Inusa | Morgen und die Ewigkeit danach | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Inusa Morgen und die Ewigkeit danach


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26267-9
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-26267-9
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Echte Liebesgeschichten haben kein Ende

Als Nathalie in der Psychiatrie Lucas kennenlernt, ist da sofort etwas Besonderes zwischen ihnen. Beide spüren es und doch können beide es nicht zulassen. Nathalie nicht, weil sie nach dem Unfalltod ihres kleinen Bruders unter der Last der Schuldgefühle verstummt ist. Lucas nicht, weil er den Glauben daran verloren hat, dass ihn irgendwer auf dieser Welt noch brauchen könnte. Erst als die beiden beginnen, einander, dem Leben und der Liebe wieder zu vertrauen, zeigt sich für sie Hoffnung auf Heilung und einen Neuanfang.

Manuela Inusa wollte schon als Kind Autorin werden. Mit Ende zwanzig beschloss die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, sich ganz aufs Schreiben zu konzentrieren. Nach einigen Publikationen gelang ihr 2017 der Durchbruch: Die »Valerie Lane«-Reihe eroberte die SPIEGEL-Bestsellerliste im Sturm. Mit den »Kalifornischen Träumen« und »Lake Paradise« folgten weitere Bestsellerreihen. Die »Coastlines«-Reihe, in der sie ihre Leser*innen an idyllische Orte an der US-Ostküste entführt, ist Manuela Inusas erste Reihe im Heyne Verlag. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Hamburg und schreibt am liebsten bei Musik, Tee und Kerzenlicht. Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
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VIER

Wenn Kakteen mit ihren Stacheln, so unnahbar und verletzend, deine besten Freunde sind, was sagt das dann über dich aus?

»Wie fühlst du dich heute?«, fragt Doc Fynn, als ich ihr an diesem Nachmittag gegenübersitze. Sie mustert mich mit ihren blauen Augen über die Brille hinweg, die farblich zu ihrer bordeauxroten Bluse passt. Ihre blonden Haare sind wie immer zu einem strengen Dutt gesteckt.

Erwartet sie wirklich eine Antwort? Zumindest sieht sie mich so an. Als hätte ich ihr in den letzten fünfunddreißig Tagen immer eine Antwort gegeben, statt vor mich hin zu schweigen.

Die ersten drei Tage nach dem Selbstmordversuch lag ich auf der Krankenstation in Haus A, danach haben sie mich hierher ins Haus F verlegt. Das Haus F besteht aus drei Ebenen, in der zweiten sind die Mädchen untergebracht, in der dritten die Jungen. Wir treffen dreimal am Tag zum Essen in der Cafeteria aufeinander, wie sie den Speisesaal nennen, der sich neben den Behandlungszimmern unten im Erdgeschoss befindet. Nur hat man nicht wie in einer richtigen Cafeteria die Auswahl zwischen mehreren Gerichten, sondern muss das essen, was es gibt. Dabei kann man natürlich kleine Wünsche äußern, um statt Reis, Bohnen und Hühnchen lieber Reis und zwei Portionen Bohnen oder auch dreimal Hühnchen zu bekommen. Aber ich äußere nie irgendwelche Wünsche. Ich äußere ja gar nichts. Ich nehme das, was man mir auf den Teller füllt, und auch davon esse ich so gut wie nichts.

Ich esse seit dem Vorfall nicht mehr regelmäßig. Schlafe schlecht. Jedes Mal, wenn ich es doch schaffe einzudämmern, träume ich schreckliche Sachen und wache völlig panisch und schweißgebadet auf. Dr. Fynn weigert sich, mir Schlafmittel zu verschreiben, auch wenn meine Mutter sie mehrmals darum gebeten hat. Doc Fynn meint, es würde sich alles legen, wenn ich endlich über das Erlebte sprechen, wenn ich nicht mehr alles in mich hineinfressen würde.

Da liege ich lieber die Nächte wach.

Auch jetzt erwartet sie also wieder, dass ich rede. Nachdem wir uns gut fünf Minuten lang schweigend angestarrt haben, seufzt sie und sagt: »Wie lief es mit der Aufgabe, die ich dir gestern mitgegeben habe?«

Ich zucke die Achseln.

»Hast du sie erledigt?«

Ich nicke. Bin kurz besorgt, dass Doc Fynn mein Tagebuch sehen will. Das hat sie bisher noch nie verlangt, und ich habe ganz bestimmt nicht vor, es ihr zu geben. Lieber zerreiße ich es in Fetzen.

Doch Doc Fynn nickt nur zufrieden und lächelt mich dann an.

»Wie ich höre, hat deine Mutter morgen Geburtstag.«

Ja, das hat sie.

Da sie mich weiter anstarrt, nicke ich irgendwann.

»Möchtest du sie sehen?«

Ich schüttle den Kopf.

»Möchtest du ihr einen Brief schreiben?«

Wieder schüttle ich den Kopf. Ich wüsste nicht, was ich schreiben sollte.

»Eine Karte vielleicht? Du könntest einfach Happy Birthday draufschreiben. Oder nur deinen Namen. Sie würde sich bestimmt freuen.« Wie aus dem Nichts holt Doc Fynn drei fröhliche Glückwunschkarten hervor und hält sie mir hin.

Ich suche die am wenigsten fröhliche aus, eine mit roten Rosen drauf. Ich klappe sie auf und schreibe mit dem Kugelschreiber, den Doc Fynn mir hinhält, meinen Namen auf die dünne weiße Pappe. Ich lege die Karte auf den Schreibtisch, der zwischen meiner Seelendoktorin und mir steht, und sehe zum Fenster hin. Sie blickt in dieselbe Richtung.

»Was siehst du, Nathalie?«

Ich antworte nicht.

»Die Bäume?«

Sie sind kahl, es ist Januar.

»Den Himmel?«

Er ist bedeckt mit grauen Wolken.

»Nathalie. Bitte glaube nicht, dass ich nicht weiß, wie es in deinem Innern aussieht.«

Tsss … Ja, klar!

»Ich erlebe so viele junge Menschen wie dich. Jungen und Mädchen, die genauso Schlimmes durchgemacht haben.«

Sicher.

»Sie alle haben den Lebenswillen verloren. Aber ich versuche, ihnen deutlich zu machen, dass, auch wenn die Welt in diesem Augenblick für sie ganz schwarz aussieht, so wie die Wolken dort draußen am Himmel …« Sie deutet mit dem Zeigefinger zum Fenster, dabei fällt mir ihr abgebrochener Nagel auf. »… auf die Dunkelheit auch immer wieder Licht folgt. Die schwarzen Wolken verziehen sich und die Sonne kommt zum Vorschein. Auch wenn es für dich gerade nicht vorstellbar ist, wirst du sehen, dass ich recht habe. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, doch eines Tages wird deine Welt wieder hell leuchten. Vertraue mir.«

Die Dunkelheit ist seit siebenundneunzig Tagen mein ständiger Begleiter. Zumindest erkennt Doc Fynn sie in mir. Womit sie aber völlig falsch liegt, ist die Hoffnung auf Sonnenschein.

Doc Fynn faselt noch ewig so weiter, bis die Stunde zu Ende ist und ich endlich wieder in mein Zimmer darf. Als ich mich erhebe, um zu gehen, deute ich mit einem fragenden Gesichtsausdruck auf ihren abgebrochenen Nagel.

»Das? Oh. Den habe ich mir beim Öffnen einer Dose Champignoncremesuppe abgebrochen.«

Ich finde die Vorstellung, dass die elegante Dr. Caroline Fynn sich eine Dosensuppe aufwärmt und sie allein an ihrem eleganten Küchentresen isst, traurig. Während ich von Schwester Agnes zurück auf meine Station begleitet werde, denke ich darüber nach. Denke über Doc Fynn nach, die höchstens Ende dreißig ist und wirklich immer die Ruhe bewahrt, auch bei den Aggressivsten und Abgewracktesten von uns. Ich frage mich, ob sie wohl keine Kinder hat, keinen Ehemann, nicht mal eine harmlose Affäre oder einen Hund? Sie hat nichts davon je erwähnt. Ich beschließe, falls ich jemals wieder anfangen sollte zu sprechen, sie danach zu fragen.

Wahrscheinlich werde ich die Antwort nie bekommen.

Das Leben ist das Leben ist das Leben ist Dunkelheit ist Traurigkeit ist Einsamkeit ist Champignoncremesuppe ist eine Tüte Billigchips ist eine Dose SpaghettiOs ist ein Teller Erbsen ist eine Plastikgabel ist dieser Ort.

Ich klappe mein Tagebuch zu, das eher ein Notizheft ist, da ich dort keine Einträge in der Art von »Liebes Tagebuch …« reinschreibe, sondern neben den Aufgaben, die Doc Fynn mir gibt, vor allem meine Gedanken. Gedanken, die mir in der Dusche, beim Mittagessen oder auch in der Therapiestunde kommen. Ich weiß nicht, warum ich sie aufschreibe. Wahrscheinlich vermisse ich es doch, auf irgendeine Weise zu kommunizieren. Und wenn ich in mein Tagebuch schreibe, spreche ich ja nur mit mir selbst. Anderen will ich mich nicht mitteilen, ich habe ihnen nichts zu sagen.

Ich hab gerade mein Buch in der Tasche des Cardigans versteckt, der in meinem Schrank hängt, und mich zurück aufs Bett gesetzt, als Schwester Claudia an meine Zimmertür klopft, die sowieso halb offen steht. Es ist nicht erlaubt, diese zu schließen, sie wollen ja keine Tür öffnen und dann eine Leiche finden müssen. Das kann ich verstehen, es ist wahrscheinlich schwer genug, mit Scheintoten zu tun zu haben.

Schwester Claudia lächelt mich an. Sie ist jung, höchstens fünfundzwanzig, und hat langes blondes Haar. Seit letzter Woche trägt sie einen neuen Ring, der vielleicht ein Verlobungsring ist. Ich kann sie nicht fragen.

»Kommst du bitte mit? Die Beschäftigungstherapie fängt gleich an.« Sie wartet an der Tür, bis ich vom Bett aufstehe und meine Schuhe anziehe. Zusammen gehen wir noch ein paar andere Mädchen von ihren Zimmern abholen und begeben uns zu sechst in den Bastelraum, wo wir heute malen wollen. Sollen. Müssen. Denn weigern wir uns, bei der Beschäftigungstherapie mitzumachen, verlieren wir Punkte, verlieren wir Privilegien. Bei mir wären es meine Bücher, die sie mir wegnehmen würden, also lasse ich die blöde Bastelstunde über mich ergehen, tauche meinen Pinsel in blaue und grüne und gelbe Farbe und mache einen auf Picasso. Ich streiche mit dem Pinsel über das riesige Blatt Papier und bin gedanklich überhaupt nicht da. Irgendwann ertappe ich mich dabei, wie ich die Form eines Sterns male. Sofort verwische ich ihn wieder. Er hat hier nichts zu suchen. Henry hat hier an diesem trostlosen Ort nichts zu suchen. Er war nichts als Fröhlichkeit.

Ich drehe mich um, als ich Schreie höre.

Brenda hat wieder einen ihrer Anfälle. Sie deutet wild gestikulierend auf Tamaras Bild und ist total hysterisch, schreit immer wieder: »Penis! Penis!« Anscheinend denkt sie, Tamara hätte einen Penis gemalt, dabei versichert die ihr immer wieder, dass es nur ein Kaktus ist.

Tamara ist bipolar und steht voll auf Kakteen. Einmal hat sie sich in einer ihrer euphorischen Hochphasen im Fernsehzimmer neben mich gesetzt und mir ungelogen über eine Stunde von den Kakteen erzählt, die sie zu Hause in ihrem Zimmer auf der Fensterbank, der Kommode und dem Nachttisch stehen hat. Und wie gerne sie auch hier welche in ihrem kahlen, unpersönlichen Zimmer hätte. Aber natürlich erlauben sie einem keine. Die haben Stacheln, und alles, was auf irgendeine Art spitz ist, ist verboten. Ich frage mich zwar, wie man sich mit einem Kaktus umbringen sollte, aber das ist eine genauso gute Frage wie die, was zum Teufel einem eine Pinzette anhaben könnte. Das Spitzeste, was ich besitze, ist mein Kugelschreiber. Und wahrscheinlich hätten sie mir den auch schon weggenommen, wenn Doc Fynn es nicht als therapeutisch anerkannt hätte, dass ich in mein Tagebuch schreibe. Auch wenn es kein richtiges Tagebuch ist, nenne ich es so, weil kein Tag vergeht, an dem ich nicht hineinschreibe. Manchmal vergeht nicht mal eine Stunde.

Brenda...


Inusa, Manuela
Manuela Inusa wurde 1981 in Hamburg geboren und wollte schon als Kind Autorin werden. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag sagte die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin sich: »Jetzt oder nie!« Nach einigen Erfolgen im Selfpublishing erscheinen ihre aktuellen Romane bei Blanvalet. Ihre Valerie-Lane-Reihe verzauberte die Herzen der Leserinnen und eroberte auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste, genau wie ihre Kalifornische-Träume-Reihe. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in einem idyllischen Haus auf dem Land. In ihrer Freizeit liest und reist sie gern, außerdem liebt sie Musik, Serien, Tee und Schokolade.



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