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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Huber Vom Himmel in die Hölle

Zeitzeugenbericht eines Nachtfernaufklärers

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-475-54366-1
Verlag: Rosenheimer Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Gerhard Ehlert gehört zu den wenigen Überlebenden der Elite-Flugeinheit der Nachtfernaufklärer für den Bereich Russland im Zweiten Weltkrieg. Obwohl er aus einem Elternhaus kommt, das sich gegen das Nazi-Regime ausspricht, meldet er sich freiwillig. 22 Feindflüge besteht er, landet sein Flugzeug oft blind mitten im Nebel. Im Juni 1944 wird er abgeschossen und gerät in russische Kriegsgefangenschaft. Die Zeit in dem Lager wird sein Leben für immer verändern. Dieser Zeitzeugenroman beruht auf den Erinnerungen eines überlebenden deutschen Fliegerleutnants.
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I. Flug ohne Wiederkehr
Ruhig zieht der junge Pilot den Steuerknüppel zu sich heran. Die schwere Maschine bewegt ihre Nase leicht nach oben, und die beiden Daimler-Benz-Motoren zeigen, was in ihnen steckt. Die warme Sommerluft fährt unter die Flügel der zweimotorigen Maschine und hebt sie sachte an. Die Schwerkraft drückt die Männer in ihre Sitze, und sie fühlen sich ganz sicher, als sie das Einrasten des Fahrwerks hören. Sie spüren jetzt den Lärm, den die Propeller verursachen, an ihrer Fliegerkombi, einem leichten Anzug aus hellem Sommerstoff, den sie in diesen heißen Tagen in den Pripjetsümpfen lieben lernen, weil sie darin viel weniger schwitzen als ihre Kameraden in den dicken grauen Uniformen. Das Brummen der Motoren dringt bis auf ihre Haut, sie spüren es am ganzen Leib. Und so geht es laut dröhnend hinein in die Dämmerung. Die letzten Strahlen der russischen Sonne fliegen ihnen nach und verglühen, ehe sie und ihr Flugsaurier ganz von Nacht umhüllt werden. Für sechs Stunden reicht der Treibstoff ihres schwarzen Vogels, den man nachts vom Boden aus so gut wie nicht erkennen kann. Drei Stunden hin, drei Stunden wieder zurück. »Rechtskurve. Gerade. Da vorne leichte Linkskurve. Gerade!«, raunt der Beobachter im Sekundentakt in sein Kehlkopfmikrofon. Er kauert in der riesigen Glaskanzel unter dem Piloten und hat die beste Sicht nach unten. »Das is’ wie mit ’nem Mercedes-Silberpfeil mit 300 Sachen auf der Autobahn. Hurra! Bloß mit ’ner schwarzen Binde vor den Augen«, feixt der Bordschütze, der ganz hinten in der engen Maschine sitzt und wie immer nichts zu tun hat. Nachts heben die russischen Jäger nicht von ihren Flugplätzen ab, sie haben, anders als die Tommies, auch jetzt noch, im Sommer 1944, kein Radar. »Ist direkt ein bisschen einsam hier oben. Musik wär’ jetzt nicht schlecht«, kracht es kehlig in den Kopfhörern der vier Männer in ihrem dröhnenden Fernaufklärer. Dann schaut der Schütze auf seine Armbanduhr. »Mann, Professor, was ist denn mit dem Funkspruch? Verdammt. Die daheim müssen doch wissen, dass wir noch am Leben sind.« Der Professor heißt eigentlich Karl-Heinz Williges, Unteroffizier Williges. Er ist das Küken der Besatzung und absolviert gerade seinen ersten echten Feindflug. Die Männer nennen ihn Professor, weil er eine Nickelbrille trägt und damit ungemein intelligent wirkt. Er kämpft schwer mit seiner Müdigkeit und mit seinen Gedanken an Zuhause, an seine Mutter. Er hat den ganzen Tag wieder schlecht geschlafen, weil ihm die Angst vom letzten Übungsflug nahe der Front noch im Nacken sitzt. »Mensch, nicht pennen hier. Wer’s nicht verträgt, soll’s eben lassen«, schimpft der Flugzeugführer, und Williges weiß, dass er nicht viele Fehler machen darf, sonst ist er wieder raus. Raus, das heißt raus aus der Flugzeugkanzel und ab zu den Grabenkriegern. Grabenkrieger, so nennen die »Herren von der Luftwaffe« die Soldaten der Infanterie, denen in diesen Tagen der Untergang droht – zumindest hier, am Pripjet, südöstlich von Minsk – dort, wo drei Jahre zuvor Hitler und seine hörigen Generäle einen Sieg nach dem andern errungen hatten. Die großen Kesselschlachten bei Kiew, bei denen die Rote Armee Hunderttausende von Soldaten durch Tod oder Gefangenschaft verloren hatte, die Eroberung der Rollbahn Minsk-Smolensk-Moskau, der rasche Vormarsch im Süden auf die Krim dicht vor die kaukasischen Erdölfelder, das alles hatte auf deutscher Seite zur Hybris geführt; einer Hybris, die ein Jahr und zwei Winter später an der eiskalten Wolga in die Katastrophe von Stalingrad mündete, wo die deutsche 6. Armee von der Roten Armee vernichtend geschlagen wurde. Es war der Wendepunkt des Krieges im Osten, nein, des gesamten Vernichtungskrieges, in den Hitlerdeutschland Europa und die halbe Erdkugel gezogen hatte. An der Ostfront stehen die Zeichen in diesen Sommertagen des Jahres 1944 auf Sturm. Eine zusammenhängende Front der Deutschen Wehrmacht existiert nur mehr auf dem Papier. Die einst so siegreiche Heeresgruppe Mitte ist zwischen Moskau und Minsk verblutet. Die Rote Armee sammelt sich gerade zur alles entscheidenden Offensive und das mit einem ganz neuen, bedrohlichen Unterton. Zum ersten Mal seit dem Überfall der Wehrmacht auf Sowjetrussland kommt zur zermürbenden Artillerievorbereitung der Russen auch noch ein nervenzerreißendes Brummen aus der Luft: 1000 sowjetische Bomber nehmen tagelang die Reste der deutschen Front ins Visier. 40 einsatzfähige Jäger kann die Luftflotte 6 zu diesem Zeitpunkt der Heeresgruppe Mitte noch zur Verfügung stellen. 40 Maschinen gegen 1000. Mitten hinein in die Bereitstellung der Roten Armee fliegt am 13. Juni, abends gegen 21.30 Uhr, ein einzelnes deutsches Flugzeug, einer der letzten Nachtfernaufklärer der Luftwaffe. Der Auftrag lautet: Eisenbahn- und Straßenaufklärung im Bereich der 2. Armee. Was die Männer in dieser Nacht auf ihrem Flug sehen, überrascht sie längst nicht mehr und lässt ihnen dennoch das Blut in den Adern gefrieren. Es sind die Vorzeichen des Untergangs. Zug um Zug rollt gegen Westen, von schweren, dampfenden Lokomotiven gezogen, bepackt mit Panzern und Geschützen. In den Bereitstellungsräumen der Russen stehen so viele der gefürchteten T34-Panzer, Sturmgeschütze und Katjuschas, dass es aussieht, als würden die Felder aus purem Stahl bestehen. Äcker aus Eisen, Wiesen aus Blei. Auf den Straßen sehen sie nachts Lkw-Kolonne um Lkw-Kolonne. Sie fahren mit voller Beleuchtung, so sicher fühlen sie sich. Die Männer im Aufklärer wissen, dass die Transporter an der Front Rotarmisten ausspucken werden, Tausende, eine Million und mehr. Und sie wissen, dass ihre Kameraden auf dem Boden dieser Flut nicht werden standhalten können. Keinen einzigen Tag. Bis Ostpreußen sind es für die Russen nur mehr dreihundert Kilometer. Leutnant Gerhard Ehlert, der Pilot der Maschine auf Feindflug »K7 + FK« Richtung Osten, fühlt sich schlecht. Auch wenn er konzentriert den Anweisungen seines Beobachters folgt, hat er doch immer wieder Zeit, nachzudenken. Und nachdenken ist das, was er am allerwenigsten braucht. Es macht ihn fahrig. Er sorgt sich um Riele, sein Mädchen zu Hause, ruft sich ihre Gesichtszüge in Erinnerung, wieder und immer wieder. Dabei lächelt er vor sich hin. Er denkt an ihr braunes, langes Haar, riecht daran in Gedanken und kann sich nicht erklären, warum er zwei Wochen nichts von ihr gehört hat. Es liegt bestimmt an der gottverdammten Feldpost, beruhigt er sich und schreckt auf. »Steile Linkskurve, Herr Leutnant, steiler. Gerade. Da vorne Rechtskurve. Achtung. Jetzt. Gerade!«, brüllt der Beobachter wieder und wieder. Sie fliegen nach Karte. Das heißt, der Beobachter gleicht das, was er am Boden mit bloßem Auge erkennt, mit seiner Karte, die vor ihm liegt, ab. Sekunde für Sekunde. Und das mitten in der Nacht. Er hat keine Zeit, sich während des Fluges Gedanken zu machen. sonst verfliegen sie sich gnadenlos und geraten womöglich in ein Gebiet mit starker Luftabwehr. Das können sie gar nicht gebrauchen. Und genau, während er diese zwei Sekunden abschweift, dringt Oberfeldwebel Hanns Schlotter, so heißt der drahtige, langgewachsene Bordbeobachter aus Frankfurt am Main, die Stimme seines Piloten kalt und vibrierend ins Ohr: »Schlotter. Alles klar? Ich hör zu wenig. Mensch, Augen auf, sonst verfranzen wir uns noch«, schreit Ehlert hart. Schlotter ist sofort wieder hellwach. »Jawoll, Herr Leutnant. Flusslauf, gerade, Rechtskurve. Gerade. Da vorne noch mal enge Rechtskurve. Achtung: jetzt! Gerade!« Schlotter funktioniert sofort wieder wie eine Maschine, wie ihre zweimotorige Dornier Do 217. Der junge Leutnant am Steuerknüppel aber spürt, dass die ganze Besatzung heute eine besondere Spannung befallen hat. Vielleicht ist es da ganz gut, ein bisschen Ruhe reinzubringen, denkt er sich. »Williges! Wissen Sie eigentlich, woher das Wort ›verfranzen‹ kommt? Fliegersprache aus dem Weltkrieg.« Er sagt keine Nummer zum Weltkrieg, denn Ehlert weiß nicht, dass der, in dem sie gerade kämpfen, die Nummer zwei bekommen wird. »Bei den Fliegern im Weltkrieg saß einer vorne und einer hinten. Die Bezeichnung für die beiden Flieger war Emil und Franz. Emil flog, Franz navigierte, wie Schlotter eben, nur ein bisschen langsamer. Wenn man sich verflog, hatte Franz einen Fehler gemacht. Man hatte sich verfranzt. Kann uns nicht passieren, was Schlotter?« »Jawoll, Herr Leutnant. Rechtskurve. Gerade. Da vorne leichte Linkskurve. Gerade!«, gibt Schlotter zurück. Ganz schöner Klugscheißer heute, unser Kutscher, denkt sich Willi Burr, der gelangweilte Bordschütze am Heck der Maschine. Die zieht Ehlert jetzt gerade ein bisschen nach oben, weil ihn Schlotter vor einer Hügelkette gewarnt hat. »Waren ganz schöne Luftschaukeln, damals. Tauchten reihenweise in den Bach. Uns kann der Himmel nicht verlieren, was, Burr? Keine Maschine ist so lufttauglich wie die unsere, wenn man sie richtig fliegt.« »Jawoll, Herr Leutnant, keine!«, gibt der Bordschütze versöhnt zurück. Flughöhe 200 Meter. Schatten ziehen in irrem Tempo unter den vier Männern in der Do 217 hindurch, malen bizarre Gebilde auf Straßen, Wiesen und Felder. Manchmal wirft der Mond das Flugzeug...


Christian Huber ist seit 20 Jahren als Journalist tätig. Sein Spezialgebiet: die Zeitgeschichte. Nach seinem Studium arbeitete er 15 Jahre als Redakteur für das Oberbayerische Volksblatt und veröffentlichte dort zahlreiche Serien zum Zweiten Weltkrieg. Anschließend war er Herausgeber einer Wochenzeitung. Heute ist Christian Huber freier Journalist. Im Rosenheimer Verlagshaus sind bereits die Bücher "Das Ende vor Augen" und "Tausend Tage ohne Hoffnung" erschienen.


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