E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Keller Hoffnung in Zeiten der Angst
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7655-7631-7
Verlag: Brunnen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie die Auferstehung die Welt verändert
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-7655-7631-7
Verlag: Brunnen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Timothy Keller, Jahrgang 1950, gründete zusammen mit seiner Frau Kathy die Redeemer Presbyterian Church in New York City. Heute ist er als Buchautor und Gemeindeberater tätig. Timothy Keller hat u. a. auch 'Warum Gott?', 'Jesus-seine Gesichte, unsere Geschichte', 'Berufung', 'Gott im Leid begegnen' und 'Glauben wozu?' geschrieben.
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Einleitung
Ein neues Zeitalter der Angst
Bereits lange vor der COVID-19-Pandemie war in der westlichen Welt eine zunehmende Hoffnungskrise zu verzeichnen.
Fast zwei Jahrhunderte lang war der Westen von der Hoffnung beflügelt gewesen, dass die Weltgeschichte eine stetige Fortentwicklung sei und die Menschheit sich selber eine Welt schaffen würde, in der es immer größere Sicherheit, mehr Freiheit und wachsenden Wohlstand geben würde. Der Glaube war stark, dass im Großen und Ganzen jede neue Generation eine bessere Welt vorfinden würde als die vorangegangene. Dieser Glaube gehört zum Erbe der europäischen Aufklärung. Zahllose große Denker sagten vorher, dass der vom Aberglauben der Vergangenheit befreite menschliche Verstand mit seinem Erfindungsgeist und der Wissenschaft unweigerlich eine bessere Zukunft heraufführen würde.1
Aber dann kam das 20. Jahrhundert. 1947 schrieb W. H. Auden ein Gedicht so lang wie ein Buch mit dem Titel (deutsche Übersetzung: ). In diesem Werk unterhalten sich in einer Bar in Manhattan vier Personen über ihr Leben und über das Leben überhaupt. Das Buch gewann den Pulitzer-Preis, wird aber selten gelesen. Was dagegen einschlug, war sein Titel, der die Stimmung der Zeit einzufangen schien. In weniger als vier Jahrzehnten hatte die Welt zwei Weltkriege, eine Pandemie und die große Weltwirtschaftskrise erlebt und aktuell stand sie am Beginn eines jahrzehntelangen Kalten Kriegs mit der Gefahr eines Atomkriegs zwischen dem Westen und dem Ostblock.
Dann kam das Jahr 1989. Der Kalte Krieg endete. Manche Stimmen verkündeten sogar „das Ende der Geschichte“, da doch das große Ringen zwischen den großen Ideologien – Faschismus, Kommunismus und westliche Demokratie – endlich vorbei war. Die Angst vor einem Weltenbrand legte sich. Der Motor des internationalen Kapitalismus lief, vom Benzin der Globalisierung beflügelt, immer schneller und in vielen Ländern boomte die Wirtschaft. Das Zeitalter der Angst war vorbei, und der alte Optimismus der Aufklärung lebte wieder auf. Der Anteil der Menschen in den USA, die glaubten, dass es ihren Kindern einmal besser gehen würde als ihren Eltern, überschritt die 50-Prozent-Marke.2
Ein führender moderner Denker, der versucht hat, diesen Optimismus empirisch zu untermauern, ist Steven Pinker von der Universität Harvard. In seinen Büchern und präsentiert er Daten, die zeigen sollen, dass Gewalt, Krieg und Armut auf der ganzen Welt auf dem Rückzug sind und dass die Menschen immer gesünder sind und immer länger leben.3
Pinker begnügt sich mit empirischen Daten zu Lebensqualität und Sicherheit. Yuval Noah Harari geht in seinem Bestseller wesentlich weiter. Er argumentiert, dass die Menschen sich früher nur deswegen an Gott oder an Götter wandten, weil sie selber keine Kontrolle über die Welt hatten, in der sie lebten. Aber das sei heute anders:
Der Titel des Buchs – – nimmt sein Fazit vorweg. Es ist nicht nur so, dass wir Gott nicht mehr brauchen, sondern die Menschheit jetzt Gott. Wir sind unsere eigene Zukunftshoffnung, unser eigener Gott. Ja, wir haben nicht nur Zukunfts, sondern Zukunfts, weil wir all das, was wir für diese Zukunft brauchen, in uns selber haben.
Der Verlust der Hoffnung
Pinker und Harari haben viele Anhänger, aber sie treffen den Geist der Zeit nicht so gut wie Auden. In der Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ging die Zahl der Menschen, die an ein besseres Leben für ihre Kinder glaubten, wieder zurück,5 und in den Jahren danach ist der Zukunftspessimismus noch größer geworden, wie diverse Umfragen und Erhebungen zeigen.6
Dafür gibt es viele Gründe. Manches deutet auf eine Polarisierung und Fragmentierung hin, die weit tiefer gehen als die üblichen politischen Parteinahmen. Es ist eine zunehmende Begrenzung auf die eigene Clique, das eigene Milieu zu beobachten. Das lässt erkennen, dass unserer Kultur ihr Zentrum abhandengekommen ist. Es fehlen die gemeinsamen, dem Gemeinwohl dienenden Grundwerte. Wir erleben einen tiefen Vertrauensverlust, der alle Institutionen trifft, die unsere Gesellschaft traditionell zusammengehalten haben.
Und es gibt noch eine andere Kategorie von Bedrohungen unserer Zukunft – eine Kategorie, die ironischerweise nicht auf zu wenig, sondern auf zu viel wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt beruht. Aufgrund der weltweiten Mobilität durch Flugreisen und der Globalisierung unserer Wirtschaft, die beide erst durch die moderne Technologie möglich wurden, lassen sich Pandemien nicht mehr regional eindämmen. Die steigende Polarisierung und das sinkende Vertrauen in unserer Gesellschaft werden in hohem Maße durch die Sozialen Medien geschürt. Der Klimawandel und die andauernde Bedrohung durch den internationalen Terrorismus werden beide durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt verstärkt. Kurz: Eben das, was uns vor schrecklichen Gefahren schützen sollte, hat neue Risiken geschaffen.
Andrew Sullivan weist auf einen weiteren Grund für die zunehmende Atmosphäre der Angst und Hoffnungslosigkeit hin, die so typisch für unsere Zeit ist. Sullivan outet sich als großer Bewunderer von Pinker, und in seiner Rezension von dessen Buch hat er an seinen empirischen Schlussfolgerungen nichts zu bemängeln. Aber dann fährt er fort: „[Pinker] kann nicht erklären, warum es zum Beispiel so viel tiefe Unzufriedenheit, Depressionen, Drogenmissbrauch, Verzweiflung, Süchte und Einsamkeit gerade in den fortschrittlichsten liberalen Gesellschaften gibt.“ Und er bemerkt: „Auf unserem langsamen, aber sicheren Weg zu immer mehr Fortschritt haben wir etwas verloren, was das Fundament von allem ist: Sinn, Zusammenhalt und eine Zufriedenheit, die tiefer geht als die Befriedigung all unserer irdischen Bedürfnisse.“7
Harari glaubt, dass die Menschen früher Hoffnung bei Gott suchten, weil sie die Natur nicht verstehen bzw. beherrschen konnten. Aber bei der Religion geht es um etwas, das wesentlich tiefer geht. Die große Herausforderung des Menschen besteht seit Urzeiten nicht bloß darin, die Natur „da draußen“ in den Griff zu bekommen, sondern auch – und dies ist noch viel schwieriger – die Natur „drinnen“, also die vielen Rätsel und Probleme der menschlichen Natur selbst. Wir brauchen ein Ziel für unser Leben und haben einen Hunger nach Sinn. Wir erkennen, dass Dinge, die uns eigentlich satt machen sollten, dies nicht leisten können. Wir stehen mit Entsetzen vor dem Bösen, zu dem Menschen (uns selbst eingeschlossen!) fähig sind. Wie können wir heilen? Wie Sullivan zu Recht bemerkt, genügt es nicht, die Natur „da draußen“ in den Griff zu bekommen – und COVID 19 zeigt uns gerade, dass wir offenbar selbst das nicht schaffen.
Für Pinker und Harari bedeutet Fortschritt unter anderem, sich von der Religion zu verabschieden. Der bekannte Philosoph Jürgen Habermas vertritt seit zwanzig Jahren eine andere Position. Er erkennt an, dass die säkulare Vernunft an ihre Grenzen stößt, wenn sie uns moralische Absolutheiten oder Gründe liefern soll, die uns motivieren, die Interessen des Ichs hinter denen der Allgemeinheit zurückzustellen. Obwohl Habermas selber kein Christ ist, glaubt er, dass die Religion die Grundlage bilden kann für die Heiligkeit allen menschlichen Lebens und dass sie uns zu aufopferungsvoller Liebe in menschlichen Beziehungen motivieren kann – etwas, was der Wissenschaft nicht möglich ist.8 Die größte Bedrohung unserer Hoffnung auf eine bessere Welt kommt nicht von der Natur, sondern von all den bösen Dingen, die ständig neu aus dem menschlichen Herzen hervorbrechen. Die Wissenschaft ist nicht imstande, das Böse im Menschen auszulöschen, ja sie liefert ihm sogar noch...




