Gissy | Ein entscheidender Hinweis | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 620 Seiten

Gissy Ein entscheidender Hinweis


1. Auflage 2023
ISBN: 978-87-26-97277-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 620 Seiten

ISBN: 978-87-26-97277-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Kinder finden die Leiche einer jungen Frau. Ihr nackter Körper wurde akribisch gereinigt und nichts deutet auf den möglichen Täter hin. Die einzige Spur ist die abgerissene Hälfte einer Spielkarte. Die Göteborger Polizei zieht die forensische Psychologin Michelle Mohlin zum Fall hinzu. Die Ex-Polizistin, die sich auch in einem Frauenhaus engagiert, soll ein Täterprofil erstellen. Nur widerwillig lässt Michelle sich auf die Zusammenarbeit ein, denn die Zeit bei der Polizei hat tiefe Spuren bei ihr hinterlassen. Als eine weitere junge Frau vermisst wird, rückt der Fall in den Fokus der Öffentlichkeit. Michelle und das Ermittlerteam beschließen, die mediale Aufmerksamkeit zu nutzen und den Täter aus der Reserve zu locken. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Michelle muss sich nicht nur einem gefährlichen Mörder, sondern auch den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit stellen. Psychologisch ausgefeilter Spannungsroman, der alle Fans von Schweden-Krimis und Nordic Noir begeistern wird.

Peter Gissy (geb. 1947) ist als freier Journalist, Übersetzer und Autor von Kinderbüchern und Hörspielen tätig. Zugleich gilt er als Mentor von Camilla Läckberg und hat vor allem mit seinen Romanen über den Journalisten Kent Mortland einen festen Platz auf den Leselisten der schwedischen Krimi-Fans.
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Kapitel 1


Nach der Trauerfeier begab sich Michelle Mohlin auf direktem Weg ins Freie. Über ihr läuteten die Glocken der Kapelle, klangen gleichzeitig düster und tröstlich.

Durch die Sonnenbrille betrachtete sie die Trauernden, die sich auf dem gekiesten Platz vor der Kapelle versammelten. Im Gebäude war es kühl gewesen, sie hatte in ihrer Lederjacke gefröstelt. Wie erwartet, waren nicht viele zur Beerdigung gekommen. Jörgens Mutter war natürlich da, bleich und still, ebenso wie seine Schwester mit ihrem Mann, der wegen seiner rheumatischen Erkrankung am Stock ging und aussah wie ein alter britischer Oberst. Außerdem eine Handvoll weitere Trauergäste, die sie nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte.

Sie selbst hatte sich als Letzte in die Kapelle geschlichen und ganz nach hinten gesetzt. Allein, so weit weg von den anderen wie möglich, in die letzte Bank, nahe dem Ausgang.

Sie war nicht zum Sarg vorgegangen.

Dort verlief die Grenze.

Es war eine recht schlichte Veranstaltung gewesen.

Mit Ausnahme der Mutter hatte eigentlich niemand Trauer gezeigt.

Auch sie nicht.

Eigentlich hatte sie sich sogar über die innere Kälte gewundert, die sie empfand, denn die Jahre mit Jörgen waren ? wenn sie ehrlich war ? nicht nur schlecht gewesen.

Der Pfarrer, jung und enthusiastisch, hatte sein Bestes gegeben, um die richtige Stimmung zu erzeugen, und von der „letzten Reise einer verlorenen Seele“ gesprochen, als er neben dem Sarg am Fuß der Kanzel stand. Es lagen einige Kränze davor, jedoch so wenige, dass es beinahe mickrig aussah.

Michelle fragte sich, ob Jörgen gerne als „verloren“ bezeichnet worden wäre. Sie bezweifelte es.

Doch das spielte nun keine Rolle mehr.

Lange war sie sich nicht sicher gewesen, ob es sinnvoll war, zur Beerdigung zu gehen, doch sie bereute es nicht. Nun konnte sie endlich einen Schlusspunkt hinter das Leben mit ihm setzen.

Sie atmete tief durch und zog ihr Halstuch enger.

Gut, dass es vorbei war.

Das Krächzen einer Krähe riss sie aus ihren Gedanken. Sie flog in Richtung der hohen Birken davon, die sich ein Stück entfernt über die Grabsteine erhoben, flog eine elegante Kurve, bevor sie sich im Gras niederließ und ein paar Mal mit den Schwanzfedern wippte. Sie schien sie beinahe herausfordernd anzusehen: als wolle sie klarmachen, dass das Leben weiterging wie bisher, trotz allem.

Michelle konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie hatte ja recht.

Sie schob die Sonnenbrille zurecht. Eigentlich war es zu dieser Jahreszeit zu dunkel dafür, aber sie wollte nicht, dass jemand sie erkannte.

Die letzten sieben Jahre hatte sie darauf verwendet, ihre Erinnerungen an Jörgen zu verdrängen. Er war wirklich ein Mistkerl gewesen und hätte ihrer Meinung nach überhaupt keine Beerdigung bekommen sollen. Ihn in ein Loch im Boden zu werfen und unter Mist zu begraben, hätte völlig ausgereicht.

Sie hatte seinen Nachnamen behalten, doch das war auch schon alles, was von ihm in ihrem Leben übrig geblieben war. Als die Scheidung durch war, hatte sie einen Container bestellt und all seine Sachen darin entsorgt. Kleidung, Möbel, Teppiche, das Bücherregal aus Teakholz, das er von seinen verstorbenen Großeltern geerbt und mit dem er immer so geprahlt hatte. All das war zum Recyclinghof in Högsbo gegangen. Natürlich hatte er sich aufgeregt, als er davon erfahren hatte, aber für sie war es die reinste Befreiung gewesen. All das alte Zeug musste raus! Zeit für etwas Neues. Und da hatten er und seine Sachen keinen Platz. Mit jeder Minute, die verging, verlor sein Verrat an Bedeutung. Und eines Tages, das hatte sie sich geschworen, würde sie ihren Mädchennamen wieder annehmen. Bald würde es so weit sein.

Unter den Bäumen war es idyllisch, und in der frischen Luft ließ der Druck in ihrem Inneren mit jedem Schritt nach. Es war schön, das Ganze endlich hinter sich lassen zu können. Michelle drehte um und wandte sich in Richtung Parkplatz.

Sie würde Jörgen nicht vermissen, nicht eine Sekunde. Niemand würde ihn vermissen.

Doch insgeheim wusste sie, dass sie sich selbst etwas vormachte. Sie würde das, was geschehen war, nie ganz hinter sich lassen können. Die Vergangenheit war noch da, die guten und die schlechten Zeiten, auch wenn die Konturen mit den Jahren verblassen würden.

Wie so häufig zog es beim Gehen in ihrer Schulter. Manchmal wirkten die Schmerzmittel nicht richtig. Vielleicht trug auch die feuchte Kälte zu dem hartnäckigen Schmerz bei?

Allmählich wurden die fahlen Sonnenstrahlen von den Nachmittagsschatten ersetzt; der Abend war nicht mehr fern. Das Dezemberwetter war unzuverlässig, es änderte sich ständig. Wie schon in den letzten Tagen lag Regen in der Luft. Doch Schnee hatte es bisher noch keinen gegeben.

Sie kramte in ihrer Jackentasche nach den Autoschlüsseln und ging auf den Parkplatz zu.

Da vernahm sie hinter sich Schritte auf dem Kies.

Jemand näherte sich.

„Michelle?“

Sie erkannte die Stimme sofort.

Nach kurzem Zögern drehte sie sich um.

Åsa Kaspersson sah im Großen und Ganzen noch so aus, wie sie sie in Erinnerung hatte, wenn auch ein wenig älter. Mit immer noch recht kräftigem Oberkörper. Es war ungewohnt, sie so herausgeputzt zu sehen, mit dunklem Mantel und Rock. Aschblondes gelocktes Haar, das über den Kragen herabfiel. Die Augen wie immer wachsam, abschätzend. Der Blick einer Polizistin. Über einer Schulter hing ein grüner Rucksack, ein sportliches Modell, das in dieser Situation deplatziert wirkte.

Åsa streckte die Hand aus, und Michelle ergriff sie zögerlich.

„Ich muss mit dir sprechen“, sagte Åsa ohne Umschweife. „Beruflich“, fügte sie hinzu.

„Aha.“

„Wir sind da an einer Sache dran … und ich glaube, du kannst uns dabei helfen.“

Michelle wusste sofort, worum es ging. Nein. Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen.

„Nein, danke“, antwortete sie bestimmt.

Doch Åsa ließ nicht locker. „Können wir uns irgendwo hinsetzen? Vielleicht einen Kaffee trinken?“

„Ich habe keine Zeit“, log Michelle ungeniert. Was sollte es zu besprechen geben? Sie hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen, und zwar aus Gründen, die Åsa und ihre Kollegen sehr gut kannten.

Åsa breitete resigniert die Arme aus und musterte sie plötzlich mit gerunzelter Stirn, als ob sie versuchte, ihren Geisteszustand zu beurteilen. „Wie geht es dir?“

Michelle konnte ihre Gedanken nicht verbergen. „Sorgst du dich um meine Gesundheit?“

„Tut mir leid, das war nicht so gemeint. Das ist ein bisschen seltsam rübergekommen, aber … na ja, du weißt schon. Unter diesen Umständen.“

„Es geht mir besser als damals bei der Polizei, falls du das meinst, und das soll auch so bleiben.“

„Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen. Ich kenne deine Haltung, aber …“ Åsa verlor den Faden und setzte noch einmal an. „Kannst du es dir nicht noch einmal überlegen? Ich meine … ich brauche dich wirklich.“ Sie hielt inne. Offenbar fiel es ihr schwer, auszudrücken, was sie wollte.

Michelle entschied, etwas entgegenkommender zu sein. „Geht es um das Übliche?“

„Ja.“

„Ich habe das hinter mir gelassen, Åsa.“

„Das verstehe ich.“

Michelle hatte Åsa in der Kapelle nicht gesehen. Sie wusste nicht, welches Verhältnis sie zu Jörgen gehabt hatte. Hatten sie einander gekannt? Sie sah demonstrativ auf die Uhr. „Tut mir leid, aber ich muss los.“

Åsa gab nicht auf. „Was machst du inzwischen?“

„Ich arbeite. Es gibt ein Leben außerhalb der Polizei.“

„Du hättest nie gehen sollen.“

„Das sehen einige anders. Das hat Spuren hinterlassen“, sagte sie mit einer schiefen Grimasse. „Auch wenn die Jahre vergehen.“ Das klang dramatischer als beabsichtigt.

„Verstehe. Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen, aber du gehst nicht an dein Handy. Sogar über die Telefonzentrale der Universität habe ich es versucht. Hat man dich nicht informiert, dass ich dich gesucht habe?“

Michelle schüttelte den Kopf. „Nein.“ Es war nicht das erste Mal, dass die Telefonzentrale ihren Aufgaben nicht nachkam. „Ich hatte ziemlich viel zu tun“, fügte sie hinzu.

„Ich bin davon ausgegangen, dass du zur Beerdigung kommen würdest, und habe hier mein Glück versucht. Tut mir leid.“ Åsa sah verlegen aus. „Es geht um Folgendes: Ich leite ein neues...



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