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E-Book

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

Höner / Minelli Werkschau

Diplomlehrgang 2022 Literarisches Schreiben
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-6424-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Diplomlehrgang 2022 Literarisches Schreiben

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

ISBN: 978-3-7562-6424-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Diplomlehrgang Literarisches Schreiben der Schreibszene Schweiz stellt in seiner Werkschau die Resultate zwölf engagierter Autorinnen und Autoren vor, die sich über eineinhalb Jahre mit dem Handwerk des Schreibens beschäftigten, um es gezielt auf ihr eigenes Schaffen anzuwenden. Entstanden ist ein spannender Einblick in die Vielfalt des literarischen Nachwuchses in der Schweiz. Die Autorinnen und Autoren: Reiner Bacsa, Leandro Bulgheroni, Emma Engel, Stéphanie Erni, Kirsten Kennel, Philippe Lax, Sabine Lerch, Yvonne Linder, Judith Lüdi-Schneider, Andrea Sabrina Meier, Marina Schild und Josianne Walpen

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Weitere Infos & Material


Leandro Bulgheroni
LIEBE, ABGRUND, TIEF
Werkschau Leandro Bulgheroni. Vieles wird man. Dichter ist man. Trotzdem muss diese Fähigkeit entdeckt, entwickelt und weitergesponnen werden. An einem Dutzend Meter Haargespinn … … war in Winterthur, im Alter von 13 Jahren, eine meiner ersten lyrischen Zeilen, in denen ich das Märchen Rapunzel versucht hatte zu verdichten. Aus einem Dutzend Meter starrer Gedichts-Fäden musste ich mich entwickeln, um heute, mit 24 Jahren, meine Diplomarbeit im literarischen Schreiben zu spinnen. LIEBE, ABGRUND, TIEF
Werkschau Wir sind uns im Traum begegnet. Es war wunderlich,
aufregend und schön. Nun wartest du auf mich.
Ich bin nicht da, nein, ich schlafe nicht.
Ich bin in der Begrenzung. Ich bin dort, wo Grenzen
gesprengt werden, um Grenzenloses zu erschaffen,
um dann zu erkennen, dass es neue Grenzen gibt.
Wie gerne hätte ich dich bei mir. Hier, am Saum des
Begrenzten. Wenn es hinter nichts einen verdeckten Sinn gibt, dann
ist das für mich eine grosse Befreiung, dachte er.
Er war sein Leben lang auf der Suche nach dem
Sinn des Lebens gewesen. Er hatte in Büchern,
Schriften und den grossen Weltreligionen gesucht.
Er trug einen unglaublichen Erfahrungsschatz.
Er wusste, was Liebe ist, gleichwohl hatte er
ein gebrochenes Herz. Er hatte Reichtum
sowie Verzicht und Askese gelebt. In seiner
Berufung hatte er sich verwirklicht, sowohl
im Materiellen wie auch im Spirituellen.
Er hatte alle möglichen Seminare besucht, sich ständig
weitergebildet, war gegenwärtig, hatte die ganze
Welt bereist, hatte die verschiedensten Menschen
und Kulturen kennengelernt, hatte in Klöstern mit
Heiligen und Schamanen zusammen gebetet.
Selbst der Weg war nicht Ziel genug.
Heute wusste er. Sucher suchen, Finder finden. Heute ist der Jahrestag. Ich bin spät dran mit meinem
Geschenk. Blumen, nicht schon wieder. Ein Ticket für
ein klassisches Konzert? Nein, das möchte ich ihr zu
ihrem Geburtstag schenken. Was würde sie wohl von
einem Maledivenurlaub halten? Viel zu früh im aktuellen
Beziehungsstadium und schweineteuer. Eine Kreuzfahrt?
Eintönig, und solche Luftverpester unterstütze ich
keinesfalls. Ein spezieller Erlebnistag? Um den zu
organisieren, fehlt mir die Zeit, bis heute Abend schaffe ich
das nicht. Und nichts in den Händen haben, das möchte
ich keinesfalls. Wie wäre es mit einem Fallschirmsprung?
Wobei, das hat sie schon mal gemacht. Oder ein feines
Essen. Nö, das ist viel zu schnell vorbei. Toll wäre etwas,
das wirklich nachhaltig ist, an dem sie noch lange
Freude hat und an das sie sich immer erinnern wird.
Ahh, jetzt weiss ich es. Ich schenke ihr eine
Zusammenstellung all unserer Liebesbriefe!
Zum Glück habe ich Kopien von meinen. Jahr 2021. Berufsverbot. Wir waren viele.
Alle, die nicht am Menschen, sondern als Menschen
arbeiteten. Und jene, die noch als Menschen
arbeiten durften, wurden entmenschlicht.
So, dass menschliche Maschinen für Menschen
im Namen der Menschlichkeit arbeiteten. «Siebzehn gewinnt.» Hiess es damals. Ich
konnte meinen Ohren nicht trauen. Gewonnen.
Tombola 2016. Tischtennislager Thomas Dick.
Mein drittes Lager. Und mein erster Gewinn
überhaupt. Ich hatte noch nie gewonnen zuvor.
Satte 500 Euro. Eine ganze Woche Ping Pong,
Übernachtung inklusive. Tagtäglich Bälle hin und her
spielen. Hin und her und hin und her. Lernen von
den Besten: Im Lager 2017. Einen grösseren Traum
hätte das Universum mir nicht erfüllen können. Meine
erste grosse Liebe. Das Tischtennis. Und dann dieser
Gewinn. Ich war kein Meister, doch umso mehr liebte
ich es, wenn mir die Bälle um die Ohren flogen. Ich
war ehrgeizig. Fast schon besessen von diesem Sport.
Man musste mir nur einen Schläger in die Hand
drücken und ich vergass alles um mich herum. Ich treffe mich mit Cyrill. Wir sprechen kurz über
meine Beziehungsprobleme. Dann schwenken wir
in die Vergangenheit und landen beim Tischtennis,
und davon, wie wir uns im Alter von 12 und 11
Jahren kennengelernt haben. Im Tischtennis Club
Winterthur. Heute sind wir beste Freunde. Damals
dauerte es einige Zeit, bis wir einander mochten.
Er dachte, ich sei ein arroganter Italiener. Ich muss
laut lachen. Dann das Thema Tischtennislager.
Ich werde nostalgisch. Die Siebzehn. Wie schade
eigentlich. Ich bin nicht mitgegangen. Ich habe
meinen Tischtenniswerdegang kurz davor beendet. Er werde diese Welt verlassen müssen,
stürze mich in die Tiefe. Bald. Nach nur fünf Stunden Schlaf und einem langen
Arbeitstag wollte ich nur noch nach Hause. Wie
gefesselt stand ich da. Zwischen den Ketten der
Empathie und dem Drang, ins Warme zu gehen.
Ich hatte ihn nur flüchtig kennengelernt. Gespräche
zwischen Kaffeemaschine und Arbeitsflur. Und dennoch
hatte ich ihm gut genug zugehört, um zu wissen, dass
seine Geschichte ein Teil meiner Welt geworden war.
Epilepsie. Letztes Mal waren es drei Stunden tiefstes Leid
gewesen, das er klagte. Wie viele würden es heute sein? Die Welt sei schlecht, es gebe keinen Ausweg
aus dem Leid und der Bösartigkeit. Ich versuchte es mit seinen liebeswürdigen Eltern. Auch diese hätten Pech gehabt. Zitternd vor Kälte und Schock, ein weiterer
Anlauf meinerseits, mit seinem Psychologen. Jener habe ihn als Narzissten und Nazi bezeichnet. Die Minuten häuften sich. Er schüttete
sein ganzes Gebrechen regelrecht über mir
aus, ohne dass es ihn erleichterte. Sozialhilfe, auf keinen Fall, lieber sterben.
Er wäre einsam, würde nie mehr jemanden finden. Mein letzter Versuch. Die Liebe. Ich machte
ihm Mut und Hoffnung. Erfolglos. Dann riss ich mich endlich los, wünschte ihm
das Beste. Ich bat ihn noch, sich nichts anzutun.
Würde ich ihn jemals wieder sehen? Mein Herz, es schmerzt ungeheuerlich. Ich weiss
nicht, ob es liebes- oder herzenskrank ist.
Vielleicht hat die Spritze es vergiftet. Es kann
aber auch sein, dass das Gift unserer Liebesblüte
langsam seine Wirkung entfaltet.
Und es mischt sich ein Tropfen Kummer bei. Es sterben Menschen an einem Virus. Viele.
Der letzte Atemzug ohne Atem.
Gepresst und voller Not. Ein schrecklicher Tod.
Menschen sterben auch aus anderen Gründen.
Leben ist immer lebensgefährlich. Mit einem Bein stehe ich auf der tiefen Wurzel
der Liebe, die uns trug.
Das andere Bein habe ich zum Schritt angesetzt,
um aus all dem auszubrechen. Schritte in die Ferne
meiner Zukunft. Doch irgendetwas hält mich.
Es ist nicht Eros. Es ist auch nicht die Angst vor dem
Alleinsein. Es ist die Wurzel, an der ich hafte, die
mir ihr warmes Moos in die Fusssohle drückt. In die menschlichen Abgründe zu schauen,
ist erschreckend. Abgrundtief.
Aus den Kluften ragt so viel Missgunst hervor.
Und wenn die Türme der anderen nicht niedergerissen
werden, werden aus Angst vor fehlender Anerkennung
noch höhere Türme errichtet. Manche Türme haben
Mauern um sich, damit ja niemand hereinkommt. Ist man
unbemerkt drin, sichtet man Kerker der Diffamierung. In
die menschlichen Abgründe zu schauen, ist erschreckend.
Abgrundtief. Und dennoch. Wenn ich gefragt werde – von Taxifahrern, beim Zahnarzt –,
was ich so mache, antworte ich immer, dass ich im Büro
arbeite. Ich finde solche Fragen genauso oberflächlich
und ätzend, wie die Antwort «Poesie», auf die Frage nach
meiner grössten Leidenschaft. Ja, ich liebe die Poesie
über alles und ja, ich habe auch im Büro gearbeitet. Aber
diese Tatsachen beschreiben doch nicht mein Sein. Sie
schmähen meinen Facettenreichtum. Wer ich wirklich
bin? Kurz gesagt: Ich kann nicht warten. Ich kann ohne
Kaffee und Käse nicht auskommen. Ich höre gerne
indigene Musik, vor allem Panflöte. Wenn ich verträumt
auf einem Spaziergang bin, nehme ich ein Blättchen
zwischen Zeigefinger und Daumen und rolle dieses
unentwegt zwischen meinen Fingerkuppen hin und
her. In mir lebt eine eigene innere Theaterfigur namens
Kalbermattü. Meine Lieblingsfarbe ist blau. Ich sammle
Halbedelsteine. Beim Schmieren meiner Butterbrote
mache ich zuerst eine Mischung aus Butter und Honig.
Diesen Brotaufstrich nenne ich dann Honi. Ich gebe einem
türkischen Jungen Deutschnachhilfe und schreibe mit ihm
Gruselgeschichten. Wenn ich morgens aus der Dusche
komme, gibt es im Bad eine riesige Pfütze. Ja, das bin ich. Das Leben ist eine Achterbahnfahrt. Ich dachte
immer, im Leben ginge es rauf und runter.
Eine schöne Abwechslung zwischen Hochs und Tiefs.
Manchmal wurde die Liebe erwidert, dann wieder nicht.
Mal hatte ich Geld, mal keines. In einer Phase lief es bei
der Arbeit gut, in...



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