E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Huber Vom Suchen und Finden des Wunderbaren
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96933-950-3
Verlag: Silberschnur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herbert und die Bäume
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-96933-950-3
Verlag: Silberschnur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was treibt uns an, was bringt uns dazu, jeden Morgen aufzustehen und neue Herausforderungen zu suchen? Ist es die Sehnsucht? Wenn ja, die Sehnsucht wonach? Von Jugend an versuchten Herbert und der Autor Fragen dieser Art mit brennenden Herzen zu beantworten. Sie nannten es »Die Suche nach dem Wunderbaren«. Während der vielen Jahre, in welchen der Autor in seiner Eigenschaft als Diplomingenieur Geschäftsführer einer Firma war, hatte er Gelegenheit, weltweit nach Antworten Ausschau zu halten. Aus dem äußeren Suchen wurde ein inneres Finden - ein Finden, das sich stets wunderbar erweitert und vertieft.
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Unglaublich. Wunderbar. Lange saß ich da, versuchte, mich in Herberts Erleben einzuschwingen. Doch sah ich weder den südlichen Sternenhimmel noch die leuchtend gelbe Blüte. Trotzdem quoll mein Herz über. Vor Freude. Aus Freude für den Freund, der so etwas erleben durfte. Auch aus Freude darüber, dass so ein Erleben möglich war und es mir vielleicht in Kürze in ähnlicher Form bevorstand. Herbert hatte darüber nie gesprochen, auch keine Andeutung gemacht. Das Beschriebene trug sich wohl auf seiner Reise nach Peru zu. Herbert schien mir verändert, als er zurückgekommen war. So als hätte er sich verliebt oder durch gewisse, mir unbekannte Umstände seine Weltsicht verändert.
Nun war ein Glas Primitivo angesagt. Die schon geöffnete, weiß etikettierte Flasche wartete bereits einladend auf mich. Herbert hat mir wenig über diese Zeit erzählt. Aber doch so viel, dass ich mir von manchem eine Vorstellung machen konnte. Zum Beispiel war da Don Eduardo Calderon, ein Schamane, genannt . Herbert war mehrere Wochen mit ihm und einer kleinen Gruppe mutiger Menschen unterwegs gewesen. Die letzte Woche verbrachte er allein mit der Familie von Don Eduardo in seinem aus handgeformten, ungebrannten Lehmziegeln erbauten Haus, dabei war ein spanisch sprechendes Gruppenmitglied, eine junge Dame.
Herbert erzählte, wie Don Eduardo in einem größeren Ritual die Mesa, eine Art Altar, aufbaute. Zuerst legte er ein reich besticktes helles Tuch auf den Boden und stellte sorgsam verschiedene Objekte darauf. Da waren allerlei Figuren, Messer, zum Teil gefüllte Flaschen, Pflanzen, Steine und anderes mehr. Schwerter rammte er in den Boden, fing an, die Objekte zu verschieben und umzustellen. Manches nahm er von der Mesa weg, legte es an die Seite, anderes stellte er stattdessen darauf. So als ob er die Objekte in ein bestimmtes Verhältnis untereinander, in ein Gleichgewicht bringen oder für eine bestimmte Aufgabe vorbereiten wollte. Dann blickte er lange auf die Mesa, verschob noch einige Objekte. Dazu redete er, sang bisweilen, murmelte vor sich hin. Begleitet wurde er von Trommeln, die von Zeit zu Zeit ihren Rhythmus wie auf ein geheimes Kommando hin veränderten. In alle vier Himmelsrichtungen sah er, kniff die Augen zusammen, schien zu überlegen, hinauszuspüren, drehte sich wieder in eine andere Richtung, deutete irgendwohin, rief unbekannte Namen.
Mehrmals nahm er Schlucke aus einer Flasche von braunem Glas, welche nach seinen Angaben mit Kräuterauszügen und Parfüm gefüllt war, sprühte die Mischung heftig blasend und prustend in alle vier Himmelsrichtungen. Ein seltsamer, schwerer Duft erfüllte die Luft. Herbert hat mir die Sache mit der Mesa öfter erzählt. An dieser Stelle machte er jedes Mal eine Pause, schloss die Augen und saß einige Minuten reglos da. So als ob er dem Duft nachspüren wollte. Dabei habe ich ihn nie gestört.
Später fuhr er fort und berichtete von einem kranken männlichen Mitglied der Gruppe. Der etwa fünfzigjährige Mann hatte sich gerade hinzustellen. Nach einigen Ritualen, die Herbert nicht näher beschrieb, nahm Don Eduardo Calderon ein quiekendes Meerschweinchen aus einer Tasche, fuhr murmelnd mit ihm an Kopf, Armen, Brust, Bauch und an den Beinen des Mannes entlang. Ehe man sich versah, riss er zum Schrecken der Umstehenden dem Tierchen mit bloßen Händen den Bauch auf. Darin waren die offen liegenden Organe zu erkennen, das schlagende Herz. Don Eduardo besah sich eine Weile die sich immer noch bewegenden Innereien, warf das Meerschweinchen einem Trommler zu und gab seine Diagnose ab. Wie Herbert später erfuhr, stimmte sie exakt mit der Diagnose des Arztes in Deutschland überein.
Senden Sie zärtlich Liebe und Segen zu Ihrem Baum, Sie werden spüren, wie etwas zurückkommt.
Es geht darum, sich gleichzeitig hinzugeben und zu empfangen.
Herbert
Am Tag darauf ging ich voller Hoffnung in den Wald. Nebelschwaden zogen an den Stämmen entlang, erweckten auch noch die schläfrigsten Geheimnisse des Waldes. Deckten sie wieder zu, ließen da und dort verschwimmende Lücken frei, um Kunde zu tun. Kundig zu werden, ja, das war mein großer Wunsch. Noch war ich weit davon entfernt. Mancher Nebeltropfen setzte sich an rauer Rinde ab, floss mit Gleichgesinnten erdwärts. Schwarz und nass glänzten die Baumstämme. Die Blätter waren um einige Nuancen dunkler als sonst, schimmerten feucht. Seiner nassen Last entledigte sich das Gras, indem es sich in weitem Bogen nach unten neigte. Nachdem die Wassertropfen ihren Weg geflossen waren, schnellte es wieder hoch. Meine Schuhe waren durchnässt.
Im Abstand von etwa drei Metern stellte ich mich vor einen meiner ausgewählten Bäume, die Fichte. Nach dem Begrüßungsritual versuchte ich, mich in Richtung Baum leicht zu machen und Sehnsucht aufzubauen. Das war schon etwas schwieriger als zu Hause, da äußere Einflüsse, namentlich ein kühler Wind, die feinen Energien der Bäume überlagerten. Jedenfalls meinte ich, ein leichtes Ziehen in meiner Brust zu spüren. Bei weiterem Hineinfühlen verschwand es jedoch wieder.
Die biblischen Juden haben sich immer wieder abgesondert, insbesondere wenn bei ihnen Zweifel oder Probleme auftauchten. In die Wüste haben sie sich zurückgezogen, um zu sich selbst zu finden, sich innerlich zu reinigen und zu stärken. Allen voran die Pharisäer, was grob übersetzt “die Abgesonderten” heißt. Das kam mir in den Sinn, als mir bewusst wurde, dass ich in den letzten Monaten sehr zurückgezogen gelebt hatte. Mir dämmerte, dass ich, abgesehen von oberflächlichen Begegnungen geschäftlicher Art, kaum noch Kontakt zu anderen Menschen hatte. Das konnte auf Dauer nicht gut sein. So nahm ich mir vor, wieder etwas in das übliche Leben einzutauchen. Vielleicht machte ich ja eine weiterführende Bekanntschaft.
Da ich gerne Musik höre, suchte ich an den Abenden ein Musikcafé auf. Dort konnte ich Laienpianisten beim Spielen zuhören und das Publikum beobachten. Meine Hoffnung war, dass ich etwas mehr über die Klänge, die Töne herausfinden würde, ganz im Sinne von Herbert. Vielleicht würde ich spüren, wie sich Worte der Gäste verdichten, sich zu Klanggebilden herausbilden und so neu geboren würden. Mindestens aber konnte ich meine Beobachtung schärfen. Wäre es gar möglich, die ohne Zweifel damit zusammenhängende Kraft zu schöpfen zu entdecken? So gerne hätte ich mehr dazu wahrgenommen.
Sprich, damit ich dich sehe.
Sokrates
Neben der Eingangstür des Cafés hängt ein Schild aus klarem Glas mit folgender, teils abgeblätterter, altertümlicher Aufschrift:
Kaffeesiederei mit Wein- und Bierausschank Speisenabgaben, Zuckerbäckerei, Beherbergung.
Konzertcafé
Der Gastraum ist so eingerichtet, wie er es schon vor einhundertzwanzig Jahren gewesen sein mochte, als das Haus erbaut worden war. Selbst bei hellem Tageslicht fühlte ich in mir den Impuls, das Licht einzuschalten. Offenbar hatten sich die unzähligen Dunkelheiten der vergangenen Jahrzehnte nicht vollständig zurückgezogen und klammerten sich an die wenigen ergrauten Vorhänge und die spärlich bestückten Lüster. Man sagt, der Wirt habe nie geheiratet. Freundinnen hätten sich bei ihm nie länger als einige Wochen gehalten. An der langen Bar sitzt er für gewöhnlich und starrt in seinen Computer. Dabei trinkt er weißen Wein von einer Sorte, die es laut Aussage eines Kellners auf seiner Speisekarte nicht gibt. Seine grauen Haare trägt er in Form eines Pferdeschwanzes.
Augenfällig fehlt eine ordnende Frauenhand, wohin man auch blickt. Altertümliche Holzstühle, welche munter den Gastraum bevölkern, scheinen von verschiedenen Flohmärkten erworben zu sein, sie sind unterschiedlich in Größe, Farbe und Stil. Meist sind sie durchaus zierlich, aber auch wackelig und durchgesessen, so dass es vor der Benutzung selbstverständlich geworden ist, den Stuhl erst auf seine Tragfähigkeit hin zu prüfen. Selbst die besseren quietschen jämmerlich bei jeder auch noch so kleinen Bewegung.
Der Boden, belegt mit Holzbrettern verschiedener Breite, die wohl auch aus verschiedenen Holzarten bestehen, gibt da und dort nach. Die Idee, dass er aus verschiedenen Holzarten bestehen könnte, kam mir beim Betrachten der Maserung, unterstützt durch die Tatsache, dass sich die Holzoberfläche über die Jahre nicht einheitlich abgenutzt hatte.
Das tut der Beliebtheit des Cafés jedoch keinen Abbruch.
Der Eingang, eine Tür von unbestimmbarer dunkler Farbe, eine Doppelschwingtür mit an den Rändern der Glasfüllungen eingeschliffenen Blumenornamenten, knarrt bei der geringsten Bewegung. Erstaunlicherweise blitzen ihre Messinggriffe, vielleicht poliert von den vielen Händen, die sie ständig berühren. Gleich daneben befindet sich ein Bechstein-Flügel, er steht direkt neben dem großen Fenster...




