Feist Die Erben von Midkemia 4
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18578-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Der Flug der Nachtfalken
E-Book, Deutsch, Band 4
Reihe: DIE ERBEN VON MIDKEMIA
ISBN: 978-3-641-18578-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Die Bedrohungen für Midkemia und Kelewan wollen nicht enden: Obwohl das Konklave der Schatten Leso Varen und seinen Nachtfalken dicht auf den Fersen ist, schmieden sie weiter ihre finsteren Umsturzpläne gegen das Herrscherhaus von Kesh. Zugleich stellt sich heraus, dass von den mysteriösen Talnoy eine bisher ungekannte Gefahr ausgeht: durch ihre magischen Kräfte können die fürchterlichen Dasati ins Reich Midkemia eindringen und alle ins Unheil stürzen ...
Raymond Feist wurde 1945 in Los Angeles geboren und lebt in San Diego im Süden Kaliforniens. Viele Jahre lang hat er Rollenspiele und Computerspiele entwickelt. Aus dieser Tätigkeit entstand auch die fantastische Welt seiner Romane: Midkemia. Die in den 80er Jahren begonnene Saga ist ein Klassiker des Fantasy-Genres, und Feist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Fantasy in der Tradition Tolkiens.
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Prolog
Vorbote
Der Sturm war losgebrochen. Pug tänzelte am Rand der Felsen entlang und konnte auf seinem Weg zu den Gezeitentümpeln kaum Halt finden. Er sah sich aufgeregt um, spähte in jeden Tümpel unterhalb der Klippe, suchte die stachligen Geschöpfe, die der Sturm dorthin getrieben hatte. Seine jungenhaften Muskeln spannten sich unter dem dünnen Hemd, als er den Sack voller Sandkriecher und Krebse, die er in diesem Wassergarten geerntet hatte, auf der Schulter zurechtrückte. Die Nachmittagssonne brachte die Gischt, die um ihn herumwirbelte, zum Glitzern, und der Westwind zerzauste sein braunes Haar, das von der Sonne viel heller geworden war. Pug setzte den Sack ab, überzeugte sich noch einmal, dass er gut zugebunden war, und hockte sich dann auf eine sandige Fläche. Der Sack war noch nicht ganz voll, aber Pug freute sich auf eine zusätzliche Stunde der Ruhe. Megar, der Koch, würde ihn nicht schelten, wenn er länger wegblieb, solange der Sack einigermaßen voll war. Er lehnte sich an einen großen Stein und begann sich zu entspannen. Dann öffnete er plötzlich die Augen. Er war eingeschlafen, oder zumindest wusste er, dass er hier einmal eingeschlafen war … Er setzte sich aufrecht hin. Kühle Gischt traf ihn im Gesicht. Irgendwie war Zeit vergangen, ohne dass er auch nur die Augen geschlossen hatte. Angst stieg in ihm auf, und er wusste, dass er viel zu lange weggeblieben war. Im Westen, über dem Meer, ballten sich dunkle Gewitterwolken über den schwarzen Umrissen der Sechs Schwestern, den kleinen Inseln am Horizont. Die brodelnden Wolken, die Regen wie einen rußigen Schleier hinter sich herzogen, kündigten ein weiteres plötzliches Unwetter an, wie sie im Frühsommer an diesem Teil der Küste so häufig waren. Der Wind trieb die Wolken mit unnatürlicher Heftigkeit vor sich her, und das entfernte Donnern wurde jeden Augenblick lauter. Pug drehte sich um, sah in alle Richtungen. Irgendetwas stimmte nicht. Er wusste, dass er viele Male zuvor hier gewesen war, aber … Er war schon einmal hier gewesen! Nicht nur an diesem Ort, sondern er hatte genau diesen Augenblick schon einmal erlebt! Im Süden erhoben sich die hohen Klippen von Seglers Gram zum Himmel, und die Wellen brachen sich rauschend an ihrem Fuß. Die Wellen hinter den Brechern hatten nun weiße Gischtkappen, ein untrügliches Zeichen, dass das Unwetter schnell zuschlagen würde. Pug wusste, er war in Gefahr, denn diese Sommerunwetter konnten einen am Strand ertränken oder, wenn sie noch schlimmer waren, sogar im Tiefland dahinter. Er griff nach seinem Sack und machte sich auf nach Norden, zur Burg. Als er an den Tümpeln entlangrannte, spürte er, wie die Kühle im Wind einer tieferen, nasseren Kälte wich. Der Tag wurde von einem Flickwerk von Schatten gebrochen, als die ersten Wolken vor die Sonne zogen, bunte Farben verblassten zu Schattierungen von Grau. Draußen über dem Meer zuckten Blitze vor den schwarzen Wolken, und das Donnergrollen war bald schon lauter als das Rauschen der Wellen. Pug wurde schneller, als er ein Stück offenen Sandstrand erreichte. Der Sturm näherte sich rascher, als er es für möglich gehalten hätte, trieb die schnell ansteigende Flut vor sich her. Bis er den zweiten Streifen von Gezeitentümpeln erreichte, waren nur noch zehn Fuß trockenen Sands zwischen dem Wasser und den Klippen geblieben. Pug rannte so schnell, wie es auf diesen Steinen möglich war, und wäre zweimal beinahe mit dem Fuß umgeknickt. Als er die nächste Sandfläche erreichte, verschätzte er sich beim Sprung vom letzten Felsen und kam falsch auf. Er hatte sich den Knöchel verrenkt! Er war schon einmal hier gewesen, hatte sich schon einmal den Knöchel verrenkt, als er gesprungen war, und einen Augenblick später war eine große Welle über ihn hinweggerauscht. Pug drehte sich um, um das Meer zu betrachten, und statt dass das Wasser über ihn hinwegspülte, zog es sich zurück! Das Wasser schien sich zu sammeln, und dabei stieg es höher und höher an: Bald schon erhob sich eine Mauer aus Wasser zornig bis zum Himmel. Ein Donnerschlag explodierte direkt über Pugs Kopf, und er duckte sich unwillkürlich. Er wagte einen Blick nach oben und fragte sich, wie sich die Wolken so schnell hatten sammeln können. Wohin war die Sonne verschwunden? Die brodelnden Brecher stiegen weiter zum Himmel auf, und nun entdeckte der entsetzte Pug, dass sich etwas innerhalb der flüssigen Mauer bewegte. Sie erinnerte an eine Barriere aus seegrünem Glas, mit Wolken aus sandigen Gebilden und Luftblasen, aber durchsichtig genug, dass man die Gestalten darin erkennen konnte. Bewaffnete Geschöpfe standen in militärischer Formation und warteten darauf, Crydee zu erobern, und ein Wort drängte sich in Pugs Kopf: Dasati. Er drehte sich um und ließ den Sack fallen, als er versuchte, auf höheren Boden zu gelangen. Er musste Herzog Borric warnen! Der Herzog würde wissen, was zu tun war! Aber der Herzog war tot, schon seit über einem Jahrhundert. Voller Panik versuchte der Junge, die niedrige Anhöhe hinaufzuklettern, aber seine Hände und Füße fanden keinen Halt. Er spürte, wie ihm vor Enttäuschung und Wut Tränen in die Augen traten, und schaute über die Schulter zurück. Die schwarzen Gestalten setzten sich in der höher werdenden Wassermauer in Bewegung. Als sie vorwärts marschierten, erhob sich die Welle zu noch unmöglicherer Höhe und verdeckte den bereits sturmgrauen Himmel. Über und hinter der massiven Welle zeigte sich ein Gegenstand aus finsterem Zorn, eine mächtige Präsenz, die ein Ziel und ein Bewusstsein hatte. Aus ihr ergoss sich reine Böswilligkeit, ein Miasma der Finsternis, so gewaltig, dass der Junge hintenüberfiel und hilflos sitzen blieb. Pug sah die dunkle Armee der Dasati, die auf ihn zumarschierte, direkt aus den Wellen, die das hassenswerte Ding am Himmel schwarz gefärbt hatte. Er kam langsam auf die Beine, ballte die Fäuste und blieb trotzig stehen, aber er wusste, er war machtlos. Er sollte imstande sein, etwas zu tun, aber er war nur ein Junge, nicht einmal vierzehn Sommer alt, nicht einmal ausgewählt, Lehrling eines Handwerksmeisters zu werden, ein Junge ohne Familie und Namen, der in der Burg wohnte. Dann hob der Dasati-Krieger, der Pug am nächsten stand, sein Schwert, und ein böswilliger Triumphschrei erklang, wie ein Glockenschlag, der den Jungen in die Knie zwang. Pug erwartete, dass die Klinge heruntergerissen würde, aber er sah, dass der Dasati zögerte. Hinter ihm schien auch die Welle – die nun höher war als der höchste Turm in der Burg in Crydee – einen Augenblick innezuhalten, dann raste sie auf ihn zu und riss den Dasati mit, bevor er das Schwert auf den Jungen hinabsausen lassen konnte. »Ah!«, sagte Pug und setzte sich im Bett auf. Er war vollkommen nass geschwitzt. »Was ist denn?«, fragte die Frau neben ihm. Pug drehte sich zu seiner Frau um, die er in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers eher spürte als sah. Er nahm sich zusammen und sagte: »Ein Traum. Nichts weiter.« Miranda setzte sich aufrecht hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. Mit einer beiläufigen Geste ließ sie alle Kerzen im Schlafzimmer aufflackern. In diesem sanften Licht sah sie, dass seine Haut vor Schweiß glänzte. »Es muss ein ziemlich schlimmer Traum gewesen sein«, sagte sie leise. »Du bist völlig verschwitzt.« Pug sah sie in dem warmen Licht an. Er war nun mehr als sein halbes Leben mit Miranda verheiratet, und sie war immer noch ein Rätsel für ihn, und manchmal eine Herausforderung. Aber in Augenblicken wie diesem war er dankbar, sie in seiner Nähe zu wissen. Ihre Verbindung war von seltsamer Art, denn sie gehörten zu den mächtigsten Magiern auf Midkemia, und das allein schon machte sie füreinander einzigartig. Darüber hinaus hatten ihre Geschichten sich schon überschnitten, bevor sie einander begegnet waren. Pugs Leben war von Mirandas Vater, Macros dem Schwarzen, manipuliert worden, und selbst jetzt fragten sie sich noch hin und wieder, ob ihre Ehe nicht einer von Macros’ schlauen Plänen gewesen war. Aber wie auch immer, sie hatten im jeweils anderen eine Person gefunden, die die Lasten und Herausforderungen ihres Lebens verstand, wie es sonst niemand konnte. Pug stand auf. Als er zum Waschbecken ging und ein Tuch ins Wasser tunkte, sagte sie: »Erzähl mir von dem Traum, Pug.« Pug begann sich zu waschen. »Ich war wieder ein Junge. Ich habe dir doch erzählt, wie ich am Strand einmal beinahe ertrunken wäre, am selben Tag, als Kulgans Helfer Meecham mich vor dem Eber rettete. Diesmal konnte ich den Strand nicht verlassen, und die Dasati kamen aus dem Unwetter.« Miranda lehnte sich an das kunstvolle Kopfteil des Bettes, das Pug ihr vor vielen Jahren geschenkt hatte. »Es ist verständlich, dass du so etwas träumst. Du fühlst dich einfach überfordert.« Er nickte, und einen Augenblick erkannte sie im weichen Licht der Kerzen den Jungen, der er einmal gewesen sein musste. Solche Augenblicke waren selten. Miranda war älter als ihr Mann – mehr als fünfzig Jahre älter –, aber Pug trug eine größere Verantwortung als jeder andere im Konklave der Schatten. Er sprach selten darüber, aber sie wusste, dass ihm während des Krieges gegen die Smaragdkönigin vor vielen Jahren etwas zugestoßen war, als er von einem mächtigen Dämon so schwer verbrannt worden war, dass er bereits im Sterben gelegen hatte. Seitdem hatte er sich verändert, war demütiger und weniger selbstsicher. Die Veränderung fiel lediglich denen...