E-Book, Deutsch, Band 30, 448 Seiten
Reihe: edition pace
Eisner / Bürger Texte wider die deutsche Kriegstüchtigkeit
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-3415-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zusammengestellt von Peter Bürger - mit einem einleitenden Essay von Volker Ullrich
E-Book, Deutsch, Band 30, 448 Seiten
Reihe: edition pace
ISBN: 978-3-8192-3415-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im April 1915 bemerkte der Linkspazifist und spätere bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (1867-1919) mit Blick auf den Weltkrieg: "Nur deshalb wirken bei uns alle Ereignisse als über uns hereinbrechende Plötzlichkeiten und Überraschungen, weil die allgemeine Öffentlichkeit sich für die Zirkel nicht interessiert, in denen die deutsche Politik tatsächlich organisiert wird." Seine hier in zwei Abteilungen zusammengeführten Aufsätze, Reden und Dichtungen wider die deutsche Kriegstüchtigkeit aus den Jahren 1893-1918 zeigen, dass Eisner selbst zu jenen gehörte, die schon früh vor dem Militarismus im Kaiserreich und einem bevorstehenden Weltkrieg gewarnt haben. Mit großer Klarheit durchschaute er - aus eigener Profession - insbesondere die Rolle der militärgläubigen Medien und des "Kriegerjournalismus". Die Auswahl der Sammlung erhellt jedoch andererseits Entwicklungen und Irrwege. Anfang August 1914 schrieb Eisner zunächst gar, "dass es den Vernichtungskrieg gegen den Zarismus gilt, den wir gepredigt, solange es eine deutsche Sozialdemokratie gibt." Erstaunlich lange versuchte er später auch noch als Gegner des "Burgfriedens" und Aufklärer wider die regierungsamtliche Kriegslüge die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten irgendwie zu rechtfertigen. Erst 1917 erfolgte ein endgültiger Bruch mit jener SPD, die getreu der ihr von den Mächtigen zugewiesenen Aufgaben das Herrschafts- und Militärsystem weiterhin stützte. Vor allem eine schonungslose Analyse der deutschen Kriegspolitik machte Kurt Eisner im Zuge der bayerischen Revolution zur Zielscheibe der Hetze von Vorwärts-Redaktion, bürgerlicher Presse und Rechtsextremisten - was schließlich zum Mordattentat vom 21. Februar 1919 führte. Eingeleitet wird der vorliegende Band mit einem Essay des Historikers Volker Ullrich: "Kurt Eisner, der glänzende Journalist und streitbare Sozialist, war einer der ganz Großen der deutschen Arbeiterbewegung". edition pace. Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 6, herausgegeben und bearbeitet von Peter Bürger.
Kurt Eisner (geboren am 15.5.1867 in Berlin als Sohn eines jüdischen Unternehmers, ermordet am 21.2.1919 in München): Journalist und sozialdemokratischer Politiker (SPD, ab 1917 USPD). Nach Beginn des 1. Weltkrieges glaubte er im Kontext der tradierten "sozialdemokratischen Russophobie" zunächst der offiziellen Kriegserzählung des deutschen Kaiserreichs und befürwortete lange die Zustimmung seiner Partei zu den Kriegskrediten. Er erkannte jedoch bereits Anfang 1915 die Kriegsschuld der Herrschenden in Deutschland und wurde schließlich zum energischen Gegner des militärfreundlichen Establishments in der SPD (das er noch im Februar 1919 wegen der kriegs- und systemstützenden Haltung scharf anklagen wird). 1917 schloss sich Eisner deshalb der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei) an, deren Leitgestalt er in Bayern wurde. Gegen den Widerstand der bayerischen SPD konnte Eisner (USPD) die entscheidenden Impulse beim Münchener Munitionsarbeiterstreik (Januar 1918) und zur bayerischen Revolution vom November 1919 geben. Er wurde erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Seine Ermordung durch Graf Arco-Valley am 21.2.1919 war Gipfelpunkt einer beispiellosen Hetze der militär- und systemtreuen Kreise, die ihre Macht wiedererlangen wollten.
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Heerstraße zum Abgrund
Ausgewählte Texte 1893 – 1914
Militarismus (1893)2
Dieselbe Welle, die den Rector Ahlwardt nebst etlichem mißduftigem Tang in den Reichstag geschwemmt, hat die Militairvorlage fortgespült und den Tag des Redens in die Nacht des Schweigens gebannt. Unterwegs wurde noch einer Partei, der freisinnigen, das Genick gebrochen. Es ist dieselbe Welle, wenn auch der Heilige von Friedeberg für die Vorlage seine arischarnswaldische Stimme abgegeben. Herr Böckel, der hessische Bauernführer, ist klüger; er schloß sich den Neinsagern an, weil er seine Wähler kennt. Auch das Centrum, sonderlich das süddeutsche, kennt seine Leute, und darum ist der Versuch des Freiherrn von Huene, mit einem coulanten Kundenrabatt an die verehrten, aber heuer eigensinnig geratenen Wähler das Geschäft zustande zu bringen, elend gescheitert. In Süddeutschland hält man überhaupt den ganzen Militarismus für eine preußische Erfindung, und man kann an Biertischen Äußerungen hören, wie: „Wenn’s wieder losgeht, die Bayern gehen nicht mit“, Äußerungen, die darum nicht an Wert verlieren, weil sie gar so naiv sind. Und wie schreibt gar der „Vaterlands“Sigl? „Ein siegreicher Krieg wäre für Bayern das Ende.“ Das Ende, nämlich eine „königlich-preußische Provinz“. Dieselbe schmerzhaft eingewachsene Unzufriedenheit hat Ahlwardt gewählt und den Reichstag gesprengt. Man ist in der That über alle Maßen unzufrieden – wenn es auch vielleicht eine „unberufene“ Unzufriedenheit ist, man ist mürrisch und verdrossen und hat das Gefühl, als ob irgend so ein Probegastspiel des jüngsten Tages in Sicht sei. Herr von Bennigsen, der staatsmännische, hat nicht ohne Grund von dem wachsenden Pessimismus gesprochen, nur ist es nicht der Pessimismus Schopenhauers, noch weniger der Nietzsches (denn Friedrich Nietzsche ist trotz seines parlamentarischen Impresarios ein enthusiastischer Optimist), es ist der Pessimismus der Verhungernden, der Pessimismus der geplünderten Leiber und gemarterten Seelen. Und zu dem Pessimismus der schweren Not gesellt sich der Pessimismus des Übermuts, die Unzufriedenheit der politischen Gourmands und Gourmets, der Vielesser und Feinschmecker, der Interessenwucherer und Feueranbeter. Diese Pessimisten aus wirtschaftlicher und ästhetischer Luxusgier scharen sich um Bismarck: Bismarck soll die Börse bessern, Bismarck soll die Industrie heben, die Landwirtschaft schützen, Bismarck soll die Blasiertheit der psychischen Lebemänner mit den aufregenden Emanationen genialer Großnatur aufgeißeln – ein politischer Braunscheidtist. Hätten sich nicht die Pessimisten des Übermuts vor der Gewalt des Massenpessimismus gefürchtet, sie hatten sicherlich nichts dagegen gehabt, wenn der derzeitige Administrator der Reichsgeschichte, wenn Graf Caprivi mit seiner Vorlage zugleich explodiert wäre. Die politische Bewegung wächst sich immer mehr zum politischen Banksturm aus, seitdem nicht mehr Ehrfurcht vor greiser Majestät Schweigen, die Übermacht beglückten Thatmenschentums Bewunderung oder Unterwerfung gebietet. Die öffentliche Meinung, die keine fromme Scheu, keine Schwärmerei und keine gewaltsame Niederhaltung mehr bindet, wird zur Gegenregierung. Man will etwas anderes, etwas Neues, Heilendes und Lösendes. Nur heraus aus dieser Qual drückender Ratlosigkeit, nur heraus, um jeden Preis! Wir sind müde eures ewigen Begehrens, wir geben nichts mehr, macht was ihr wollt, aber laßt uns in Ruhe! Ihr schickt unsere Vertretung nach Hause? Gut! Wir waren schon so mit den Herren unzufrieden, und wir werden euch einen neuen Reichstag fabricieren, der euch zeigen wird, daß wir mehr sind als misera plebs contribuens. Das Opfer dieser verbitterten Stimmung ist die Militairvorlage geworden. Auch die innerlich widerstrebenden Volksvertreter haben nicht gewagt, dem Willen ihrer Wähler zuwider für die Heeresreform einzutreten. Die schönste Militairmusik vom starken, wehrhaften Vaterland vermochte nicht, die Leute in Tritt zu bringen. Nur eine Partei hat (von den kleineren Gruppen abgesehen) geschlossen gegen die Vorlage gestimmt, die Socialdemokratie; sie negiert die heutige Weltordnung, sie negiert vor allem das Hauptstück der „capitalistischen Schreckenskammer“, den „Moloch Militarismus“. Dieser Partei ist ein doppeltes Glück beschieden, das Glück des unermeßlichen Hoffens und das Glück des Wartenkönnens; denn sie ist die Partei der Jugendkraft. Sie sieht in religiöser Hoffnungsseligkeit ihren Tag kommen, nur sie darf sich bescheiden, nein zu sagen. Ebenso verständlich und folgerichtig ist es, wenn die Vertreter von Besitz und Bildung, die Rechte und die Nationalliberalen, für die Militairvorlage oder für den Antrag Huene sich entschieden haben; ist doch für sie das Heer die Garantie der neugermanischen Zwillingsformel „Besitz und Bildung“, wenigstens ihres ersten Bestandteils. Uneinig sind die großen bürgerlichen Reformparteien gewesen, Centrum und Freisinn; sie ergaben sich schließlich in ihrer Majorität dem Willen ihrer Wähler. Ein Teil der Freisinnigen benutzte aber die gute Gelegenheit, sich von ihrem Fractionstyrannen Eugen Richter zu trennen, und man verdankt der neuen „Freisinnigen Vereinigung“ einen Wahlruf, der sich auch stilistisch von dem Einfluß des Poeten der „Zukunftsbilder“ löblich emancipiert. Herr Eugen Richter aber pactierte mit den süddeutschen Demokraten; der seit einem Menschenalter unbekehrte Manchestermann trank Brüderschaft mit den Leuten, die in wirtschaftlicher Beziehung einem möglichen Socialismus, einer Art von positivistischem Socialismus huldigen. Über diese Schwierigkeit half ihnen der unersättliche Haß gegen den Militarismus hinweg. Der Soldat ist eben der Jude dieser Volksmänner, er trägt die Schuld an allem Unheil; der Militarismus ist der Feind! Wer’s nicht glaubt, ist ein Volksverräter und speculiert zum mindesten auf einen Lotteriecollecteurposten. Keinen Augenblick zweifle ich, daß die Agitation der antimilitaristischen bürgerlichen Reformparteien den schönsten Erfolg haben wird, aber ebensowenig kann ich mir verhehlen, daß dieser Kampf gegen die Heeresreform demagogisch ist, weil er unfruchtbar ist. Eine Partei, welche die gegenwärtige Ordnung der europäischen Verhältnisse kennt und anerkennt, muß sich dem Militarismus beugen. Keine parlamentarischen Carpenterbremsen werden diese Entwickelung Europas hemmen. Die Haltung der Socialdemokratie heischt Achtung und Beachtung, weil sie consequent ist. Der Antimilitarismus der Reformparteien ist eine unnütze Halbheit. Mehr noch: In ihrer wilden Soldatenscheu vergessen sie ihrer eigentlichen Aufgabe, zu reformieren. Gerade jetzt hatten sie die Gelegenheit, eine Culturthat ersten Ranges zu verrichten. Sie hatten die Gelegenheit (da nun einmal Regierung und Volksvertretung nach dem Mercantilsystem mit einander verhandeln), der quantitativen Heerreform der Regierung die Forderung einer qualitativen Neuordnung des Armeewesens gegenüberzustellen und so eine Veredelung des Militarismus zu versuchen, die diese Institution dem wirklichen Fortschritt dienstbar gemacht hätte. Denn nicht der Militarismus an sich ist der Feind, sondern der falsche Militarismus, wie er gegenwärtig auf Deutschland, auf Europa lastet. Möglich, wahrscheinlich sogar, daß jener Veredelungsversuch gescheitert wäre; dann hätte sich eben die Unmöglichkeit erwiesen, eine Reformation der europäischen Lage herbeizuführen. Es wäre aber ein heldenhafter Versuch gewesen, würdig wahrer Freiheitsmänner. Kann es denn ein schöneres Unternehmen geben, als einen Weg zu zeigen, wie diese übergewaltigen Summen an Kraft und Gut, die Europa dem Militarismus anscheinend zu keinem anderen Zwecke wie zur Selbstvernichtung geopfert, sich in fruchtbare Culturenergie verwandeln? Es ist unbillig, einer Regierung zu verbieten, was jede Partei, sofern sie ans Ruder käme, – immer abgesehen von der Socialdemokratie – selber thun müßte. Es lastet auf Europa die Bannangst des Traums; man will ein Geleise übersteigen, strauchelt, und während man den Blitzzug grausend näher und näher kommen sieht, haftet man wie festgekettet am Boden, beraubt der Muskelkraft in ohnmächtigem Trotz; nur das Hirn gebiert in brennender, jagender Hast Rettungspläne, Fluchtgedanken, verzweifelndes Gehenlassen. Etwas von dieser Angststimmung lauert stets auf der Schwelle des europäischen Bewußtseins. Frankreich vergißt keinen Augenblick seine Revanche, und den furchtbaren russischen Bergsturz erwartet das bebende Europa als sein unvermeidliches Schicksal. Der große Weltkrieg der Zukunft reckt in seiner Höhle die Tatzen. Niemand, auch nicht die reichste Phantasie, vermag diese ungeheure Katastrophe, wenn nur in schattenhaften Umrissen, im voraus zu erkennen. Auch für den Krieg ist das patriarchalische Zeitalter vorbei. Er ist nicht mehr das unfreundschaftliche Abkommen zweier Fürsten, Dynastien. Man schickt nicht mehr ein paar bezahlte Leute hinaus, um die Sache zu erledigen. Der Krieg ist ein unübersehbares Riesenunternehmen geworden, von gewaltigen Dimensionen, das die...