E-Book, Deutsch, 340 Seiten
Fleckenstein / Dartmann / Unterburger Die Franziskaner
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-026323-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-17-026323-9
Verlag: Kohlhammer
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Dr. Gisela Fleckenstein hat sich mit einer Arbeit über Franziskaner in Nordrhein-Westfalen promoviert und ist heute Leiterin des Landesarchivs Speyer.
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2 Evangelische Armut – eine trennende Frage
Das radikale Armutsverständnis des Franziskus wurde bald nach seinem Tod 1226 in Frage gestellt. Er selbst hatte in seinem Testament jegliche Kommentierung der Ordensregel untersagt. Doch Papst Gregor IX., vormals Kardinal Hugolino von Ostia, setzte mit der Bulle Quo elongati vom 28. September 1230 das Testament des Heiligen außer Kraft. Anlass dafür waren die im Orden entstandenen Auseinandersetzungen um den Stifterwillen. Der Papst wies auf sein enges Verhältnis zu Franziskus hin und seine daraus resultierende Kenntnis seiner Absichten in der Zeit der Abfassung der Regula bullata. Er wollte damit allen Brüdern die Zweifel nehmen, die die Regel interpretierten. Sie waren, so die Argumentation des Juristenpapstes, deshalb nicht an das Testament gebunden, weil Franziskus ihnen seine Weisungen ohne die Zustimmung der Brüder und Minister des Ordens auferlegt hatte. Papst Gregor IX. brachte damit zum Ausdruck, dass Franziskus in seinem Testament seine rechtlichen Befugnisse zweifach überschritten hatte. Erstens konnten so weitgehende Bestimmungen nicht ohne die Zustimmung der verfassten Ordensgremien gefasst werden. Zweitens konnte Franziskus seinem Nachfolger im Amt des Generalministers keine rechtlich bindenden Vorschriften machen, da dieser nach kanonischer Auffassung im gleichen Rang stand.65 Es sollte nicht vergessen werden, dass die Armutsforderung, die sich zwar in erster Linie auf die Lebensweise der Franziskaner bezog, durchaus auch als Kritik am Reichtum des höheren Klerus und des päpstlichen Hofes verstanden werden konnte.66 Im Grunde, so Helmut Feld, wurden die Minderbrüder durch Quo elongati in das bestehende gesamtkirchliche Rechtssystem eingefügt. Besonderheiten der franziskanischen Regel, wie das absolute Geldverbot, wurden damit aufgehoben. In der Regula bullata hatte Franziskus den Brüdern jegliche Geldannahme und auch die Annahme mittels einer dazu beauftragten Person außerhalb des Ordens untersagt. In seinem Testament verbot er, bei der Römischen Kurie um Ausnahmen anzusuchen. Entgegen dem Willen des Ordensgründers erlaubte der Papst nun den Brüdern, bei Geschäften und Zahlungen einen Beauftragten in Anspruch zu nehmen. Eine dritte Person, die als Syndikus fungierte, konnte somit Almosen entgegennehmen und Zahlungsverpflichtungen für den Orden übernehmen. Die Brüder kamen durch diese Regelung nicht mit Münzen und Bargeld in Berührung und genügten so formal der Ordensregel. Die Einrichtung dieses ›bargeldlosen Zahlungsverkehrs‹ war sicher nicht im Sinne des Franziskus.67 Doch diese Regelung machte es möglich, mit der Ordensregel umzugehen und nicht permanent gegen sie zu verstoßen, denn in der modernen Welt ließ sich ein absolutes Geldverbot nicht durchhalten.
Die Ordensregel untersagte den Brüdern mit Blick auf Christus, der sich arm gemacht hatte, jegliche Form von Besitz. Dies war schon das Herzstück der Forma vivendi von 1209. Auch dieses Verbot wurde von Gregor IX. mit Blick auf die Lebenspraxis, die sich bereits eingebürgert hatte, entschärft. Das Verbot des gemeinschaftlichen und privaten Besitzes wird zwar betont, doch sollte der Orden insgesamt und damit die Brüder das Nutzungsrecht bzw. den Nießbrauch (usus) ihrer beweglichen Habe besitzen, dagegen sollte das Besitzrecht (dominum) von Grundstücken und Häusern des Ordens beim Vorbesitzer bleiben.68 Papst Gregor IX. hatte ganz klar die Sprengkraft der franziskanischen Idee für die Kirche erkannt und den Orden kirchenkonform gemacht.69 Oder kann man auch sagen, lebensfähig gemacht?
Damit war die frühe franziskanische Bewegung zu einem »normalen« Orden im System der römisch-katholischen Kirche geworden. Franziskus war schon im Juli 1228 heiliggesprochen und damit von der Kirche vereinnahmt worden. Zu dieser schnellen Heiligsprechung hatten sicherlich seine Stigmata bzw. seine Christusförmigkeit beigetragen. Als Heiligengedenktag wurde der 4. Oktober festgelegt. Nach diesem ersten päpstlichen Eingriff war die Frage nach dem richtigen Armutsverständnis innerhalb des Franziskanerordens keineswegs geklärt. Zumal sich beide Seiten auf ihre göttliche Autorität beriefen. Dem Ordensgründer war das Leben nach dem Evangelium von Gott selbst geoffenbart worden und das Papsttum konnte sich gleichfalls auf die göttliche Autorität berufen.70
Alle weiteren Auseinandersetzungen im Orden kreisten um das richtige Armutsverständnis der Regel. Die strengen Anhänger des franziskanischen Ideals wurden Zelanti (Eiferer) genannt, sie standen im Gegensatz zur Mehrheit im Orden, die eine gemäßigtere Regelauslegung befürwortete. Schon der erste Nachfolger des Franziskus, Bruder Elias von Cortona, wurde in seiner zweiten Amtszeit beim Pfingstkapitel am 15. Mai 1239 in Rom abgewählt, weil er einen unfranziskanischen Lebensstil entwickelt hatte. Elias von Cortona war bisher der letzte Laie im Amt des Generalministers. Ihm folgten im Amt, angefangen mit seinem unmittelbaren Nachfolger Albert von Pisa, nur noch Priester. Dessen Nachfolger Haymo von Faversham (1240–1244), schloss sogar Laienbrüder von Führungsämtern (Minister, Kustode, Guardian) aus.71 Diese Regelung hatte bis ins 21. Jahrhundert Gültigkeit. Am 18. Mai 2022 verfügte Papst Franziskus in einem Reskript eine kirchenrechtliche Änderung (can 588, 12 CIC) und räumte der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens die Befugnis ein, »nach ihrem Ermessen und in Einzelfällen« das Amt des Oberen in Ordensgemeinschaften päpstlichen Rechts auch für Nichtkleriker zu öffnen. Damit ging ein lang gehegter Wunsch, nicht nur der Franziskaner, in Erfüllung.72
Ein erster ausführlicher Kommentar zur Ordensregel wurde den Brüdern 1242 beim Generalkapitel in Bologna vorgelegt. Zu den Verfassern gehörten führende Theologen des Ordens, darunter Alexander von Hales und sein Schüler Johannes von La Rochelle († 1245). Sie forderten eine radikale Armut, eine Bettelarmut (paupertas mendicitatis), die sich ganz auf die Vorsorge Gottes verließ und sich auf den Gebrauch lebensnotwendiger Dinge beschränkte. Ein weiterer Regelkommentar von Hugo von Digne († 1256), einem Vertreter der Spiritualen, der zwischen 1245 und 1255 entstand, trat ebenfalls für das Armutsideal der ursprünglichen Regel ein.73 In eine andere Richtung gingen die Stellungnahmen und Kommentare der Päpste, die mehrheitlich für eine Milderung der franziskanischen Regel eintraten. Der Nachfolger Gregors IX. auf dem päpstlichen Stuhl Innozenz IV. (1243–1254) erließ in Lyon am 14. November 1245 mit der Bulle Ordinem vestrum eine zweite päpstliche Regelerklärung. In dieser wurden alle beweglichen und unbeweglichen Güter der Brüder zum Besitz des Apostolischen Stuhles erklärt (sofern die Wohltäter sie sich nicht eigens vorbehielten), dem Orden die Verwaltung übertragen und der Geldgebrauch erlaubt für die »commoda fratrum« (zum Vorteil der Brüder).74 D. h. hier wurde der dauerhafte Umgang mit Eigentum geregelt.
Zu einer zentralen Regelerklärung wurde die Bulle Exiit qui seminat vom 13. August 1279, mit der sich Papst Nikolaus III. (1277–1280), der als Kardinal Giovanni Gaetano Orsini Protektor des Franziskanerordens war, in die Diskussion einmischte. Er setzte eine Kommission aus Theologen und Kirchenjuristen für die Auslegung der Franziskanerregel ein, die der strengeren Armutsrichtung im Orden folgte. In der Bulle wurde festgehalten, dass das evangelische Armutsideal bei Franziskus und seinen Brüdern vollkommener verwirklicht war, als bei Jesus und seinen Jüngern in der Urkirche, die damals noch Zugeständnisse an die Schwächen der menschlichen Natur machen mussten.75 Auf dieses Dokument konnte sich dann die Ordensrichtung der Spiritualen immer wieder berufen.
Franziskus wurde vielfach als zweiter bzw. anderer Christus angesehen. Es stellte sich die Frage, ob das von den neuen Bettelorden, insbesondere von Franziskanern und Dominikanern, vertretene Lebensideal mit dem Evangelium vereinbar war, oder ob es im Widerspruch dazu stand. Dieser Streit wurde auf theologischer Ebene auch an der Universität Paris geführt, wo die Professoren aus den Reihen der Bettelorden regen Zulauf von Studenten hatten, was auch den Neid der anderen Professoren förderte. Aus dem Weltklerus kam Wilhelm von Saint-Amour († 1271), der Franziskaner und Dominikaner als Häretiker betrachtete und für den es unerträglich war, dass gesunde und arbeitsfähige Menschen vom Betteln lebten und dies als ein Leben nach dem Evangelium bezeichneten. Der Pariser Mendikantenstreit von 1252–1266 hatte auch Reaktionen der päpstlichen Kurie zur Folge. Papst Innozenz IV. revidierte seine bisher positive Haltung gegenüber den Minderbrüdern und entzog Minoriten und Dominikanern mit der Bulle Etsi...