Karlsch | Allein bezahlt? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Reihe: Politik & Zeitgeschichte

Karlsch Allein bezahlt?

Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945-53
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86284-274-2
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945-53

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Reihe: Politik & Zeitgeschichte

ISBN: 978-3-86284-274-2
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nicht das erste Mal in diesem Jahrhundert ist die ostdeutsche Industrie in ihrer Existenz bedroht. Der gegenwärtige Verlust von mindestens zwei Dritteln der Kapazitäten ruft - bei aller politischer Unterschiedlichkeit - Erinnerungen an die Demontagen der Nachkriegszeit wach. Doch Geschichte wiederholt sich nicht. Für eine sachliche aktuelle Debatte sind genaue Daten über die damaligen Lasten erforderlich Rainer Karlsch hat sie auf Grundlage größtenteils erstmalig erschlossener Quellen zusammen getragen uns systematisch aufbereitet. Dabei ergibt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Besatzungszonen: Während im Osten etwa ein Drittel der industriellen Kapazitäten demontiert wurde, waren es im Westen lediglich drei bis fünf Prozent, die zudem durch die Marshall-Plan-Hilfe mehr als ausgeglichen werden konnten. Karlsch berichtet zugleich vn den Entnahmen aus der laufenden Produktion für die Sowjetunion und Polen, die bis 1953 von der SBZ/DDR allein verkraftet werden mussten, sowie von geheimen Transferaktionen und Verbringung deutscher Spezialisten in die UdSSR.

Rainer Karlsch, Jahrgang 1957, studierte Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1986 Promotion. Er war Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Humboldt-Universität und der Historischen Kommission zu Berlin sowie von 1999 bis 2001 am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin. Seit 2004 ist er freier Publizist mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Von 2017 bis 2021 war er am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin tätig.

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Einleitung


Streitfall Reparationen


Der publizistische und wissenschaftliche Meinungsstreit um die Reparationsleistungen der sowjetisch besetzten Zone (SBZ)/DDR ist so alt wie das Problem selbst. Schon kurz nach Beginn der deutschen Wiedergutmachungsleistungen wurde intensiv versucht, den Werte- und Warentransfer zu erfassen. Die Untersuchungen wurden in starkem Maße von der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Interessenlage beeinflußt.

Jede Seite war bestrebt, die „Ausplünderung der Sowjetzone durch die Sowjets“1 bzw. „die ungeheuren Leistungen…, die von den imperialistischen Besatzungsmächten aus Westdeutschland herausgepreßt wurden“2 in den Vordergrund zu stellen.

Auf östlicher Seite wurden die Reparationen als Staatsgeheimnis behandelt. Die wenigen offiziell veröffentlichten Angaben trugen propagandistischen Charakter. Das Bündnis mit der UdSSR sollte unter keinen Umständen diskreditiert werden.

An eine wissenschaftliche Analyse der deutschen Reparationsleistungen war in der DDR nicht zu denken. Ohne seriöse wissenschaftliche Untersuchungen wurde ein Bild der totalen Zerstörung und des Chaos gezeichnet. In den Standardwerken zur DDR-Geschichte war von einer zu 40 Prozent kriegszerstörten Industrie im Osten Deutschlands die Rede, in Westdeutschland dagegen hätten die Zerstörungen bei 20 Prozent gelegen. Ernsthaft überprüft werden konnten diese Angaben nicht.

Die in den heutigen Bundesarchiven Potsdam und Coswig/Anhalt sowie in den Landesarchiven endgelagerten Materialien des Amtes für Reparationen und anderer mit den Nachkriegslasten befaßter Behörden schienen den Verantwortlichen in der Sowjetunion und der DDR so brisant, daß eine Freigabe für Forschungszwecke überhaupt nicht in Frage kam. Als Mitte der sechziger Jahre der Wirtschaftshistoriker Horst Barthel von der Humboldt-Universität zu Berlin eine Habilitationsschrift zu den ökonomischen Ausgangsbedingungen des östlichen Teils Deutschlands verfassen wollte, stach er bei seinen Recherchen offenbar in ein Wespennest, und Dr. Erich Apel, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und einer der wichtigsten Befürworter von Wirtschaftsreformen in der DDR, nahm sich der Sache an. Erst auf höchster Ebene fiel die Entscheidung. Mit zwei unwirschen Sätzen verweigerte Apel dann dem Wirtschaftshistoriker Akteneinsicht in das Heiligtum der staatlichen Planwirtschaft.

So weit, so schlecht. Wer läßt sich schon gern in die Karten schauen. Außerdem waren im Wirtschaftssystem der DDR bereits weitaus harmlosere Themen zu Staatsgeheimnissen hochstilisiert worden. Überdies gebot die Staatsräson Rücksichtnahme gegenüber den sowjetischen Interessen. Was hätte wohl Pjotr Abrassimow, seinerzeit sowjetischer Botschafter in Ostberlin, von einer Veröffentlichung über die keineswegs ruhmreiche Reparationspolitik seines Landes gehalten?

An sensiblen Themen aus der ökonomischen Geschichte der DDR sollte nicht mehr gearbeitet werden. Punktum. So blieb das Geheimnis der Reparationsakten bis zum Ende der DDR gewahrt.

Auf westlicher Seite wurde hauptsächlich in den fünfziger Jahren der Versuch unternommen, die Reparationsleistungen der SBZ/DDR abzuschätzen. Infolge der eingeschränkten Quellenlage kam es dabei zu beträchtlich divergierenden Angaben. In der Öffentlichkeit der früheren Bundesrepublik ist die sowjetische Besatzungs- und Reparationspolitik sehr nachhaltig als besonders hart und ungerecht empfunden worden. Die deutsche Schuld an Krieg und Holocaust und die Rechtmäßigkeit der Entschädigungsansprüche der Kriegsgegner, insbesondere der Sowjetunion und Polens, wurden zumeist nur zögernd akzeptiert. Einzelne positive Aspekte der sowjetischen Reparationspolitik fanden kaum Anerkennung. Umgekehrt hat die Hilfe der USA beim wirtschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik ein so hohes Maß an Publizität erfahren, daß darüber die zeitweilige Härte der amerikanischen Demontagepolitik des Morgenthau-Plans fast ganz in Vergessenheit geraten ist.

Vor allem das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMfGF) und der SPD-Vorstand widmeten den Reparationen eine Reihe von Studien.3 In der Tagespresse machten abenteuerliche Berechnungen über die sowjetischen Reparationsentnahmen Schlagzeilen. Die vermeldete am 25.8.1953 sowjetische Reparationsentnahmen bis Ende 1951 in Höhe von 60 Milliarden Dollar! Der vom 28. November 1951 berichtete sogar von Reparationen von 240 Milliarden DM. Beispiele derartiger Zeitungsmeldungen ließen sich beliebig fortsetzen.

Mit den Grundlagen für solche Rechenexempel nahm man es nicht so genau. So wurden für die SBZ auch die Verluste aus den Gebietsabtretungen an Polen und die UdSSR sowie die Umsiedlungen in Rechnung gestellt. Das waren jedoch Verluste, die das deutsche Volk insgesamt erlitten hatte. Wenn das menschliche Leid der Zwangsumsiedlungen überhaupt in Zahlen ausgedrückt werden soll, so hätte eine prozentuale Aufteilung dieser Verluste auf West- und Ostdeutschland vorgenommen werden müssen. Doch darum ging es in den Zeitungsmeldungen nicht. Die sowjetische Reparationspolitik sollte gebrandmarkt werden. Intern wurde die Solidität einzelner Berechnungen der Reparationslasten der SBZ/DDR durchaus in Frage gestellt. Insbesondere die vom SPD-Vorstand herausgegebenen Denkschriften des Sopade-Informationsdienstes galten unter Fachleuten als „dubios“.4

Allerdings erschienen in Westeuropa nicht nur tagespolitische Publikationen zur Reparationsfrage. Von Anfang an gab es an diesem Thema ein reges wissenschaftliches Interesse. Vor allem in den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik erschienen eine Reihe von Publikationen zum Reparationsthema, in denen die meisten der damals zugänglichen Quellen ausgewertet wurden. Dadurch konnte insgesamt ein wesentlich realistischeres Bild von den Reparationsleistungen beider deutscher Staaten gewonnen werden, als es auf östlicher Seite möglich war.

Politische Kontroversen


Wiederholt lösten die Vergleiche der Reparationsbelastungen beider deutscher Staaten scharfe politische Kontroversen aus.

Im Juli 1964 veröffentlichte beispielsweise der Bremer Historiker Arno Peters einen „Reparationsausgleichsplan“. Danach schuldete die Bundesrepublik der DDR ungefähr 88 Milliarden DM.5

Auf dem 9. Plenum des ZK der SED im April 1965 forderte Walter Ulbricht von der Bundesregierung die Wiedergutmachung von Verlusten durch einseitige Reparationslasten und Wirtschaftskrieg in Höhe von 120 Milliarden Mark. Ein eifriger Bezirkssekretär der SED errechnete daraufhin flugs eine Pro-Kopf-Summe für jeden DDR-Bürger von 7 000 Mark. „Für diese Summe hätten wir jedem Einwohner einen Trabant anschaffen können.“6

Bei aller Fragwürdigkeit der Rechnung Ulbrichts, der auch die Ausbildungskosten von mehr als zwei Millionen geflüchteten DDR-Bürgern in Anschlag bringen wollte, war eine Tatsache kaum zu bestreiten: Die SBZ/DDR hat bis 1953 den Löwenanteil der Reparationslasten getragen. Auch in der Öffentlichkeit der alten Bundesrepublik mehrten sich daher Stimmen, die zumindest die Anerkennung dieser Tatsache anmahnten. So heißt es in einem in vom 3. Juni 1966 veröffentlichten Leserbrief: „Ich frage, was uns veranlassen kann, mit der Beteiligung an den von der Bevölkerung der DDR geleisteten Reparationen bis zur (unwahrscheinlichen) Wiedervereinigung abzuwarten? Vielleicht gerade die stille und insgeheime Hoffnung, daß diese Vereinigung nicht kommen wird? Manchmal gewinne ich diesen Eindruck.“

Für ein großes Echo sorgte das 1966 publizierte Buch „Wehen und Wunder der Zonenwirtschaft“ von Hans Apel. Neben den Kapitalverlusten durch Reparationslasten hat Apel vor allem mit den enormen Verlusten der DDR durch die Abwanderung von mehr als zwei Millionen Bürgern argumentiert. Er führte die Abwanderungsverluste ausschließlich auf die hohen Nachkriegslasten und damit ungünstigeren Lebensbedingungen zurück. Daß für viele Flüchtlinge das in der DDR eingeführte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ein entscheidendes Fluchtmotiv war, ließ er außer acht.

Im Vorfeld des Treffens von Willy Brandt und Willi Stoph in Erfurt im Jahr 1970 lebte die Debatte um die einseitigen Nachkriegslasten nochmals auf. Aus der Umgebung des Bundeskanzlers verlautete, daß die Bundesrepublik die besondere Höhe der Kriegsfolgelasten der DDR anzuerkennen bereit sei. Brandt schlug Stoph eine gemeinsame Prüfung der Höhe der Nachkriegsbelastungen beider Teile Deutschlands vor.7 Eine Mitverantwortung für die Ergebnisse der Gesellschaftspolitik der SED lehnte er jedoch entschieden ab. Die DDR-Seite befand sich in einer Zwickmühle: Die tatsächlichen Belastungen infolge der sowjetischen Reparationspolitik sollten und konnten nie ermittelt worden. Aus Botmäßigkeit gegenüber der Sowjetunion konnte nur auf deren offizielle, zu niedrig angesetzte Abrechnung der Reparationsleistungen zurückgegriffen werden. Andererseits wurden die der DDR entstandenen Verluste aus dem Kalten Krieg und der massenhaften Abwanderung von Bürgern der Politik der Bundesregierung angelastet, was diese zurückwies. Eine völkerrechtlich verbindliche Festlegung der Höhe der Reparationen hatte es nicht gegeben. Insofern konnten von seiten der DDR lediglich moralische...


Jahrgang 1957; Studium der Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, dort 1982-91 Assistent am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte, 1986 Promotion; danach Mitarbeiter Mitarbeiter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Humboldt-Universität und der Historischen Kommission zu Berlin, 1999-2001 Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der FU Berlin; seit 2004 freier Publizist mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, zahlreiche Veröffentlichungen.



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