E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Johnson Weihnachtspunsch und Rentierpulli
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20090-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-641-20090-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Debbie Johnson ist eine Bestsellerautorin, die in Liverpool lebt und arbeitet. Dort verbringt sie ihre Zeit zu gleichen Teilen mit dem Schreiben, dem Umsorgen einer ganzen Bande von Kindern und Tieren, und dem Aufschieben jeglicher Hausarbeit. Sie schreibt Liebesromane, Fantasy und Krimis – was genau so verwirrend ist, wie es klingt.
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KAPITEL 2
Ihre erste Begegnung war zwar nicht ganz so dramatisch verlaufen, aber gleichermaßen denkwürdig gewesen. Auf ihre eigene Art und Weise. Maggie hatte zusammen mit ihrer Tochter auf einer Bank im Park gesessen. Vor drei Tagen.
»Wenn das so weitergeht, werde ich noch an Östrogenvergiftung sterben«, hatte Ellen gesagt, nachdem sie die Ohrhörer herausgenommen hatte. Ihr angewiderter Blick war auf die Szene gerichtet gewesen, die sich vor ihren Augen abspielte.
»Scheinbar sind alle tollen Mamis gestorben und im Himmel der dämlichen Schnallen gelandet. Keine einzige sieht nach ihrem Kind. Ihre süßen Kleinen könnten Crack rauchen oder sich Hundekacke in den Mund stopfen, und sie würden es nicht einmal merken. Wahrscheinlich denken diese Mütter gerade alle nur ans Vögeln. Ich glaube, ich muss mir gleich das Hirn mit Bleichmittel auswaschen. Ehrlich, der Typ trägt einen Rentierpulli! Eine der Regeln im Buch der Feministinnen lautet bestimmt, nie einen Mann in einem Rentierpulli zu küssen, oder?«
Es war der erste Dezember, und die Temperaturen waren über Nacht gefallen, als hätte der Wettergott einen Blick in den Kalender geworfen und beschlossen, noch eine Schippe draufzulegen. Ellens Schmähungen wurden begleitet von kleinen Atemwolken, die aus ihrem Mund drangen, und dem ungeduldigen Trippeln ihrer Füße auf dem reifbedeckten Boden unter der Bank.
Während sie schimpfte, verzog sie verächtlich das normalerweise hübsche Gesicht und schüttelte bedauernd den Kopf, als sie ihre Wasserflasche aufschraubte.
Sie hatten gerade ihre vier Kilometer lange Joggingrunde im Park beendet. Außer leicht geröteten Wangen und ein paar kastanienbraunen Haarsträhnen, die an der feuchten Haut klebten, war Ellen keinerlei Anstrengung anzusehen.
So war das nun mal mit süßen achtzehn, wenn der Körper noch nicht gekennzeichnet war vom Leben, Kinderkriegen und zu vielen einsamen Abenden mit Colin-Farrell-Filmen und einer Schachtel Schillerlocken, dachte Maggie O’Donnell.
Diese drei Dinge hatten ihr reichlich zugesetzt, obwohl sie mit vierunddreißig noch ziemlich gut in Schuss war. Zumindest innerlich. Allerdings nicht gut genug, um noch genügend Luft zu haben und Ellen zu antworten. Stattdessen versuchte sie, ihre unverschämt athletische Tochter anzulächeln, die ausgestreckt neben ihr auf der Bank saß, und blickte zu dem Geschehen auf dem Spielplatz hinüber, das Ellen so verärgert und schließlich zu ihrem Anti-Vagina-Monolog geführt hatte.
Maggie musste zugeben, dass ihre Tochter irgendwie schon recht hatte, auch wenn sie äußerst kritisch war. Dort drüben stand ein Mann. Ein richtiger, waschechter Mann, der in das zumindest an Wochentagen der weiblichen Spezies vorbehaltene Revier eingedrungen war.
Es war auch nicht irgendein alter Knacker oder einer dieser gestressten, nicht berufstätigen Väter, die ab und zu auftauchten, von oben bis unten bekleckert mit Erbsenpüree, und mit der Lebensfreude eines an einem Leistenbruch erkrankten Nilpferds von der Windeltasche zur Schaukel trippelten.
Nein, dieser Mann … war einfach nur umwerfend. Er war groß, auf jeden Fall größer als ein Meter fünfundachtzig. Breitschultrig. Muskulös. Und trug eine Levis-Jeans, einen Pullover mit einem riesigen Rentier auf der Vorderseite und eine teuer aussehende marineblaue Weste. Das dunkle Haar begann sich zu locken und schien normalerweise kürzer getragen zu werden. O ja, sie konnte durchaus verstehen, warum die anderen Mütter auf dem mit Raureif bedeckten Rasen begonnen hatten, in einer kollektiven Hormonlache dahinzuschmelzen. Er sah aus wie aus einer romantischen Komödie entsprungen, in der er die Hauptfigur spielte, einen talentierten, aber leidgeprüften Rugbyspieler.
Maggie nahm einen ordentlichen Schluck aus ihrer Wasserflasche und holte tief Luft, um wieder zu Atem zu kommen. Dann beäugte sie den Mann so unauffällig wie möglich. Leider jedoch nicht unauffällig genug.
»Mum!«, rief Ellen empört, und der Blick ihrer grünen Augen bohrte sich in ihre Mutter. »Du machst genau das Gleiche! Wie widerlich! Reiß dich zusammen! Du benimmst dich, als hättest du noch nie einen Mann gesehen.«
»Na ja, mein Schatz. Ich bin mir nicht sicher …, ob mir so ein Exemplar in meinem Leben schon mal begegnet ist. Und du hast offensichtlich noch nie Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück gesehen. Ein Mann in einem Rentierpulli kann einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«
Ellen schnaubte und starrte wenig überzeugt auf den Pullover und dessen Träger.
»Auf jeden Fall solltest du etwas nachsichtiger sein mit einem Mädel meines Alters«, fuhr Maggie fort. »Weißt du, ich bin auch nur aus Fleisch und Blut. Es ist nicht so, als würde man nichts mehr um sich herum wahrnehmen, nur weil man jenseits der dreißig ist. Aber das wirst du eines Tages noch selbst herausfinden. Außerdem … ein Hingucker ist er schon.«
Als sie die Worte aussprach, marschierte genau in dem Moment eine der verzückten Mütter schnurstracks in die Rutsche, da sie weiter fasziniert den Mann betrachtet hatte. Sie stieß sich den Kopf und errötete heftig. Die Szene erinnerte an eine Slapstickkomödie. Maggie biss sich auf die Lippe, um nicht laut loszuprusten. Das hätte mir auch passieren können, dachte sie.
»Hör auf, so zu stieren!«, sagte Ellen, wenngleich sie es nicht ganz schaffte, das Kichern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Du bist kein Mädel … du bist eine alte Schachtel. Dein Verfallsdatum ist schon lange abgelaufen.«
»Ist es nicht!«, widersprach ihr Maggie und eiste schließlich ihren Blick von dem attraktiven Fremden los. »Ich habe vielleicht gerade mein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, mehr aber auch nicht.«
»Aha. Sagt die Expertin für Ernährungsfragen. Und worin besteht bitte der Unterschied?«
»Wenn man etwas isst, dessen Verfallsdatum abgelaufen ist, dann ist es schlecht. Richtig schlecht. So schlecht, dass man sich eine Lebensmittelvergiftung einfangen kann. So wie dein Großvater, als er an diesem Grillabend das ganze alte Hühnerfleisch verbraucht hat und dann mit dem Radio aufs Klo verschwunden und zwei Tage lang nicht mehr heruntergekommen ist. Das Mindesthaltbarkeitsdatum aber … ist eher eine Richtschnur. Wenn man etwas über dieses Datum hinaus verzehrt, bedeutet das lediglich, dass es nicht mehr im allerbesten Zustand ist. Womöglich schmeckt es nicht mehr ganz so gut, aber man muss sich deshalb nicht übergeben.«
»Und so verhält es sich bei dir, oder was?«
»Genau. Würde mich jemand vernaschen, wie zum Beispiel dieser Mann dort drüben, würde ihm anschließend nicht übel werden, aber es könnte sein, dass er schon Besseres probiert hat.«
Ellen verzog das Gesicht und machte mit den Fingern eine Geste des Erbrechens.
»Ich glaube, es kann sein, dass ich jetzt gleich kotze. Begreifst du nicht, dass du als meine Mutter die Pflicht hast, den Rest deines Lebens als völlig geschlechtsloses Wesen zu verbringen? Ich gehe mal davon aus, dass du nur einmal Sex hattest, und ich aus dieser erhabenen Vereinigung entstanden bin. Mit mehr bin ich ohne entsprechende Traumabewältigung nicht bereit, mich auseinanderzusetzen. Also, hör auf, ihn anzuhimmeln und lass uns nach Hause gehen. Ich glaube, du brauchst eine kalte Dusche. Wenn du willst, kannst du gern den Rest der untersexten Horde nach Hause einladen.«
»Okay«, erwiderte Maggie und lachte innerlich bei dem Gedanken der »erhabenen Vereinigung«, die dazu geführt hatte, dass sie mit sechzehn schwanger geworden war. Das war nicht gerade die Beschreibung, die die meisten dafür benutzt hätten, was auf dem Rücksitz eines auf dem Rastplatz der A40 geparkten Datsun Sunny stattgefunden hatte.
»Botschaft angekommen und verstanden, Hüterin der Sitten. Gib mir nur noch fünf Minuten, in denen ich mich wie ein geschlechtsloses Wesen benehmen kann, das einen völlig Fremden mit den Blicken verschlingt. Dann machen wir uns auf den Weg.«
Ellen brummte missbilligend vor sich hin, schlug ihre schlanken Beine übereinander, steckte die Ohrhörer wieder ein und hörte Musik. Wahrscheinlich, um das Geräusch der Seufzer in ihrer Umgebung zu übertönen.
Maggie betrachtete sie von der Seite und sah anschließend wieder zum Spielplatz. Einmal abgesehen von dem Mann, stimmte der Anblick sie etwas traurig. Melancholisch. Der Park lag nur zehn Minuten von ihrem Haus in Jericho entfernt. In der Ferne waren die verträumt aussehenden Turmspitzen im Stadtzentrum von Oxford zu sehen. Sie ragten verschwommen aus dem Nebel und wirkten wie ein beleuchteter Weihnachtsbaum aus weichem, gelbem Stein. Es war ein wunderschöner Anblick. Einer, der sich scheinbar nie änderte.
Sie kam schon seit vielen Jahren in diesen Park und konnte sich sogar noch dunkel daran erinnern, wie sie ihn als Kind mit ihrer eigenen Mutter besucht hatte. In ihrer Teenagerzeit war er ein beliebter Treffpunkt gewesen. Wild und ungestüm war sie Karussell gefahren und hatte dabei Cider aus Plastikflaschen getrunken. Ein Umstand, der möglicherweise nicht ganz unschuldig war an der späteren erhabenen Vereinigung auf dem Rücksitz des Datsun Sunny. Möglicherweise aber auch nicht.
Als sie dann selbst Mutter war, unglaublich jung noch, war sie mit ihrem eigenen süßen Baby im Kinderwagen im Park spazieren gegangen und hatte so die endlosen Stunden ihres Lebens gefüllt. Sie fütterte die Enten und fragte sich, was ihre Freundinnen wohl gerade machten. Sie hatte den Park immer wieder mit Ellen besucht. Als Kleinkind, als kleines Mädchen und jetzt als fast...




