Fühmann Prometheus. Die Titanenschlacht
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-356-01747-2
Verlag: Hinstorff
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-356-01747-2
Verlag: Hinstorff
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sie zählen zu den großen Geschichten der Weltliteratur: die Sage von Prometheus - dem Titanensohn, der die Menschen erschuf -, die vom legendären Kampf um Troja und die über die Jahre dauernden Irrfahrten des Odysseus. Auch Franz Fühmanns Nacherzählungen der antiken Stoffe sind längst Klassiker: bestens lesbar, phantasievoll, spannend. Texte von herausragender Qualität, die nun in Neuausgaben erscheinen, kongenial illustriert von der Trägerin des Deutschen Jugendliteraturpreises, Susanne Janssen. Fulminant!
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Die Hundertarmigen
»So komm!«, wiederholte die Erschienene. »Du bist Gaia, unser aller Mutter?«, fragte Prometheus benommen. Die junge Frau nickte stumm und schritt in den Wald hinein. Sie ging so schnell, dass Prometheus Mühe hatte, nicht zurückzubleiben. Sie wanderten lange. Schließlich stießen sie auf eine öde Lichtung, deren Mitte gespalten war. Aus der klaffenden Öffnung stieg gelber Rauch. Mutter Erde wandte sich um und blickte ihren Enkel prüfend an. »Hier müssen wir hinunter«, sagte sie. Der Rauch quoll wolkig aus der Dunkelheit. Prometheus fühlte zum ersten Mal jenes Flackern des Herzens, das Angst heißt, allein er nickte tapfer. »So komm!«, sprach Mutter Erde zum dritten Mal und verschwand im Rauch. Prometheus folgte ihr zögernd. Er hatte gefürchtet, der Rauch werde ihm den Atem nehmen, doch als er die ersten Schritte getan hatte, weitete sich der Spalt zu einem Stollen, der schräg in die Tiefe führte, und der Rauch verlor sich. Prometheus sah wieder Mutter Erde vor sich den Stollen hinabgehen, doch nun schien sie selbst ein Gebilde aus Dunst zu sein. Sie wehte vor ihm wie ein Nebel; das Licht wurde glasig und glitt ins Dämmern, und da hörte Prometheus ein seltsames Geräusch. Es war ein dumpfes Ächzen, als stöhne im Innern des Erdballs ein Berg oder seufze ein Wald, und mit jedem Schritt in den sich immer mehr verengenden Stollen hinein gesellten sich neue Schreckenslaute hinzu. Ein Röcheln kam auf, und nun ein Gurgeln, und nun auch Brüllen und Wimmern und schließlich Keuchen und Kreischen und Röhren und Blöken und Bläffen und Kläffen und Heulen, aber alles dies wie aus Kehlen von Eis oder Horn; ein rasselndes Fauchen erscholl, als ob riesige Blasbälge sich dehnten und zusammenzogen, und schließlich schwoll der Chor so ungeheuer zusammen, dass er das Ohr des jungen Titanen wie mit Fäusten schlug. Auch wurde der Stollen immer niedriger und enger und die Dämmerung immer dichter; Mutter Erde war kaum noch zu sehen, und als Prometheus ihr in seiner Angst zurief, sie möge doch warten, nahm er entsetzt wahr, dass seine Lippen sich zwar bewegten, seine Stimme jedoch nicht einmal von ihm mehr zu hören war. Das Geheul war nun so heftig, dass der Boden des Stollens zu beben begann. »Mutter Erde!«, schrie Prometheus, aber Mutter Erde entschwand in die Dunkelheit. Prometheus war allein. Seine Angst wurde Grauen. »Mutter Erde«, schrie er verzweifelt und hörte sein Wort nicht, »hilf mir, Mutter Erde, ich fürchte mich!« Aus dem schauerlichen Lärm kam keine Antwort. Da wollte Prometheus fliehen, doch als er sich umblickte, sah er in eine solche Finsternis, dass er zurückprallte. Er wandte sich wieder gradaus und sah ins Dämmern. Wie kommt das nur?, dachte er. Wenn ich dahin zurückschaue, wo doch das Tageslicht sein muss, sehe ich tiefste Finsternis. Wenn ich hingegen ins Erddunkel blicke, sehe ich wenigstens einen Dämmerschein. Das ist doch gegen alle Gesetze! Da fiel ihm ein, dass der Dämmerschein aus dem Kerker der Hundertarmigen kommen könnte. Ich werde hier auf Mutter Erde warten, dachte er und lehnte sich gegen die zitternde Stollenwand. Das Nachdenken hatte ihm Mut gemacht. Nun bin ich so nahe an den Hundertarmigen, sagte er sich, und da sollte ich umkehren? Nein, ich will Onkel Kronos’ Geheimnis schauen! Er stieß sich von der Wand ab und ging weiter. Der Stollen wurde rasch so niedrig, dass Prometheus sich bücken, dann kriechen und schließlich sich auf dem Bauch dahinschlängeln musste. Er fürchtete schon steckenzubleiben, allein da es ihm vorkam, die Düsternis sei lichter geworden, bezwang er abermals seine Angst. Wenn Mutter Gaia hier heil durchgekommen ist, werde auch ich heil durchkommen, dachte er und rutschte weiter voran. Der Stollen wurde noch enger, die Dunkelheit jedoch erhellte sich tatsächlich, und zwar dermaßen, dass Prometheus so etwas wie einen Schleier zu sehen glaubte. Was ist das?, dachte er, da stieß er auch schon mit dem Kopf gegen ein Hindernis, das flirrend war wie erhitzte Luft, leuchtend wie der Mond hinter Wolken und zugleich härter als Stein, denn so arg hatte noch kein Zusammenprall weh getan. In diesem Augenblick war auch das Lärmen jählings abgebrochen, der Stollen jedoch schwankte und zitterte wie zuvor. Die plötzliche Stille war grauenhafter als alles Geheule. »Mutter Erde!«, schrie Prometheus, und diesmal hörte er seine Worte. Sie klangen so kläglich und angstvoll, dass er zu weinen begann. Da aber vernahm er Gaias Stimme. »Sei ruhig, mein Kind, und fürchte dich nicht«, sprach Gaia begütigend, »ich bin ja bei dir.« »Wo bist du denn?«, flüsterte Prometheus, der sich im engen Stollen nicht umdrehen konnte. »Bei dir, liebes Kind«, sprach ihm Gaia ins Ohr. »Spürst du nicht, wie ich dich in meinen Armen halte?« Da war es Prometheus, als ob die Wände des Stollens ihn sachte wiegten. Er schluckte die Tränen hinunter und fasste Mut. »Wo sind die Hundertarmigen?«, flüsterte er. »Wir sind ihnen ganz nahe«, erwiderte Mutter Erde, »so nahe, dass wir sie schon nicht mehr hören, so wie du den Wirbelsturm nicht wahrnimmst, wenn du in seiner Mitte stehst. Woran du gestoßen bist, war die Wand ihres Kerkers. Näher können wir nicht mehr heran.« »Und ich soll sie nicht sehen?«, stammelte Prometheus fassungslos. Die Enttäuschung, nun wieder umkehren zu müssen, schien ihm schrecklicher als jede Begegnung. »Wie könntest du das?«, erwiderte Gaia. »Sie hausen in einem Kerker aus Diamant, denn jeden anderen Stoff würden sie durchbrechen. Dieser Stein ist so hell, dass er die Finsternis hier unten fahl macht, allein er ist auch so hart, dass deine Blicke davon abprallen wie die Blicke der Hundertarmigen auch.« Prometheus tastete mit der Hand die Wand ab. Sie war glatt und kalt und fugenlos, und sosehr er auch die Augen spannte, seine Blicke konnten sie nicht durchdringen. Da begann er zu bitten. »Wenn du nicht einen Rat wüsstest, Großmütterchen«, so bettelte er, »hättest du mich gewiss nicht hierhergeführt! Du hast mir Augen gegeben, die Blumen und Vögel zu erblicken, du kannst mir auch Augen geben, die das Unsichtbare sehen.« Da seufzte Mutter Erde und sprach: »Verlange das nicht, mein liebes Kind! Ich kann deine Augen wohl schärfen, doch dann wird dein Blick jede Schranke durchschneiden, selbst die der Zeit. Du wirst in die Zukunft schauen, und du wirst dort sehen, was der Welt und dir bevorsteht, und danach verlange nicht! Denn ich kann dir diese Kraft niemals mehr nehmen. Du müsstest diese Augen dann tragen durch alle Ewigkeit.« Prometheus hämmerte mit der Faust an den Diamanten. »Ich will sehen, Mutter Erde«, rief er wild, »ich will alles sehen! Gib mir deine Kraft, und ich werde vor nichts erschrecken! Ich gehe nicht eher von hier, als bis du mich sehend gemacht hast!« Da schwieg Gaia. Der Stollen zitterte. Gaia schwieg. Die Stille war so drückend, dass Prometheus nicht weiterzureden wagte. Schließlich, als die Antwort immer noch ausblieb, schob er sich wortlos, so weit er nur konnte, zurück und schnellte dann den Kopf gegen die Wand vor und tat dies, obwohl ihn die Erschütterung fast betäubte, ein zweites und dann noch ein drittes Mal. Er wollte gerade den Kerker ein viertes Mal rammen, da schlossen sich die Stollenwände so fest um ihn, dass er sich nicht mehr rühren konnte. »Du wirst dir den Schädel spalten«, warnte Mutter Erde. »Das ist mir gleich«, entgegnete Prometheus, »ich lasse nicht ab!« Mit rasendem Trotz begann er die Schultern und Arme zu rühren, um freizukommen. Da war ihm wieder, als streiche der Hauch einer Hand über seine Lider, und in diesem Augenblick schoss eine so strahlende Helle in seine Augen, dass er glaubte, zwei Blitze brennten sie aus. Einen Herzschlag lang lag er blind und von Schmerz durchstochen, dann aber sah er vor sich ein Gewölbe mit Wänden aus glitzerndem Licht, und an diese Wände waren drei Ungeheuer von so grauenvollem Aussehn gekettet, dass Prometheus die Augen sofort wieder schloss. Er hatte die Hundertarmigen erblickt. Es waren drei Riesen, größer als die Titanen, und jeder von ihnen hatte hundert Arme und hundert Beine und fünfzig Rümpfe und fünfzig Köpfe, und jedes der dreihundert Beine war vom andern verschieden, und jeder Arm vom andern, und jeder Rumpf vom andern, und erst recht jeder Kopf! Der eine Kopf war ein einziges lippenloses Maul mit riesigen schwarzen Zähnen, die unentwegt aufeinander krachten und die Luft zerbissen; der zweite war eine schlabbernde gelbe Zunge, die über den Boden glitt und nach...