E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Hutzenlaub Schmetterlinge lügen nie
21001. Auflage 2021
ISBN: 978-3-522-65447-0
Verlag: Planet!
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein lustig-turbulentes Roadmovie ab 12 Jahren
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-522-65447-0
Verlag: Planet!
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lucinde Hutzenlaub wurde in Stuttgart geboren und lebt nach mehreren Auslandsaufenthalten auch wieder dort. Sie arbeitet als Autorin und Kolumnistin, ist verheiratet und hat drei Töchter und einen Sohn im Alter zwischen 12 und 22. Bei jeder (Liebes-)geschichte der Vier lacht, liebt und leidet Lucinde immer auch ein bisschen mit.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
EINEN FREUND ZU HABEN, IST WICHTIG. EINER ZU SEIN, EBENSO. (SNOOPY)
Ma Chérie, wie geht es dir? Mir geht es gut. Wir haben sehr viel Spaß, aber tu me manques! Ich vermisse dich! XXX, Maxim
Ein letztes Mal las Charlie Maxims WhatsApp von vor ein paar Tagen, bevor sie aufstand und das Handy in die Gesäßtasche ihrer Shorts schob.
»Wer zuerst bei Toni ist, hat gewonnen!« Sie stupste ihre beste Freundin und Nebensitzerin Anouk mit dem Ellbogen an, schnappte sich ihr Zeugnis und steckte es in ihre Umhängetasche. Endlich Sommerferien! Und allerhöchste Zeit für eine kleine Ferienanfangsfeier mit Anouk, Johann und Theo am See. Wenn sie heute Abend zu Hause war, hatte Maxim bestimmt geschrieben. Schließlich hatte sie in ein paar Stunden Geburtstag, da hatte er sich sicher eine ganz besonders romantische Message für sie ausgedacht.
Jetzt wollte Charlie vor allem so schnell wie möglich raus hier, in die Sonne und zu Antonio »Toni« Bertazzoni, ihrer aller Lieblingseisdiele am See. Mit dem Fuß schob sie ihren Stuhl an den Tisch. Ein freudiges Kribbeln breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Sie hatte sich beinahe ein ganzes Jahr auf diesen Moment gefreut und konnte nun kaum noch eine Sekunde länger still sitzen.
»Perfekt! Und wer die besseren Noten hat, bezahlt!« Anouk stand ebenfalls auf. »Also ich!«, ergänzte sie fröhlich. »Aber das ist es mir so was von wert.«
Die komplette 10a des Otto-Hahn-Gymnasiums lachte und redete durcheinander. Keinen hielt es länger als nötig im Klassenzimmer. Sommerferien! Und nicht nur das: Morgen war Charlies sechzehnter Geburtstag. Mit dem Abschluss der zehnten Klasse hatten alle zweiunddreißig Schüler der 10a auch den Realschulabschluss in der Tasche. Keiner war durchgefallen, auch wenn das am Anfang des Schuljahres noch nicht sicher gewesen war. Schon gar nicht bei Charlie und ihrer Französisch-Fünf in der Neunten.
Draußen schien die Sonne und wartete nur darauf, die vielen viel zu blassen Schüler zu wärmen und ihnen den einen oder anderen Sonnenbrand zu verpassen.
»Tschüss, Zehner, und schöne Sommerferien!«, rief die Klassenlehrerin Frau Schubert in den allgemeinen Tumult. »Erholt euch gut und kommt gesund wieder. Ach ja, und einen Moment noch, s’il vous plaît! Was dürft ihr nicht vergessen?« Sie grinste vergnügt, als sie noch ein letztes Mal den Schülern ihr Sprücheritual aufzwang. Es war die letzten zwölf Monate so nervig wie hilfreich gewesen, und Charlie war froh, dass sie ihre Klassenlehrerin noch ein Jahr behalten würden. Auch wenn selbstverständlich nicht Frau Schuberts Sprüche, sondern vor allem Maxim der Grund dafür war, dass sich ihre Franz-Noten so deutlich verbessert hatten. Trotzdem schob sie den Gedanken an ihren Freund vorerst beiseite. Er konnte getrost noch ein bisschen warten. Denn in ein paar Tagen würde sie nach Nizza fahren und ihn endlich wiedersehen – und sich nicht nur dank der vielen Selfies, die er ihr schickte, daran erinnern müssen, wie er aussah, wie er roch und wie er sich anfühlte. … ! Nicht mehr lange, Maxim, schwor sie sich in Gedanken. Für den wirklich allerletzten Grammatik-Spruch in ihrem Leben als Zehntklässlerin ließ Charlie sich allerdings gern noch einmal auf der Tischkante nieder.
»Vor e und i sprich ›sche‹ und ›schi‹, vor a, o, u sprich ›ga‹, ›go‹ und ›gu‹«, antwortete die Klasse das letzte Mal für dieses Schuljahr im Chor.
Frau Schubert nickte zufrieden. »Très bien. Und jetzt: Geht endlich! Au revoir!« Lächelnd scheuchte sie die Schüler nach draußen, bevor sie ebenfalls ihre restlichen Schulsachen in ihre Tasche packte, aber das sahen Charlie und Anouk schon nicht mehr.
Beide Mädchen quetschten sich kichernd durch die Klassenzimmertür, um als Erste bei den Fahrrädern zu sein. Als sie dort ankamen, waren sie völlig außer Atem. Sie versuchten, jeweils schneller als die andere das Fahrradschloss aufzuschließen.
»Erste!« Anouk hielt triumphierend ihr Schloss in die Höhe.
»Angeber!«, gab Charlie zurück. Auch sie hatte es geschafft.
Beide warfen ihre Schlösser und Schulsachen in ihre Fahrradkörbe.
»Weißt du, ob Johann und Theo auch kommen?« Anouk schob ihr Rad neben Charlies aus dem Fahrradschuppen.
»Sind Sommerferien?«, fragte Charlie zurück. »Scheint die Sonne? Ist Wasser im See? Habe ich morgen Geburtstag?«
Anouk unterbrach sie lachend. »Schon gut, schon gut, ich habe es begriffen!«
Kopfschüttelnd fuhr Charlie fort, als hätte Anouk nichts gesagt: »Was für eine Frage! Natürlich kommen sie! Es sei denn natürlich, sie sind längst da!«
Theo und Charlies Bruder Johann waren zwar nicht mehr auf dem sprachlich orientierten OHG, sondern seit dem letzten Schuljahr auf dem benachbarten Wirtschafts-Gymnasium, aber Ferien hatten sie schließlich auch. Und wo, wenn nicht am besten Ort der Welt mit den besten Menschen der Welt, sollten sie sonst sein? Also jedenfalls, wenn man mal von Maxim und dem steinigen Strand von Nizza absah.
Charlie stieg auf ihr weißes Rad, das sie ihrer Oma abgeschwatzt hatte, weil es so schön altmodisch war und einen total bequemen Sattel hatte. Sogar ein geflochtener Korb war vorne am Lenker befestigt, den Charlie noch zusätzlich mit Seidenblumen geschmückt hatte, sodass ihr Bruder jedes Mal einen Lachkrampf bekam, wenn er sah, wie sie dieses Rad anstelle ihres modernen Mountainbikes benutzte. Aber Johann hatte schließlich auch keinen blassen Schimmer von Style und interessierte sich nur für Geschwindigkeit und Sport und … seit Neuestem auch noch für ihre beste Freundin Anouk, aber das war eine ganz andere Geschichte. Leider hatte das Rad tatsächlich nur drei Gänge, somit war ihre Chance, zeitgleich mit Anouk oder gar vor ihr am See zu sein, bei null. Aber das machte nichts. Hauptsache, sie würden gleich alle zusammen in den bunten Klappliegestühlen chillen und aufs Wasser schauen.
»Theo und du, ihr braucht echt kein Telefon, um euch zu verabreden, oder?«, fragte Anouk, während sie nebeneinander durchs Schultor nach draußen radelten.
»Was meinst du?« Charlie war ein wenig vom Abschiednehmen abgelenkt. Sechs Wochen ohne den Pausenhof, das Basketballfeld und die Schulglocke.
Bye-bye, OHG und zehnte Klasse, dachte Charlie, au revoir und auf Wiedersehen in der Elften. Hello, Sommerferien. Salut, Maxim.
Ihr Bauch kribbelte voller Vorfreude. Höchste Zeit, dass sie sich wiedersahen. Sie hatte schon vergessen, wie seine Stimme klang, wenn er ihren Namen sagte.
Sie seufzte.
»Alles klar?« Anouk schielte zu ihr rüber.
»Ja, klar alles klar! Ich habe nur gerade …«
»… an Maxim gedacht«, vervollständigte ihre beste Freundin Charlies Satz und schnaubte.
»Woher …?« Verwirrt sah Charlie zu Anouk hinüber.
»Woher ich das weiß?«, erwiderte sie grinsend und verdrehte die Augen. »Na, ganz einfach: Weil ich diesen Seufzer seit den letzten Sommerferien schon bestimmt tausend Mal gehört habe.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ganz ehrlich: Wenn er im richtigen Leben nicht mehr zu sagen hat, als in seinen WhatsApps, dann verstehe ich echt nicht, was du an ihm findest. Ich meine, mehr als hat er dir noch nie geschickt, oder?«
Charlie wusste, dass ihre Freundin es nicht böse meinte, aber trotzdem versetzte ihr die Art und Weise, wie Anouk von dem Jungen sprach, in den Charlie verliebt war, einen Stich, und sie schluckte die bissige Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag.
»Was hast du damit gemeint, dass Theo und ich kein Telefon brauchen, um uns zu verabreden?«, lenkte sie schnell vom Thema ab. Die Sommerferien und ihr Geburtstag waren wichtiger und besser, als mit Anouk wegen Maxim zu streiten. Schließlich kannte sie ihn überhaupt nicht und hatte keine Ahnung, wie er wirklich war. Aber eine leise schmerzhafte Stimme wisperte tief in ihr, dass an dem, was Anouk gesagt hatte, sehr wohl was dran war. Und abgesehen davon hatte Maxim schon eine halbe Woche gar nichts mehr geschrieben. Noch nicht einmal ein Foto von sich hatte er geschickt, und das war noch nie vorgekommen. Besser also, sie beschäftigte sich mit Anouks Theorie von der Gedankenübertragung zwischen ihr und ihrem besten Freund Theo. Schräg genug war es ja schon, dass sie beide diese ganz spezielle Verbindung hatten.
»Weißt du eigentlich immer, wo er ist?«, fragte Anouk und trat in die Pedale, um sich besser in den Verkehr einfädeln zu können. Den ersten Teil der Strecke mussten sie auf der Straße fahren, bevor am Ortsausgang endlich der Fahrradweg begann.
Charlie gab Gas, damit ihre Freundin ihr nicht davonfuhr.
»Keine Ahnung, da habe ich noch nicht wirklich drüber nachgedacht«, behauptete sie und war froh, dass Anouk ihr nicht ins Gesicht sehen konnte, denn dann hätte sie bemerkt, dass Charlie schwindelte. Sie hatte sehr wohl darüber nachgedacht. Und sie hatte sich dabei selbst ziemlich oft gefragt, woher diese Verbindung kam und warum es sie gab. Klar, sie war auch mit Anouk total eng, und schon allein weil sie in dieselbe Klasse gingen und mit denselben Leuten abhingen, wusste sie meistens, wo sie ihre Freundin finden konnte, aber mit Theo war es trotzdem anders. Sie waren miteinander aufgewachsen, schon klar, aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch dieselben Sachen lustig finden mussten, die außer ihnen anscheinend keiner witzig fand. Dass sie einfach , wo Theo war,...




