Gysi | Was Politiker nicht sagen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Gysi Was Politiker nicht sagen

... weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-8437-2743-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Ein Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs
Politiker müssen etwas zu sagen haben, aber Reden ist auch gefährlich. Jeder Satz kann aus dem Zusammenhang gerissen, auf die Goldwaage gelegt und vom politischen Gegner bewusst fehlinterpretiert werden. Nichts ist so einfach wie man es gerne hätte, aber komplizierte Sachverhalte zu erklären ist in Zeiten von kurzen Aufmerksamkeitsspannen eine besondere Herausforderung. Oft müssen Themen wie die Veräußerungserlösgewinnsteuer erst einmal "übersetzt" werden, um auf ihre Relevanz für Bürgerinnen und Bürger hinzuweisen und damit ihr Interesse zu wecken.
Wer in der Politik erfolgreich sein will, lernt früh das zu sagen, was die Wählerinnen und Wähler vermeintlich hören wollen. Und das können auch Halbwahrheiten sein.
Gregor Gysi erklärt, wie Kommunikation im politischen Betrieb funktioniert, warum die Abgeordneten nicht nach Professionalität aufgestellt werden,?welche Redezeitbegrenzungen im Bundestag gelten, warum er sich in Talkshows vor allem an die Zuschauer wendet und weniger an die Mitdiskutanten, wie unterschiedlich Printmedien und Talkshows funktionieren und wie wichtig, aber auch wie schwierig es ist, Sachverhalte vereinfacht und zugleich korrekt darzustellen. Ein anekdotenreicher Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs.
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Zuvor
Ein Ostdeutscher ist Bundespräsident.
Eine Ostdeutsche ist Bundeskanzlerin.
Und was aus mir wird, wissen Sie alle nicht.(Bei einer Diskussionsveranstaltung
zur Bundestagswahl im September 2013) Viele Redensarten ranken sich ums Reden. Sprache bestimmt unser Leben, von der Schrift- über die Körper- und Mienen- bis zur Zeichensprache. Reden sei Silber, Schweigen Gold? Klingt gut, wird oft zitiert. Wer kein Wort verliert, weil rundum alle rufen, plaudern, plärren, schreien, raunen, wirkt als der gewinnend Klügere. Wer vielsagend nichts sagt, schützt sich und andere vor dem Nichtssagenden. Nichts zu sagen, ist verfehlte Politik. Nichtssagend zu sein bei dem, was man sagt, ist leider gängige Politik. »Der Rest ist Schweigen.« Das sind die letzten Worte Hamlets. Vergessen wir nicht: Die Ruhe, die da von Shakespeare beschworen wird, ist eine Friedhofsruhe. Sie offenbart: Das Schweigen steht in widersprüchlichem Ruf. Gerade in der Politik. Wir sind Berufsrednerinnen und Berufsredner! Und oft wird geschwiegen, wo geredet werden müsste. Sich ein Wort zur rechten Zeit am rechten Ort zu versagen, kann ein Ver-Sagen sein. Aber ebenso oft erweist sich auch das Gesagte als Methode, um etwas zu verbergen. Oder eine Verkündigung entpuppt sich als Lüge. Sagen wir denn, was wir denken? Denken wir, was wir sagen? Denken wir, bevor wir etwas sagen? Folgen wir dem, was wir sagen? Redetexte von Politikerinnen oder Politikern, die den Medien vorab zur Verfügung gestellt werden, enthalten den vorsorglichen Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort. Daraus entstand der Kalauer, der besonders nach Wahlen die Runde macht: Es gilt das gebrochene Wort. Schon in Friedrich Schillers Wallenstein heißt es: »Vor Tische las man’s anders.« In der Politik gehört das Mundwerk zum Handwerk, daher ist etwas dran am Aphorismus: Das Einzige, was Politikerinnen und Politiker sich gern vorhalten lassen, ist das Mikrofon. Die Rede, das Statement, die Presseerklärung, das Interview – das sind nur wenige Gelegenheiten für das Repertoire täglicher Entäußerungen, bei denen wir unsere Haupttätigkeit ausfüllen: öffentlich zu sein. Der Verlag bat mich, etwas über Rhetorik zu schreiben. Wohl in der Annahme, dass ich rhetorisch irgendwie begabt sei. Das Lob nehme ich frech an. Man muss nicht allen und allem widersprechen. Rhetorik ist übersetzbar als Redekunst. Das Wort als politisches Instrument: Es steht, bei Parteien, in Parlamenten im Einsatz für eine möglichst wirksame Vertretung jeweiliger Interessen. Die Sprache als Transportmittel für Ansichten und Anliegen. Der Mensch betritt ein Podium und sendet aus. Heftig oder besänftigend, befeuert oder besinnlich, zornig oder euphorisch, bedrängt oder befreit, witzig oder tiefernst. Wer redet, will glänzen. Das sei eitel? Ja. Wer so in die Öffentlichkeit tritt, dass es anderen auffallen möge, ist eitel. Die Frage ist nur: Beherrscht meine Eitelkeit mich, oder beherrsche ich sie? Auch hier gilt: Vorsicht vor allzu selbstgewissen Antworten! Rhetorisch etwas bewandert zu sein, bedeutet nicht, dass es einem leichtfiele, über diese Thematik zu schreiben. Das zu denken, wäre ein Irrtum, ein falscher Schluss. Eine gute Fußballerin oder ein guter Fußballer kann, aber muss keine gute Fußballtrainerin oder kein guter Fußballtrainer sein; eine mittelmäßige Sportlerin oder ein mittelmäßiger Sportler kann diesbezüglich viel wirkungsvoller in Erscheinung treten. Schon manches Restaurant verlor an Renommee, weil die Chefköchin oder der Chefkoch in die Geschäftsführung aufstieg. Mit Talenten muss man differenziert umgehen. Sie sind nicht automatisch übertragbar auf andere Bereiche. Zudem: Schreiben und Reden sind zwei sehr verschiedene Dinge. Zu DDR-Zeiten war der Schriftsteller Heiner Müller mein Mandant. Er erläuterte mir eine Viertelstunde lang sein Mietproblem. Ich hörte zu und verstand nichts. Mir fiel sein Theaterstück Weiberkomödie ein, in dem ein einziger Satz die Widernatürlichkeit von Grenzen offenbart. Ein DDR-Bauer steht an der deutsch-deutschen Grenze und sagt: »Ja, ja, das Gras wächst von hüben nach drüben, nur der Mensch braucht Papiere.« Lakonisch und treffend. In jenem Gespräch mit Heiner Müller zitierte ich den Satz und fragte den Dichter und Dramatiker, wieso er das Mietproblem nicht so formuliere, dass es mir als seinem Anwalt sofort einleuchte. Er sah mich kopfschüttelnd an und sagte: »Wenn ich reden könnte, würde ich doch nicht schreiben.« Klingt gut, aber es stimmt nicht; er konnte sehr wohl gut reden. Diese Anekdote öffentlich zu erzählen, hat er mir übrigens schon lange vor seinem Tod 1995 erlaubt. In jenem Moment war ich einmal mehr überzeugt: Ein wirkliches Genie geht niemals in die Politik. Müller wurde mal gefragt, warum er so leise rede. »Damit die Leute nicht mitkriegen, wenn ich morgen was ganz anderes sage.« Die große Schauspielerin Inge Keller, Grande Dame des DDR-Theaters, hat in meiner Gesprächsreihe »Gregor Gysi trifft Zeitgenossen« am Deutschen Theater Berlin von einem Gespräch mit dem berühmten Opernregisseur Walter Felsenstein erzählt. Eines Tages sei er auf sie zugekommen und habe gefragt, wie sie das nur mache. »Was denn?«, fragte Inge Keller zurück. Felsenstein: »Na, diese Naivität bei gleichzeitigem Kunstcharakter des Spiels.« Die Keller blickte verwirrt, ja verstört, auf und fragte noch einmal: »Was bitte?« Da entschuldigte sich Felsenstein und wechselte sofort das Thema. Er hatte begriffen: Mit seiner Frage hatte er an etwas Geheimnisvolles gerührt, das man lieber unangetastet lassen sollte. Das Beispiel der Inge Keller, also das Beispiel der Kunst, ist nicht unmittelbar auf die Sparte der Politik übertragbar. Das wäre nun wahrlich zu eitel. Und doch … Über meine Rhetorik wurde eine Magisterarbeit geschrieben. Ich bekam sie zu lesen, aber nach den ersten sieben Seiten klappte ich sie wieder zu. Nicht, dass ich bis dahin etwas auszusetzen gehabt hätte am Text. Dass ich ihn beiseitelegte, war kein Werturteil. Im Gegenteil: Ich hätte Gutes über mich erfahren. Aber ich wusste: Hätte ich weitergelesen, wäre es mir wie einem Tausendfüßler ergangen. Wenn der darüber nachdächte, wie er läuft, verknotete er sich sämtliche Beine. Gleichwohl war ich eitel genug, der Beobachtung des Autors auf den ersten sieben Seiten gern zu folgen. Die Analyse beschäftigte sich nämlich zunächst mit der Frage, warum Leute Kundgebungen, auf denen ich spreche, kaum verlassen – selbst dann nicht, wenn ich länger als eine Stunde ins Mikrofon rede. Beobachtet hatte der angehende Magister eine Rede von mir auf einer Kundgebung in Frankfurt am Main. Sie fand in der Nähe der Deutschen Bank statt. Während ich sprach, endete wohl gerade die Arbeitszeit in vielen Büros, Beschäftigte verließen das Gebäude und sahen mich. Fast alle blieben stehen, um kurze Zeit zuzuhören, was ich so von mir gab. Warum ging kaum einer nach wenigen Minuten weg? Der mich beschreibende Beobachter führte das darauf zurück, dass ich scheinbar keine Rede hielt, sondern ein Gespräch versuchte. Befindet man sich mit jemandem im Gespräch, ist man gewissermaßen verwickelt. Aus einer Unterhaltung steigt man nicht so leicht aus, das ist ein geläufiger psychologischer Reflex. Ich las das und konnte nur nicken. Zugleich wurde mir bewusst, dass ich darüber noch nie nachgedacht hatte. Beim Reden stellte ich Fragen an die Kundgebungsbeteiligten. Aber logischerweise – da es sich ja um eine Rede handelte und nicht wirklich um ein Gespräch – beantwortete ich sie dann selbst. Was natürlich, letzten Endes, eine höchst bequeme Variante von Fragestellung ist, das will ich einräumen. Für Politikerinnen und Politiker, überhaupt für öffentliche Rednerinnen und Redner, ist dies ein ernst zu nehmender Konflikt: sich selbst zu vertrauen, seinem eigenen Naturell treu zu bleiben – und zugleich zielgerichtet, also auch kontrolliert zu agieren. Man erscheint ja nicht, wenn man auftritt. Man tritt höchstens, im besten Falle, in Erscheinung. Deshalb darf man aber nicht eine Sekunde lang glauben, man sei allein deshalb schon eine Erscheinung. Kurzum: Eine Fähigkeit zu besitzen, hat nur wenig bis gar nichts mit der Gabe zu tun, darüber auch zu reflektieren. Das gilt auch für alle Bewegungsformen in der Politik. Ich habe dennoch versucht, ein paar Gedanken zur politischen Rhetorik und zu meinem Verhältnis zur Sprache aufzuschreiben. Kein Angriffspapier. Kein Ratgeberprogramm. Eine Rezeptur schon gar nicht. Ein biografisch beeinflusster Erklärungsversuch. Systematik? Eher eine Plauderei. Ich habe keinen Vorbehalt gegen dieses Wort. Es hat etwas Freundliches, Zugewandtes. Sehr viele Bücher aus der Spitzenpolitik stellen säuberlich geordnete Thesen auf. Ja, geht man die Buchhandlungen durch, scheint sehr viel gedacht und klar analysiert zu werden in diesem Land … alles so präzis zwischen den Buchdeckeln, vieles so grundsätzlich. Sagen wir so: Ich staune. Die Sprache ist das wesentliche Instrument des Menschen in der Politik. Auch in den Medien. Denn wir wissen aus Erfahrung: Dem Begriff der Schlag-Zeile wohnt mitunter ein semantischer Beigeschmack von Wahrheit...


Gysi, Gregor
Dr. Gregor Gysi, geboren 1948, ist gelernter Facharbeiter für Rinderzucht und wurde nach einem erfolgreichen Jurastudium an der Humboldt-Universität Berlin 1971 Rechtsanwalt. Von Ende 1989 bis Januar 1993 war er Vorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Er gehörte vom März bis Oktober 1990 der Volkskammer der DDR an und war Vorsitzender der PDS-Fraktion. Von Ende 1990 bis Januar 2002 war er direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages und Fraktionsvorsitzender der PDS.  Seit Oktober 2005 ist Dr. Gysi, als direkt gewählter Abgeordneter, Mitglied des Bundestages. 1990 bis 2000 und 2005 bis 2015 war er Vorsitzender der Fraktion Die Linke Bundestag. Von Dezember 2016 bis 2019 war er Vorsitzender der Europäischen Linken.

Dr. Gregor Gysi, geboren 1948, gelernter Facharbeiter für Rinderzucht und wurde nach einem erfolgreichen Jurastudium an der Humboldt-Universität Berlin 1971 Rechtsanwalt. Von Ende 1989 bis Januar 1993 war er Vorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Er gehörte vom März bis Oktober 1990 der Volkskammer der DDR an und war Vorsitzender der PDS-Fraktion. Von Ende 1990 bis Januar 2002 war er direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages und Fraktionsvorsitzender der PDS.  Seit Oktober 2005 ist Dr. Gysi, als direkt gewählter Abgeordneter, Mitglied des Bundestages. 1990 bis 2000 und 2005 bis 2015 war er Vorsitzender der Fraktion Die Linke Bundestag. Im Dezember 2016 wurde er zum Vorsitzenden der Europäischen Linken gewählt.


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