E-Book, Deutsch, Band 1929, 64 Seiten
Reihe: Dr. Holl
Kastell Chefarzt Dr. Holl 1929
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-2448-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Countdown zum (Un)Glück
E-Book, Deutsch, Band 1929, 64 Seiten
Reihe: Dr. Holl
ISBN: 978-3-7517-2448-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Zehn, neun, acht, sieben', grölt es am Friedensengel aus abertausend Kehlen. 'Sechs, fünf, vier ...' Plötzlich - eine laute Explosion! Ein Teil der Menge stiebt auseinander, am Boden - eine zierliche Frau, blutüberströmt, regungslos. Während sich eine kleine Traube um die Schwerverletzte bildet, zählt die Masse herunter: 'Drei, zwei, eins - Prosit Neujahr!'
Gläser klirren, Korken knallen, und mitten im Getümmel irrt ein hochgewachsener Mann umher, zwei Wasserflaschen presst er an seine breite Brust. Verloren schaut er sich um. 'Theresa!' Wo ist sie nur? 'Theresa!'
In der Ferne ertönt das Martinshorn. Blaulicht durchzuckt die Nacht, und Rettungssanitäter kämpfen sich durch die Traube Schaulustiger. Buntes Feuerwerk erhellt Daniels verzweifeltes Gesicht. Theresa wird doch wohl nicht ...?
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Countdown zum (Un)Glück
Als Silvester eine tragische Wende nahm
Von Katrin Kastell
»Zehn, neun, acht, sieben«, grölt es am Friedensengel aus abertausend Kehlen. »Sechs, fünf, vier ...« Plötzlich – eine laute Explosion! Ein Teil der Menge stiebt auseinander, am Boden – eine zierliche Frau, blutüberströmt, regungslos. Während sich eine kleine Traube um die Schwerverletzte bildet, zählt die Masse herunter: »Drei, zwei, eins – Prosit Neujahr!«
Gläser klirren, Korken knallen, und mitten im Getümmel irrt ein hochgewachsener Mann umher, zwei Wasserflaschen presst er an seine breite Brust. Verloren schaut er sich um. »Theresa!« Wo ist sie nur? »Theresa!«
In der Ferne ertönt das Martinshorn. Blaulicht durchzuckt die Nacht, und Rettungssanitäter kämpfen sich durch die Traube Schaulustiger. Buntes Feuerwerk erhellt Daniels verzweifeltes Gesicht. Theresa wird doch wohl nicht ...?
Tiefblau lag der letzte Tag des Jahres über der bayrischen Landeshauptstadt. Schneekristalle glitzerten in der Wintersonne, deren Wärme die Menschen in den Isarauen durch ihre dicken Jacken hindurch spürten.
Theresa hängte sich bei ihrer Kollegin ein. Die beiden Frauen waren mit einer Gruppe von Kollegen unterwegs, um Silvester gemeinsam zu feiern. Zunächst zog es sie zum Eiszauber am Stachus, der größten mobilen Eislaufarena der Stadt. Theresa und Ella liehen sich Schlittschuhe aus.
Einige der Kollegen genehmigten sich lieber am Getränkestand einen Glühwein, was Theresa für verfrüht hielt. Es war erst Nachmittag. Viele Stunden bis zum Countdown lagen noch vor ihnen.
Die brünette Journalistin wollte den Jahreswechsel nicht benebelt erleben, sondern das neue Jahr mit klarem Kopf und viel Freude im Herzen begrüßen. Danach hätte sie gegen ein Glas prickelnden Schaumweins nichts einzuwenden.
»Wir machen nachher noch große Wintergaudi beim Eisstockschießen!«, rief Bastian Beyer den Frauen nach.
Trotz seiner spiegelnden Brille leuchteten seine Augen mit dem Blau des Himmels merklich um die Wette. Er freute sich, dass Theresa heute auch dabei war.
In letzter Zeit hatte sie sich ziemlich rar gemacht und bei Unternehmungen des Teams kaum noch blicken lassen. Gemeinsam arbeiteten sie in einem Münchener Verlagshaus. Schon lange waren aus den Kollegen auch gute Freunde geworden.
Auf Bastians kleine Avancen war Theresa bis jetzt nicht eingegangen, doch er gab nicht auf und versuchte es weiter. Er war davon überzeugt, dass sie nur etwas mehr Zeit brauchte, bis sie seine Qualitäten erkannte.
Der Abteilungsleiter der Buchhaltung übte sich also in Geduld, auch wenn es ihm oft schwerfiel. Er verstand nicht so recht, warum eine Frau so lange brauchte, bis sie einwilligte, mit ihm essen zu gehen. Bastian wollte diesen Tag heute nutzen, die Dinge ein wenig zu beschleunigen.
Er schaute den beiden Frauen zu, wie sie in ihre Schlittschuhe hineinschlüpften. Wagemutig gingen sie aufs Eis. Theresa war vorsichtiger als Ella, die gleich einmal mit viel Energie lossauste.
Aber auch Theresa fand schnell zu ihrer alten Form. In eleganter Haltung glitt sie über die Eislaufbahn. Ja, sie machte eine sehr gute Figur.
***
Bunt gekleidete Menschen tobten sich auf dem Münchener Eiszauber aus. Alle hatten einen Mordsspaß. Es wurde gelacht und gejuchzt, geschrien, und hin und wieder stürzte auch jemand.
Inzwischen hatte Theresa die Freundin aus den Augen verloren. Es war ausgemacht, eine Stunde hier zu verbringen und dann zur Eisstockbahn zu laufen. Gegen Abend wollte man dann langsam zum Friedensengel ziehen und dort mit vielen anderen Feierlustigen das neue Jahr willkommen heißen.
Theresa kurvte vor der Bande nach links, ein wenig zu schwungvoll, wie sie feststellte, als sie in der nächsten Sekunde strauchelte – und direkt in den Armen eines Mannes landete, der sie fest umfangen hielt, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
»Oh, hallo«, kicherte sie und schob sich von ihm ab. »Ich bin wohl doch nicht mehr so fit auf dem Eis, wie ich dachte.«
»Hauptsache, Sie haben sich nicht wehgetan.«
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie ihm. »Danke fürs Auffangen.«
Erst jetzt kam Theresa dazu, ihren Samariter genauer zu betrachten.
Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. So einem gut aussehenden Kerl auf Schlittschuhen begegnete man nicht alle Tage!
»Vielleicht sollten Sie sich doch eine kleine Pause gönnen. Nur um sicherzugehen, dass Sie sich nichts getan haben.«
»Ich bin mit einer Freundin hier, also ...«, begann Theresa und schaute sich suchend um.
Von Ella war jedoch nichts zu sehen.
»Nehmen Sie doch mit mir vorlieb, bis Ihre Freundin wieder auftaucht. Kommen Sie, ich lade Sie auf einen Drink ein.«
Theresa wusste selbst nicht, warum sie jetzt aufs Ganze ging, aber der Mann gefiel ihr.
»Ach, lassen wir doch das alberne Sie. Wir sind doch alle hier auf einer großen Party. Und alle wollen Spaß haben. Also, ich bin Theresa.«
»Freut mich.« Er lächelte sie so strahlend an, dass ihre Knie ein bisschen weich wurden. Was für ein Prachtexemplar eines Mannes! Er legte seine Hand aufs Herz und unterstrich die Geste mit einer angedeuteten Verneigung. »Daniel«, stellte er sich mit seiner wohlklingenden Stimme vor.
Sie schoben sich vorsichtig vom Eis und gaben die Schlittschuhe ab.
Wieder normal beschuht, schlenderten sie zu einem der Trinkstände.
»Worauf kann ich dich einladen, Theresa?«
»Eine Cola wäre nett.« Sie lächelte. »Danke.«
Daniel kaufte zwei Becher und drücke ihr einen in die Hand. Und so standen sie am Rand der Eisfläche und betrachteten eine Weile das wuselige Treiben der Eislaufbegeisterten.
Währenddessen versuchte Theresa vergeblich, Ella unter ihnen auszumachen. Wo steckte sie nur?
»Toll, so ein Eislaufplatz mitten in der Stadt«, stellte ihr charmanter Begleiter anerkennend fest. »Ich bin früher viel gelaufen.«
»Ich auch.« Theresa grinste selbstironisch. »Trotzdem bin ich vorhin fast zu Boden gegangen. Vielleicht hat mir jemand ein Bein gestellt?«
Ein kleiner Flirt hatte ja schließlich noch niemandem geschadet. Doch obwohl die junge Journalistin die Gesellschaft dieses Mannes durchaus als angenehm empfand, war sie heute nicht darauf aus, mit jemandem anzubandeln. Ihre Trennung von Robin lag schon fast ein Jahr zurück, daran lag es nicht. Vielmehr fühlte sie sich als Single ziemlich wohl und hatte keine Eile, sich so bald wieder zu binden. Es sei denn, sie würde einem Märchenprinzen begegnen ...
»Das würde ich einer so attraktiven Frau doch niemand antun.«
Wow, der Mann wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte!
»Ach, du vielleicht nicht. Aber gerade heute sind sicher jede Menge Rowdys unterwegs.«
»Was hast du noch vor?«, erkundigte sich Daniel plötzlich hoffnungsvoll.
Theresa leerte den Becher, der ihr sofort von einem Barmann aus der Hand genommen wurde. Das Pfand legte sie Daniel hin.
»Wir sind zu mehreren unterwegs. Wo es uns noch hintreibt, weiß ich nicht, aber ganz sicher sind wir zum Jahreswechseln beim Friedensengel.«
»Dort ist also was los?«
Verwundert schaute sie ihn an.
»Viele Münchener treffen sich dort an Silvester. Auch dieses Jahr wird es eine Riesenparty geben.«
»Danke für den Tipp«, meinte Daniel aufrichtig. »Ich komme aus dem Norden und bin neu in München. Natürlich kenne ich von vorherigen Besuchen schon ein paar Sehenswürdigkeiten, aber wo sich das Leben so abspielt, muss ich erst noch herausfinden.« Er zwinkerte ihr zu. »Vielleicht kannst du mir dabei helfen?«
Da jemand ihren Namen rief, wurde sie einer Antwort enthoben. Ella wedelte mit den Armen und legte dann einen tollen sterbenden Schwan hin.
»Sie kann es besser als ich«, kommentierte Theresa und klatschte Beifall. »Jedenfalls fällt sie nicht hin. So, es war mir eine Freude dich kennenzulernen, aber ich werde mich jetzt wieder zu den anderen gesellen.«
»Darf ich dich noch begleiten?«
Sie standen voreinander, ihre Blicke ineinander versunken.
Eine total verrückte Idee nistete sich in Theresas Kopf ein. Was wäre, wenn sie sich ab jetzt mit dem schönen Fremden treiben lassen würde? Mit Daniel zusammen konnte dieser Silvestertag noch ganz anders verlaufen als geplant. Viel schöner und aufregender.
***
Chefarzt Dr. Holl befand sich am letzten Tag des Jahres in der Berling-Klinik. Nach dem Frühstück war er gleich von Rottach aus losgefahren.
Sein Aufbruch war so nicht vorgesehen gewesen, aber einige Mitarbeiter der Klinik waren an Grippe erkrankt, andere befanden sich noch im Weihnachtsurlaub.
Da erfahrungsgemäß an einem solchen Tag mit erhöhten Notfällen gerechnet werden musste, war ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als mit einigen anderen Kollegen die Bereitschaft zu übernehmen. Seine Familie und die seiner Schwester Beatrix befanden sich bereits seit zwei Tagen in den beiden gemeinsamen Ferienhäusern, um dort den Jahreswechsel zu feiern...




