Garhammer / Echter | Lebendige Seelsorge 4/2020 | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 76 Seiten

Garhammer / Echter Lebendige Seelsorge 4/2020

Gottesnacht
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-429-06474-7
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Gottesnacht

E-Book, Deutsch, 76 Seiten

ISBN: 978-3-429-06474-7
Verlag: Echter
Format: EPUB
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Seelsorge lebt aus der Beziehung zu Gott. Sie eröffnet diese Beziehung, begleitet und inspiriert sie. Und sie ist zur Stelle, wenn es in der Beziehung kriselt. In der Gottesbeziehung liegt eine der wertvollsten Aufgaben und Ressourcen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Es gehört darum zur Qualitätssicherung von Pastoral, über diese Gottesbeziehung zu reflektieren - und das nicht nur individuell und persönlich. Wie zeigt sich Gott in der aktuellen Gegenwart? Und sind die kirchlichen Routinen, in die Beziehung mit ihm zu führen, auf der Höhe dieses 'Zeigens'? Das Themenheft 'Gottesnacht' unterstützt Sie in dieser Vergewisserung. Es bietet Ihnen eine anspruchsvolle These an: Ja, es ändert sich etwas. Gott ist immer stärker abwesend. Er will neu gesucht und neu gefunden werden. Geistliche Trockenheit ist keine Ausnahme mehr (vgl. Interview). Im Heft finden Sie empirische Belege und theologische Argumente. Eindrücklich ist die Präsentation von vier spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sie sind Seismografen für einen Paradigmenwechsel geistlichen Lebens. Denn alle vier bauen ihre Mystik zentral auf der Erfahrung auf, dass Gott sich zurückzieht: Dietrich Bonhoeffer, Madeleine Delbrêl, Chiara Lubich und Mutter Teresa. Möge die Lektüre für Sie zur Chance werden, sich in Ihrer Gottesbeziehung neu zu verorten. Wir wissen es aus vielen anderen Lebensbereichen: Wachstum braucht Nächte. Was also zeigt sich, wenn Er sich verbirgt? Was soll wachsen, was wird vergehen?

Erich Garhammer, Dr. theol., bis 2017 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, vorher von 1991 bis 2000 in Paderborn. Schriftleiter der Zeitschrift 'Lebendige Seelsorge' und Herausgeber der Reihe 'Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge'.
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Die Abwesenheit des Auferstandenen und der Körper des Verschwundenen

Spuren einer kenotischen Ostertheologie im Neuen Testament

Kennt das Neue Testament die Erfahrung der Abwesenheit Gottes, gar der Gottesnacht? Mit dem Schrei der Gottverlassenheit beendet Jesus nach dem ältesten Evangelisten sein Leben. Damit ist das Thema im Zentrum der christlichen Heilsbotschaft verankert. Bedeutet die Auferstehung des Gekreuzigten die Umkehr der sich entäußernden Bewegung Gottes, wie man es aus Phil 2,9-11 lesen könnte? Die Abwesenheit des Auferstandenen in den Osterzeugnissen weisen eine andere Spur: Das Neue Testament kennt eine kenotische Ostertheologie, eine Theologie des Sich-Entäußerns des Auferstandenen in die Welt. Margareta Gruber OSF

Die Auferstehung Jesu von den Toten ist wie ein Meteorit, der in die Geschichte gestürzt und einen Krater hinterlassen hat. Der Sog, den der Sturz ausgelöst hat, war so stark, dass viele am Anfang glaubten, alles werde im Nu hineingezogen und das Ende der Welt stünde unmittelbar bevor. Doch das geschah nicht. Was stattdessen geschah, war eine Erfahrung, die im Neuen Testament mit dem aramäischen Urwort „maranatha“ verbunden ist (1 Kor 16,2; Offb 22,20b sowie die urchristliche Schrift Didache 10,6). Dieser Ausdruck kann entweder als Gebetsruf um das Kommen des Herrn („unser Herr, komm!“) oder als Akklamation seines Gekommenseins („unser Herr ist gekommen!“) verstanden werden. Vielleicht lässt sich die Doppeldeutigkeit des aramäischen Gebetswortes deuten als Hinweis für die beiden Seiten der umstürzenden Erfahrung der „Auferstehung“ des Herrn: seine neue, unfassbare Präsenz in Abwesenheit, seine Gegenwart in der Weise des Sich-Entziehens.

AUFERSTEHUNG GESCHIEHT IM ENTSCHWINDEN

Es ist die Begegnung mit dem avantgardistischen Komponisten Mark Andre, dem ich eine neue Imagination der Osterereignisse verdanke (vgl. Gruber 2018). Der Auferstandene verschwindet vor den Augen der Maria Magdalena. So hat es Andre gesehen – bereits als Kind, wie er sagt – und so ist es für ihn. Erschreckt hat er mich angeschaut als ich ihm sagte, dass das im Johannesevangelium so nicht dasteht. „Habe ich mich geirrt?“ „Nein, du hast etwas gehört und entdeckt!“ Der Auferstandene kommt, aber es wird nicht erzählt, dass er wieder geht.

Margareta Gruber OSF

Dr. theol., Prof.in für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar; Franziskanerin von Sießen; Schwerpunkte: Johannesevangelium, Johannesoffenbarung, Hermeneutik, Biblische Spiritualität, Bibel im interreligiösen Dialog, Theologie des Ordenslebens.

Auferstehen geschieht im Entschwinden

Dennoch ist er „nicht mehr da“, also muss er „verschwunden“ sein. Dieses Verschwinden ist für Mark Andre das zentrale Thema seiner Musik: Entschwinden als eine besondere Art der Anwesenheit. „Wie wäre das Verschwinden Christi erklungen?“, fragt er. Ich frage mich, daran anknüpfend, was ist das für eine Präsenz, die sich gibt, indem sie sich entzieht – noli me tangere: halte mich nicht fest. Ich denke über diesen Zugang zur Auferstehung nach: nicht als Erscheinen, sondern als Entschwinden. Der Auferstandene ist nicht der, der erscheint, sondern der, der sich entzieht. Auferstehen geschieht im Entschwinden. Wie mag man sich das vorstellen? Der Lyriker Christian Lehnert beschreibt die Ostererfahrung des Paulus so: Paulus, der dem auferstandenen Christus begegnet, „schaut auf und starrt ins Dunkel – eben war da ein Licht, und es bleibt ein geglaubtes Licht. Verloschen. Für immer erstrahlt“ (Lehnert, 114). Bei Andre hieße das: „Eben war da eine Stimme: Warum weinst Du? Wen suchst Du? Und es bleibt eine geglaubte Stimme. Verhallt. Für immer erklungen.“ Mark Andre glaubt an die Hörbarkeit der Abwesenheit. Ganz konkret. Er will die „Erscheinungsweisen des Heiligen Geistes“, wie er sich ausdrückt, das Zarteste und Geistigste also, sogar empirisch aufnehmen, fast materialisieren, und dadurch hörbar machen. Das zu Hörende, die Gegenwart, entzieht sich dem Zugriff, aber sie gibt sich im Entschwindenlassen.

OSTERN: DER SCHOCK DES ZWEITEN VERLUSTES

Anknüpfend an diesen zeitgenössischen Künstler möchte ich meine eigene Imagination der biblischen Vorgänge skizzieren (vgl. Gruber 2019). Es ist ein imaginatives Gedankenexperiment, das in seiner zugespitzten Einseitigkeit jedoch etwas deutlich machen kann: Am Beginn der neutestamentlichen Überlieferung steht der krisenhafte Schock eines doppelten Verlustes. Denn Jesus wird zweimal verloren: auf Golgota und in dem Ereignis, das die Christen später Ostern nennen werden. Die verstörenden Elemente in den Begegnungen mit dem Auferstandenen, das Erschrecken, die Flucht, das Nicht-Erkennen und die Sprachlosigkeit spiegeln den Schock dieses zweiten Verlustes, der von allen, die Jesus von Nazaret gekannt hatten, erlitten werden musste. Was auf dem Schädelberg geschehen war, war schrecklich, aber vorstellbar: Der Verlust eines teuren Menschen, der grausame Tod eines Unschuldigen, der Zusammenbruch der Lebenspläne und Hoffnungen, die eigene Schuld im Versagen angesichts roher Gewalt. Was jedoch die Begegnung mit dem Auferstandenen einforderte, überstieg das Vorstellbare: Es bedeutete, den, den man zu kennen geglaubt hatte, erneut und noch radikaler verlieren zu müssen. Wer ist der, den man Rabbi und Freund nannte und jetzt als Kyrios und Gott (vgl. Joh 20,28) anrief? Die Auferstehung des Gekreuzigten ist eine tiefgreifende Erschütterung, die an die Wurzel des Glaubens und der Existenz der Jünger und Jüngerinnen rührte.

AUFERSTEHUNG ALS EINSTURZ DES WELTGEBÄUDES

Auferstehung ist mit Erschrecken verbunden, denn sie bedeutet die plötzliche Konfrontation mit der Macht Gottes, die in das Leben eingreift. Man versucht zu fliehen, weil der „Himmel einstürzt“, die Grundfesten des Weltbildes ins Wanken geraten. Nach Matthäus öffnen sich beim Tod Jesu die Gräber und „die Leiber vieler Heiliger, die entschlafen waren, wurden auferweckt. Nach der Auferstehung Jesu verließen sie ihre Gräber, kamen in die Heilige Stadt und erschienen vielen“ (Mt 27,52f.). Das liest sich wie ein Horrorszenario. Sind wir in einer Welt der Wiedergänger angekommen? Man darf sich von der Faszination der apokalyptischen Bilder nicht zu einer konkretistischen Imagination verleiten lassen und den so genannten Weltuntergang darin abgebildet sehen. Die apokalyptischen Passagen in den synoptischen Evangelien (vgl. Mk 13; Mt 24; Lk 21,5-36) müssen anders gelesen werden: Als Bearbeitung einer krisenhaften Erschütterung, die mit apokalyptischen Motiven versprachlicht und gedeutet wird. Apokalypse bedeutet: Gott bringt die alte Welt zum Einsturz und schafft eine neue. Der Sturz der Himmel steht jedoch nicht erst bevor, sondern ist bereits eingetreten mit der Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten. Nicht auf ein zukünftiges Weltende schaut der verstörte Blick der Erzählgemeinschaft, sondern auf das Beben von Ostern, das ihre Welt zum Einsturz gebracht hat und das immer noch nachbebt. Die Erschütterung der Auferstehung spiegelt sich in den Aussagen über das Kommen des Menschensohnes, die die Unvorstellbarkeit und Bildlosigkeit des Geschehens mit apokalyptischen Sprachbildern füllen: „Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen“ (Mk 13,24-23). Die Auferstehung wird im Markustext nicht narrativ repräsentiert, sondern im Sprachmodus der vollmächtigen Ankündigung Jesus selbst in den Mund gelegt, als Ansage eines apokalyptischen Widerfahrnisses. Meine Frage ist, ob es nicht der Schock dieses Widerfahrnisses war, die Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten, die die neutestamentliche Theologie des abwesend anwesenden Herrn hervorgebracht hat.

LEBEN IM TRANSIT

Die Briefe des Paulus zeigen, wie ein Mensch durch die Begegnung mit dem Auferstandenen in einen krisenhaften Dauerzustand gerät, in ein Leben an der Schwelle, im Dazwischen: Existenz im Transitbereich. Er kann nicht zurück ins Alte, doch das Neue ist ihm nicht verfügbar. Der Glaube erscheint als Drahtseilakt, als Gang über dem Abgrund zwischen Alptraum und höchster Virtuosität (vgl. Mk 6,45-52; Mt 14,22-33). Das Symbol für den Transit, das die Christen festhalten, ist das Untergetaucht-Werden, das Ertrinken oder Ersäufen des alten Menschen im Wasser der Taufe. Paulus beschreibt diese Transformation als tägliches Sterben und Auferstehen, als beständiges Leben im „Osterdurchgang“ (Roger Schutz): Er hält den Schatz seiner Christuserkenntnis „in irdenen Gefäßen“, indem „wir allezeit das Getötet-Werden Jesu an unserem Leib herumtragen, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Leib offenbar werde“ (2 Kor 4,10).

DIE KRISE DER ABWESENHEIT DES HERRN

„Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr“ (Lk 24,31). Der Auferstandene lässt sich nicht festhalten, er entzieht sich. Die Jünger „haben“ ihn nicht; die Auferstehung wird als real, aber als nicht verfügbar dargestellt. Zweifel und Unglaube, Furcht und Überforderung sind auch nach der Auferstehung nicht verschwunden (vgl. Lk 24,38f.). Selbst die Not des Glaubensverlustes, in apokalyptischer Sprache (vgl. Mk 8,38) als Glaubensabfall angesichts des „Gräuels“ (Mk 13,14) bedrängend vor Augen gestellt, war nach der Auferstehung keineswegs gebannt.

Die...


Erich Garhammer, Dr. theol., bis 2017 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, vorher von 1991 bis 2000 in Paderborn. Schriftleiter der Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" und Herausgeber der Reihe "Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge".



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