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E-Book, Deutsch, 912 Seiten

King Wahn


1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-89480-440-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 912 Seiten

ISBN: 978-3-89480-440-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Meisterwerk des Unheimlichen

Nach einem schrecklichen Unfall sucht Edgar Freemantle auf einer einsamen Insel Trost in der Malerei. Die Insel aber übt eine dämonische Macht aus, und bald schon entwickeln Edgars Bilder ein tödliches Eigenleben ... Mit „Wahn“ hat Stephen King – wie schon mit seinem Bestseller „Love“ – ein Meisterwerk des Unheimlichen geschaffen, einen Roman über die Beharrlichkeit der Liebe und die Gefahren enthemmter Kreativität.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
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Weitere Infos & Material


1;WIE MAN EIN BILD ZEICHNET (I);10
2;1 Mein anderes Leben;12
3;2 Big Pink;60
4;3 Neue Ressourcen;84
5;4 Freunde mit Zuwendungen;150
6;5 Wireman;174
7;6 Die Dame des Hauses;200
8;7 Kunst um der Kunst willen;230
9;8 Familienporträt;276
10;9 Candy Brown;316
11;10 Das Champagnerglas Ruhm;364
12;11 Blick von Duma Key;428
13;12 Ein anderes Florida;486
14;13 Die Ausstellung;550
15;14 Der rote Korb;610
16;15 Eindringling;650
17;16 Das Spiel ist aus;700
18;17 Das Südende der Insel;728
19;18 Noveen;772
20;19 April 1927;806
21;20 Perse;834
22;21 Die Muscheln bei Mondschein;870
23;22 Juni;884
24;WIE MAN EIN BILD ZEICHNET (XII);894
25;Nachwort;896
26;Mehr eBooks bei www.ciando.com;0


1
Mein anderes Leben
I Mein Name ist Edgar Freemantle. Ich war mal eine große Nummer im Baugewerbe. Das war in Minnesota, in meinem anderen Leben. Diese Mein-anderes-Leben-Sache habe ich von Wireman gelernt. Ich möchte Ihnen von Wireman erzählen, aber erst wollen wir den Minnesota-Teil abhandeln.
Man kann es nicht anders sagen: Ich war ein echter amerikanischer Erfolgsmensch. Ich habe mich in der Firma, bei der ich angefangen hatte, hochgearbeitet, und als ich dort nicht weiter aufsteigen konnte, bin ich gegangen und habe eine eigene Firma aufgemacht. Mein ehemaliger Boss hat mich ausgelacht und mir prophezeit, in spätestens einem Jahr würde ich pleite sein. Ich denke, dass die meisten Bosse das sagen, wenn irgendein ehrgeiziger Jungspund sich selbstständig macht.
Mir ist alles geglückt. Als Minneapolis-St. Paul boomte, hat auch die Freemantle Company geboomt. War das Geld mal knapper, habe ich nie versucht, etwas zu forcieren.Aber ich habe mich auf mein Gespür verlassen und damit meist richtig gelegen. Als ich fünfzig war, waren Pam und ich fünfzig Millionen Dollar schwer. Und unsere Beziehung war noch immer intakt. Wir hatten zwei Mädchen, und am Ende unseres eigenen Goldenen Zeitalters war Ilse an der Brown University und Melinda im Rahmen eines Austauschprogramms als Lehrerin in Frankreich. Kurz bevor alles schiefging, haben meine Frau und ich Pläne geschmiedet, sie dort zu besuchen.
Ich hatte auf einer Baustelle einen Unfall. Ziemlich einfache Geschichte; wenn ein Pick-up, selbst ein Dodge Ram mit allem Drum und Dran, sich mit einem zwölfstöckigen Kran anlegt, zieht er in jedem Falle den Kürzeren. Die rechte Seite meines Schädels wurde eingedrückt. Die linke Seite knallte so heftig gegen die Türsäule des Rams, dass sie an drei Stellen eingedellt wurde. Vielleicht auch an fünf. Mein Gedächtnis ist besser geworden, aber längst nicht das, was es mal war.
Die Ärzte nennen das, was mein Kopf erlitten hat, ein Schädel-Hirn-Trauma, und oft hat so etwas schlimmere Folgen als die ursprüngliche Verletzung. Meine Rippen wurden gebrochen. Meine rechte Hüfte war zertrümmert. Und obwohl ich siebzig Prozent des Sehvermögens meines rechten Auges behielt (an guten Tagen mehr), verlor ich den rechten Arm.
Ich hätte mein Leben verlieren sollen, aber das tat ich nicht. Wegen der Hirnprellung sollte ich geistig beeinträchtigt bleiben; das war ich zunächst auch, aber es verging wieder. Gewissermaßen. Bis es so weit war, war meine Frau gegangen – und das nicht nur gewissermaßen. Wir waren fünfundzwanzig Jahre verheiratet, aber Sie wissen ja, wie es so schön heißt: Shit happens. Vermutlich spielt das keine Rolle; fort ist fort. Und vorbei ist vorbei. Das hat manchmal auch sein Gutes.
Wenn ich sage, dass ich geistig beeinträchtigt war, meine ich damit, dass ich anfangs Leute nicht erkannte – nicht mal meine Frau – oder nicht wusste, was passiert war. Ich kapierte nicht, warum ich so grässliche Schmerzen hatte. An Stärke und Beschaffenheit dieser Schmerzen kann ich mich jetzt, vier Jahre später, nicht mehr erinnern. Ich weiß, dass ich Schmerzen hatte und dass sie unerträglich waren, aber das ist alles ziemlich theoretisch. Damals waren sie nicht theoretisch. Damals kam ich mir vor, als wäre ich in die Hölle geraten, ohne zu wissen, weshalb.
Erst hattest du Angst, du stirbst, dann hattest du Angst, du stirbst nicht. Das sagt Wireman, der es gewusst haben muss; er hatte selbst eine Zeit in der Hölle verbracht.
Alles tat ständig weh. Ich hatte ununterbrochen dröhnende Kopfschmerzen; hinter meiner Stirn war es ständig Mitternacht im größten Uhrengeschäft der Welt. Weil mein rechtes Auge ziemlich kaputt war, sah ich die Welt durch einen Blutfilm – und wusste noch immer kaum, was die Welt war. Nichts hatte einen Namen. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem Pam im Zimmer war – ich war noch im Krankenhaus – und an meinem Bett stand. Ich war stinksauer, weil sie sich nicht hinsetzte, obwohl das Ding, auf das man sich setzte, gleich drüben in der Maismiete stand.
»Hol den Freund«, sagte ich. »Setz dich auf den Freund.«
»Wie meinst du das, Edgar?«, fragte sie.
»Den Freund, den Kumpel!«, brüllte ich. »Hol den gottverdammten Kameraden her, du dumbe Kuh!« Die Kopfschmerzen brachten mich um, und sie begann zu weinen. Ich hasste sie dafür. Sie hatte nichts zu weinen, denn nicht sie steckte im Käfig und sah alles durch rote Nebel. Nicht sie war der Affe im Käfig. Und dann fiel es mir ein. »Hol den Spezi her und setz dich um Himmels willen!« Näher kam mein verwirrtes demoliertes Hirn nicht an Stuhl heran.
Ich war ständig zornig. Es gab zwei ältere Krankenschwestern, die ich Trockenfick eins und Trockenfick zwei nannte, als seien sie Figuren in einer schmutzigen Dr.-Seuss-Geschichte. Es gab eine Lernschwester, die ich Windelpastille nannte – keine Ahnung, weshalb, aber auch dieser Spitzname hatte irgendeine sexuelle Nebenbedeutung. Zumindest für mich.Als ich wieder zu Kräften kam, versuchte ich, Leute zu schlagen. Zweimal versuchte ich, Pam mit einem Messer zu verletzen, und beim ersten Mal gelang mir das auch, obwohl es nur ein Plastikmesser war. Trotzdem musste sie am Unterarm genäht werden. An manchen Tagen musste ich im Bett fixiert werden.
Woran ich mich aus diesem Teil meines anderen Lebens am deutlichsten erinnere: ein heißer Nachmittag gegen Ende meines Aufenthalts in einer teuren Rehaklinik, die Klimaanlage ausgefallen, ich im Bett fixiert, im Fernsehen eine Seifenoper, in meinem Kopf das Bimmeln von tausend Glocken, Schmerzen, die meine rechte Seite wie ein glühendes Schüreisen verbrennen, mein fehlender rechter Arm juckend, meine fehlenden rechten Finger zuckend, für eine Weile kein Oxycontin fällig (für wie lange, kann ich nicht sagen, weil ich kein Zeitgefühl habe), und aus dem Rot schwimmt eine Krankenschwester heran, ein Wesen, das sich den Affen im Käfig ansehen will, und fragt: »Sind Sie bereit für einen Besuch Ihrer Frau?« Und ich sage: »Nur wenn sie eine Pistole mitgebracht hat, damit sie mich erschießen kann.«
Man glaubt nicht, dass solche Schmerzen jemals aufhören werden, aber das tun sie. Dann wird man nach Hause verfrachtet und die Schmerzen durch die Agonie körperlicher Rehabilitation ersetzt. Das Rot begann aus meinem Gesichtsfeld zu verschwinden. Ein auf Hypnosetherapie spezialisierter Psychologe zeigte mir ein paar tolle Tricks zur Bewältigung von Juckreiz und Phantomschmerzen in meinem fehlenden Arm. Das war Kamen. Es war Kamen, der mir Reba mitbrachte: eines der wenigen Dinge, die ich mitnahm, als ich aus meinem anderen Leben in das auf Duma Key hinüberhinkte.
»Dies ist keine anerkannte psychologische Therapie für Wutmanagement«, sagte Dr. Kamen, obwohl er vielleicht auch nur log, um Reba attraktiver zu machen. Er forderte mich auf, ihr einen Namen zu geben, den ich verabscheute. Zwar sah sie wie Lucy Ricardo aus, aber ich nannte sie nach einer Tante, die mich als Kind in die Finger gezwickt hatte, wenn ich nicht alle Karotten aufaß. Ich hatte sie noch keine zwei Tage, als ich ihren Namen vergaß. Mir fielen bloß Jungennamen ein, von denen mich einer wütender machte als der andere: Randall, Russell, Rudolph, sogar River-fucking-Phoenix.
Inzwischen war ich wieder zu Hause. Pam kam mit meinem Morgenimbiss herein, und ich konnte sehen, dass sie sich auf einen Ausbruch gefasst machte. Aber obwohl ich den Namen der flauschig roten Zornpuppe vergessen hatte, erinnerte ich mich daran, wie ich sie in einer solchen Situation gebrauchen sollte.
»Pam«, sagte ich, »ich brauche fünf Minuten, um mich unter Kontrolle zu bringen. Ich schaffe das.«
»Bist du sicher...«
»Ja, sieh nur zu, dass du diese Kalbsachse rausbringst und in deinen Gesichtspuder steckst. Ich schaffe das.«
Ich wusste nicht, ob ich es wirklich konnte oder nicht, aber das sollte ich sagen: Ich schaffe das. Ich konnte mich nicht an den Namen der gottverdammten Puppe erinnern, aber Ich schaffe das konnte ich mir merken. Zu den klaren Erinnerungen aus der Genesungszeit in meinem anderen Leben gehört, dass ich immer wieder Ich schaffe das sagte, obwohl ich wusste, dass ich im Regen stand, erledigt, total im Arsch.
»Ich schaffe das«, sagte ich, und weiß der Teufel, wie ich ausgesehen habe, aber sie ging nur wortlos rückwärts hinaus. Auf dem Tablett, das sie weiter in den Händen hielt, klapperte die Tasse auf der Untertasse.
Als sie gegangen war, hielt ich die Puppe vor meinem Gesicht hoch und starrte in ihre dämlichen blauen Augen, während meine Fingerkuppen sich in ihren dämlichen nachgiebigen Leib bohrten. »Wie heißt du, du schleimgesichtige Schlampe?«, brüllte ich sie an. Ich kam nie auf die Idee, dass Pam mich über die Sprechanlage zur Teeküche belauschte, sie gemeinsam mit der Tagschwester. Aber wäre die Sprechanlage defekt gewesen, hätten sie mich durch die Tür gehört. An diesem Tag war ich gut bei Stimme.
Ich schüttelte die Puppe. Ihr Kopf schwang vor und zurück, und ihre künstlichen I love...


King, Stephen
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.



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