Hampel | 2022 - Unser Land | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 237 Seiten

Hampel 2022 - Unser Land


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-96008-150-0
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 237 Seiten

ISBN: 978-3-96008-150-0
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Im Inneren des europäischen Wirtschaftsriesen brodelt es. Um das Jahr 2020 herum ist der gesellschaftliche Alltag von sozialer Kälte, Unmenschlichkeit und Gewalt geprägt. Die Stiefbrüder Robert Heinel und Felix Dännicke entfernen sich auf ihrer Suche nach dem richtigen gesellschaftlichen Weg voneinander. Während Robert vom Guten im Menschen ausgeht und seinen Mitbürgern wieder mehr Gemeinsinn und Solidarität näherbringen möchte, glaubt Felix eher an Härte und strenge ökonomische Gesetze. Als aufstrebender Politiker in der verkümmernden Republik steuert Dännicke für sein Land die finanzielle Konsolidierung und den kompletten Abbau der Staatsverschuldung an. Dazu verfolgt er einen geheimen und menschenverachtenden Plan, nach dessen Umsetzung in der Republik die perfekte Bevölkerung lebt und er selbst zum reichsten Mann der Erde avanciert. Gelingt sein aberwitziges Vorhaben, oder gewinnt das Geheimunternehmen - Die Firma - die Oberhand über das Projekt, um selbst an die staatlich abgesicherte Zielprämie zu gelangen, an eine Billion DEuro?

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1. KAPITEL


Die Jungs bogen von der Südstraße in die RMA ab. Es war Sonnabendvormittag und sie kamen von einer Party, auf der sie früh um sieben das letzte Bier getrunken hatten. Als RMA bezeichneten die Bewohner der Südvorstadt die Richard-Mayer-Allee – die Abkürzung hatte sich in den 2010-er Jahren eingebürgert. Das Trio war nicht vollständig betrunken, aber für ihr Alter waren sie ziemlich großkotzig unterwegs. Paul war mit knapp 15 der Älteste und machte den Anführer; Max und Dominik stellten mäßige Mitläufer dar. Eine echte Freundschaft verband die drei nicht, aber ihre Zeit brachten sie meist gemeinsam mit kleinkriminellen Unternehmungen durch.

Paul war Jahrgang 2004 und ging seit zwei Jahren nicht mehr zur Schule. Seine Eltern bemühten sich halbwegs um ihn, aber seit Beginn der Pubertät entglitt ihnen die Kontrolle über den bereits vorbestraften Sohn zusehends. Das war bei den beiden Mitläufern ähnlich, außer dass sie noch nicht mit dem Gesetz Bekanntschaft gemacht hatten. Sie bewunderten Paul für seinen bereits verbüßten Gefängnisaufenthalt von einem halben Jahr, mit dem seine zunehmende Gewalttätigkeit gegenüber seinen ehemaligen Mitschülern bestraft wurde.

„Junger Mann“, hatte der Jugendrichter zu ihm in der Urteilsverkündung gesagt, „solche niederen Elemente wie du zerstören seit Jahren unseren sozialen Frieden. Ihr habt vor nichts und niemandem Respekt und wütet mit Brutalität durch unsere Gesellschaft. Ich sehne mir die Prügel- und die Todesstrafe wieder herbei, um Typen wie dich in den Griff zu bekommen. Das halbe Jahr Knast macht dir wenig aus – ich weiß es und glaube, dass wir uns künftig regelmäßig sehen. Der Bürgerwehr werde ich nach deiner Entlassung einen direkten Auftrag für dich geben. Ich verurteile dich wegen mehrfacher grober Körperverletzungen, Beleidigungen, Geldbetrug und Verletzung der Schulpflicht zu einem halben Jahr Jugendgefängnis. Bessere dich!“

Der Richter wusste, wie sinnlos sein Vorgehen war. Die Delikte, die Paul vorgeworfen wurden, stellten eine Normalität unter Zehn- bis 25-Jährigen dar. Pro Woche standen ihm in dieser Weise bis zu hundert Jugendliche gegenüber, über die er mit der ihm möglichen Härte zu urteilen hatte. Pauls Erwiderung auf die Verurteilung war kurz und knapp: „Du kannst mich mal.“

An diesem Sonnabend war er seit einer Woche wieder draußen und hielt seitdem Kurs auf die vom Jugendrichter angekündigte Deliktkarriere. Seit den landesweiten brutalen Teenagerunruhen von 2017 war das die Normalität. 265 Jugendliche und 40 Polizeibeamte waren dabei ums Leben gekommen. Damals war Paul elf Jahre alt gewesen und hatte tatsächlich seine ersten Pflastersteine am Bannewitzer Kreuz auf Polizisten geworfen.

Die Jungen waren inzwischen an der Ecke Zahlstraße angekommen. Die junge Frau aus der Nummer 9b trat gerade aus der Haustür und registrierte die Gruppe eine Sekunde zu spät. Hätte sie die Jungen einen Moment früher bemerkt, wäre sie zurück in den Flur gegangen und hätte gewartet, bis sie außer Sichtweite sind. Seit Jahren konnten Rotzjungen wie Paul und seine Kumpane wild marodierend durch die Straßen ziehen. Über Sachbeschädigungen, Beleidigungen, tätliche Angriffe mit Raub oder Erpressung – oder beidem – regte sich in dieser Republik niemand mehr auf. Zu massiv waren die Gesetzesübertretungen nahezu jeder Bevölkerungs- und Altersschicht. Alte, Frauen und auch männliche „Opfertypen“ waren ihrer Habe und ihrer Gesundheit nicht mehr sicher, wenn sie alleine unterwegs waren. Zu groß war die Chance, Jungen wie Paul oder Jugendbanden in die Hände zu fallen, zusammengeschlagen und ausgeraubt zu werden. Das war die rohe soziale Realität in der siebzig Jahre zuvor gegründeten Republik. Die junge Frau erfasste ihren nicht rückgängig zu machenden Fehler und richtete sich auf äußerste Schwierigkeiten – vielleicht einen Wendepunkt in ihrem Leben – ein.

Die Frau hieß mit Spitznamen Jacky, war 21 Jahre alt und auf dem Weg zu ihrem Zweitjob in einer Pflegestation. Sie tat so, als würde es ihr nichts ausmachen, ein Stück ihres Weges vor den Jungen zu laufen. Schnellen Schrittes schlug sie ihren Weg Richtung Westen ein. Die drei sahen sich an und unterbrachen ihre Unterhaltung. Paul knuffte seinen Ellenbogen in Max’ Seite und sah ihn schräg an. Er hatte ein dreckiges Grinsen im Gesicht und kniff ein Auge kurz zu.

Dominik, der am meisten Zurückgebliebene unter seinesgleichen, pfiff durch die Zahnlücke seiner Schneidezähne aus. Die junge Frau beschleunigte ihren Gang und versuchte krampfhaft, sich nicht umzudrehen. Sie war den einzelnen Jungen körperlich überlegen, zu dritt hatten die drei jedoch eindeutig die Oberhand und trauten sich einiges zu. Paul zischte leise: „Los, die Alte hat jetzt Spaß mit uns. Schon mal gevögelt, Dominik? Brauchst nichts sagen, wir werden mal sehen, was geht. Max, wenn sie vorne am Ende des letzten Grundstückes ist, machen wir sie nieder. Gleich rechts dort ins Gebüsch. Seid ihr dabei?“

Dominik antwortete zuerst: „Na klar, Alter, ich warte schon zwölf Jahre drauf. Mach du’s zuerst.“

Auch Max war mit dem Vorhaben einverstanden und so beschleunigten auch sie ihren Lauf. Jacky ahnte mehr und mehr, was auf sie zukam, und sah sich nun doch um. Die Jungen waren nur noch wenige Meter hinter ihr und bemühten sich, den Abstand beizubehalten. Noch ein paar Schritte und sie gelangte in den unbewohnten Teil der Straße, in dem es rechts und links nur noch verwahrloste und ausgebrannte Grundstücke gab – ein idealer Ort, um einer Frau Gewalt anzutun. Sie öffnete im Gehen ihre Gürteltasche und zog ein schweres Taschenmesser heraus. Vor ihrem Körper und so, dass es die Jungen nicht sehen konnten, öffnete sie die Klinge und ließ sie in die Arretierung einrasten. ‚Den Wichsern zeig ich’s‘, dachte sie und bog nach rechts ab.

Nur zwei Sekunden später rannten ihr Paul und seine Kumpane hinterher. Max, sonst eher der Unentschlossene, schien bei der Aktion eine aktive Rolle übernehmen zu wollen, erreichte sie als Erster und griff ihr an den Hals. Zu spät sah er, dass sie mit aller Kraft mit dem Messer nach ihm hieb. Die Klinge traf ihn am Oberarm und drang in seinen Muskel. Er schrie laut auf und brach den Angriff ab. Vor Schmerz nicht in der Lage, weiter aufrecht zu stehen, ging er in die Knie und hielt sich mit der Hand die verletzte Stelle.

Paul hatte einen Moment gezögert und wollte Max den Vorrang lassen. Nachdem die heftige Abwehr der Frau ihn erschrocken hatte, schlug er umso entschlossener und kräftiger auf sie ein. Innerhalb von Sekunden musste Jacky mehrere heftige Fausthiebe ins Gesicht und in die Magengrube einstecken. Ihre anfängliche Gegenwehr erstarb unter der Einwirkung dieser rohen Gewalt. Auch Dominik setzte ihr mit kräftigen Tritten mächtig zu.

Max hatte sich in der kurzen Verschnaufpause seine Verletzung angesehen und bemerkt, dass sie im Grunde unerheblich war. Er blutete nur wenig und der erste Schreck verwandelte sich rasch in gewaltige Wut. Er schrie sie an: „Alte, jetzt bist du dran. Du musst sterben!“

Max hob das Messer auf und setzte tatsächlich zu einem Hieb damit an, den sie blitzschnell parierte und sich zur Seite drehte. In ihrer Todesangst entwickelte Jacky ungeahnte Kräfte.

„Hilfe, hört mich denn niemand? Ich brauche Hilfe, ich werde umgebracht!“, schrie sie aus Leibeskräften.

Und sah nicht, wie ein älteres Ehepaar am Fenster eines nicht weit entfernten Hauses zusah und sich nach ihrem dringenden Hilferuf kalt abwandte, das Fenster und die Gardinen schloss. Die Hilfsbereitschaft der Bewohner der einst erfolgreichen Messestadt war auf einem Tief-, ihre Angst vor den terrorisierenden Jugendbanden zugleich auf einem Höhepunkt angekommen. Niemand war in solchen Momenten mehr zu Zivilcourage bereit oder schritt beherzt und helfend ein. Es gab nur das stille, aber grausame Wegsehen.

Dominik lachte und spuckte nach ihr. Die Jungen hatten nicht mit dieser massiven Gegenwehr gerechnet, hielten kurz inne und schwankten zwischen Rückzug und totaler Eskalation. Max war inzwischen derart außer sich, dass ihm alles egal wurde. Obwohl er in seinem Elternhaus überwiegend ohne Gewalt erzogen worden war, entwickelte er auf der Straße in solchen Situationen einen übergroßen Drang nach äußerster Brutalität – auch, um sich unter seinesgleichen Respekt zu verschaffen. Paul, eigentlich der Anführer der drei, sah zu, wie sich die Situation verschärfte.

Zwar war er mit Straftaten groß geworden – die Szene hier war jedoch auch für ihn etwas Ungewohntes. Er spürte, dass sie diesmal zu weit gegangen waren und dass er, weil er keine Schwäche zeigen wollte, diese Auseinandersetzung nur mit einem kapitalen Abschluss beenden konnte.

Max kam schnell wieder auf die Beine – auch er war auf die Endstufe der Gewaltspirale eingestellt und ließ die folgenden Dinge einfach geschehen. Seine minimalen restlichen menschlichen Reflexe schaltete er für das vor ihm Liegende aus. Dominik begriff den tödlichen Ernst der Lage nicht; er war mit zwölf Jahren schlicht zu jung, um den Angriff der drei auf ein wehrloses Opfer richtig einzuschätzen. Später wünschte er sich, dass er in diesem Moment einfach weggerannt wäre und den beiden anderen den grausamen Ausgang überlassen hätte.

In der kurzen Bedenkzeit während des Messerkampfes zwischen der jungen Frau und Max beschloss Paul, dass sie diesen Sonnabendvormittag nicht lebend überstehen durfte. Max nahm erneut das Messer und stürzte sich auf die immer noch am Boden Liegende. Nun...



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