Görtemaker / Safferling | Die Akte Rosenburg | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 597 Seiten

Görtemaker / Safferling Die Akte Rosenburg

Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit

E-Book, Deutsch, 597 Seiten

ISBN: 978-3-406-69769-2
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Als das Bundesministerium der Justiz 1949 seine Arbeit aufnahm, kam es zu ganz erheblichen personellen und politischen Verflechtungen mit dem "Dritten Reich“. Dass Juristen, die eine stark belastete NS-Vergangenheit hatten, in der Behörde Dienst taten, wurde nicht als problematisch empfunden. Dieses grundlegende Werk zeigt, wer alles im Ministerium unterkam und welchen Einfluss das auf die Rechtspraxis hatte – nicht zuletzt bei der Strafverfolgung von NS-Tätern.

Die "Rosenburg" in Bonn war von der Gründung der Bundesrepublik bis 1973 der Sitz des Bundesministeriums der Justiz. 2012 setzte das Ministerium eine Unabhängige Wissenschaftliche Kommission ein, die den Umgang der Behörde mit der NS-Vergangenheit in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erforschen sollte. Zu diesem Zweck erhielt die Kommission uneingeschränkten Aktenzugang. Dieses Buch präsentiert ihre Ergebnisse. Zum "Geist der Rosenburg", so zeigt die Studie, trugen maßgeblich Beamte und Mitarbeiter bei, die zuvor im Reichsjustizministerium, bei Sondergerichten und als Wehrrichter tätig gewesen waren. Ihre Karrieren vor und nach 1945 zeichnet die Kommission ebenso nach wie die Belastungen, die dies für das Ministerium und den Inhalt seiner Politik darstellte. So wird unter anderem gezeigt, welche zentrale Rolle das Ministerium spielte, als 1968 Zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter eingestellt wurden.
Görtemaker / Safferling Die Akte Rosenburg jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;597
4;Über die Autoren;597
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Einleitung;11
7.1;Das Rosenburg-Projekt;12
7.2;Untersuchungsgegenstände und Arbeitsweise der Kommission;14
7.3;Die Rolle der Justiz in der NS-Zeit und in der Bundesrepublik;16
7.4;Das Bundesministerium der Justiz;22
7.5;Amnestie und Verjährung;23
7.6;Die Taten und ihre Täter;24
8;Erster Teil: Gründung, Aufbau und Entwicklung;31
8.1;I. Justiz unter der Besatzungsherrschaft;32
8.1.1;1. Die Gesetzgebung der Alliierten;33
8.1.1.1;Der Alliierte Kontrollrat;34
8.1.1.2;Spaltung der Vier-Mächte-Verwaltung;35
8.1.1.3;Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher;36
8.1.1.4;Die Entwicklung in der SBZ;39
8.1.1.5;Hilde Benjamin: Die «Rote Guillotine»;41
8.1.2;2. Der Nürnberger Juristenprozess;44
8.1.2.1;Allgemeine rechtliche Grundlagen;48
8.1.2.2;Der Prozess;51
8.1.2.3;Der Fall Schlegelberger;52
8.1.2.4;Der Fall Rothaug;54
8.1.2.5;Aussage Walter Roemer;57
8.1.2.6;Rezeption in der Bundesrepublik;59
8.1.2.7;Rezeption in der DDR;61
8.1.2.8;Fazit;62
8.1.3;3. Das Problem der Entnazifizierung;63
8.1.3.1;Entnazifizierung: Eine amerikanische Erfindung?;63
8.1.3.2;Der Fragebogen;67
8.1.3.3;Das Instrument der Spruchkammern;68
8.1.3.4;Die britische und französische Entnazifizierungspraxis;70
8.1.3.5;Die Politik des «Antifaschismus» in der SBZ;72
8.1.4;4. Die Landesjustizverwaltungen;74
8.1.4.1;Zwischen Kontrolle und Neuaufbau: Die alliierte Justizpolitik 1945 – 1949;74
8.1.4.2;Wiedereröffnung der deutschen Gerichte;76
8.1.4.3;Die Entstehung der Justizministerien in den Ländern;79
8.1.4.4;Bemühungen um die Entnazifizierung des Justizpersonals;80
8.1.4.5;Beginn der Verfolgung nationalsozialistischer Gewalttaten;84
8.2;II. Der Aufbau des BMJ 1949–1953;86
8.2.1;1. Die Gründungsväter: Thomas Dehler und Walter Strauß;86
8.2.1.1;Liberaler Demokrat und demokratischer Nationalist;86
8.2.1.2;Der «immerwährende Staatssekretär»;91
8.2.1.3;Auswandererhilfe für Juden und politisch Verfolgte;92
8.2.1.4;Nachkriegszeit;95
8.2.1.5;Die Wirtschaftsverwaltung der Bizone;97
8.2.1.6;Das Rechtsamt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets;99
8.2.1.7;Dehler und Strauß im Parlamentarischen Rat;101
8.2.2;2. Das Bundesministerium der Justiz: Neubeginn oder Kontinuität?;103
8.2.2.1;Dehlers Weg ins Ministeramt;104
8.2.2.2;Die Idee eines «Verfassungsministeriums»;106
8.2.2.3;Dehlers persönliches Umfeld im BMJ;109
8.2.2.4;Konflikte mit Strauß;110
8.2.2.5;Auseinandersetzungen um die Verwendung der Bizonen-Mitarbeiter;112
8.2.2.6;Die Herkunft des Gründungspersonals im BMJ;114
8.2.2.7;Der Einfluss des Bundeskanzleramtes unter Hans Globke;118
8.2.2.8;Dehlers Umgang mit der NS-Belastung;122
8.2.2.9;Die NS-Belastung des BMJ 1949/50;124
8.2.2.10;Hans Winners und die Abteilung Z;128
8.2.3;3. Kennzeichen der Personalpolitik;133
8.2.3.1;«Persilscheine waren nicht zu vermeiden»;133
8.2.3.2;Geheimakten des Reichsjustizministeriums;136
8.2.3.3;Steigbügelhalter für die Renazifi zierung?;138
8.2.3.4;Dr. Robert Krawielicki: Ein Ausnahmefall?;141
8.2.3.5;Der Fall Kanter;143
8.2.3.6;Der-Heidelberger Kreis;145
8.2.3.7;Die Kanzlei Achenbach und der Naumann-Kreis;148
8.2.4;4. Der Artikel 131: Schlussstrich-Mentalität im Öffentlichen Dienst;154
8.2.4.1;Entstehung im Parlamentarischen Rat;154
8.2.4.2;«Tausende Beamte rufen in ihrer Not»;156
8.2.4.3;Die Rolle des BMJ;158
8.2.4.4;Ein Gesetz für die alten Eliten;160
8.2.4.5;Adenauer und der Wunsch nach «Normalisierung»;163
8.2.4.6;Auswirkungen des G 131 und Personalübernahmen im BMJ;165
8.2.4.7;Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum G 131;167
8.3;III. Der «Geist der Rosenburg»;173
8.3.1;1. Die Schatten der Vergangenheit;173
8.3.1.1;Die heile Welt der Rosenburg;173
8.3.1.2;Amnesie oder Amnestie?;176
8.3.1.3;«Eine harte Prüfung für viele»: Das Straffreiheitsgesetz vom Dezember 1949;179
8.3.1.4;Straffreiheit für NS-Täter: Das Amnestiegesetz von 1954;183
8.3.1.5;NS-Recht als Gnadenrecht des Bundes?;190
8.3.1.6;Die Braunbuch-Diskussion;194
8.3.1.7;Die Ausstellung «Ungesühnte Nazijustiz»;202
8.3.1.8;Ansätze zur Reform der Juristenausbildung;206
8.3.2;2. Die Zentrale Rechtsschutzstelle: Eine «Geheimabteilung» des BMJ?;208
8.3.2.1;Die Gründung der ZRS;208
8.3.2.2;Hans Gawlik: Eine fatale Wahl;211
8.3.2.3;Betreuungsarbeit «in aller Stille»;213
8.3.2.4;«Graue Eminenz» zum Schutz von Kriegsverbrechern?;216
8.3.2.5;Überführung ins Auswärtige Amt;217
8.3.2.6;«Zur Warnung an Kriegsverbrecher rechtlich verpflichtet»;218
8.3.3;3. Das Bundesjustizministerium im Wandel;222
8.3.3.1;Der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess;223
8.3.3.2;Die Zentralstelle in Ludwigsburg;225
8.3.3.3;Fritz Schäffer, Ewald Bucher und die Verjährungsdebatte;228
8.3.3.4;Der Eichmann-Prozess;233
8.3.3.5;Die Spiegel-Affäre 1962;239
8.3.3.6;Fritz Bauer und die Auschwitz-Prozesse 1963–1968;244
8.3.3.7;Wandel in der Personalpolitik;248
8.3.3.8;Aufhebung der NS-Unrechtsurteile;250
8.3.3.9;Sozialdemokratische Justizpolitik nach 1966;254
9;Zweiter Teil: Abteilungen und Sachfragen;259
9.1;I. Die allgemeine Personalentwicklung 1949–1973;260
9.1.1;1. Auswertung der Personaldatenbank;260
9.1.1.1;Personelle Entwicklung und Qualifikationen;261
9.1.1.2;NS-Mitgliedschaften;262
9.1.1.3;Mitarbeiter Reichsjustizministerium;264
9.1.1.4;Kriegsteilnahme;264
9.1.1.5;Übernahme aus den Zonenverwaltungen und 131er;266
9.1.1.6;NS-Strafverfahren;267
9.1.2;2. Der weitere Geschäftsbereich des BMJ: Der Bundesgerichtshof;267
9.1.2.1;Die Aufgabenbereiche;267
9.1.2.2;Die Errichtung des BGH;269
9.1.2.3;Die Ära Weinkauff;270
9.1.2.4;Der zweite Präsident Heusinger;272
9.1.2.5;Gleichberechtigung von Mann und Frau;274
9.1.2.6;Der Umgang mit Entschädigungsansprüchen: Sinti und Roma;277
9.1.3;3. Der Geschäftsbereich des BMJ: Der Generalbundesanwalt;279
9.1.3.1;Das Personal des GBA;281
9.1.3.2;Die Ära Güde;282
9.1.3.3;Wolfgang Fränkel: «Schicksal, nicht Schuld …»?;283
9.1.3.4;Ludwig Martin: Das geringere Übel?;286
9.1.4;4. Das Bundesverfassungsgericht;287
9.1.4.1;Gründung und Wahl der Verfassungsrichter 1951;288
9.1.4.2;Willi Geiger: Der «heimliche Vorsitzende» des Zweiten Senats;291
9.1.4.3;Die weiteren Richter der ersten Stunde;296
9.1.4.4;Die Selbstemanzipation des Gerichts;297
9.2;II. Abteilungen und Karrieren im BMJ;300
9.2.1;1. Die Abteilung I: Bürgerliches Recht;301
9.2.1.1;Das Leitungspersonal;301
9.2.1.2;Umgang mit der NS-Belastung;304
9.2.1.3;Franz Massfeller: Die personifizierte Kontinuität im Familienrecht;306
9.2.1.4;Heinrich von Spreckelsen und Hermann Weitnauer;310
9.2.1.5;Der Skandal um Max Merten;313
9.2.2;2. Die Abteilung II: Strafrecht;316
9.2.2.1;Struktur und Mitarbeiter;317
9.2.2.2;Herkunft und NS-Belastung;318
9.2.2.3;Alle Fäden in Händen: Josef Schafheutle;320
9.2.2.4;Ernst Kanter: «Vertrauensmann der Militärjustiz»;322
9.2.2.5;«Kommunistische Angriffe»;325
9.2.2.6;Schafheutle und die NS-Vergangenheit;327
9.2.2.7;Die ungekrönte Ministerialkarriere: Eduard Dreher;330
9.2.3;3. Die Abteilung III: Wirtschaftsrecht;336
9.2.3.1;Struktur und Herkunft des Personals;337
9.2.3.2;Die Abteilungsleiter Günther Joël und Ernst Geßler;337
9.2.3.3;Thieracks persönlicher Referent im BMJ: Heinrich Ebersberg;340
9.2.4;4. Die Abteilung IV: Öffentliches Recht;342
9.2.4.1;Hohe Kontinuität in Struktur und Personal;344
9.2.4.2;NS-Belastung und personelle Entwicklung von 1950 bis 1973;344
9.2.4.3;Der Herrscher: Walter Roemer;345
9.2.4.4;«Bei keiner dieser Hinrichtungen zugegen»;348
9.2.4.5;«Mörder der Geschwister Scholl»;350
9.2.4.6;Vorwürfe von Simon Wiesenthal;353
9.2.4.7;Hermann Maassen und Kai Bahlmann;356
9.3;III. Das NS-Erbe und die Gesetzgebung in der Bundesrepublik;358
9.3.1;1. Die Strafrechtsreform;359
9.3.1.1;Wiederherstellung des Analogieverbots durch die Alliierten;360
9.3.1.2;«Bereinigung» des StGB und Gesamtreform;362
9.3.1.3;Diskussion über die Todesstrafe;364
9.3.1.4;Der strafrechtliche Schutz des Lebens;369
9.3.1.5;Strafbarkeit der Homosexualität;372
9.3.2;2. Das Staatsschutzstrafrecht nach 1949;376
9.3.2.1;Staatsschutz im NS-Staat;376
9.3.2.2;Reformen nach 1949;377
9.3.2.3;Der Einfl uss des Grundgesetzes auf das Staatsschutzstrafrecht;379
9.3.2.4;Friedensverrat;380
9.3.2.5;Hoch- und Landesverrat;381
9.3.2.6;Neue Tatbestände: Staatsgefährdung;382
9.3.2.7;Prozessuale Besonderheiten des Staatsschutzstrafrechts;384
9.3.2.8;Die Reform 1968;388
9.3.3;3. Die Reform des Jugendstrafrechts;391
9.3.3.1;Das Reichsjugendgerichtsgesetz 1923;391
9.3.3.2;Der Weg zum RJGG 1943;393
9.3.3.3;Das Faktotum des Ministeriums: Karl Lackner;394
9.3.3.4;Das Jugendgerichtsgesetz von 1953;396
9.3.3.5;Die parlamentarischen Beratungen;397
9.3.3.6;Jugendstrafrechtspolitik auf der Rosenburg;398
9.3.4;4. Die «kalte Amnestie»: Parlamentarische Panne oder perfider Plan?;399
9.3.4.1;Das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968;400
9.3.4.2;Sinn und Zweck eines Ordnungswidrigkeitenrechts;401
9.3.4.3;Auswirkungen auf die Verjährung;403
9.3.4.4;Die Vorahnung;405
9.3.4.5;Der Kampf vor dem Bundesgerichtshof;409
9.3.4.6;Die Entscheidung;412
9.3.4.7;Die Folgen der Katastrophe;415
9.3.4.8;Hat Dreher «gedreht»?;417
9.3.5;5. Streng geheim: Das V-Buch;421
9.3.5.1;Ein «Kriegsbuch» für den Notfall;422
9.3.5.2;«Ermächtigung mit Gesetzeskraft»: Das Versagen des BMJ als Hüterin der Verfassung;423
9.3.5.3;Tiefe Einschnitte in die Gerichtsverfassung;424
9.3.5.4;Das Geheimnis wird gelüftet;426
9.3.5.5;Umdenken unter Heinemann;427
9.3.5.6;Eine Notstandsregelung auf gesetzlicher Grundlage;428
9.3.6;6. Die Aufhebung der Erbgesundheitsurteile;429
9.3.6.1;Rassenhygiene und Vernichtung;429
9.3.6.2;Franz Massfeller: «Im Dienst einer großen Sache»;430
9.3.6.3;Die Entwicklung nach 1990;432
9.3.6.4;Entscheidung unter Schmidt-Jortzing;434
9.3.7;7. Die Wehrstrafgerichtsbarkeit: Verbotene Pläne alter Wehrmachtrichter;435
9.3.7.1;Das Netzwerk der Wehrmachtrichter;436
9.3.7.2;Ein neues Wehrstrafrecht für die Bundeswehr?;438
9.3.7.3;Das Wehrstrafgesetz;440
9.3.7.4;Die Flucht des BMJ aus der Verantwortung;441
9.3.7.5;Personalpolitik für die Wehrstrafgerichtsbarkeit: Joachim Schölz;443
9.3.7.6;Gesucht: Geeignete Wehrrichter;447
9.3.7.7;Das Ende;449
10;Schlussbetrachtungen;451
11;Anhang;459
11.1;Anmerkungen;460
11.2;Quellen- und Literaturverzeichnis;559
11.3;Abkürzungsverzeichnis;575
11.4;Bildnachweis;580
11.5;Personenregister;581
12;Tafelteil;589


Einleitung
Georg August Goldfuß galt als Sonderling, aber auch als guter Wissenschaftler. Bereits mit 31 Jahren nahm ihn die Leopoldina, die älteste naturwissenschaftlich-medizinische Gelehrtengesellschaft in Deutschland, als Mitglied auf. 1818 wurde er zum ordentlichen Professor für Zoologie, Paläontologie und Mineralogie an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn berufen, an der er bis zu seinem Tod 1848, für kurze Zeit auch als deren Rektor, tätig war. 1831 ließ sich Goldfuß nach Plänen des Architekten Carl Alexander Heideloff im nahen Kessenich am Venusberg ein Landhaus im neoromanischen Stil errichten: die Rosenburg. Das Anwesen ging später in den Besitz eines Düsseldorfer Seidenfabrikanten über. Seit 1920 diente es dem Apostolat des Priester- und Ordensberufs als Stätte für die Ausbildung von Priestern, bis die burgartige Villa 1938 von der Wehrmacht übernommen wurde, die hier Offizierslehrgänge abhielt und während des Zweiten Weltkrieges Urlaubsunterkünfte für Zivilangestellte der Luftwaffe bereitstellte. 1944 bezog schließlich die medizinische Klinik der Universität Bonn vorübergehend Quartier in dem Gebäude. 1949, als die Bundesrepublik Deutschland gegründet und Bonn zum vorläufigen Regierungssitz bestimmt wurde, waren in der Rosenburg immer noch einige medizinische Einrichtungen untergebracht. Aber die Klinik war seit 1946 schrittweise auf den Venusberg gezogen, so dass der katholische Orden, der die Immobilie mit ihrer eigenwilligen Architektur, die so gar nicht in die moderne Zeit zu passen schien, nach dem Ersten Weltkrieg erworben hatte, eine neue Verwendung für das Haus suchte. Im Januar 1950 wurde es «für einen beträchtlichen Zins», wie einer der Mitarbeiter sich später erinnerte, dem Bundesministerium der Justiz als Dienstsitz zur Pacht angeboten.[1] Thomas Dehler, dem ersten Bundesjustizminister, kam die Offerte gerade recht. Das BMJ war bis zu diesem Zeitpunkt nur provisorisch untergebracht: in einem der hinteren Gebäude einer früheren Polizeikaserne an der Rheindorfer Straße (heute Graurheindorfer Straße) im Norden Bonns. Auch mit den ihm dort zugewiesenen Räumen war Dehler unzufrieden. Die pompös wirkende Anlage der Rosenburg war zwar ebenfalls gewöhnungsbedürftig, aber voller Atmosphäre, dazu idyllisch inmitten eines großen Waldgebietes am Hang des Venusbergs gelegen, von wo aus man das ganze Rheintal um Bonn überblickte. Nur eine einzige, gewundene Straße führte zur Burg hinauf. Dehler zögerte deshalb nicht lange. Nach einigen Umbauten und der Errichtung einiger zusätzlicher Gebäude wurde die Rosenburg am 1. April offiziell dem BMJ übergeben. Von 1950 bis 1973 war sie nun Sitz des Bundesministeriums der Justiz. Das Rosenburg-Projekt
Die Zeit von der Gründung der Bundesrepublik bis zum Beginn der 1970er Jahre ist in etwa auch der Zeitraum, auf den sich die Tätigkeit unserer «Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit» (UWK-BMJ) bezog, von deren Forschungsarbeit und Ergebnissen der vorliegende Band handelt. Die Kommission, die im Januar 2012 von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eingesetzt wurde, bestand aus zwei «Abteilungen»: einer größtenteils juristischen Arbeitsgruppe an der Philipps-Universität Marburg und einer im Wesentlichen aus Historikern bestehenden Gruppe an der Universität Potsdam. Die Kommission war also von Anfang an interdisziplinär besetzt. Regelmäßige Treffen der beiden Gruppen, abwechselnd in Marburg, Potsdam und Berlin, sorgten für den notwendigen Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen. Da der Name der Kommission etwas lang und umständlich war und auch die Abkürzung nicht restlos überzeugte, haben wir stets lieber von der «Rosenburg-Kommission» und vom «Rosenburg-Projekt» gesprochen. Den Mitarbeitern der Kommission sicherte die Ministerin zu, unbeschränkten Zugang zu den Akten des Ministeriums zu erhalten, soweit diese den Untersuchungszeitraum betrafen – einschließlich der besonders sensiblen Personalakten. Forschungsgegenstand war nicht die Justiz im Dritten Reich, unbeschadet aller notwendigen Rückgriffe auf die Zeit vor 1945, sondern die Frage, wie man im Bundesministerium der Justiz nach 1949 mit der NS-Vergangenheit im eigenen Haus verfuhr. Tatsächlich ist die Rolle der Justiz im NS-Staat bereits gut erforscht, während wir über die Ministerien und Behörden und deren Umgang mit dem Erbe des NS-Regimes in der Nachkriegszeit noch verhältnismäßig wenig wissen: Welche personellen und institutionellen Kontinuitäten gab es? Wie tief war der Bruch 1945/49 wirklich? Und wie sah es mit den inhaltlichen Aspekten der Politik aus? Wurden auch diese, wenn man unterstellt, dass viele der handelnden Personen schon vor 1945 aktiv gewesen waren, vom Gedankengut des Nationalsozialismus beeinflusst? Und wenn ja, auf welche Weise? Zum Auswärtigen Amt liegt seit 2010 eine entsprechende Untersuchung vor.[2] Gleiches gilt für das Bundeskriminalamt, über das 2011 eine Studie erschien.[3] Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragte am 1. November 2011 auf Initiative des früheren BfV-Präsidenten Heinz Fromm eine Forschergruppe, die «Organisationsgeschichte des BfV 1950 bis 1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase» zu untersuchen; deren Ergebnisse wurden 2015 präsentiert.[4] Weitere Studien zu Ministerien und anderen Institutionen sind in Vorbereitung: zum Bundesnachrichtendienst, zum Bundesministerium der Finanzen, zum Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie zum Bundesministerium des Innern. Das Bundesministerium der Justiz fügt sich in diese Reihe ein. Es steht also nicht allein, sondern ist Teil eines inzwischen sehr weitreichenden Bemühens, die möglichen NS-Belastungen zentraler Institutionen der Bundesrepublik zu erforschen. Nicht zuletzt auf Initiative des BMJ wurde dazu 2013 eigens ein Satz in die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD eingefügt, in dem es mit Blick auf die politischen Absichten der zu bildenden Bundesregierung heißt: «Die Koalition wird die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien und Bundesbehörden vorantreiben.»[5] Zwar förderte das BMJ bereits in den 1980er Jahren unter Minister Hans A. Engelhard einzelne Studien, die sich mit möglichen personellen und sachlichen Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit und der Bundesrepublik befassten.[6] Aktensperrfristen, historisches Desinteresse und sicher auch der Unwille, sich mit der unliebsamen eigenen Vergangenheit – oder der Vergangenheit des eigenen Hauses – ernsthaft und umfassend auseinanderzusetzen, trugen jedoch dazu bei, dass große Forschungslücken blieben, die erst jetzt mit dem Rosenburg-Projekt geschlossen werden sollten. Dabei kam die Initiative aus dem Ministerium selbst. Ähnlich wie im Auswärtigen Amt, wo Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 eine «Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik» berufen hatte, war inzwischen im BMJ die Überzeugung gewachsen, dass der Justizbereich ebenfalls eine entsprechende Untersuchung verdiene, ja unbedingt erfordere. Ministerialdirigent Gerd J. Nettersheim und Ministerialrat Detlef Wasser waren die treibenden Kräfte, die das Projekt initiierten und immer wieder voranbrachten, Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger persönlich unterstützte die Idee von Anfang an, ihr Nachfolger Heiko Maas machte sich das Projekt seiner Vorgängerin zu eigen und trug entscheidend dazu bei, Widerstände zu überwinden und dem Vorhaben zu größtmöglicher öffentlicher Resonanz zu verhelfen. Natürlich war die Unternehmung nicht unumstritten. Zwar ließ sich gegen das Thema selbst schwer argumentieren. Aber vor allem bei der Frage der Finanzierung wurden immer wieder Bedenken vorgetragen, die zu einer Schmälerung des Forschungsvorhabens oder leicht auch zu dessen vorzeitigem Ende hätten führen können. Der frühere Bundesaußenminister ...


Manfred Görtemaker ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.

Christoph Safferling ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat Publikationen u. a. zur Völkerstrafrechtspolitik und zum Internationalen Strafrecht vorgelegt.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.