Homolka | Der Jude Jesus – Eine Heimholung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

Homolka Der Jude Jesus – Eine Heimholung

E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

ISBN: 978-3-451-83623-7
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Rabbiner Walter Homolka beschreibt in seinem Buch die wichtigsten jüdischen Perspektiven auf Jesus. Trotz der christlichen Unterdrückung, die Juden im Namen Jesu jahrhundertelang erfuhren, setzten sie sich seit jeher mit Jesus auseinander. Homolka diskutiert das wachsende jüdische Interesse am Nazarener seit der Aufklärung und wie Juden Jesus heute sehen, im religiösen sowie kulturellen Kontext. Das Buch zeigt: Im Zentrum der Beschäftigung mit dem Juden Jesus steht das Ringen des Judentums um Authentizität und Augenhöhe. Jesu Verankerung im Judentum bietet eine Herausforderung für Christen heute und die Chance auf fruchtbaren jüdisch-christlichen Dialog.
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Vorwort
Für die Juden in Europa war Jesus als der dogmatisierte Christus lange nichts weiter als ein Symbol christlicher Unterdrückung. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kämpften Juden in Europa um gleiche Rechte und gesellschaftliche Anerkennung. Dies zwang viele, ihre jüdische Identität im Licht der neuen Bedingungen neu zu bewerten. Juden wollten nicht nur nach dem Gesetz, sondern auch de facto gleichberechtigte Bürger sein. Da sie diesen Identitätsfindungsprozess in einer christlich geprägten Gesellschaft durchlebten, stand die Beschäftigung mit Jesus bald auf dem Plan. Einer der prominentesten jüdischen Denker seiner Zeit, Moses Mendelssohn (1729–1786), äußerte sich in seiner einflussreichen Abhandlung über die philosophischen Gründe für eine Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1783 zu Jesus: Jesus habe nie gesagt, er sei gekommen, um die Tora aufzuheben, sondern er habe im Gegenteil nicht nur die schriftliche Tora, sondern auch die Verordnungen der Rabbiner befolgt. Wenn das so ist, dann kann er auch für Juden neu entdeckt werden.1 Besonders aufregend war dieser Prozess der Annäherung an Jesus den Juden in einer Ausstellung des Israel-Museums Jerusalem 2018 zu sehen: „Jesus in Israeli Art“ zeigt eindrücklich, wie bildende Künstler im 19. Jahrhundert begannen, aus jüdischer Perspektive auf Jesus zu blicken.2 Moritz Oppenheim, Maurycy Gottlieb, Mark Antokolsky oder auch Max Liebermann beschäftigten sich in ihrem Ringen um Anerkennung in der europäischen Kunst mit jener Gestalt, die kontrovers zwischen Judentum und Christentum steht und zugleich das Bindeglied zwischen beiden ist: Jesus von Nazareth. Wie problembeladen diese Auseinandersetzung anfangs gewesen ist, zeigt die Erfahrung des deutschen Impressionisten Max Liebermann (1847–1935). Mit seinem Gemälde „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ löste er im August 1879, noch vor den antisemitischen Hetzparolen eines Adolf Stoecker oder Heinrich von Treitschke, einen Skandal aus. Denn er zeigte den Jesusknaben in naturalistischer Weise als jungen Juden und verletzte, noch dazu als ein jüdischer Künstler, die Regeln hergebrachter christlicher Ikonographie.3 Max Liebermann: Der zwölfjährige Jesus im Tempel 1879 (Kunsthalle Hamburg), © Alamy Stock Liebermann vermittelte ein jüdisches Jesus- Bild, wie es zuvor Rabbiner Abraham Geiger oder auch der jüdische Historiker Heinrich Graetz vorgezeichnet hatten. Die öffentliche, von antijüdischen Ressentiments genährte Empörung war so groß, dass sich sogar der Bayerische Landtag mit dem Bild beschäftigte. Deutsches Empfinden, hieß es in der Kritik, sei durch dieses blasphemische Gemälde beleidigt worden. Der Berliner Hofprediger Adolf von Stoecker entrüstete sich so: Bedenken Sie meine Herren von Israel, dass uns Christus gerade so heilig ist, wie Ihnen Jehova, und Sie müssen unseren Zorn, anstatt zu verdammen, ehren und anerkennen. Wie aber die Berliner Witzblätter, lauter jüdisches Geschmeiß, die christlichen Dinge verhöhnen und verspotten, oft in einer einzigen Nummer der, vier Mal, weiß jeder, der die verderblichen Blätter liest.4 In Folge des Sturms der öffentlichen Entrüstung übermalte Liebermann sein Bild, bevor es 1884 noch einmal in einer Pariser Ausstellung zu sehen war. Dank einer erhaltenen Skizze weiß man aber, dass Liebermann ursprünglich einen barfüßigen Knaben mit kurzem, ungekämmtem schwarzem Haar und einem stereotypisch jüdischen Profil dargestellt hatte. In der Skizze spricht der Junge selbstbewusst und mit großer Geste. Das überarbeitete Gemälde wurde dann bis zur Berliner Sezessions-Ausstellung von 1907 nicht mehr gezeigt. Dieser Vorfall um Max Liebermann, immerhin ab 1920 Präsident der Akademie der Künste Berlin, macht die Schwere der Aufgabe deutlich. Der Dominanz des Christentums und seines triumphalen Anspruchs auf den Besitz der universalen Wahrheit wollten Künstler wie er ein selbstbewusstes Judentum entgegenstellen. Ein Judentum, das sich gegen Antisemitismus behaupten kann und stolz ist auf seine Einzigartigkeit. Ein Judentum, das deshalb Jesus ganz als Teil des Judentums begreifen kann – als jemand, der die Werte des Judentums für die ganze Menschheit zugänglich gemacht hat. Und dieser Prozess ist nicht auf die Diaspora begrenzt. Maler wie Reuven Rubin (1893–1974) und zeitgenössische israelische Künstler wie Moshe Hoffman (1938–1983), Efrat Natan (*?1947) und der Fotograf Adi Nes (*?1966) mit seinem „Last Supper“ haben diesen Trend erstaunlicherweise fortgesetzt, sich im Kontext des Staates Israel an das Tabu Jesus gewagt und ihn als jüdischen Bruder zu begreifen versucht. Reuven, Rubin, The Encounter, 1922, Oil on canvas, Collection Phoenix Insurance, Tel Aviv. © Avraham Hay. „Die Begegnung (Jesus und der Jude)“ wurde 1922 von Reuven Rubin gemalt. Der Künstler stand im Begriff, von Rumänien nach Palästina auszuwandern, als er den Ahasver gleichenden wandernden Juden mit Jesus auf einer Bank sitzend darstellte. Kein triumphierender Jesus, beide sind gezeichnet von ihrem Leiden. Das Thema des Bildes scheint inspiriert vom neoromantischen jiddischen Dichter Itzig Manger (1901–1969) und seiner „Ballade vom Verlausten und Gekreuzigten.“ Da hadert ein Landstreicher mit Jesus: „Wer hat dir gesagt, o Jesus, sag/deine Krone sei heiliger als meine Plag?“ Und Jesus antwortet mit der Anerkenntnis, auch des Landstreichers Schmutz sei heilig, umso mehr noch seine Trauer, sein Leiden.5 Jesus selbst durchbricht die Art und Weise, mit der sein Leid jahrhundertelang durch die christliche Umwelt zum Leid des jüdischen Volkes umgemünzt wurde. Im gemeinsamen Leid entsteht eine Solidarität gegen Verfolgung und Antisemitismus. Amitai Mendelsohn geht in seiner Auslegung so weit, zwischen Jesu Auferstehung und der Erneuerung des Jüdischen Volkes im eigenen Staat einen symbolischen Parallelismus zu sehen. Jesus würde zum „regenerated Jew destined to take his place and thereby heal the suffering of the Diaspora!“6 Moshe Hoffman, Woodcut from 6,000,001- series, 1967, (courtesy:) Yad Vashem Museum, Jerusalem. Moshe Hoffman wurde 1938 in eine orthodoxe Familie geboren, überlebte den Zweiten Weltkrieg in Budapest und emigrierte nach Israel. 1967 entstand seine Serie „6.000.001“ mit zehn Holzschnitten. Im ausgewählten Beispiel wird Jesus durch einen Schergen vom Kreuz abgenommen und der Deportation ins Konzentrationslager zugeführt. Er wird buchstäblich zum Opfer schlechthin, und wie bei Reuven Rubin entsteht eine solidarische Linie vom Leiden Jesu zum Leid des jüdischen Volkes. Im Kreuzestod Jesu zeigt sich für Hoffman der Tod des Göttlichen, aber auch das Vertrauen in die Berufung des Menschen zur schöpferischen Gestaltung der Welt.7 Der Gegensatz zwischen Juden und Christen löst sich auf, die Darstellung macht aber deutlich, dass Jesus zuallererst Jude sei. Damit deckt Hoffman eindrücklich das Versagen der Menschen auf, die sich auf Jesu Lehren beziehen und doch das Volk Jesu stets missachtet und verfolgt haben. Hoffman macht deutlich: Jesu Schicksal ist zutiefst mit dem seines Volkes verbunden. Diese Beziehung ist letztlich inniger als die der Christen zu ihrem vermeintlichen Religionsgründer. Efrat Natan ist eine Künstlerin, die bereits im Staat Israel geboren wurde, im Kibbutz Kfar Ruppin. Ihre Installation „Roofwork: Golgotha“ (1979) auf Seite 6 dieses Buches schließt an Reuven Rubins Deutung Jesu als Pionier und Sohn Eretz Israels an. Das Unterhemd in ihrer Kreuzesgruppe verweist als billiges Kleidungsstück des Alltags auf das sozialistische Ethos physischer Aufbauarbeit unter großer Entbehrung. Jesus und seine Jünger werden in ihrem einfachen Lebenswandel und ihrer Kritik am Materialismus des israelitischen Establishments zur Zeit des Zweiten Tempels quasi zu Vorbildern für die frühen Zionisten, die der Dekadenz Europas den Rücken zukehren, um in Mühsal und Schweiß den jüdischen Staat aufzubauen. Efrat Natan liest die Askese der zionistischen Pioniere und ihr Streben nach Reinheit und Aufrichtigkeit spirituell. Sie untermauert das durch ein Gedankenspiel, in dem sie das hebräische gufiyah (Unterhemd) als guf-yah (Gottes Leib) auffasst. So entsteht eine Verbindung zwischen dem inkarnierten Gott und dem Unterhemd in ihrer Kreuzigungsgruppe.8 Der Fotograf Adi Nes knüpft an solche Anleihen christlicher Ikonografie an und beschreitet dennoch neue Wege. Sein bekanntestes Werk „Das letzte Abendmahl“ (1999) lehnt sich offensichtlich an Leonardo da Vincis „Abendmahl“ in Mailand an. Adi Nes, Untitled, 1999, Chromogen print, The Israel Museum, Jerusalem Nes verwendet das Thema und moduliert seine Aussage. In seinem Werk zieht die zentrale Figur eines Soldaten mit Zigarette in der Linken nicht alle Aufmerksamkeit auf sich, wie im Bild Leonardos. Keiner der anderen Soldaten schaut ihn auch nur an. Das Werk entstand 1999, vier Jahre nach der Ermordung Yitzhak Rabins, drei Jahre nach der Wahl Benjamin Netanjahus zum Ministerpräsidenten und ein Jahr vor dem Ausbruch der Zweiten Intifada. Adi Nes greift den Moment vor fatalem Verrat in der Abendmahlsszene auf und deutet damit das Lebensgefühl einer Generation junger israelischer Soldaten, die ihr letztes Mahl einnehmen, bevor sie von ihrer Regierung in den Kampf geschickt werden. Der Soldat im Zentrum sei deshalb isoliert dargestellt, so die in Berlin lebende israelische Kunsthistorikerin Doreet LeVitte-Harten, weil sein Schicksal bereits besiegelt sei: der Tod. Die ihn...


Tück, Prof. Jan-Heiner
Jan-Heiner Tück, Dr. theol., geb. 1967, Professor für dogmatische Theologie an der Universität Wien, Schriftleiter der Internationalen Katholischen Zeitschrift COMMUNIO; freier Mitarbeiter bei der Neuen Zürcher Zeitung.

Homolka, Walter
Rabbiner Walter Homolka, Dr., geb. 1964, studierte u.a. am Leo Baeck College und King's College London. Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen ist ordentlicher Universitätsprofessor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeitseit und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam.
Walter Homolka ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust. Mitglied im Executive Board der World Union for Progressive Judaism und Vorsitzender des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks.

Rabbiner Walter Homolka, Dr., geb. 1964, studierte u.a. am Leo Baeck College und King's College London. Der frühere Landesrabbiner von Niedersachsen ist ordentlicher Universitätsprofessor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeitseit und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam.
Walter Homolka ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust. Mitglied im Executive Board der World Union for Progressive Judaism und Vorsitzender des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks.
Jan-Heiner Tück, Dr. theol., geb. 1967, Professor für dogmatische Theologie an der Universität Wien, Schriftleiter der Internationalen Katholischen Zeitschrift COMMUNIO; freier Mitarbeiter bei der Neuen Zürcher Zeitung.


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