E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Goetz Aquaplaning
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86414-834-7
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
ISBN: 978-3-86414-834-7
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Stephan Goetz ist geschäftsführender Gesellschafter einer internationalen Investment Banking- und Unternehmensberatungsgesellschaft. Bisher ist er als Fachautor von juristischen und wirtschaftsorientierten Zeitschriftenbeiträgen in Erscheinung getreten. Mit seinem ersten Roman Aquaplaning verarbeitet er Beobachtungen aus der Berufswelt.
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1
Thalasso
Man sollte überhaupt nur Worte mit anderen verwenden, die einem gar nichts sagten, weil man sonst unmöglich zurecht kam mit den anderen, und »Gewissen« würde eine Glaubwürdigkeit für Erich haben, der ja ein exemplarisches Beispiel dafür war, wie das funktionierte, wenn man einem Mann die unsinnigsten Worte servierte, denn er konnte nur mit denen etwas anfangen. Mit den heimlichen Worten und verheimlichten Gedanken von Beatrix wäre Erich doch in einen Abgrund gefallen oder zumindest desorientiert worden. Eine Orientierung brauchte er, das war alles.
Ingeborg Bachmann (1926–1973): »Probleme Probleme«
»Jetzt übertreibst du aber, so was gibt’s doch überhaupt nicht!«
Marion fixierte mit einem Blick aus Entrüstung und Neugier Annette, die ihr gegenübersaß und gerade eine kleine Szene ihrer gescheiterten Ehe zum Besten gegeben hatte. Die drei anderen Frauen auf der weiträumigen Terrasse des Wellness-Hotels an der französischen Atlantikküste hatten sich in ihren Liegestühlen aufgerichtet und lachten.
»Aber Marion«, sagte Esther mit ihrem leichten amerikanischen Akzent. »Männer sind Schweine – so heißt doch ein Schlager bei euch in Deutschland. Oder irre ich mich?«
Marion musste lachen, obwohl ihr nicht danach zumute war. Seit über dreißig Jahren war sie verheiratet mit einem Lehrer für Deutsch und Geschichte aus Essen im Ruhrgebiet. Er war mittlerweile zum Studiendirektor am Gymnasium aufgestiegen. Eine glückliche Ehe mit zwei Kindern – das war die übereinstimmende Meinung ihrer Nachbarn aus den gepflegten Doppelhaushälften, der Studienräte aus dem Lehrerkollegium und ihrer Freunde. Und besser noch, sie selbst empfand es so. Mit allen Unebenheiten des Weges und der sehr introvertierten Art ihres Mannes waren es schöne Jahre gewesen. Und so sollte es auch bleiben. Bei einem Vergleich mit dem Tierreich hätte sie sich ihn eher als milden, nachdenklichen Orang-Utan denn als Schwein vorgestellt. Sie lächelte in sich hinein.
Marion war zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit allein in Urlaub gefahren. »Zum Abspecken und aus Neugier«, wie sie zu Hause ihren Bekannten und Freundinnen erzählt hatte. Auf die immer wiederkehrende Frage »Und was sagt dein Mann dazu?« hatte sie die immer gleiche Antwort gegeben: »Er freut sich über eine runderneuerte Ehefrau.« Das war allerdings etwas übertrieben.
Marion galt mit ihren rötlich gefärbten Haaren, ihrem üppigen, aber nie ordinären Dekolleté und ihren für das bildungsbürgerliche Umfeld raffinierten Kleidern in Essener Lehrerkreisen als sehr attraktive Frau. Nur morgens und abends allein und nackt vor dem großen Spiegel des ehelichen Badezimmers bemängelte sie selbstkritisch die Falten an Stirn und Hals, ihren leicht hängenden Busen, das Fett an Hüften und Po, die schlaffer werdende Orangenhaut an den Oberschenkeln.
Von einer Thalasso-Schönheitskur hatte Marion in einer Zeitschrift gelesen, davon als »viel zu teuer« ihrem Mann berichtet, der ihr dann voll kreativen Stolzes einen Wellness-Urlaubsgutschein an Weihnachten unter den Christbaum gelegt hatte.
Jetzt also, im Juni eines sehr warmen Frühsommers, war sie für zehn Tage in der Bretagne gelandet: Zimmerblick auf den Atlantik, Meerwasserbecken. Tägliches Algenpeeling, Aqua-Fitness-Training, Lymphdrainagen.
Und vier neue Freundinnen, die Marion bei der Kosmetik und am Pool kennengelernt hatte. Drei von ihnen waren wie Marion um die fünfzig: Annette, die freche Hessin aus Frankfurt, die beneidenswert schlank war, aber deren Ehekrieg mit ihrem Mann deutliche Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Eva, die immer perfekt geschminkte und blondierte Frau aus der besseren Gesellschaft der Münchner Society, die von ihrem Mann wegen einer jungen Studentin verlassen worden war.
Und Esther, die dunkelhaarige New Yorkerin, ein ehemaliges Model mit endlos langen Beinen und dem Busen, dem sie mit Silikon nachgeholfen hatte. Mit ihrem tief gebräunten Teint war sie von den Obern umschwärmt, hatte aber ein unrundes Selbstbewusstsein, weil sie nach ihrer Trennung von ihrem Mann keine stabile Beziehung mehr aufbauen konnte.
Die fünfte Frau im Bunde dieser »Weiber-Kommune«, wie Marion ihren zufällig zusammengewürfelten Haufen nannte, war Birgit. Sie fiel schon deshalb aus dem Rahmen, weil sie mit ihren 35 Jahren erheblich jünger war als die anderen. Ihren Exhibitionismus stellte sie täglich dadurch zur Schau, dass sie zum nachmittäglichen Frauentreffen auf der Terrasse des Grand Hotels im offenen Hotel-Bademantel nur mit Tangabikini darunter erschien. Außer ihrer langen blonden Mähne trug sie kein einziges Haar am Körper.
Die Signalwirkung ihrer Auftritte war umso provozierender, als das Hotel überwiegend älteres, gesundheitsorientiertes Publikum hatte. Doch Birgit war nicht wirklich die Mischung aus Lara Croft und Jennifer Lopez, als die sie auf den ersten Blick erschien. Sie arbeitete hart mit ihrem Partner und neuen Freund in ihrer Berliner Galerie und kämpfte gleichzeitig mit dem Trauma ihrer früheren Beziehung. Ihr langjähriger Liebhaber, ein renommierter Schönheitschirurg, war gewalttätig geworden. War es die Arbeitsüberlastung oder das unverarbeitete Erlebnis, weswegen sie nervös war, unter Schlafstörungen litt und stark rauchte? Eine Thalasso-Kur sollte ihr helfen, vom Nikotin wegzukommen. Obwohl gebürtige Schweizerin, belustigte sie die Frauengruppe oft mit ihren schnoddrigen Sprüchen, die sie in Berlin aufgepickt hatte.
Marion war die einzige des Quintetts, die noch in einer funktionierenden Ehe lebte. Und was sie täglich an Beziehungsepisoden der anderen Frauen hörte, hatte sie selbst nie erlebt. Sie liebte modernes Theater, das regelmäßig überquoll von Zerrbildern menschlicher Beziehungen. Das Ruhrgebiet war geradezu eine Wiege dieser Inszenierungen. Aber was sie hier hörte, war alles erlebte Realität.
So wie heute von Annette. »Jetzt übertreibst du aber, so was gibt’s doch überhaupt nicht«, war ihr spontan über die Lippen gekommen.
Doch Annette hob beschwichtigend die Hände und wiederholte nochmals in aller Ruhe: »Es war genauso, wie ich euch erzählt habe. Wir fuhren auf der Autobahn. Da griff mein Mann bei Tempo 160 mit der rechten Hand nach seinem Aktenkoffer auf dem Rücksitz und fischte ein Blatt Papier heraus. Darauf standen, fein sortiert in zwei Rubriken, die Vor- und Nachteile der Fortsetzung unserer Ehe. Er gab mir völlig cool den Tipp, auch so eine Tabelle mit den positiven und negativen Seiten unserer Beziehung aus meiner Sicht aufzustellen. Dann sollte ich mich entscheiden, ob wir unsere Ehe fortsetzen sollten.«
»Und was hast du gemacht?«, fragte Birgit in die Stille der Frauenrunde.
»Ich war zunächst schockiert«, sagte Annette. »Aber ich habe sehr schnell begriffen, dass das der Anfang vom Ende war. Er war einfach total unmöglich.«
Langsam tauchte die Sonne wieder hinter den Wolkenbergen auf. Als hätte sie ihn angezogen, erschien ein junger Kellner auf der Terrasse. Korrekt gekleidet mit schwarzer Hose, weißem Hemd und Fliege. Seinem dunkelbraunen Teint nach zu schließen, war er Nordafrikaner.
»Meine Damen, darf ich Ihnen noch etwas servieren?«, fragte er lächelnd und ließ seine strahlend weißen Zähne blitzen.
Birgit lächelte zurück. »Einen Prosecco bitte. Nein, halt, nichts Alkoholisches. Einen Orangensaft vielleicht.« Sie musterte ihn, als zöge sie ihn mit ihren Blicken aus. »Ach, nein, Monsieur. Bringen Sie mir bitte einen Café au Lait.«
Auch die anderen Frauen gaben kokett ihre Bestellungen auf und zogen den gerade georderten »Vin blanc« und den »Sundown-Cocktail« schließlich doch wieder zurück. Am Ende blieben fünf Cafés au Lait übrig. »Voilà, mesdames«, sagte der Ober mit seinem professionalisierten Dauerlächeln. »Ich bin gleich wieder bei Ihnen.«
Marion lachte laut, als er gegangen war. »Also, für einen ordinären Milchkaffee waren wir ganz schön umständlich.« Birgit schob ihre Sonnenbrille ins blonde Haar und sagte augenzwinkernd in die Runde: »Einen Mann mit einem so schönen Knackarsch sieht man ja auch nicht jeden Tag. Da darf man schon mal ein bisschen träumen.«
»Gib zu, von dem würdest du dir doch ganz andere Dinge servieren lassen«, warf ihr Eva neckisch zu.
Birgit zog ihre Sonnenbrille wie ein Visier auf die Nase. »Manchmal ist mir durchaus nach einem One-Night-Stand«, erwiderte sie herausfordernd. »Aber das ist ja jetzt nicht unser Thema. Wie ging’s denn bei dir weiter, Annette?«
»Ich war damals im Auto wie vor den Kopf gestoßen. Ich dachte mir: ›Du träumst. Das kann nicht wahr sein.‹ Doch als ich sein Blatt Papier mit den...