Kaluza | Geh auf Magenta | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Debütromane in der FVA

Kaluza Geh auf Magenta


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-627-02205-1
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Debütromane in der FVA

ISBN: 978-3-627-02205-1
Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein rasanter Künstlerroman, eine tragikomische Geschichte! Die Farbe auf der völlig unerwarteten Trennung von seiner Freundin Mel ist noch nicht ganz trocken, da wartet schon der nächste Schlag auf den Künstler Bastien: Mel ist nun auch noch mit seinem Mäzen Thomas zusammen. Bastien erkennt in seinem Trennungsschmerz, dass sich die Realität nicht so leicht modellieren lässt wie seine Südsee-Phantasien, die ihn in eine wundersame Welt mit baumhohen Blüten entführen. Sein Freund Rob steht ihm bei und diskutiert mit ihm nächtelang über Konzeptkunst: Wie originell muss man heute als Künstler sein, um wahrgenommen zu werden? Bastiens fatale Idee, seinen eigenen Tod als Kunst zu inszenieren, findet bei Rob keinen Anklang. Doch als er den Plan provokant auf Facebook postet, scheint er in der mysteriösen Mila eine Leidensgenossin zu finden. Das Drastische in ihren Mails fasziniert Bastien, und in ihm wächst das Verlangen, sie zu treffen. Ob das gutgeht? Denn tatsächlich hat Mila ihren ganz eigenen Racheplan. Mit scharfsinnigem Humor erzählt Stephan Kaluza die Geschichte eines Malers in einer tiefen Beziehungs- und Schaffenskrise und vom überraschenden Aufeinanderprallen falscher Erwartungen. Während die Charaktere ausnahmslos den täglichen Kampf gegen das eigene Selbstbild führen, spüren sie nicht, wie sie im Dunkel der Bühne haltlos aufeinander zustürmen. Stephan Kaluza hat einen rasanten Künstlerroman geschrieben, eine tragikomische Geschichte, die sich in shakespearescher Manier immer weiter zuspitzt, bis die Katastrophe unvermeidlich scheint.

Stephan Kaluza, 1964 geboren, hat Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie in Düsseldorf studiert. Er ist Foto- und Performancekünstler, Theaterautor sowie Dozent für Regie am Mozarteum in Salzburg. Seine Stücke wurden u. a. am Staatstheater Stuttgart und im Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert; seine Arbeiten sind in Museen und Sammlungen in Berlin, Düsseldorf, Amsterdam, Jerusalem, Shanghai, Seoul, Paris und Istanbul vertreten. Stephan Kaluza lebt in Düsseldorf und Berlin.
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1


Der Tag wäre sicher anders verlaufen, wenn einige der unvorhersehbaren Ereignisse eingetreten wären, mit denen lange Geschichten so oft beginnen; diese blieben jedoch aus, so dass Bastien pünktlich zu seinem persönlichen Armageddon in Berlin landen konnte. Keine Schlechtwetterfront über dem Indischen Ozean sorgte für eine dramatische Notlandung auf einer abgelegenen pazifischen Insel, keine politischen Unruhen in arabischen Kleinstaaten hielten sein Flugzeug auf fremden Flughäfen fest, alles verlief bei Sonnenschein und Windstille nach Plan, die Maschine kam darüber hinaus sogar noch eine Viertelstunde vor der erwarteten Zeit an.

Schade, ging es ihm während der Landung durch den Kopf, schließlich hätte man das ein oder andere Abenteuer ja doch einmal gerne mitgenommen, ein Abenteuer gegen die Muster eines Lebens im Schatten fester Ankunftszeiten. Er warf einen Blick auf Sonias Profil, die neben ihm auf die herannahende Landebahn hinuntersah. Genau das hätten sie gebraucht, etwas Unvorhergesehenes, etwas Dramatisches; zum Beispiel kreative Gedanken beim Installieren eines Signalfeuers nach dem Absturz, das Beerdigen der armen Schweine, die das Unglück nicht überlebt hatten, das ernste Beratschlagen darüber, was in dieser aussichtslosen Lage das Beste wäre. Auf der Insel in verliebter Zweisamkeit zu verharren oder mit dem Mut der Verzweiflung aus den Überresten des abgestürzten Wracks ein Floß zu bauen, mit dem sie nach dreißig endlosen Tagen auf See dann schließlich zum rettenden Kontinent gelangt wären, um dort an der bereitstehenden Strandbar noch einen Caipirinha zu trinken –

»Du bist nicht angeschnallt. Mach schon.«

Sie blickte ihn von der Seite an, tippte mit den Fingern an seinen offenen Gurt und wies mit einem Blick auf die sich nähernde Stewardess. Lächelnd zog er den Gurt stramm; nichts Neues, sie war während des ganzen Urlaubs so gewesen, zuliebst aufmerksam, fürsorglich kontrollierend. Für ihre spitze Stimme konnte sie ja nichts, sie hatte ihn aber dennoch laufend in den Wahnsinn getrieben, besonders nach ihrer viertelstündigen Standpauke zur Handhabung einer Gabel beim Spaghettiessen, er hatte sie wohl einmal mit der ganzen Hand umfasst. Auch seine Beteuerungen, dass diese kleinen thailändischen Gabeln nun einmal nicht so einfach zu halten wären wie deutsche, halfen nichts, sie zog missbilligend die Augenbrauen in die Höhe und blickte sich peinlich berührt im Lokal um. Für die nächsten hundert Dekaden war er in ihren Augen nun nichts weiter als ein simpler Prolet, der nicht einmal wusste, wie man sich auf dem glatten Parkett einer thailändischen Pommesbude zu benehmen hatte.

Aber sie war schön. Richtig schön, wie die Mehrheit seiner Freunde einhellig meinte und es vor der Reise an zustimmenden Klapsen auf den Rücken nicht fehlen ließ.

Er hatte natürlich einen Bungalow mit nur einem Zimmer und nur einem Doppelbett gebucht, aber jede Strategie stellte sich als vollkommen unbrauchbar heraus; Sonia lag am äußersten Rand des Bettes und zeigte ihm ihren schmalen Rücken, aufreizend anzusehen, wenn sie nicht das Laken bis über beide Schultern hochgezogen hätte, so dass nur noch ihr blonder Schopf aus den Kissenbergen herausragte. Sie las Tom Jones, runde tausend Seiten; anfangs war er noch von diesem Buch und ihrem Interesse an der Welt des 18. Jahrhunderts beeindruckt, je mehr Lachanfälle zum Gelesenen sie nächtens jedoch bekam, umso mehr bezweifelte er das intellektuelle Niveau des Buches. Wie auch immer, es lief in den zwei Wochen nichts.

Während die Maschine sich dem Flughafen näherte, überlegte er bereits, mit welchen Ausflüchten er seinen Freunden die Umstände seines Scheiterns erklären würde. Mit einer anhaltenden Diarrhoe zum Beispiel, die ihn vollkommen außer Gefecht gesetzt hätte; oder wie seinerzeit Gaugin unter den Palmen der Südsee sei ihm die Idee zu einer neuen Bilderserie gekommen, auf die er sein Leben lang gewartet hatte; eine Idee, deren Kraft sogar stärker als alle Liebesnächte mit Sonia war. Aber es galt zu überlegen, welche Art von Idee es gewesen sein musste, die ihn derart abgehalten hatte; und da der Großteil seines Freundeskreises ebenfalls aus Künstlern bestand, würde er sich zwangsläufig in geistiger Erklärungsnot befinden.

Aber das ein oder andere Statement zu dem oder jenen Gedanken würde schon Sinn machen, er hatte dafür im Taxi Zeit, denn Mel würde sich nicht lange mit Beschreibungen von Palmenstränden zufriedengeben wollen, schließlich hatte er ihr diese Reise mit seiner Sinnsuche erklärt; dass er endlich einmal wieder Zeit für sich bräuchte, dass er seine Gedanken bündeln müsse, um zu neuen Ufern zu gelangen. Damit gab sie sich anfangs zufrieden. Es glich schon einem Husarenstück, der eigenen Frau zu erklären, dass man mit einer anderen in den Urlaub fliegt. Im Vorfeld der Reise beschrieb er Sonia als seine kleine Schwester, sodass er Mels Misstrauen galant im Keim ersticken konnte. Schließlich schien sie einverstanden, doch die Seitenblicke blieben nicht aus, und er hätte natürlich darauf eingehen können, tat es aber nicht. War da nicht der Trip nach Kalifornien, letztes Jahr, den sie im letzten Moment abgesagt hatte? Dann Spanien, das Gleiche, im vorletzten Jahr. Und die Liebesreise nach Frankreich, die er letztlich enttäuscht alleine antrat, weil sie zu arbeiten hatte. Mel hin, Mel her; gab es doch Zeiten der Zweisamkeit zwischen ihnen und solche, in denen es einfach einmal nur um einen gesunden Egoismus ging.

Ganz wohl war ihm bei dem Gedanken dennoch nicht, schließlich war Mel seit acht Jahren an seiner Seite, in ihren Interessen, Vorlieben und Leidenschaften ein vollkommener Spiegel seiner selbst, in einer Vertrauensstruktur, die ihm eine vollkommene Heimat war. Mit anderen Worten: sie war nicht irgendeine, die man mit irgendeiner so einfach betrog.

»Das tut weh –« Sonia legte seine Hand zurück auf seinen Schoß. Er hatte sich nichts dabei gedacht, denn er sah durch die Seitenfenster die Landebahn in rasender Geschwindigkeit auf sich zukommen. Glücklicherweise erfüllte die Sitzlehne nun den gleichen Zweck wie Sonias Knie, er umklammerte sie fest, seine Handflächen waren schweißnass, und er verspürte eine beginnende Unruhe; das Schlimmste, was ihm vor Sonia jetzt passieren konnte, wäre die Peinlichkeit einer akuten Panik. Bei den vorherigen Starts und Landungen, inklusive aller Zwischenstopps, war es ihm noch einigermaßen gelungen, seine Flugangst mit einem Lächeln zu überspielen, aber diesmal schien die Lage ernst, die Beine waren nicht mehr zu spüren, ab der Lende aufwärts schien er nur noch aus hochaktiven Schweißdrüsen zu bestehen, und sein stiergleicher Blick starrte in den Tunnel eines endlosen Falles, nur das Bodenlose schien jetzt tief genug.

»Alles OK bei dir?«

Wie immer in solchen Situationen wäre dann nur ein Triebwerksschaden oder eine Materialermüdung schuld, und die Maschine würde mit voller Geschwindigkeit über die Landebahn hinausschießen, abschmieren, sich mehrmals überschlagen und in einem Feuerball gegen einen dastehenden Tanklaster prallen, niemand an Bord würde diese Apokalypse überleben – Bitte bleiben Sie so lange angeschnallt, bis das Flugzeug seine endgültige Parkposition erreicht hat und die Hinweisschilder über Ihnen erloschen sind.

Nach einem kurzen Ruck standen sie, er atmete aus. Sonia sah ihn wieder skeptisch von der Seite an: »Du hast mir nie davon erzählt.«

»Von was?«

»Von deiner Flugangst.«

»Ich habe keine Flugangst, Quatsch.«

»Doch, hast du. Finde ich ganz schön mutig«, sagte sie. »Ich meine, dass du das bislang so im Griff hattest. Wirklich toll.«

Das hatte er, richtig, einmal sogar in einem zweimotorigen Propellersarg, nicht viel mehr als sein eigener Flugschreiber, dessen Piloten während des Starts seltsam unkonzentriert wirkten, so als hätten sie mit diesem Flug nicht wirklich etwas zu tun. All das hatte er bestens überspielen können, hatte sogar noch die Kraft besessen, auf die Schönheit der thailändischen Inselwelt von oben zu verweisen, aber jetzt, im finalen Anflug, schien die selbstauferlegte Disziplin späte Rache nehmen zu wollen, er fühlte sich wie in der zwölften Runde im Ring, froh, endlich verlieren zu dürfen.

Er blickte zuerst die Schar aufspringender Fluggäste und dann Sonia an, sagte ihr, wie vollkommen uncool es sei, dass jeder immer der Erste beim Herausklauben des Handgepäcks sein wolle, später stünde man ja ohnehin wieder zusammen am Gepäckband. Sonia musterte zwar etwas unruhig die schiebenden, reißenden und drückenden Hände vor der Gepäckablage über ihnen, in der sie ihre Louis-Vuitton-Tasche sorgsam verstaut hatte, schien ihm aber zuzustimmen und beschränkte sich auf tödliche Blicke zu anderen Reisenden, die ihre Tasche ungehobelt von links nach rechts schoben, um an die eigenen zu kommen. In der Zwischenzeit verspürte Bastien wieder erste Anzeichen von Leben in den Beinen, so dass er das Aufstehen mit einem Lächeln wagen und das Gefühl des festen Bodens unter den Füßen wieder genießen konnte.

Wie erwartet waren ihre Koffer unter den letzten, die das Gepäckband hergab, Zeit genug für ihn, sich auf das Wiedersehen mit Mel zu freuen. Schließlich konnte er ganz ehrlich von sich behaupten, ihr treu geblieben zu sein, trotz allem. Obwohl Sonia eine der Frauen war, bei denen Männer vor lauter Staunen ob ihrer Schönheit sogar ihre Koffer eine zweite Runde auf dem Gepäckband antreten ließen. Und sie war sich dessen bewusst. Ihre zerschlissene Jeans, die aussah, als hätte sie...


Stephan Kaluza, 1964 geboren, hat Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie in Düsseldorf studiert. Er ist Foto- und Performancekünstler, Theaterautor sowie Dozent für Regie am Mozarteum in Salzburg. Seine Stücke wurden u. a. am Staatstheater Stuttgart und im Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert; seine Arbeiten sind in Museen und Sammlungen in Berlin, Düsseldorf, Amsterdam, Jerusalem, Shanghai, Seoul, Paris und Istanbul vertreten. Stephan Kaluza lebt in Düsseldorf und Berlin.



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