Gundlach / Straub / Walder | Kriminalistisches Denken | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 41, 500 Seiten

Reihe: Grundlagen der Kriminalistik

Gundlach / Straub / Walder Kriminalistisches Denken

E-Book, Deutsch, Band 41, 500 Seiten

Reihe: Grundlagen der Kriminalistik

ISBN: 978-3-7832-4061-0
Verlag: Kriminalistik Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Kriminalistisches Denken ist der Ausgangspunkt und zugleich die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiches kriminalistisches Arbeiten. Die Methoden der Kriminalistik und insbesondere deren kriminaltechnischen Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten zum Teil stark verändert bzw. enorm weiterentwickelt. Die Fragen, die kriminalistisch gestellt werden müssen, um eine Straftat zu entdecken, einen Sachverhalt aufzuklären und einen mutmaßlichen Täter beweissicher zu überführen, sind jedoch die gleichen geblieben.

Die 12. Auflage bietet eine systematische Analyse der kriminalistischen Vorgehensweise und berücksichtigt dabei neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Autorenteam bezieht in dieser Neuauflage sowohl die schweizerische als auch die deutsche Perspektive ein.

Viele Beispiele und praktische Tipps veranschaulichen die dargestellte Methode, so ist und bleibt dieses Standardwerk eine unverzichtbare Lektüre für den erfahrenen Praktiker und den wissbegierigen Berufsanfänger.
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Zielgruppe


Polizeibeamte in Ausbildung und Praxis, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Richter

Weitere Infos & Material


2. Kapitel Die Methode
I. Der kriminalistische Zyklus
1. Grundsätzliche Überlegungen
Es wurde immer wieder versucht, allgemeingültige Modelle zur Lösung der kriminalistischen Aufgabe zu entwickeln. Es ging dabei vor allem darum, die für eine Straftat vorhandenen Beweise möglichst umfassend zu erheben, um zu einem guten Gesamtbild zu kommen. Horst Clages schlug dazu 1983 einen Plan zur Beurteilung der Lage vor, der 108 Gliederungspunkte umfasste; Holger Roll legte 1999 ein kriminalistisches Konzept vor, das mit 19 Gliederungspunkten auskam. Thomas Gundlach entwickelte 2003 die Wabenanalyse, die er in Band 4 der Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK) 2013 detailliert beschrieben hat.[1] Die Wabe besteht aus den sechs Elementen Verdachtslage, Allgemeine Beurteilung, Tatsituation, Fahndungssituation, Beweissituation und Ermittlungskonzeption. Jede Zelle dieser Wabe ist wiederum in sechs Unterwaben gegliedert. Die Verdachtslage beinhaltet die Gefahrensituation, Ereignisversionen, Ablaufhypothesen, Motivhypothesen, die Frage „Cui bono?“ und den Aspekt Täter. Die Allgemeine Beurteilung behandelt die Rechtslage, Einsatzsituation, Personal, Sachressourcen, Medien und die Öffentlichkeit. Die Tatsituation besteht aus den Elementen Tatort, Tatzeit, Tatmittel, Modus Operandi, Tatbeute und Opfer. Die Fahndungssituation gliedert sich in Personen, Zeit, Raum, Sachen, Vermögenswerte und Ziel. Die Beweissituation betrachtet die vorhandenen Spuren, zu erwartende Spuren, fingierte und Trugspuren, Zeugen und Geschädigte, das Geständnis und den Aspekt Beweiswert. Schließlich bildet die Ermittlungskonzeption mit den Elementen Sofortmaßnahmen, Anschlussermittlungen, Ermittlungsziele, Ermittlungsmaßnahmen, ermittlungsbegleitende Maßnahmen und Controlling den Abschluss. In jeder Wabe werden überwiegend Fragen gestellt sowie vorhandene Informationen analysiert, die dann (recht) zuverlässig in Antworten (insbesondere Maßnahmen) münden, die in der letzten Wabe ihren Niederschlag finden. Die Methode, sich der Lösung durch Fragen zu nähern, ist ein in vielen Disziplinen effektiver Ansatz. Wir kennen dies bspw. aus dem Personal- und Fachcoaching. Auch die Verteidigung konzentriert sich auf die wenigen „wesentlichen Fragen", wenn es darum geht, die Strategie im Strafverfahren zu bestimmen. Solche Modelle wollen also vor allem beschreiben, welche Daten erhoben werden müssen, um bei genügender Datenlage dann erkennen zu können, wie sich eine Straftat abgespielt hat, wer der Täter ist und was es braucht, um ihn rechtgenüglich zu verurteilen. Natürlich umfassen die meisten dieser Modelle auch eine Anleitung darüber, in welcher taktischen Reihenfolge die Beweiserhebung abgewickelt werden soll. Thomas Hansjakob hat kritisiert, dass das Prozesshafte beim Vorgang der Lösung einer kriminalistischen Aufgabe in diesen Modellen aber generell zu wenig berücksichtigt wird. Sie würden den Kriminalisten dazu verleiten, sich auf die Abklärung der zahlreichen in diesen Modellen enthaltenden Elemente zu stürzen, ohne zunächst genauer zu überlegen, welches die eigentliche Aufgabe des konkreten Falles ist. Indes ist die Wabenanalyse als Fallanalyseinstrument kein statisches, sondern ein dynamisches Modell, das in der praktischen Anwendung durch Erkenntnisgewinn bzw. neue Informationen die Sachlage auch immer wieder neu bewertet. Deshalb haben Bernhard Bergmann u. a. auch von einem iterativen Regelkreis gesprochen.[2] Kriminalistische Fallbearbeitung ist Informationsverarbeitung, und diese beginnt mit der Informationssammlung. Zu der sich anschließenden Informationsanalyse gehört zuerst die Prüfung der Information im Hinblick auf Umfang, Qualität und Güte und schließlich deren Bewertung auf drei Ebenen (semantisch, pragmatisch, kombinatorisch). Ziel ist eine argumentativ sichere Beweisführung oder – wenn das noch nicht möglich ist – der Wiedereintritt in die Informationsbeschaffung.[3] Der von Thomas Hansjakob entworfene Kriminalistische Zyklus steht hierfür sinnbildlich.[4] Einen ähnlichen Ansatz beschreiben im Zusammenhang mit der forensischen Befundbewertung Jörg Arnold und Thomas Ottinger, die das Konzept der drei Level (Source Level, Activity Level und Offence Level) favorisieren.[5] Beim Source Level geht es um die Herkunft der materiellen Spur, das Acticity Level will die Laborresultate mit konkreten Sachverhaltsaktivitäten verknüpfen und das Offence Level beurteilt die rechtliche Relevanz aller Informationen. Neuere Modelle berücksichtigen noch mehr, dass Ermittlende einem Tunnelblick unterliegen können, wodurch die Gefahr besteht, unterbewusst selektiv wahrzunehmen und zu interpretieren. Mögliche Alternativen drohen so, übersehen zu werden. Fatal erweißt es sich, wenn im gerichtlichen Verfahren die Verteidigung die erste ist, die Alternativen zum ermittelten Tatgeschehen und zu Überlegungen der Täterschaft aufwerfen, um so Zweifel zu schüren, die letztlich einer Verurteilung entgegenstehen. Das Denken in Alternativen gilt es daher, bereits ganz früh im Verfahren zu implementieren. 2. Zyklische Prozesse
Der Weg zur Lösung der meisten Straffälle ist relativ einfach: Ausgehend von einem Tatverdacht wird bestimmt, um welchen Straftatbestand es geht. Man prüft, welche Tatbestandsmerkmale zu beweisen sind, und erhebt die erforderlichen Beweise. Lässt sich beweisen, dass die tatverdächtige Person jedes Tatbestandselement erfüllt, dann ist der Fall gelöst und die Verurteilungswahrscheinlichkeit groß. Ist dies nicht der Fall, dann liegt entweder kein Tatbestand vor, sodass das Verfahren definitiv eingestellt werden muss; oder der Beweis bestimmter Tatbestandsmerkmale gelingt nicht, weil die Beweislage zu schwach ist. Zu letzterem zählt auch die Konstellation, wenn gar kein Täter identifiziert werden kann. In solchen Fällen wird das Verfahren einstweilen beiseitegelegt, also sistiert, bis sich allenfalls neue Erkenntnisse ergeben. Die kriminalistisch interessanten Straffälle liegen allerdings anders. Der Anfangsverdacht beruht auf Informationen, die vorerst noch nicht genügen, um definitiv zu entscheiden. Man muss in solchen Fällen vorerst die Datenlage genau analysieren und überprüfen, welche vorhandenen Daten das Bild vervollständigen könnten. Dann gilt es, ausgehend von diesen Daten Hypothesen über mögliche Tatabläufe zu bilden und für jede Hypothese zu entscheiden, welche Tatbestände in Frage kommen. Hilfreich sind systematische Übersichten zu den einzelnen Anforderungen der jeweiligen Strafnormen – also, was konkret zu beweisen ist. Man kann sich dann auflisten, bei welchen in Frage kommenden Straftatbeständen welche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale zu beweisen sind; mit Jürg-Beat Ackermann könnte man diese Phase als „Festlegen des materiellrechtlichen Programms“ bezeichnen. Anschließend erhebt man die Beweise zu den Tatbestandsmerkmalen, die noch nicht bewiesen sind. Taktisch klug ist es dabei, sich dem schwächsten Glied in der Beweiskette zunächst anzunehmen. Gelingt es nicht, zu diesem Element beweiskräftige Aussagen zu treffen, nützt auch die überzeugendste Beweiskraft hinsichtlich aller anderen letztlich nichts. Die Verteidigung wird sich darauf berufen, dass dieses eine Tatbestandselement nicht bewiesen sei und daher eine Verurteilung außer Betracht falle. Weil man dabei das Bild des Sachverhaltes oft nicht einfach abrundet, sondern herausfindet, dass sich die Sache etwas anders abgespielt hat, als man ursprünglich vermutete, können sich in dieser Phase natürlich die Gewichte verschieben, wenn die Ergebnisse zu einzelnen Aspekten der Beweisführung vorliegen. Eine der Hypothesen tritt eher in den Hintergrund, die andere wird wahrscheinlicher, und vielfach verändert sich das Bild auch so, dass neue Straftatbestände in Frage kommen. Man kehrt damit also zum Ausgangspunkt zurück und modifiziert den Verdacht. Ausgehend vom neuen Ausgangsverdacht beginnt der Zyklus von Neuem: die hinzugewonnenen oder sich modifiziert darstellenden Daten sind nochmals zu analysieren, neue oder präzisere Hypothesen gilt es zu bilden, aus denen sich das Programm der Beweisführung ableiten lässt. So beginnt eine neue Phase der Beweiserhebung. Eventuell sind danach weitere Runden erforderlich. Man könnte dieses Vorgehen als Pendeln vom Sachverhalt zum Tatbestand bezeichnen: Man fasst den Beweis eines bestimmten Straftatbestandes ins Auge und erhebt dazu gewisse Beweise. Die Beweisergebnisse vergleicht man dann mit den Merkmalen des Tatbestandes, aber auch von anderen Tatbeständen, die nun auf Grund des Beweisergebnisses neu in Frage kommen könnten. Das Programm für die zu erhebenden Beweise wird angepasst und die Beweiserhebung wird nach Prüfung der Frage, welche neuen Tatbestandsmerkmale von Bedeutung sind, fortgesetzt, bis alle nötigen Beweise erhoben sind. Aus einem Tresor bei einer kleinen Bankniederlassung in der Schweiz waren CHF 10.000 verschwunden. Als Täter kamen Bankangestellte, aber auch Handwerker in Frage, die im Tresorraum bei möglicherweise offenem Tresor Reparaturarbeiten ausgeführt hatten. Möglicherweise war der Fehlbetrag auch auf eine (fahrlässig oder vorsätzlich) unterlassene oder falsch ausgeführte Buchung zurückzuführen. Es kamen also je nach Täterschaft und Tatablauf Diebstahl, Veruntreuung (Untreue nach deutschem Recht) oder...


Hansjakob, Thomas, Dr.
verstorben

Walder, Hans, Prof. Dr.
verstorben

Prof. Dr. iur. Hans Walder (1920-2005) hat dieses Werk begründet und bis zur 6. Auflage betreut.
Dr. iur. et lic. oec. Thomas Hansjakob (1956-2018) leitete ab 2004 als Staatsanwalt das regionale Untersuchungsamt und ab 2007 als Erster Staatsanwalt die Staatsanwaltschaft St. Gallen. Er war Lehrbeauftragter für Strafprozessrecht an den Universitäten St. Gallen und Luzern. Er übernahm die Fortführung des Buches von der 7. Auflage 2004 bis zur 10. Auflage 2016. Thomas Hansjakob verstarb plötzlich und völlig unerwartet im Januar 2018.
Prof. Thomas E. Gundlach war von 1984 bis 1999 bei der Hamburger Kriminalpolizei tätig. Seit 1999 lehrt er Kriminalistik an der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. Er hat Lehraufträge an der Northern Business School (B.A. Sicherheitsmanagement) und der Steinbeis-Hochschule Berlin (Master Criminal Investigation) und ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik.
Dr. Peter Straub LL.M. ist Leitender Staatsanwalt im Kanton St. Gallen, Mitglied der Fachkommission zur Überprüfung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern, Dozent an der Polizeischule Ostschweiz und übt einen Lehrauftrag aus für Strafprozessrecht an der HSG St. Gallen.


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