E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Geier Alles so hell da vorn
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95988-084-8
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-95988-084-8
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In einem Frankfurter Vorstadtbordell empfängt eine junge Hure einen Freier, einen ihrer Stammkunden. Nichts weist darauf hin, dass sich dieses Zusammentreffen irgendwie von den bisherigen unterscheiden wird. Man geht aufs Zimmer. Kommt zur Sache. Dann schnappt sie sich seine Kanone, schießt ihn nieder. Knallt gleich noch einen der Zuhälter ab, kassiert sein Smartphone, nimmt seinen Wagen und fährt los. Sie weiß genau, wo sie hinwill. Kriminalkommissarin Bettina Boll wird in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt: Ein Kollege ist tot, heißt es. Erschossen. In einem Frankfurter Puff. Und es handelt sich ausgerechnet um ihren Ex-Partner und Ex-Beinahe-Freund Kriminalhauptkommissar Michael Ackermann. Ackermann, so stellt sich heraus, war seit Monaten Stammkunde in dem Puff, den er stets in Uniform aufsuchte. Erschossen hat ihn eine sehr junge Prostituierte, die sich Manga nennt. Und zwar mit seiner Dienstwaffe. Mit der ist sie jetzt auf der Flucht. Dann kommt aus dem abgeschiedenen Dorf Höhweiler in Rheinland-Pfalz die Meldung, dass ein aufreizend gekleidetes junges Mädchen vor großem Publikum den Schuldirektor erschossen hat. Ist das der nächste Tote auf dem Konto der geheimnisvollen Manga? Monika Geier, Meisterin der exzentrischen Charaktere, knöpft sich mit der ihr eigenen sardonischen Heiterkeit einen grimmigen Stoff vor - mitreißend, rockig, direkt aus dem echten Leben.
Monika Geier, Jahrgang 1970, wurde in Ludwigshafen geboren. Nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Bauzeichnerin. Für ihr Debüt wurde Geier mit dem Marlowe geehrt. Inzwischen ist sie Diplomingenieurin für Architektur, Mutter von drei Jungs, freie Künstlerin und Schriftstellerin.
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1
Nicht von dieser Welt, dachte Bettina, als sie ihren Taunus auf dem Trottoir unter der alten Eibe aus Tante Elfriedes Vorgarten parkte. Der Baum war wie eine Zeitkapsel, man stellte sein Auto drunter und befand sich unversehens im vergessenen Außenposten einer uralten Schattenwelt. Sie stieg aus und fröstelte. Wie immer hier. Obwohl die Seele des Ganzen, Tante Elfriede, jetzt in einem anderen Teil der Stadt unter Linden ruhte und Baum, Garten, Haus Bettina gehörten: Es war kein angenehmer Ort. Alles viel zu groß, darum längst schleichend stillgelegt und umgeben von zudringlichen alten Gehölzen. Im Grunde besaß sie einen Wald und ein Schloss. Ich bin Dornröschen, dachte Bettina und versuchte ein Lächeln. Es geriet schief, denn plötzlich streiften sie ein paar weiche Eibennadeln an der Wange, ganz zart, wie die Finger einer Taschenspielerin. Bettina schrak zurück. Den herabhängenden Ast hatte sie nicht bemerkt, obwohl er unübersehbar im Weg hing. Witzig, dachte sie. Du wirst fallen, Eibe. Du wirst die Erste sein. Deinen billigen Grusel werden die neuen Besitzer nicht mehr dulden. Sie werden dich bewerten, schwieriges Mikroklima, Umsturzgefahr, Schädlingsbefall, vergiftet den Boden. Und dann werden sie dich fällen, ganz ohne sich die Jahre zu nehmen, die man braucht, um deine boshafte Seele so richtig kennenzulernen. Irgendwie fast schade, aber ich werde dich verkaufen, Eibe, und das ganze Anwesen dazu. Mitsamt seinen abgesperrten Schränken, den seltsamen Kellern und unerklärlichen Luftzügen. Mit Schwung öffnete Bettina die Gartenpforte. Kühl hier, trotz Augusthitze, aber gefegt und aufgeräumt. Alles sah ein bisschen nackt aus, die breiten Eingangsstufen, die hölzerne Haustür. Es würde schon gehen, für den ersten Besichtigungstermin. Morgen kamen die Interessenten, ein Architektenpaar aus Grünstadt mit zwei Kindern. Die waren von hier, die hatten Pläne und Ahnung. Die würden etwas Neues aus diesem Vorkriegsbunker machen, Mietwohnungen, gehobener Standard, große Zimmer für kleine Familien und Singles mit Niveau. Bettina inspizierte die Rabatte, die sie letzte Woche bepflanzt hatte, damit es einladender wirkte. Umsonst, sah sie jetzt. Die Blumen kümmerten, nein, faulten. Nichts wächst unter einer Eibe, weißt du doch. Irgendetwas wisperte im Geäst. Bettina blickte auf, der Baum stand still und majestätisch, als sei jede Gehässigkeit weit unter seiner Würde. Und plötzlich dachte sie, dass es vielleicht doch mehr als Ahnung, Pläne und ein optimistisches Familienkonzept brauchte, um dieses Hauses und dieses Baums Herr zu werden. Dann wanderte sie durch die Zimmer und öffnete die Fenster. Lüften Sie, hatte der Makler gesagt, und wenn Sie können, backen Sie Brot. Es muss gut riechen, und es darf nicht klamm sein. Klamm war es in den hohen Räumen aber immer gewesen, das kriegte man auch in einer Hitzeperiode mit der sattesten Augustluft nicht weg. Die Nässe steckte in den Mauern. Alle Klinken und Geländer waren mit einer feuchten Schicht überzogen. Bettina betrat das Klavierzimmer, klappte die Läden auf und ließ die Abendluft ein. Die Einrichtung wollte sie im Haus lassen. Das ist ein Risiko, hatte der Makler zu bedenken gegeben, nur wenige Käufer betrachten Möbel als Mehrwert, und, tja, räumen Sie wenigstens die Bücher raus, und alles, was noch persönlicher ist, erst recht. Tatsächlich weggeschafft hatte Bettina dann nach ihrer ersten chaotischen Hauruck-Räumung gar nichts mehr, denn unpersönlich sah es sowieso aus. Sie lehnte sich an die Fensterbank und schaute hinaus in den Garten: eine Wildnis. Zurück ins Zimmer: eine Gruft. Trotzdem hatte sich etwas verändert. Die Räume kamen ihr kleiner vor als sonst. Und viel schmutziger. Seltsam, es schien, als wäre der Dreck zwar immer da gewesen, hätte sich aber erst jetzt, nach Jahren der Unsichtbarkeit, auf einen Schlag bemerkbar gemacht. Sie fror nicht mehr hier drin, und sie fühlte sich nicht mehr hässlich. Höchst merkwürdig. Genau wie diese Sache mit dem Rauchen. Sie hatte damit aufgehört. Erzählt hatte sie das noch keinem, denn es war ihr selbst nicht geheuer. Musste man nicht kämpfen, um die Sucht loszuwerden? War sie es nicht allen anderen Ex-Rauchern schuldig, sich mit Pflastern zu bekleben und Sprays und Kaugummis und Eso-Ratschläge zu verschleißen, um dann bis aufs Blut gereizt jeder Zigarette einzeln zu widerstehen und außerdem zehn Kilo zuzunehmen? Sollte das nicht Grundvoraussetzung sein, um sich nach Äonen des Tabakkonsums »Nichtraucherin« nennen zu dürfen? Sie war Nichtraucherin. Seit zwei Monaten. Ganz einfach so. Sie, Kriminalkommissarin Bettina Boll, hatte gedankenlos eine Kippe nach der anderen geplotzt, seit sie zwölf war, denn da waren ihre Eltern gestorben. Jetzt rauchte sie nicht mehr. Das war alles. Einen Entschluss dazu hatte sie nicht gefasst. Es war nur einfach nicht mehr notwendig. Und wenn sie überhaupt genervt war, dann eher von den umständlichen Ritualen der Raucher als von ihrem eigenen niedrigen Nikotinpegel. Das Verlangen war auf einen Schlag verschwunden. Seltsam allerdings, was ihr erst an diesem Abend und angesichts des staubigen Klavierzimmers in ihrer kalten Familiengruft klar wurde: Verschwunden war es exakt am Tag von Tante Elfriedes Beerdigung. Was du mal werden willst: Nichtraucherin. Nee, jetzt im Ernst, ein Körper, der ganz sauber ist, das wär’s. Alle Löcher gehören dir allein. Und deine Lunge und dein Herz auch und vor allem dein Gehirn. Dein Herz: Schalt es aus. Deine Lunge: Halt sie frei. Dein Gehirn: Tja. Da läuft alles zusammen. Komisch, dass du ausgerechnet hier aufgewacht bist, in dieser Drecksbude, bei diesen Losern. Plötzlich hat es Zoom gemacht und alles war hell. Du kannst hören, was die anderen denken. Dabei bist du nicht mal mehr drauf, du kannst wirklich alles sehen. Den ganzen Müll. Kommt vielleicht daher, dass hier nicht so viel los ist. Kein gutes Haus, baufällig und dreckig, manchmal passiert gar nix. Da ist einfach Pause und du kannst denken. Vielleicht ist es auch, weil du aus ’nem Club kommst und nicht von der Autobahnraststätte wie Olga und Angelique, und wer weiß, aus was für Dingern die andern sind. Auf jeden Fall bist du hier falsch. Davor, ganz früher, warst du eine Preziose. H. G. hat dich so genannt, H. G., der Richter. Pre-Zi-Ose. Das war … na ja, H. G. eben. Die anderen Sachen sind unwichtig, dieses andere Leben ist sowieso vorbei. Jetzt sitzt du in der Wandnische, Beine breit, ein Fuß im schwarzen Creeper auf dem Sitzpolster, Faltenmini knapp überm Schritt und verträumter Augenaufschlag. Ein Mann betritt den Raum. Du siehst, wie Diandra ihre Brust vorschiebt. Sie senkt die Wimpern, richtet den Blick. Es ist still, na ja, es fühlt sich still an. Die Anlage haut Beats raus, aber das zählt nicht, das ist Tapete. Die Stimmung ist ungemütlich. Alle sitzen auf Position. Du bist genauso gespannt wie die anderen, irre, als würdet ihr zusammen auf diesen einen Mann warten. Er wird fliehen, denkst du, jeder vernünftige Mensch würde das tun. Er bleibt. Er schwitzt und geht auf Diandra zu. Sie grinst ein Grinsen, das aus tausend vergeblichen Versuchen besteht. All die Lächeln, die davor schon nicht geklappt haben, stecken mit drin, so verzerrt sie ihr Gesicht. Du siehst, dass sie ein Zombie ist, das ist ganz klar. Du bist nicht drauf. Du hast seit zweieinhalb Monaten nichts mehr genommen. Daher weißt du es genau: Diandra ist ein Zombie, und die anderen sind viel zu kaputt, um noch irgendwas zu sein, die könnten genauso gut sofort verfaulen. Geisterbahn. Das hier ist ein leeres Zimmer voller leerer Menschenhüllen, da ist dieser Mann, der gleich einen Zombie ansprechen wird, und da bist du. Der einzige Mensch hier, vielleicht der einzige Mensch überhaupt auf der Welt außer Nini: du. Witzig, oder? Mach die Augen zu und die Welt ist weg. Mach deine Löcher zu und die Männer sind weg. Mach die Augen auf und du siehst: Diandra. Und weißt du, was? Diandra ist das Letzte, aber sie ist alt. Sie ist über vierzig. Sie hat einen Körper, eine Stimme. Sie ist die Zukunft. Wenn du es schaffst, so alt zu werden wie sie, dann darfst du eine Diandra sein. Du hörst, wie sie mit dem Mann redet. Sie sagt: »Wo wir sind, ist vorn.« Ihr Spruch für alles. Sie fügt an: »So weit vorn hattest du ihn noch nie.« Der Kerl wird rot. Diandras Blick beginnt zu suchen. Das richtige Mädchen für den roten Typen, der schwitzt. Sie schaut sich lange um. Der Mann wartet. Er braucht Gelegenheit, auszudünsten, an seinem Bier zu trinken und alle zu betrachten. Damit sich irgendwie zeigt, worauf er steht. Du lässt dich tiefer in die dreckigen lila Polster sinken. Deine Beine wickeln sich umeinander. Eine Serviette wandert vor dein Gesicht. Du fächelst, als bräuchtest du Abkühlung. Diesen roten Typen willst du nicht. Den kannst du jetzt auf keinen Fall brauchen. Du musst frei bleiben für den Bullen. Diandras Blick bleibt an dir hängen. Mist. »Ich glaube, du suchst mal was Echtes und Ehrliches in deinem Leben«, hörst du Diandra zu dem schwitzenden Typen sagen. Sie sieht dich an. Der Mann schluckt. Er ringt sich seinen Satz ab. »Was kostest du?«, fragt er laut. Er meint Diandra. Die ist mindestens zwanzig Jahre älter als er. Du hättest gelacht, aber es ist nicht komisch. Es ist nur gut gegangen. Du legst ruhig die Serviette weg. Gehst wieder in Position, fast lässig, als wärst du nur einen kurzen Moment abgelenkt gewesen. Das Glück ist auf deiner Seite. Diandra ist jetzt eine halbe Stunde beschäftigt. Und heute Abend noch, sehr bald schon, wird...