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E-Book, Deutsch, 568 Seiten

Harper Fatum

Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches

E-Book, Deutsch, 568 Seiten

ISBN: 978-3-406-74934-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



FATUM ist das erste Buch, in dem konsequent die katastrophale Rolle untersucht und beschrieben wird, die Klimawandel und Seuchen beim Zusammenbruch des römischen Weltreichs spielten. Gestützt auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Klimawissenschaft und der Genetik erzählt Kyle Harper die Geschichte eines Infernos, in dem wir wie in einem fernen Spiegel beängstigend vertraute Züge unserer eigenen Welt wiedererkennen.
Das Schicksal des Imperium Romanum wurde nicht von Kaisern, Legionären und Barbaren entschieden. Mindestens ebenso bedeutend waren Vulkanausbrüche, Sonnenzyklen, die Instabilität des Klimas und menschenmordende Viren und Bakterien. Kyle Harper führt seine Leserinnen und Leser vom Höhepunkt des 2. Jahrhunderts n. Chr., als das römische Weltreich eine schier unüberwindliche Macht zu sein schien, in die Niederungen des 7. Jahrhunderts, als das Imperium ausgemergelt war, politisch fragmentiert und materiell ausgelaugt. Er beschreibt, wie die Römer lange tapfer standzuhalten suchten, als Umweltveränderungen das ganze Reich niederdrückten – bis schließlich die Folgen der 'kleinen Eiszeit' und das wiederholte Auftreten der Pest die Widerstandskraft der einstigen Weltmacht aufgezehrt hatten.
FATUM bietet eine intellektuell ebenso scharfe Analyse wie menschlich anrührende Darstellung der Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt. Es ist die Geschichte einer der größten Zivilisationen, die unsere Welt je gesehen hat, in der Zeit ihrer schwersten Herausforderung. Sie muss schließlich vor der zermalmenden Kraft der Naturgewalten in Gestalt von Klimawandel und Seuchen kapitulieren. Das Beispiel Roms erscheint wie eine Mahnung aus großer zeitlicher Distanz, dass Klimawandel und die Evolution von Krankheitserregern die Welt geformt haben, in der wir leben. Wer die Schrift an der Wand zu lesen versteht, weiß, dass das, was hier profund und überraschend beschrieben wird, sich wiederholen kann.
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PROLOG
DER TRIUMPH DER NATUR

Irgendwann Anfang des Jahres 400 n. Chr. kamen der Kaiser und sein Konsul in Rom an. Niemand konnte sich mehr an eine Zeit erinnern, in der die Kaiser in der alten Hauptstadt residiert hatten. Über ein Jahrhundert lang hatten die Herrscher des Imperiums in Städten gelebt, die näher an der nördlichen Grenze lagen, wo die Legionen das verteidigten, was die Römer für die Trennlinie zwischen Zivilisation und Barbarentum hielten.
Mittlerweile galt ein offizieller kaiserlicher Besuch in der Hauptstadt als Anlass für ein Riesenspektakel, denn selbst ohne die Kaiser waren Rom und seine Bevölkerung immer noch mächtige Symbole des Imperiums. Etwa 700.000 Römer nannten die Stadt ihr Zuhause. Sie genossen all die Annehmlichkeiten, die eine antike, einem Kaiser angemessene Stadt bot. Stolz erklärte ein Verzeichnis aus dem vierten Jahrhundert, Rom verfüge über 28 Bibliotheken, 19 Aquädukte, 2 Zirkusarenen, 37 Tore, 423 Stadtviertel, 46.602 insulae (Wohnblöcke mit Mietshäusern), 1790 domus (repräsentative Stadthäuser), 290 Kornspeicher, 856 Bäder, 1352 Zisternen, 254 Bäckereien, 46 Bordelle und 144 öffentliche Latrinen. Rom war in jeder Hinsicht ein ganz außergewöhnlicher Ort.[1]
Der Auftritt eines Kaisers in der Stadt setzte eine Reihe sorgfältig inszenierter öffentlicher Rituale in Gang, die dazu dienten, die Vorrangstellung Roms im Reich und zugleich die Überlegenheit des Imperiums über alle übrigen Herrschaftsbereiche in der Welt zu demonstrieren. Die Römer, die sich als stolze Hüter der imperialen Tradition fühlten, legten größten Wert auf diese Art Zeremonie. Sie erinnerten sich gerne daran, dass Rom eine Stadt war, «der sich keine vergleicht, so weit um Erden die Luft kreist, da kein Auge den Raum, kein Menschengedanke die Schönheit und ihr Lob kein Mund je fasst».[2]
Eine lange kaiserliche Prozession wand sich durch die Straßen bis zum Forum. Dies war der Ort, an dem Cato und Gracchus, Cicero und Caesar ihre politischen Erfolge gefeiert hatten. Die Geister der Geschichte waren willkommene Gefährten an diesem Tag, an dem die Menge sich versammelt hatte, um einer Lobrede auf den Konsul Stilicho zu lauschen. Stilicho war eine eindrucksvolle Gestalt, ein Generalissimus auf dem Zenit seiner Macht. Seine imposante Präsenz war eine Bestätigung dafür, dass Frieden und Ordnung wieder im Reich eingekehrt waren. Die Vorstellung war vertrauenerweckend. Im Jahr 378 n. Chr., kaum eine Generation zuvor, hatten die römischen Legionen bei Adrianopel die schlimmste Niederlage ihrer stolzen Geschichte erlitten. Seither schien die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Goten drangen massenhaft in das Reich ein und bildeten eine unübersichtliche Mischung aus Verbündeten und Feinden. Der Tod von Kaiser Theodosius I. im Jahr 395 machte deutlich, dass sich die östliche und die westliche Reichshälfte auseinanderentwickelt hatten, so unmerklich und unaufhaltsam wie die Kontinentalverschiebung. Innere Zwietracht hatte die afrikanischen Provinzen zu einem gefährlichen Territorium gemacht und die Nahrungsmittelversorgung gefährdet. Doch vorerst hatte der Konsul die Wogen geglättet. Er hatte «das Gleichgewicht der Welt» wiederhergestellt.[3]
Der Dichter, der zu Ehren des Konsuls sprach, hieß Claudian. Gebürtiger Ägypter griechischer Muttersprache, war Claudian einer der letzten bedeutenden Vertreter der klassischen lateinischen Dichtung. Seine Worte zeugen von der tiefen Ehrfurcht, welche die Kapitale dem Besucher einflößte. Rom war die Stadt, die «kleinem Bezirk entstammt, gen Norden und Süden allmählich alles umfasst und die Macht nach niederem Aufgang weit versandt hat, wie Sonne das Licht». Rom war «Mutter des Kriegs und des Rechts», hatte «tausend Schlachten geschlagen» und «ihre Herrschaft über die Erde» ausgedehnt. «Sie allein hat sich die bewältigten Feinde vereinigt, sie als Mutter das Menschengeschlecht mit einer Benennung liebreich, nicht als Herrin, umfasst, sie alle Besiegten ‹Bürger› genannt.»[4]
Und das war keine dichterische Phantasie. Zur Zeit Claudians gab es stolze Römer von Syrien bis Spanien, von den sandigen Wüsten Oberägyptens bis zu den frostigen Grenzen Nordenglands. Nur wenige Reiche in der Geschichte erreichten sowohl die geographische Ausdehnung als auch die Integrationskraft des römischen Commonwealth. Keines verband Größe und Einheit wie das römische, keines hatte so lange Bestand. Kein anderes Reich konnte auf so viele Jahrhunderte ununterbrochener Größe zurückblicken, die überall zutage trat, wenn man sich auf dem Forum umschaute.
Beinahe tausend Jahre lang hatten die Römer die Jahre mit den Namen ihrer Konsuln bezeichnet. Daher war auch Stilichos Name «in die Annalen des Himmels eingeschrieben». Es wurde vom Konsul erwartet, dass er aus Dankbarkeit für diese unsterbliche Ehrung das Volk in traditionell römischer Weise mit aufwendigen und blutigen Spielen unterhielt.
Dank der Rede Claudians wissen wir, dass dem Volk eine exotische Tierschau geboten wurde, die eines Imperiums mit globalem Anspruch würdig war. Eber und Bären waren aus Nordeuropa herbeigebracht worden. Aus Afrika kamen Löwen und Leoparden. Aus Indien stammten Stoßzähne von Elefanten, nicht jedoch die Tiere selbst. Claudian malte sich aus, wie die Boote mit ihrer wilden Fracht über Meer und Flüsse fuhren. (Und er nennt ein überraschendes, aber wunderbares Detail: Die Seeleute waren entsetzt bei der Aussicht, mit einem afrikanischen Löwen auf demselben Schiff zu segeln.) Und als die Stunde schlug, wurden die «Prachtstücke des Walds» und «die Wunder des Südens» sportlich massakriert. Das Vergießen des Blutes der wildesten Tiere der Natur in der Arena brachte die Herrschaft Roms über die Erde und alle ihre Geschöpfe augenfällig zum Ausdruck. Diese blutrünstigen Spektakel stärkten das Band der Zugehörigkeit zwischen den zeitgenössischen Bewohnern Roms und den zahllosen Generationen, die das Imperium aufgebaut und bewahrt hatten.[5]

KARTE 1 Das Römische Reich mit seinen größten Städten im vierten Jahrhundert

Claudians Rede gefiel den Zuhörern. Der Senat sprach sich dafür aus, ihn mit einer Statue zu ehren. Doch die selbstbewussten Behauptungen seiner Rede wurden bald darauf Lügen gestraft; zunächst kam es zu einer erbarmungslosen Belagerung durch die Goten, dann ereignete sich das Undenkbare: Am 24. August 410 wurde die Ewige Stadt zum ersten Mal seit achthundert Jahren von einer Armee geplündert. Es war der dramatischste Moment in einer langen Reihe von Ereignissen, die zum Untergang des Römischen Reichs führten. «Mit einer Stadt ging die ganze Welt zugrunde.»[6]
Wie hatte das geschehen können? Eine Antwort auf diese Frage hängt in hohem Maße davon ab, was wir in den Blick nehmen. Im engeren Rahmen spielt die Entscheidung von Menschen eine bedeutende Rolle. Über die strategischen Entscheidungen der Römer in den Jahren, die in das Verhängnis führten, haben Hobbystrategen endlos gerätselt. In einem größeren Rahmen können wir in der imperialen Maschinerie strukturelle Schwächen ausmachen; verheerende Bürgerkriege und ungeheurer Druck auf den Finanzapparat hatten fatale Auswirkungen. Weiten wir den Fokus noch ein wenig, so sehen wir im Aufstieg und Fall von Rom das unvermeidliche Schicksal aller Reiche. In diesem Sinne fällte Edward Gibbon, der große englische Historiker des Untergangs von Rom, letztlich sein Urteil.

Abb. P.1  In Käfigen eingesperrte Löwen auf einem Schiff, römisches Relief, drittes Jahrhundert

Seine berühmten Worte lauten: «Aber das Sinken Roms war die natürliche und unvermeidliche Wirkung übermäßiger Größe. Das Glück brachte den Keim des Verfalles zur Reife, die Ursachen der Zerstörung vervielfältigten sich mit der Ausdehnung der Eroberungen, und sobald Zeit oder Zufall die künstlichen Stützen entfernt hatten, gab der riesenhafte Bau dem Drucke seines eigenen Gewichtes nach.» Der Untergang Roms war nur ein Beispiel für die Vergänglichkeit aller menschlichen Werke. Sic transit gloria mundi.[7]
Alle diese Antworten mögen gleichzeitig richtig sein. Das auf diesen Seiten vorgetragene Argument jedoch ist das folgende: Um den langen Zeitraum zu erfassen, den wir als Untergang des Römischen Reichs bezeichnen, müssen wir einen genaueren Blick auf die gewaltige Selbsttäuschung inmitten der triumphalen Zeremonien des Imperiums werfen – den...


Kyle Harper lehrt als Professor of Classics and Letters an der University of Oklahoma. Er wird als ein "Edward Gibbon des 21. Jahrhunderts" bezeichnet (Ian Morris, Stanford University).


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