschaft durch gesetzgeberische Mitarbeit zu stärken. So vereinbarte die Eisenacher Richtung völlige Enthaltung bei der Beratung der Gewerbeordnung im Norddeutschen Reichstag. Wer über ein Gesetz der bürgerlichen Gesellschaft mit den bürgerlichen Parteien verhandelt, paktiert mit dem Feind, wer paktiert, verrät den Klassenkampf und die Partei – so ungefähr argumentierte man, und dieses Argument kehrt in allen taktischen Streitfragen der Folge in der einen oder anderen Form wieder. Gegen diesen politischen Malthusianismus empörte sich aber die politische Natur. Es war der Eisenacher August Bebel, der, eigentlich gegen die Abrede, sich an den Debatten der Gewerbeordnung beteiligte und, wenn ich nicht irre, sogar mit einem von ihm gestellten Besserungsantrag durchdrang.
Schrittweise überwand man in den nächsten 30 Jahren der sozialdemokratischen Parteibewegung – nicht ohne heftige innere Kämpfe und Widerstände – völlig die Theorie der stolzen Enthaltsamkeit. Man debattierte im Reichstag, stellte Anträge und versuchte die Gesetze möglichst zu verbessern. Die anfangs anstößige Beteiligung an den Ausschüssen wurde ein selbstverständlicher Anspruch. Der Seniorenkonvent, den die sozialdemokratische Partei heute durchaus respektiert, wurde vordem nicht anerkannt. Die Beteiligung an den unter dem Dreiklassensystem erfolgenden Gemeindewahlen wurde zuerst ebenso leidenschaftlich abgewehrt, wie sie dann zur dringlichsten Parteipflicht erhoben wurde. Auch die sozialpolitische Gesetzgebung, so armselige Pfuscherei sie an sich ist, helfen wir nach Kräften für das Proletariat vorteilhaft zu gestalten. Wir beteiligen uns an jeder Frage der Tagespolitik, und Angelegenheiten, „die nur die bürgerlichen Parteien untereinander angehen“, gibt es für uns überhaupt nicht mehr. Die Diskussion der Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen war der letzte Streitfall auf dem Gebiet der Abstinenztaktik – auch er ist zugunsten der aktiven Arbeit entschieden worden.
Damit ist für Deutschland im wesentlichen der Kreis der hier in Betracht kommenden Arbeitsmöglichkeiten erschöpft – geringfügige Äußerlichkeiten, wie die Übernahme eines parlamentarischen Präsidiums, mögen noch diskutiert werden, sind aber mehr untergeordnete Fragen des Taktes und des persönlichen Empfindens, als politisch bedeutsame Entscheidungen. Die Frage der Budgetablehnung, die eine Demonstration der prinzipiellen Gegnerschaft darstellt, gehört nicht hierher. Die Bewilligung vermehrt nicht die politische Arbeits- und Wirkungsgelegenheit des Proletariats, und ohne zwingende, aus der staatsrechtlichen Lage oder einer augenblicklichen politischen Situation sich ergebende Notwendigkeit sollte diese scharfe Markierungslinie zwischen dem Sozialismus und der kapitalistischen Welt nicht verwischt werden. Andererseits scheidet auch in Deutschland wie in allen monarchisch-absolutistischen Staaten die Frage sozialistischer Ministerschaft aus, und wenn im folgenden der Versuch unternommen wird, zu zeigen, daß in parlamentarisch-demokratischen Staaten der „Ministerialismus“ nur eine Konsequenz des Parlamentarismus ist und über jenen nicht anders zu entscheiden ist wie über diesen – so trifft die ganze Argumentation nicht für die mehr oder minder absolutistischen Staaten zu, unter die Deutschland in erster Linie zu rechnen ist.
All die taktischen Diskussionen über die Teilnahme der Sozialdemokraten an der bürgerlichen Politik und Verwaltung, all der erbitterte Hader, die schlimmen Trennungen und Zerwürfnisse, die zur beklagenswerten Zersplitterung der sozialistischen Kraft geführt haben, entspringen letzten Grundes der nicht genügend klaren Einsicht in den dualistischen Charakter des sozialdemokratischen Programms und der daraus folgenden dualistischen Taktik, deren zwei Methoden so wenig sich widersprechen, daß sie sich vielmehr aufs innigste ergänzen und daß auf ihnen die beste Kraft der Sozialdemokratie als politischer Partei beruht. Unser prinzipielles Zukunftsprogramm, das die eigentlichen Forderungen des Sozialismus enthält, kann nur, davon sind wir überzeugt, durch die radikale Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft erfüllt werden, und diese Beseitigung kann nur erfolgen durch die Eroberung der gesamten politischen Macht durch die Partei der organisierten proletarischen Klasse. In unserem spezifisch sozialistischen Programm liegt die Abweisung jeglicher opportunistischen Politik, die um augenblicklicher Scheinerfolge willen Grundsätze preisgibt. Wir dürfen bei aller Elastizität der praktischen Gegenwartsarbeit unweigerlich nichts tun, was gegen das wissenschaftlich erhärtete System der sozialistischen Weltanschauung verstößt, und wir dürfen uns mit keinem Erfolg auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft irgendwie begnügen. Auf der anderen Seite steht die große Anzahl jener Reformforderungen, von denen wir annehmen, daß sie der bourgeoise Klassenstaat recht wohl zu befriedigen imstande ist. Und weil uns diese wichtige Aufgabe obliegt, die herrschende Gesellschaft mit allen tauglichen Mitteln zur Erfüllung unserer Gegenwartsforderungen zu zwingen, darum müssen wir selbst, so verdrießlich uns das sein mag, in das Getriebe der bürgerlichen Parteien hinabsteigen. Wir müssen uns an allen Wahlen beteiligen, wir müssen parlamenteln, die Maxime der Wahl des kleineren Übels und des größeren Vorteils befolgen, in Stichwahlen selbst bürgerliche Gegner unterstützen. Uns ist weder die Lagerung der bürgerlichen Parteien untereinander gleichgültig, auf deren für uns möglichst günstige Zusammensetzung wir hinarbeiten müssen, noch sind wir uninteressiert an der Gestaltung der bürgerlichen Regierung.
Fordert der grundsätzliche Teil des Programms strenge Negierung der gesamten bürgerlichen Gesellschaft und Unverkäuflichkeit unserer weltaufbauenden einheitlichen Gedanken, so erheischt das Gegenwarts- oder auch das Minimumprogramm die Durchdringung aller Institutionen mit sozialistischer Arbeit – soweit das ohne Preisgabe der sozialistischen Erstgeburt möglich ist.
Wie ordnet sich nunmehr das Problem einer sozialistischen Ministerschaft in den Dualismus des Programms und der Taktik ein?
Als der Fall Millerand in Deutschland zuerst diskutiert wurde, geschah das unter der Fragestellung: Darf ein Sozialist an einem bürgerlichen Ministerium teilnehmen? Das heißt ein kompliziertes politisches Problem in die starre Anstandsregel eines Zeremonienmeisters auflösen. Vernünftigerweise kann nur zweierlei untersucht werden. Erstlich: Welcher Anspruch ist an einen sozialistischen Minister in einem bürgerlichen Ministerium zu stellen? Und zweitens: Kann in der gegebenen Situation die in Betracht kommende Persönlichkeit diesen Anspruch erfüllen?
Es ist ausgeschlossen, daß ein Mann sozialistischer Herkunft in einem bürgerlichen, wenn auch noch so radikalen Ministerium verpflichtet sein sollte, spezifischen Sozialismus zur Durchführung zu bringen. Ein Sozialist, der ein solches utopisches Versprechen ablegen würde, wäre ebenso närrisch oder unehrlich wie ein Sozialist, der eine solche Forderung stellte. Gewiß muß von jedem Sozialdemokraten verlangt werden, daß er auch als Minister seine sozialistische Überzeugung bekennt und jede Gelegenheit benützt, um kraft seiner Autorität für die Ziele und Ideale des Sozialismus agitatorisch zu wirken, aber praktisch vermag er ausschließlich und allein in der Richtung des Gegenwartsprogramms zu arbeiten; er hat voll seine Schuldigkeit getan, wenn er so viel sozialpolitische und demokratische Reformen durchsetzt, wie er nur irgend vermag. Ein Sozialist vermag als Minister nichts weiter zu tun, was freilich auch jeder bürgerliche Radikale tun könnte, wenn sie es eben täten. Es ist eine allgemeine Erscheinung in allen kapitalistischen Staaten, daß auch die Forderungen, die an vorgeschrittene bürgerliche Reformer zu richten...