Franz / Karger | Männliche Sexualität und Bindung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 315 Seiten

Franz / Karger Männliche Sexualität und Bindung

. EPub

E-Book, Deutsch, 315 Seiten

ISBN: 978-3-647-99861-9
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Der Umgang mit Beziehungskonflikten und die Bewältigung hoher Belastungen in Familie oder Beruf sind immer auch geprägt von kindheitlichen Erfahrungen mit den Eltern und den sich daraus entwickelnden Bindungsmustern. Diese frühen Erfahrungen mit Abhängigkeit und die damit verknüpften Emotionen beeinflussen – zumeist unbewusst – auch den späteren Umgang mit der eigenen Sexualität. So sind kindliche Beziehungserfahrungen auch in der gelebten männlichen Sexualität wirksam. Dysfunktionale oder aversive psychische Repräsentanzen der Eltern können die sexuelle Entwicklung des Jungen und die sexuelle Identität des Mannes konflikthaft beeinflussen. Diese komplexen Zusammenhänge beleuchten ausgewiesene Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen klinischen und wissenschaftlichen Perspektiven.
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Vorwort Der Impuls für dieses Buch stammt aus der therapeutischen Arbeit mit Männern, die sich in ihrer Beziehungsfähigkeit, Emotionalität und Sexualität als beeinträchtigt erleben. Psychoanalytiker und Psychotherapeuten sehen in ihren Behandlungen immer wieder Männer, die an der konflikthaften Unvereinbarkeit ihrer Beziehungs- und sexuellen Wünsche leiden – und sich selbst dabei oft nicht verstehen können. Anhaltende Beziehungskonflikte, aber auch das Erleben schwerer Belastungen gehen sehr häufig mit psychosomatischen Beeinträchtigungen einher – oft auch mit Auswirkungen auf die Sexualität. Ein Grund dafür ist, dass sowohl die Gestaltung von Beziehungen als auch der Umgang mit schweren Belastungen geprägt ist von kindheitlich erworbenen Bindungsmustern. Die frühkindlichen Erfahrungen mit den elterlichen Bezugspersonen und ihren Reaktionen auf die kindlichen Affektsignale und die dahinter stehenden Impulse und Motive des Kindes werden im Wesentlichen vorsprachlich verinnerlicht und zu zeitstabilen Bindungsmustern verdichtet. Diese obligatorischen Bindungsstile spiegeln die kindlichen Erfahrungen im Umgang mit weitgehender Abhängigkeit wider. Je nach verinnerlichtem Bindungsmuster werden Abhängigkeit und emotionale Intimität in späteren Liebesbeziehungen auch noch von Erwachsenen beispielsweise als gefährlich und ängstigend vermieden oder als hilfreich oder sogar beglückend zugelassen. Dementsprechend werden die psychischen Repräsentanzen dieser kindlichen Beziehungserfahrung später zumeist unbewusst auf Liebespartner übertragen und bestimmen die konkreten Aspekte der sexuellen Begegnung. Als sichere oder unsichere Bindungsdispositionen beeinflussen sie die späteren Ausformungen der Sexualität des Erwachsenen innerhalb von Beziehungen (Ciocca et al., 2015). So projizieren sich kindlich erworbene Bindungsmuster in die gelebte männliche Sexualität hinein. Die Integration mütterlich wie väterlich vermittelter Bindungsrepräsentanzen in die sexuelle Identität kann Ausgangspunkt einer mehr oder weniger konflikthaften sexuellen Triebentwicklung werden. Ein unsicher-vermeidendes Bindungsmuster kann sich beispielsweise in einer emotional vom Beziehungspartner abgespaltenen, physiologisch aber kompetenten Sexualität, oder in Form sexueller Funktionsstörungen vermitteln. So kann im Laufe einer Psychotherapie der (vorübergehende) Verlust zuvor unbeeinträchtigter Erektionsfähigkeit bei vermeidend-gebundenen narzisstischen Patienten paradoxerweise im Einzelfall sogar einen Therapiefortschritt anzeigen, wenn die phallische Potenzfunktion zuvor unbewusst der Beherrschung und Kontrolle des Partners zur Vermeidung von Intimität und Abhängigkeit diente (vgl. Dunkley, Dang, Chang u. Gorzalka, 2016). Dem Zusammenhang von frühen Bindungserfahrungen und den dadurch beeinflussten Ausformungen der Sexualität Erwachsener sind die Beiträge dieses Buchs gewidmet. Wie beeinflussen frühkindliche Erfahrungen mit den primären Bindungspersonen und in diesem Zusammenhang erlebte Verletzungen die Fähigkeit, innerhalb von späteren Beziehungen mit Sexualität umzugehen? Kann eine Sexualität gelebt werden, die die Beziehung vertieft, oder dient diese gerade der Abwehr von Abhängigkeit und Intimität und wird zum Symptom? Wie manifestieren sich kindliche Beziehungserfahrungen und früh verinnerlichte Bindungsmuster im gelebten Umgang mit Sexualität und Triebhaftigkeit? Kommt es zur Koexistenz von Trieb und Objekt innerhalb wechselseitig befriedigender Liebesbeziehungen oder existiert eine schizoide Spaltung, die bewirkt, dass das eine mit dem anderen nichts mehr zu tun hat? Und wie stellt sich dieser spannungsvolle Zusammenhang gerade beim männlichen Geschlecht dar? Schon Sigmund Freud hat in seiner Arbeit »Triebe und Triebschicksale« auf die relative Unbestimmtheit sexueller Triebimpulse hingewiesen. Er schreibt vor fast genau hundert Jahren: »Das Objekt des Triebes ist dasjenige, an welchem oder durch welches der Trieb sein Ziel erreichen kann. Es ist das variabelste am Triebe, nicht ursprünglich mit ihm verknüpft, sondern ihm nur infolge seiner Eignung zur Ermöglichung der Befriedigung zugeordnet. Es ist nicht notwendig ein fremder Gegenstand, sondern ebensowohl ein Teil des eigenen Körpers. Es kann im Laufe der Lebensschicksale des Triebes beliebig oft gewechselt werden; dieser Verschiebung des Triebes fallen die bedeutsamsten Rollen zu« (Freud, 1915, S. 215). Freud beschreibt hier den lockeren, den irritierbaren Zusammenhang von Trieb und Objekt. Die moderne Bindungstheorie weist uns darauf hin, dass frühe Erfahrungen von emotionaler Zuwendung oder Zurückweisung des Kindes durch die primären Bindungspersonen entscheidend auch für dessen Fähigkeit sind, Sexualität später als Erwachsener innerhalb einer Liebesbeziehung zu integrieren oder eben abzuspalten. Ein unsicher-vermeidender Bindungsstil wirkt sich auf die gelebte partnerschaftliche Sexualität anders aus als ein sicheres Bindungsmuster, das die emotionale und sexuelle Verbindung über alle Affektqualitäten hinweg erlaubt. Zu diesem, Psychoanalytikern wohlbekannten klinisch-psychotherapeutischen Erfahrungswissen existieren heute auch empirische Untersuchungen. So konnte in einer explorativen Fallkontrollstudie an einer klinischen Stichprobe von Männern, die an funktionellen Erektionsstörungen litten, gezeigt werden, dass Männer mit disruptiven kindlichen Bindungserfahrungen früher und stärker beeinträchtigt unter Erektionsstörungen litten und häufiger Singles waren (Rajkumar, 2015). Stefanou und McCabe (2012) beschrieben in einer Übersicht Zusammenhänge zwischen einem ängstlich-vermeidenden Bindungsmuster und weniger befriedigend erlebten sexuellen Beziehungen, stärkerer Beeinträchtigung durch sexuelle Funktionsstörungen sowie weitere Auffälligkeiten. Die komplexen Zusammenhänge zwischen kindheitlichen Bindungserfahrungen, Rollenstereotypen, späteren gesundheitlichen Belastungen und männlicher Sexualität beleuchteten im Rahmen des Männerkongresses 2016 (www.maennerkongress2016.de) ausgewiesene Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven. Ihre aktuellen Beiträge sind hier wiedergegeben. Der Zusammenhang von Bindung und Sexualität markiert eine offensichtliche Leerstelle im Geschlechterdiskurs. Der Historiker und Männerforscher Martin Dinges zeigt einleitend in seinem Beitrag auf, dass in der Sexualgeschichte Verweiszusammenhänge zwischen männlicher Sexualität und Bindung kaum aufzufinden sind. Die historischen Großtrends des Männerbildes seit dem Zweiten Weltkrieg sind vielmehr durch Normierung, Befreiung, später Normalisierung, Flexibilisierung und Entgrenzung umrissen, ohne dass das Bindungskonstrukt in wahrnehmbarer Weise repräsentiert war. Dementsprechend wird in dem Beitrag eine Spurensuche versucht, bei der insbesondere die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg beachtet wird. Toni Tholen geht es aus literaturwissenschaftlicher Sicht um die Bedeutung von Bindung für die Modellierung von Männlichkeiten. Ausgehend von Connells männlichkeitstheoretischen Überlegungen zur emotionalen Bindungsstruktur (Kathexis) zeigt Tholen, inwiefern Bindung als dynamische Kategorie bei der Konfiguration von literarischen Männlichkeiten von Bedeutung ist. Skizziert werden Schritte auf dem Weg zu einer noch ausstehenden literarischen Emotionsgeschichte der Männlichkeit, welche Schreibprozesse von exemplarischen männlichen Autoren (bspw. Knausgård) in nichtfiktionalen (z. B. autobiografischen) Texten miteinbezieht. Hans-Joachim Lenz und Martin Schott widmen sich dem Thema der sexualisierten Gewalt, die Männer als Opfer erfahren und als Täter ausüben. Hans-Joachim Lenz befasst sich mit der männlichen Verletzbarkeit, die gesellschaftlich bis heute durch Geschlechterklischees verdeckt wird, am Beispiel der sexualisierten Gewalt gegen männliche Flüchtlinge und Migranten und ihrer kulturellen Verdeckung im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs. Obwohl seit Anfang der 1970er Jahre in der polizeilichen Kriminalstatistik jedes Jahr dokumentiert wird, dass die Opfer von Gewalttaten mehrheitlich Männer sind, ist (sexualisierte) Gewalt an Männern (immer noch) kein Thema der Sozial- und Gesundheitspolitik. Diese Problematik radikalisiert sich im aktuellen Umgang mit Flucht und Migration. Lenz zeigt, wie relevant sexualisierte Viktimisierung für Jungen und Männer im Kontext von Flucht und Migration ist, und kritisiert die strukturelle und personale Ignoranz herkömmlicher Geschlechter- und Migrationspolitik gegenüber der hohen Gewaltbetroffenheit von Männern und Jungen. Seine zentrale These ist, dass die Verletzbarkeit bei männlichen Flüchtlingen und Migranten doppelt verdeckt wird, da die Viktimisierung verleugnet und männliche Täterschaft einseitig in den Vordergrund gestellt wird. Martin Schott geht auf den Zusammenhang zwischen frühesten Bindungserfahrungen, innerer Objektwelt und äußeren Beziehungen bei Sexualstraftätern ein. Viele Sexualstraftäter weisen als Ergebnis einer schwerwiegend beeinträchtigten kindlichen Entwicklung eine Persönlichkeitsstörung auf. Gestört ist dabei die fundamentale Bindung zum frühesten Liebesobjekt, zur Mutter, das mit nicht integrierbaren erotisierten und aggressiven Aspekten verinnerlicht wurde. Das ständig von innen durch Fragmentierung bedrohte unsichere Selbst muss durch Pseudoautonomie und emotionale Distanz geschützt werden. Im Delikt und der dazugehörigen Fantasie wird das traumatisierte Erleben des Kleinkindes durch Umwandlung ohnmächtigen Ausgeliefert- und Verlassenseins in narzisstischen Triumph und das Ausagieren von Wut kompensiert. Der Autor eröffnet vor diesem...


Franz, Matthias
Prof. Dr. med. Matthias Franz, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lehranalytiker, ist Universitätsprofessor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Düsseldorf und dort stellvertretender Direktor des Klinischen Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Karger, André
André Karger, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Psychoanalytiker, ist Oberarzt am Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Prof. Dr. med. Matthias Franz ist Universitätsprofessor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Düsseldorf, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Lehranalytiker und Supervisor (DPG, DGPT, D3G, IPD, POP). Er ist Vorsitzender der Akademie für Psychoanalyse und Psychosomatik Düsseldorf und der Psychotherapietage NRW. Seien Arbeitsschwerpunkte umfassen die Epidemiologie und Prävention psychosomatischer Erkrankungen, Folgen familiärer Trennung. Der Programmleiter für »wir2« der Walter Blüchert Stiftung forscht zu Affektforschung, Alexithymie, männlicher Identitätsentwicklung und entwicklungspsychologischer Bedeutung des Vaters.


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