Freitag / Vatter | Die Demokratien der deutschen Bundesländer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 355 Seiten

Freitag / Vatter Die Demokratien der deutschen Bundesländer

Politische Institutionen im Vergleich

E-Book, Deutsch, 355 Seiten

ISBN: 978-3-8463-3095-1
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der bedeutende Ansatz von Arend Lijphart - Stichwort "Patterns of Democracy" - zur Analyse von Demokratien wird hier auf die deutschen Bundesländer angewandt. So entsteht eine systematische Bestandsaufnahme zentraler politischinstitutioneller Konfigurationen seit 1949. Außerdem lassen sich unterschiedliche Muster von Demokratien in den Bundesländern erkennen. Eine grundlegende Einführung in die Demokratien der Länder und zugleich ein Muss für alle Lijphart-Kenner.
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|?33| 2. Wahlsysteme Christina Eder und Raphael Magin 2.1 Einleitung Die Verwirklichung der Volksherrschaft in modernen Massengesellschaften erfordert eine Trennung zwischen der nominellen Zuweisung politischer Macht an das Volk und ihrer tatsächlichen Ausübung durch seine Repräsentanten (Sartori 1992: 39). Die Bestimmung dieser Repräsentanten erfolgt durch regelmäßig stattfindende Wahlen, die damit zu einem wesentlichen Kennzeichen der Demokratie werden. Folglich ist auch anzunehmen, dass das Wahlsystem, also die Regeln, nach denen die Wählerstimmen in Parlamentssitze umgewandelt werden, den Charakter eines politischen Systems entscheidend mitprägt (vgl. Lijphart 1994: 1; Taagepera/Shugart 1989: 3). Aufgrund dieser großen Bedeutung der Wahlen für die Demokratie beschäftigt sich dieses Kapitel mit den Wahlsystemen der deutschen Bundesländer. Zum einen soll deren Entwicklung seit der Gründung der Bundesrepublik beleuchtet werden. Zum anderen wird der Versuch unternommen, diese auf dem Kontinuum zwischen Mehrheits- und Konsensusdemokratie nach Arend Lijphart zu verorten. Mehrheitswahlsysteme werden bei der Klassifikation politischer Systeme im Allgemeinen der Mehrheitsdemokratie zugeordnet, wohingegen Verhältniswahlsysteme der Konsensusdemokratie zugerechnet werden (vgl. Lijphart 1999: 143). Um die Wirkungen der Wahlsysteme der Bundesländer auf deren politisches System erfassen zu können, wird, Lijphart (1999) folgend, zunächst der Gallagher-Index herangezogen, der den Disproportionalitätsgrad eines Wahlsystems anhand der Wahlergebnisse der einzelnen Parteien misst. Zum Vergleich wird ein additiver Index gebildet, der den Grad der Machtkonzentration bzw. Machtteilung anhand institutioneller Merkmale des Wahlsystems erfasst. Zu seiner Bildung werden rechtliche Vorschriften aus Landesverfassungen, Wahlgesetzen und Wahlordnungen herangezogen und durch Angaben aus der Literatur ergänzt.7 Dabei kann kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Disproportionalität nach Gallagher und der Beschaffenheit der jeweiligen Parteienlandschaft festgestellt werden. Der hier vorgeschlagene |33? ?34| institutionelle Index hingegen kann einen Teil der Varianz der Parteiensysteme in den Bundesländern erklären. Der nächste Abschnitt vollzieht die historische Entwicklung der Wahlsysteme in den deutschen Bundesländern seit 1946 nach und geht auf die konzeptionellen Grundlagen ein. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Definition und Identifikation der verschiedenen Wahlsysteme sowie auf den Werken Lijpharts. Anschließend folgen die Berechnungen der beiden oben angesprochenen Indizes. Abschnitt 5 fasst die Ergebnisse in einer Schlussbetrachtung kritisch zusammen. 2.2 Die Wahlsysteme der deutschen Bundesländer im Überblick Dieser Abschnitt widmet sich den Entwicklungen und Charakteristika der Wahlsysteme in den deutschen Bundesländern. Zunächst soll jedoch auf die konzeptionellen Grundlagen der Forschung eingegangen werden. 2.2.1 Konzeptionelle Grundlagen Das Wahlsystem umfasst die „Institutionen und Verfahren der Umsetzung von Wählerpräferenzen in Stimmen und von Wählerstimmen in Mandate“ (Schmidt 1995: 1057f.). Die Literatur auf dem Gebiet der Wahlsystemforschung ist, besonders im internationalen Bereich, sehr vielfältig. Zum einen gibt es Arbeiten, die sich mit der Entwicklung der Wahlsysteme auf nationaler Ebene beschäftigen (siehe McLaren Carstairs 1980; Nohlen 1978; Norris 2004), zum anderen vergleichende empirische Analysen (vgl. Golder 2005; Lijphart 1994; Nohlen 2004; Taagepera/Shugart 1989). Hinzu kommen Studien zu einzelnen Aspekten von Wahlsystemen, wie dem Proportionalitätsgrad (Cox/Shugart 1991; Gallagher 1991; Rae 1967) oder der Mobilisierung und der Wahlbeteiligung (Blais 2006; Cox 1999). Des Weiteren finden sich Überlegungen zu den Wirkungen von Wahlsystemen, beispielsweise auf das Parteiensystem (Duverger 1962, 1986; Sartori 1986), die politische Bildung (Karp 2005; Trefs 2003) oder das Konfliktlösungspotenzial in heterogenen Gesellschaften (Wolff 2005). Auch gab es immer wieder Versuche, die verschiedenen Systeme zu klassifizieren. Eine solche allgemeine Klassifizierung dient als Ausgangspunkt für die Untersuchung des konsensus- bzw. mehrheitsdemokratischen Charakters von Wahlsystemen (Lijphart 1999: 143ff.). Betrachtet man die einzelnen Wahlsysteme, so ergeben sich eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Umwandlung von Wählerpräferenzen in Stimmen und anschließend in Sitze vorzunehmen. Die Einteilungen bewegen sich dabei im Allgemeinen im Rahmen der vom theoretischen Standpunkt her grundlegendsten Differenzierung in |34? ?35| Mehrheitswahl und Verhältniswahl (Nurmi 1987: 178). Im ersten System ist die Majorität der Wähler entscheidend, da in der Regel der Kandidat mit den meisten Stimmen innerhalb eines Wahlkreises als alleiniger Sieger hervorgeht, die übrigen Stimmen gehen verloren. Das System der Verhältniswahl strebt indessen eine möglichst proportionale Abbildung der Interessenverteilung in der Bevölkerung und damit auch der Minderheitenmeinungen an, weswegen die Parteien einen Anteil an den Sitzen im Parlament erhalten, der idealtypisch in unmittelbarer Relation zu ihrem Wahlergebnis steht. Auch bei Arend Lijphart (1984, 1994, 1999) findet sich eine dichotome Unterteilung in Mehrheitswahlsysteme (majority and plurality formulas) und Verhältniswahlsysteme (proportional representation). Eine dritte Kategorie, die semiproportionalen Systeme, wird aufgrund ihrer geringen Bedeutung nur am Rande behandelt. Der Zuweisung der einzelnen Wahlsysteme zu den beiden Haupttypen liegen sieben Kriterien zu Grunde: die Wahlformel, die Wahlkreiseinteilung, die Sperrklausel, die Parlamentsgröße, der Einfluss präsidialer Wahlen auf die Parlamentswahlen, unterschiedliche Repräsentation und Listenform (Lijphart 1999: 144f.). Die beiden Haupttypen lassen sich nach Lijphart in je drei Unterkategorien teilen. Zu den Mehrheitswahlsystemen zählen erstens die „first-past-the-post“- oder relative Mehrheitswahlen wie in Großbritannien. Dabei hat jeder Wähler eine Stimme und der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt den Wahlkreis. Zweitens sind absolute Mehrheitswahlen wie die Präsidentenwahlen in Frankreich zu nennen, die im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit für einen der Kandidaten verlangen, im zweiten jedoch nur noch eine einfache Mehrheit. Die dritte und letzte Kategorie der Mehrheitswahlsysteme stellt das System der „alternative vote“ nach australischem Vorbild dar. Lijphart (1999: 147) beschreibt dieses Verfahren folgendermaßen: Die Wähler ordnen die Kandidaten anhand ihrer Präferenzen, der Kandidat, der die absolute Mehrheit an ersten Präferenzen erhält, gewinnt. Ist dies nicht der Fall, so wird derjenige Kandidat mit den wenigsten ersten Präferenzen ausgeschlossen und die weiteren auf diesen Wahlzetteln geäußerten Präferenzen auf die übrigen Kandidaten verteilt. Diese Prozedur wird so lange wiederholt, bis ein Gewinner feststeht. Vor allem den ersten beiden Systemen ist dabei gemein, dass sie größere Parteien bevorzugen, da alle Stimmen, die nicht auf den späteren Sieger entfallen, unberücksichtigt bleiben. Diese verlorenen Stimmen führen zu disproportionalen Wahlergebnissen durch Unterrepräsentation von Teilen der Bevölkerung und erschweren kleinen Parteien den Einzug ins Parlament.8 Der Zweck eines solchen Wahlsystems ist aber die Konzentration der zahllosen unterschiedlichen Meinungen, um eine stabile Regierung zu schaffen, die die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert (Powell/Vanberg 2000). Koaliti-onsregierungen|35? ?36| treten, da es sich zumeist um Zwei-Parteien-Systeme handelt, nicht auf. Verhältniswahlsysteme haben dagegen gerade die proportionale Repräsentation der Wähler zum Ziel, weswegen sie per definitionem Mehrpersonenwahlkreise von mindestens zwei Mandaten benötigen (Lijphart 1994: 24). Dazu zählt erstens die reine Verhältniswahl der nordischen Staaten, Österreichs und der Schweiz, bei der die Wähler ihre Stimme einer Parteiliste geben und die Parlamentssitze dann über diese Listen proportional zum Wahlergebnis vergeben werden. Zweitens ist hier die personalisierte Verhältniswahl zu nennen, bei der ein Teil der Abgeordneten über relative Mehrheitswahl und der andere über Parteilisten gewählt wird, wie beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland. Drittens zählt zum Typus der Verhältniswahlsysteme die „single transferable vote“ in Irland oder Malta, bei der die Wähler für Kandidaten, nicht für Parteilisten stimmen. Wie bei der alternative vote ordnen sie die Kandidaten nach Präferenzen. Auch hier wird der schwächste Kandidat ausgeschlossen und die übrigen Stimmen weiterverteilt. Zudem wird umverteilt, wenn ein Kandidat mehr erste Präferenzen als notwendig erhält, um gewählt zu werden, denn dann werden diese den Kandidaten mit den zweitmeisten Stimmen auf den betreffenden Stimmzetteln zugeordnet (vgl. Lijphart 1999: 148). Nohlen (2004) bemängelt an Lijpharts Vorgehensweise grundsätzlich die Einteilung der Wahlsysteme in nur zwei Haupttypen. Dadurch entstünden zwei große Cluster, die sehr verschiedene Wahlsysteme in sich vereinen müssten. Diese Kritik erweist sich als eingeschränkt berechtigt. Richtig ist, dass Lijphart grundsätzlich eine dichotome Wahlsystemtypologie vorlegt, wenngleich diese auch Untertypen vorsieht...


Freitag, Markus
Markus Freitag ist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern tätig.

Vatter, Adrian
Prof. Dr. Adrian Vatter ist Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Inhaber der Professur für Schweizer Politik.

Markus Freitag ist am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern tätig.


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