E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
Imhof Die Königin der Seidenstraße
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-492-98201-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Reihe: Piper Schicksalsvoll
ISBN: 978-3-492-98201-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Agnes Imhof, geboren 1973 in München, studierte Philosophie, ist promovierte Islam- und Religionswissenschaftlerin und spricht unter anderem Arabisch, Persisch und Italienisch. Die Islamexpertin ist in klassischem Gesang ausgebildet und liebt den Schwertkampf. Zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt sie bei München. »Die Königin der Seidenstraße« ist nach »Das Buch des Smaragds« ihr zweiter Roman.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Bagdad, im Jahre des Herrn 819.
Eine neue schwüle Sommernacht legte sich über den Kalifenpalast. Der zum Hof hin offene Festpavillon war hell erleuchtet. Eunuchen in schwarzen Seidengewändern waren damit beschäftigt, die Reste eines Mahles abzuräumen: üppig beladene Silberplatten mit gefüllten Vögeln, Mandelhalwa und mit Walnüssen gespickte Feigen wurden zurück in die Küche geschleppt. Wenn die Diener unter den schwankenden Silberampeln hindurchliefen, blitzten die Wandmosaike wie Juwelen auf. In einem Bett duftender Schiraz-Rosen schlug ein gebratener Pfau sein lebloses Rad.
Kalif Ibrahim und seine Zechgenossen waren zum Wein übergegangen. Sklavinnen versprengten Orangenblütenwasser über die ebenhölzernen Diwane, Tänzerinnen schwangen ihre seidenschimmernden Hüften. Aber die Aufmerksamkeit der Gäste galt nicht ihnen: Zwischen den Bögen, wo sich der Raum zum Hof hin öffnete, war ein golddurchwirkter Brokatvorhang aufgespannt. Die wirbelnden Rhythmen, die dahinter hervorklangen, erhitzten die Männer weit mehr als der Wein oder die Sommernacht.
»Wartet nur auf Arib!« Salim sprach den Namen aus wie etwas Verbotenes, das ebenso reizvoll wie gefährlich ist. Der Schreiber wies auf den erhöhten Platz in der Mitte, wo der Kalif seine fleischigen Lippen über den Arm einer Sklavin gleiten ließ. »Sie ist die berühmteste Singsklavin im Reich des Kalifen. Selbst Ibrahim, der Beherrscher der Gläubigen, konnte ihrer Verlockung nicht widerstehen. Ganz Bagdad vergöttert Arib.«
Die nackten Füße der Tänzerinnen stampften auf, Seidenschleier fegten durch die ambraschwere Luft. Nur der dunkelblonde Mann, den Salim angesprochen hatte, schien dem Rausch aus Farben und Klängen nicht zu verfallen. Nicht einmal der Wein hatte die Kälte aus den hellen Augen Wolframs von Aue weichen lassen. Dennoch verriet eine kaum spürbare Anspannung, dass er hinter dieser unbewegten Maske etwas verbarg. Neben dem feingliedrigen Araber wirkte er hünenhaft. Seine sehnigen Hände wussten sichtlich ein Schwert zu führen. Und die frisch verheilte Spur eines Dolches auf dem glattrasierten Kinn verlieh ihm etwas Unberechenbares.
»Arib«, wiederholte er spöttisch. »Kein Imam, der sie nicht als das leibhaftige Laster verfluchte. Kein Mufti, der nicht dazu aufriefe, sie zu steinigen. Glaubt man den Gerüchten, hat sich die halbe Bagdader Jugend ihretwegen ruiniert. – Kennt Ihr sie?«
»Ob ich sie kenne?« Salim lachte laut auf. »Man merkt, dass Ihr zum ersten Mal das Privileg genießt, mit dem Kalifen zu zechen. Bei Allah, man könnte ihretwegen vom Glauben abfallen!«
»Wer seinen Glauben verliert, ist meistens auch bald seinen Kopf los«, erwiderte Wolfram. Geschmeidig neigte er den Oberkörper zurück, um dem Mundschenk Platz zu machen. »Aber wenn jemand seinen Kopf für eine Sängerin aufs Spiel setzt, ist es wohl auch nicht schade darum.« Er bedeutete dem Jungen, ihm aus der schweren Wein nachzuschenken.
»Sing, Arib! Mach mich trunken, ich bin dein Sklave!«, grölte ein Alter gegenüber. Speichel spritzte von den dünnen Lippen. Das nachgefärbte Haar hob sich scharf von dem gebleichten Gesicht ab, Schweiß hatte den Puder in seinen Falten zu weißen Streifen verlaufen lassen. Er taumelte auf den Vorhang zu und verlor das Gleichgewicht. Schallendes Gelächter begleitete seinen Sturz. Wolframs Augen hatten ihn nur kurz fixiert, doch dabei fingen sie das Licht ein wie die eines Schakals.
Salim rückte ein wenig ab, als sei ihm plötzlich die Mär vom Bösen Blick in den Sinn gekommen, dem gefährlichen Zauber, den man blauen Augen nachsagte. »Seit den sagenumwobenen Sängerinnen der heiligen Stätten gab es keine mehr wie sie«, verteidigte er Arib. Vom Alkohol beschwingt wurde er poetisch: »Die Sängerinnen von Mekka trieben seinerzeit die Krieger des Propheten in die Schlacht. Aber vor Arib müssen selbst die des Paradieses beschämt verstummen. Wenn sie singt, verblassen die Freuden des Jenseits, und noch die Tapfersten klammern sich ans Leben. Diese Frau sieht Euch an, als könntet Ihr allein ihre Sehnsüchte erfüllen. Sie macht Euch glücklich und traurig zugleich. Es ist Magie, mein Freund.«
Etwas durchbrach die Maske des Fremden, doch er unterdrückte die Regung sofort.
Salim wies auf den Alten, der schwankend wieder auf die Füße kam und glasig zum Vorhang stierte. »Seht es Euch an! Sie raubt einem den Verstand.«
»Ganz offensichtlich«, erwiderte Wolfram trocken. »Und wie Singsklavinnen es zu tun pflegen, gibt sie sich jedem hin, der sie sich leisten kann: Parfümeuren für Ambra und Moschus, Seidenhändlern für Damaszener Brokat. Sie mag eine angesehene Hure sein, aber sie bleibt eine Hure.« Unwillig wischte er einen Tropfen Orangenblütenwasser von seinem Ärmel.
Salim berührte beschwörend seinen Arm. Sein schwarzes, zu schulterlangen Locken gedrehtes Haar fiel unter dem Turban hervor, und der Dunst von Wein und Haschisch stieg Wolfram in die Nase. »Wer spricht bei einer solchen Frau von Hurerei? Der Kalif Harun ar-Raschid verfiel ihr, um den sich schon jetzt die Legenden ranken – , möge Allah Wohlgefallen an ihm haben! Seine Söhne Muhammad und Abdallah hätten vierhundert Sklavinnen gegen eine Nacht mit ihr eingetauscht. Man munkelt, Muhammad hätte nur ihretwegen die Vorliebe für sein eigenes Geschlecht vergessen und sich den Frauen zugewandt. Sie war die Geliebte dreier Kalifen, und heute Nacht könnte der vierte dazukommen.« Er deutete mit seiner sorgsam manikürten Hand durch den Raum. »Seht Euch um, jedermann liegt ihr zu Füßen! Wenn Ihr heute ein düsteres Gesicht seht, dann nur bei einem, der ihre Gunst genossen und wieder verloren hat.«
Der Fremde blickte zum Neffen des Kalifen hinüber, der an der Seite seines Oheims finster in den Becher starrte. Salim wollte etwas einwenden, doch abgesehen vom Herrscher selbst schien in dessen Familie kaum ein Mann vor Frohsinn zu sprühen. Wolfram hob die Augenbrauen. »Nun, ich selbst habe kaum Grund, mich in Gefahr zu wähnen«, meinte er. »Ich verkaufe weder Parfüms, noch edle Stoffe, und ich gehöre auch nicht der Familie des Kalifen an. Ich bin ein Verbannter, und das Einzige, was ich noch besitze, ist mein Schwert. Sie wird wohl kaum darauf erpicht sein, dass ich ihr damit ihre glatte Kehle durchschneide.« Er deutete ein ironisches Lächeln an.
»Ah, auch Ihr werdet ihrem Zauber verfallen!« Salim lehnte sich zurück. Seine geschminkten Mandelaugen wiesen zum Vorhang, der die Musikanten vor Blicken schützte. »Dort, hinter der , wartet sie bereits. Ihr werdet Eure ketzerischen Worte noch bereuen. Sie ist eine Sirene.«
Das abfällige Lächeln des Fremden erstarrte. Abrupt wandte Wolfram sich ab und sah hinauf zur Deckenmalerei. Eine paradiesische Gartenlandschaft war dort abgebildet: Gazellen weideten friedlich, und exotische Vögel flatterten zwischen den schwarzweißen Pfeilern. Wie ein Spiegelbild zeigte der kostbare Hira-Teppich zu seinen Füßen dieselben Motive. Für einen Augenblick ließ sich Wolfram an den geheimen Ort in seinem Inneren entführen, zu dem er niemandem Zutritt gewährte.
Er konnte nicht sehen, dass die junge Frau hinter der Sitara ebenfalls zur Decke hinaufblickte. Ihre hennabemalten Hände hatten den Vorhang etwas zur Seite gezogen. Sie bemerkte den schwarzen Eunuchen, der zu ihr trat, und ihre dunklen, eng stehenden Augen verloren den sehnsüchtigen Ausdruck. »Hast du ihn gesehen?«, fragte Arib. Der Rhythmus des Tamburins in ihrem Rücken holte sie in die Gegenwart zurück und peitschte ihren Puls auf.
»Er ist hier«, antwortete Jauhar. Arib kannte den hünenhaften Eunuchen. Sie wusste, dass er trotz seiner Eigenheiten verlässlich war. Deshalb hatte sie darauf bestanden, dass er und kein anderer sie an diesem Abend bedienen sollte.
Aufatmend schob sie den rosaseidenen Vorhang noch etwas zur Seite. »Welcher ist es?« Ihre Augen folgten seinem Finger, doch in der Menge konnte sie den Fremden nicht ausmachen.
»Der junge Mann in der hellen Tracht der Zechgenossen«, erläuterte Jauhar beflissen. Arib spürte die Augen des Eunuchen auf ihren Brüsten, die das Oberteil aus goldbesticktem Brokat völlig unbedeckt ließ. Sie glaubte sogar zu hören, wie er den Rosenduft einsog, der noch vom Hammam in ihrem Haar hing. »Wollt Ihr es wirklich wagen?«, raunte er ihr ins Ohr. Ungerührt wanderte Aribs Blick durch den Raum. Sie erkannte den Kalifen, grobknochig wie ein baktrisches Lastkamel. Er musste inzwischen etwas über vierzig sein, dachte sie, während sie nach dem Fremden Ausschau hielt. Doch die Mundschenke und die wirbelnden Röcke der Tänzerinnen verstellten ihr immer wieder die Sicht.
»Dieser Mann ist eine Viper«, fuhr Jauhar fort, »schön, aber gefährlich. Und Ihr wisst, dass er Euch vernichten will.«
»Mich vernichten!« Arib lachte klirrend auf. Ein Flötenspieler warf ihr einen zornigen Blick zu, und leiser setzte sie nach: »Er durchschaut, warum ich hier bin. Meine Pläne missfallen ihm und er wird sie zu vereiteln suchen, notfalls mit Gewalt.« Ihre Augen blieben an dem mit Federn geschmückten gebratenen Pfau hängen und die markanten Lippen verzogen sich spöttisch. »Aber einmal gerupft ist auch der stolzeste Pfau nichts weiter als ein bleiches Huhn. Ich kenne diese Art von Mann. Etwas heiße Luft aus meiner geübten Kehle und aus dem hochfahrendsten Krieger wird ein williger Sklave. Du kannst versichert sein, dass ich nichts von ihm übrig lassen werde.«
Jauhars Kinn mit dem eleganten Bärtchen klappte herab. »Ihr versteht Euch darauf, die Seelen zu berühren und sprecht so kalt darüber?«
Arib...




