Gabriel | Der Mensch als Tier | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Gabriel Der Mensch als Tier

Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8437-2789-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Warum wir trotzdem nicht in die Natur passen

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2789-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bestsellerautor Markus Gabriel über drängende Fragen unserer Zeit: Ist der Mensch 'nur' ein Tier? Wie viel Tier steckt im Menschen? Wo stehen wir in der Natur? Um unsere drohende Selbstausrottung zu verhindern, müssen wir Menschen lernen, damit zu leben, dass wir Tiere sind und niemals imstande sein werden, unsere körperliche und seelische Verwundbarkeit zu überwinden. Seit unvordenklichen Zeiten beschäftigt uns die Frage, wer oder was wir Menschen sind. Sind wir nichts anderes als vernunftbegabte Tiere? Oder sind wir die Krone der Schöpfung, selbst wenn wir nicht an eine Schöpfung glauben? Sind wir deshalb 'bessere Tiere'? Oder 'schlechtere Tiere', weil wir den Zugang zur Natur in uns und um uns verloren haben? Markus Gabriel setzt sich mit diesen Fragen offen, klug und vorurteilsfrei auseinander. Auf beeindruckende Weise verbindet er neueste naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit zeitgemäßer Philosophie. Er fordert die Anerkennung der radikalen Andersheit von Natur und Tier. Dieser Andersheit müssen wir mit einer Ethik des Nichtwissens begegnen. Ausgehend von den Fragen: Was ist ein Tier? Und was ist Leben? führt er uns weiter zur Frage aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens?

Markus Gabriel, geboren 1980, studierte in Bonn, Heidelberg, Lissabon und New York. Seit 2009 hat er den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie. Er ist Direktor des interdisziplinären Center for Science and Thought und regelmäßiger Gastprofessor an der Sorbonne (Paris 1) sowie der New School for Social Research in New York City.
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Einleitung 


Der Mensch befindet sich in einem komplexen Krisenszenario. Unser Habitat, die Umwelt, droht vor aller Augen unter dem Druck unserer modernen Lebensform zu kollabieren. Dank Naturwissenschaft und Technik haben wir einerseits unsere Überlebensbedingungen rasch verbessert und sie andererseits noch rascher verschlechtert – ein Dilemma, das sich mit jeder modernen Krise weiter verschärft.

Inzwischen hat uns das Zivilisationsmodell der Moderne, das darin besteht, die Ressourcenprobleme des Überlebens unserer Spezies durch Naturwissenschaft und Technik unter Kontrolle zu bringen, an den Rand der Selbstausrottung gebracht. Unsere Instrumente der Natur- und Gesellschaftsbeherrschung (Atomkraft, Automobile, Flugzeuge, Smartphones, Künstliche Intelligenz, Waffensysteme, das Internet usw.) wenden sich gegen uns. Es ist geradezu paradox, dass unser technologisches Wissen, dank dem wir über das Internet, KI und soziale Netzwerke verfügen, zugleich die Grundlage dafür ist, dass sich Fake News, Propaganda und Verschwörungsideologien wie ein Lauffeuer verbreiten. Und durch Automobile, Flugzeuge und unsere fossile Lebensform sind wir einerseits besser denn je miteinander vernetzt und können mit räumlich weit entfernten Kulturen und Menschen interagieren, während wir dadurch andererseits unsere geteilte Umwelt zerstören.

Es ist illusorisch, die komplexe Krisenlage der Spätmoderne, in der wir uns befinden, durch mehr vom Gleichen bewältigen zu wollen.1 Stattdessen bedürfen wir einer Neuorientierung unseres Menschen- und Naturbildes. Darum geht es in diesem Buch.

Sein Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass wir Menschen Tiere sind. Die französische Philosophin Corine Pelluchon spitzt dies in einer Reihe von Büchern mit der konkreten Forderung nach einer Neuen Aufklärung zu, in deren Zentrum der Mensch als Tier steht.2

Diese Neue Aufklärung, der inzwischen viele globale Vordenker:innen3 auf allen Kontinenten verpflichtet sind, setzt nicht bei Natur, sondern bei Natur an. Es gilt, uns selbst als geistiges Lebewesen, d. h. den ganzen Menschen (der als geistiges Lebewesen ein Mischwesen aus Natur und Geist ist) wieder ins Zentrum zu rücken, von dem wir uns zu Unrecht zugunsten einer mechanistischen Vorstellung der Welt als letztlich kontrollier- und vorhersagbarem Gefüge entfernt haben.

Dies wiederum wirft eine alte Frage auf, der wir uns erneut stellen müssen: Was bedeutet es eigentlich, den Menschen als Tier zu betrachten?

Diese Frage ist deswegen so wichtig, weil unser Selbstbild als Tier einen wesentlichen Beitrag zu den soziopolitischen Steuerungsmechanismen der Gegenwart und Zukunft liefern kann. Das lässt sich im Umgang mit Pandemien und anderen Naturkatastrophen leicht erkennen: Krankheit und (menschengemachter) Klimawandel werden als prinzipiell vermeidbare Übel wahrgenommen, die sich technisch möglichst zeitnah beheben lassen sollen. Das ist weder im Fall von SARS-CoV-2 noch gar beim Klimawandel gelungen. Beide werden bisher fast ausschließlich und nicht behandelt.

Unsere prognostischen Modelle und Lösungsansätze scheitern an der Herausforderung, der wir als Tiere ausgesetzt sind, die ihre ökologische Nische niemals vollständig durchschauen, geschweige denn technisch kontrollieren können. Wir müssen uns daher von der Illusion befreien, unsere Richtlinien für die Krisen- und Katastrophenzeit, in der wir uns befinden, durch eine Kombination aus Naturwissenschaft, Technik und Politik allein zu erhalten.

Wir erfahren durch wissenschaftlichen Fortschritt (das gilt für alle, auch die geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen) stets auch mehr darüber, was wir nicht wissen. Die täglich stattfindende Verschiebung der Grenzen des Wissens besteht nicht darin, dass wir uns dem Allwissen nähern. Es gibt kein Allwissen. Und es gibt auch keine sinnvolle Möglichkeit, die Überlebensbedingungen des Menschen in komplexen Systemen technokratisch zu verwalten. Das Leben lässt sich nicht einhegen, es lässt sich auch nicht vorhersagen, wie die Viruspandemie mit ihren vielfältigen Varianten eindrücklich belegt. Wir kennen immer nur Ausschnitte unserer eigenen Lebensform, das Tier Mensch lässt sich nicht durch Technik überwinden, der Homo Deus, den der berühmte Historiker Yuval Noah Harari in seinem gleichnamigen Buch als Mensch der Zukunft entwirft, wird nicht kommen.

Genau das war eigentlich von Sokrates bis Carl von Linné bekannt, denen wir unseren Artnamen als verdanken: Weil wir uns nicht vollständig durchschauen können, sind die Selbstmodelle, auf die wir angewiesen sind, fehleranfällig. Linné definiert den Menschen über die Fähigkeit, sich ein Bild von sich selbst zu machen. Der Eintrag , den Linné in seinem den Primaten zuordnet, womit er den Menschen eindeutig im Tierreich verortet, ergänzt er durch das Merkmal der Weisheitsfähigkeit, der , die unser , unsere vorzüglichste Eigenschaft sei. Der Mensch wird auf diese Weise über die Aufforderung definiert, sich selbst zu erkennen. Neben dem Eintrag in seinem System steht daher lapidar: , also erkenne dich selbst, womit Linné auf Sokrates anspielt. Die Devise und der Auftrag der Philosophie ist und bleibt Sokrates zufolge das »Erkenne dich selbst ()« – ein Ausspruch des delphischen Orakels, den Sokrates mit Weisheit () in Verbindung gebracht hat. Linné übersetzt das lediglich ins Lateinische. Weil sie der Liebe zur Weisheit verpflichtet sind, was eine mögliche Übersetzung des griechischen Worts ist, sind Philosophinnen und Philosophen überall dort gefragt, wo es darum geht, wer wir, die Menschen, sind.

In der Philosophie geht es um Selbsterkenntnis. Dazu gehört die Einsicht in unsere Freiheit. Als geistige Lebewesen sind wir frei, woraus der Wert der Autonomie, des eigenverantwortlichen Handelns, folgt, der derzeit auch im Herzen Europas unter Druck gerät. Um Werte wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität in ein angemessenes Verhältnis zu setzen und damit das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Demokratie zurückzugewinnen, muss der Mensch als freies, geistiges Lebewesen wieder ins Zentrum der Gesellschaft rücken. Freiheit ist dabei immer auch Freiheit, weil wir prosoziale Lebewesen sind, die nichts tun können, ohne dies im Verbund mit anderen zu tun. Freiheit und Gesellschaft, Individuum und Kollektiv widersprechen sich nicht. Man ist nicht freier, wenn man allein ist, weil wir das meiste dessen, was uns als Menschen interessiert, gar nicht ohne andere tun können. Freiheit ist etwas, was wir gemeinsam realisieren, und nicht etwas, was uns gegeneinander in Stellung bringt.

Es gibt vieles, was Sie und ich gemeinsam haben. Mindestens teilen wir die Eigenschaft, ein Mensch zu sein. Damit haben wir vieles Weitere gemeinsam. Wir haben Wünsche, Hoffnungen und Ängste und sind als endliche, vergängliche Lebewesen verkörpert. Die moderne Physik lehrt, dass es Kräfte und Naturgesetze gibt, die alles Materielle bestimmen. Sofern wir materiell, als Tiere verkörpert sind, bilden wir hiervon keine Ausnahme. Die moderne Biologie und Humanmedizin haben uns darüber hinaus gezeigt, dass unsere Körper auf einer elementaren Ebene ›tierisch‹4 sind und viele Grundstrukturen mit anderen Lebewesen teilen.

Alle uns bekannten Lebewesen bestehen aus Zellen (oder sind, wie Einzeller, mit einer einzigen Zelle identisch), die wiederum aus Bausteinen bestehen, die biochemisch und physikalisch erforschbar sind. Damit befassen sich die heute sogenannten (Medizin, Biochemie, Molekularbiologie, Bioinformatik, Genetik, Pharmakologie, Zoologie, Ernährungswissenschaft, Neurowissenschaften usw.), deren Gegenstand Prozesse und Strukturen des Lebendigen sind.

Im Laufe der Moderne sind zur Physik und den Lebenswissenschaften Erkenntnisse über das Verhalten von Menschen und anderen Lebewesen hinzugekommen, die heute in wie der Psychologie, Kognitionswissenschaft, Verhaltensökonomik und Soziobiologie erforscht werden. Dabei stellt sich heraus, dass wir als Menschen auf verschiedenen Ebenen unserer Existenz (von der Zelle bis hin zu sozialen Verbünden wie der Familie, Freundesgruppe oder gar einer gesamten Gesellschaft) bis zu einem gewissen Grad entziffer- und somit auch steuerbar sind. Viele der unzähligen Entscheidungen, die wir jeden Tag bewusst und nicht-bewusst treffen (wann wir frühstücken; mit wem wir uns verabreden; wie lange wir uns die Hände waschen; auf welcher Straßenseite wir gehen; ob wir auf dem Bauch oder dem Rücken einschlafen usw.), lassen sich wissenschaftlich dadurch erklären, dass man in ihnen mehr oder weniger allgemeine Muster erkennt.

Der Mensch ist somit vom Standpunkt der dritten Person,5 wie man dies in der Philosophie bezeichnet, zugänglich, er ist ein Gegenstand natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung, ein Forschungsobjekt unter anderen. Auf diese Dimension des Menschseins spielt der Titel dieses Buchs an:

Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Denn...


Gabriel, Markus
Markus Gabriel, geboren 1980, studierte in Bonn, Heidelberg, Lissabon und New York. Seit 2009 hat er den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie. Er ist Direktor des interdisziplinären Center for Science and Thought und regelmäßiger Gastprofessor an der Sorbonne (Paris 1) sowie der New School for Social Research in New York City.



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