E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Hamer Wie man einen Maulwurf fängt
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95967-857-5
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein poetisches Plädoyer für das Leben im Einklang mit der Natur
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-95967-857-5
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marc Hamer hat einen seltsamen Beruf: Er ist Maulwurfsfänger. Er liebt die Einsamkeit, die Tiere und Pflanzen. Als Jugendlicher hatte er mehrere Monate kein Zuhause und schlief unter freiem Himmel. Seitdem ist sein Leben untrennbar verbunden mit dem Werden und Sterben der wilden Natur. Später, als er sich ein Heim geschaffen hatte, fing er Maulwürfe - nur mit der Geduld und Langsamkeit, die ihn das Leben mit der Natur gelehrt hatte, konnte er die klugen Tiere überlisten. Doch je älter er wurde, desto weniger wollte Marc Hamer sie töten. Von einem Tag auf den anderen beschloss er, damit aufzuhören.
Poetisch und klug erzählt der Autor von seiner letzten Saison als Maulwurfsfänger. Behutsam zeichnet er ein Bild von einem Leben im Einklang mit der Umwelt, vom Entstehen und von der Vergänglichkeit, vom Töten und vom Glück.
»Das ganze Buch ergreift durch die Schlichtheit seiner poetischen Sprache - grandios!«
ekz Bibliotheksservice
Der Gärtner und ehemalige Maulwurffänger Marc Hamer wurde im Norden Englands geboren und lebte an verschiedenen Orten, bevor er vor dreißig Jahren nach Wales zog. Er war einige Zeit obdachlos und arbeitete dann bei der Bahn, bevor er Kunst in Manchester und Stoke-on-Trent studierte. Er hat in Gallerien, im Marketing, als Graphikdesigner und Herausgeber einer Zeitschrift gearbeitet sowie Kreatives Schreiben in einem Gefängnis unterrichtet, bevor er Gärtner wurde.
Weitere Infos & Material
GOLDMULLE, STERNNASEN – UND BERÜHMTE MAULWÜRFE
Ein Maulwurf ist unglaublich stark. Die enormen Hände, von denen jede zwei Daumen hat, sind so breit wie sein Kopf, und er hat in Nacken und Schultern steinharte Muskeln. Ich bin harte Arbeit gewohnt und kann mit einem Spaten umgehen, und trotzdem sind Maulwurfshände stärker als meine eigenen: Ein lebender Maulwurf kann mir problemlos die um ihn geschlossenen Finger aufbiegen und fliehen. Der restliche Körper ist zart, weich und flexibel, damit er sich in seinen Tunneln umdrehen kann, obwohl sie nur so breit sind wie er selbst. Seine Nase ist feucht und rosa wie die von einem Hund. Ich fange den Europäischen Maulwurf, Talpa europaea. Er ist so lang wie meine Hand und wiegt etwa so viel wie ein leeres Lederportemonnaie. Sein Fell ist blauschwarz und samtig weich, und kann problemlos in alle Richtungen gestrichen werden, damit sein Besitzer sich in seinem Tunnel auch rückwärts bewegen kann.
Er fühlt sich an wie teurer Samt. Er hat Schnurrhaare und winzige scharfe Zähne, so klein, dass sie wie Glassplitter auf dem Küchenfußboden aussehen, nachdem einem etwas heruntergefallen ist. Und wenn ich ihn nicht vorher fange, nutzen sie sich innerhalb weniger Jahre ab, denn er isst Würmer voller sandiger Erde. Er hat keine sichtbaren Ohren, und wenn man vorsichtig das Fell beiseite streicht und genau hinsieht, kann man in der Dunkelheit seine Augen ausmachen, glänzend schwarze, winzige Punkte. Er ist eine glatte Samtrolle. Seine Hinterbeine und – füße sind klein und dünn wie bei einer Maus, und sein struppiger Schwanz ist etwa zweieinhalb Zentimeter lang und steht steil nach oben, um die Tunneldecke abzutasten.
Der Volksmund meint, ein Maulwurfsschwanz am Portemonnaie sorge dafür, dass es nie leer ist. Maulwürfe und Zauberrituale gehen oft Hand in Hand. Maulwurfsfänger wissen, dass ein Paar getrocknete Maulwurfshände vor Rheuma und vor allem Bösen schützen; diesen Aberglauben findet man in ganz Europa. Hexen lieben Maulwürfe ebenfalls, vielleicht, weil auch sie dunkel sind und geheimnisvoll wirken. Blut und Organe eines Maulwurfs können einem Menschen angeblich hellseherische Kräfte verleihen, vorausgesetzt, das Herz wird frisch geschluckt, solange es noch schlägt (zumindest laut Plinius dem Älteren in seiner Naturalis historia), und einen Maulwurf in der Hand zu halten, bis er stirbt, kann einem Menschen Heilkräfte verleihen. Diverse Körperteile des Maulwurfs sollen Epilepsie heilen können, bei Zahnschmerzen, Schüttelfrost und Krampfanfällen helfen und Warzen entfernen. Früher verdienten sich einige Maulwurfsfänger mit diesen »Naturheilmitteln« ein nettes Zubrot und waren mancherorts als Hexenmeister oder Kräuterhexen verschrien, die mit den Maulwürfen kamen und gingen und ihr geheimes Wissen stets mitnahmen.
Es gibt auch weiße Maulwürfe in Europa, aber sie sind sehr selten. Angeblich stirbt man innerhalb eines Monats, wenn man einen fängt. Ich habe noch nie einen gefangen. Eine der Maulwurfsfanggesellschaften verleiht einem ein besonderes Abzeichen, wenn man ein Foto von sich und einem weißen Maulwurf einschickt. Ich trage nach wie vor mein normales Standardabzeichen. In Europa lebt nur eine Maulwurfsart. In Irland, wo es keine Schlangen gibt, gibt es auch keine Maulwürfe. Während der letzten Eiszeit war Europa fast vollständig mit Eis bedeckt, und als das Eis vor etwa siebentausend Jahren zu schmelzen begann, zogen die Tiere ihm Richtung Norden hinterher. Bevor viele von ihnen Irland erreichten, war jedoch der Meeresspiegel schon angestiegen und hatte aus Irland eine Insel gemacht.
Auf der Welt gibt es zahlreiche weitere Maulwurfsarten, die meisten davon sind vom Talpa europaea jedoch fast nicht zu unterscheiden oder ihm zumindest sehr ähnlich. In Nordamerika gibt es sieben Spezies: den Haarschwanzmaulwurf, den Ostamerikanischen Maulwurf, den Breitfußmaulwurf, den Townsend-Maulwurf, den Küstenmaulwurf, den Amerikanischen Spitzmausmaulwurf und den Sternnasenmaulwurf. Am häufigsten kommt in den USA der Ostamerikanische Maulwurf vor. Sein Lebensraum erstreckt sich von östlich der Rocky Mountains in Michigan bis hinunter in den Süden von Texas. Der Haarschwanzmaulwurf besitzt, wie es der Name vermuten lässt, im Gegensatz zu anderen Arten einen haarigeren Schwanz und ein dunkleres Fell.
Der Spitzmausmaulwurf ist der einzige Vertreter seiner Art in Amerika ohne die typischen großen Grabeschaufeln. Er wirft keine Maulwurfshügel auf, sondern gräbt stattdessen in seiner Heimat, den Regenwäldern des Pazifischen Nordwesten, flache Tunnel dicht unter der Oberfläche in der Laubstreu. Er ist der einzige Maulwurf, der die Füße flach auf den Boden stellen kann. Auf der Suche nach Futter erklimmt er Bäume und Hecken. Er wird oft mit der Spitzmaus verwechselt, weil er, seinen langen dünnen Schwanz eingerechnet, lediglich knapp zwölf Zentimeter misst.
Der Townsend-Maulwurf erreicht eine Körperlänge von fast fünfundzwanzig Zentimetern und wiegt bis zu fünfhundert Gramm. Der Sternnasenmaulwurf lebt in den feuchten Sumpfgebieten Nordamerikas und geht in Bächen und Sümpfen auf Futtersuche nach Käfern und Wirbellosen. Er ist ein wenig größer als der Europäische Maulwurf und sieht ihm mit seinen großen Händen auch sehr ähnlich, hat jedoch einen längeren und dickeren Schwanz. Der auffallendste Unterschied ist aber der etwa anderthalb Zentimeter große »Stern« an seiner Nasenspitze, den er zur Orientierung und zum Aufsuchen von Beute nutzt. Der Maulwurf besitzt sensible Spezialorgane in der Nase zum Wahrnehmen von Vibrationen. Beim Sternnasenmaulwurf haben sich diese zu zweiundzwanzig fingerartigen Fortsätzen ausgebildet, die in Aussehen und Bewegung stark an eine Seeanemone erinnern. Mit ihnen spürt der Maulwurf seine Beute auf, fängt und isst sie, und das Ganze schneller, als das menschliche Auge es erfassen kann. Sternnasenmaulwürfe graben oft Tunnel, die unter Wasser enden.
Der Russische Desman lebt ebenfalls im und am Wasser. Von außen sieht er mit seinen Schwimmhäuten an den Füßen nicht gerade sehr maulwurfartig aus. Er hat einen Schwanz, der genauso lang ist wie sein Körper, und lebt im Familienverband in Erdhöhlen an Flussufern. Auch er ist blind und hat die typisch empfindliche Schnauze, und mit bis zu vierzig Zentimetern und über fünfhundert Gramm Gewicht ist er der größte und schwerste in der Familie der Maulwürfe. Weil die Desmanpopulation durch den Fellhandel stark abgenommen hat, zählt er in Russland mittlerweile zu den geschützten Arten.
Auf einer winzig kleinen japanischen Insel namens Uotsurijima, die weniger als zwei Meilen breit ist, lebt ein sagenumwobener Maulwurf, der als der Senkaku-Maulwurf bekannt ist. Er wurde erstmals 1979 von einer Gruppe Wissenschaftler entdeckt, die zu Besuch auf der Insel waren. Einer von ihnen sah etwas durchs Gras huschen, warf seinen Hausschuh danach und nahm den Maulwurf mit nach Hause. Das tote Senkaku-Weibchen ist das einzige Exemplar seiner Art, da die Insel aufgrund der Uneinigkeit zwischen China und Japan, wem von beiden sie gehört, nicht betreten werden darf.
Es gibt Tiere, die nicht aussehen wie Maulwürfe, aber welche sind, und dann gibt es wiederum Maulwürfe, die nicht wie ihre Artgenossen aussehen. Mutter Natur wiederholt sich schon mal und füllt etwaige Lücken eben mit dem, was da ist. Neuseeland besitzt bekanntermaßen keine eigenen einheimischen Säugetiere außer Fledermäuse und Meeressäuger wie etwa Tümmler, aber Australien nennt den Beutelmull sein eigen – kein echter Maulwurf, er sieht jedoch aus wie einer und verhält sich auch so. Er hat eine goldene Farbe, lebt in Wüstengegenden und gräbt dort mit seinen enormen Händen Tunnel. Allerdings hat er einen Beutel, in dem er seine Jungen herumträgt. Praktischerweise zeigt er nach hinten, damit er sich beim Graben nicht mit Sand füllt.
Und es gibt noch weitere Maulwürfe, die keine sind: Maulwurfsgrillen und Maulwurfskrebse, den schmerzunempfindlichen Nacktmull Ostafrikas und die nordamerikanischen Maulwurfs-Querzahnmolche.
Maulwürfe finden sich überall in unserer Landschaft, in unserer Sagenwelt, in Dichtung und Literatur. Vom Russischen Desman einmal abgesehen, sind sie Einzelgänger. Trotzdem freundet sich der herrliche Maulwurf in Der Wind in den Weiden in diesem schönsten aller Bücher mit Wasserratte, Kröterich und Dachs an. Vielleicht kann der Mensch einfach nicht anders, als die Tiere, die er nicht isst, zu vermenschlichen.
Auch in anderen Geschichten taucht der Maulwurf nicht als Einzelgänger auf. Lilienhandschuh in Die Chroniken von Narnia ist ein vortrefflicher Gärtner und Anführer einer Gruppe sprechender Maulwürfe. In Der Stein von Duncton, einer romantischen Geschichte über ein uraltes Maulwurfsreich, müssen die Protagonisten gemeinsam Kämpfe bestehen, um ihr Glück zu finden. Überhaupt erlebt der Maulwurf in vielen Kinderbüchern gemeinsam mit seinen Freunden zahlreiche Abenteuer. Vielleicht schreibt der Mensch nicht gern Geschichten über das Alleinsein.
Angeblich ritt Wilhelm III., auch bekannt als Wilhelm von Oranien-Nassau, im Februar des Jahres 1702 auf seinem Pferd Sorrel, als dieses wegen eines Maulwurfshügels ins Stolpern geriet und den König abwarf. Wilhelm brach sich dabei das Schlüsselbein und starb nur wenige Wochen später. Vierzehn Jahre zuvor hatten der Protestant Wilhelm und seine Königin, Maria von England, gemeinsam den Katholiken König Jakob II. von England und VII. von Schottland entthront. Der Abgesetzte hatte jedoch viele Anhänger in England, Schottland und Irland, und so kam der jakobitische Toast auf den Maulwurf zustande, »auf den kleinen Herrn im schwarzen Samtanzug«,...