Kraemer / Nessel | Geld und Krise | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 310 Seiten

Kraemer / Nessel Geld und Krise

Die sozialen Grundlagen moderner Geldordnungen

E-Book, Deutsch, 310 Seiten

ISBN: 978-3-593-43037-9
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Geldordnungen und Geldkrisen sowie ihre sozialen Grundlagen stehen in diesem Band im Zentrum: Die Autoren beleuchten Geld und Geldkrisen in der Geschichte, in der soziologischen Theorie, in Bezug auf die Eurokrise und schließlich mit Blick auf die Zukunft des Geldes einschließlich alternativer Geldmodelle.

Mit Beiträgen von Florian Brugger, Christoph Deutschmann, Heiner Ganßmann, Joseph Huber, Klaus Kraemer, Sebastian Nessel, Michael North, Christian Postberg, Jenny Preunkert, Manfred Prisching und Georg Vobruba.
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Inhalt
Vorwort7
Einleitung - Geld, Krise und soziale Ordnung: Ein problemorientierter Aufriss9
Klaus Kraemer und Sebastian Nessel
I. Geld und Geldkrisen in der Geschichte
Geld- und Bankenkrisen in Mittelalter und Neuzeit43
Michael North
Aus Kredit wird Geld: Entstehung und soziostrukturelle Aspekte der reinen Kreditgeldverfassung61
Christian Postberg
Die ökonomische Geldtheorie und ihre (Finanz-)Krisen: Von David Hume bis zur Gegenwart79
Florian Brugger
II. Geld und Krise in der soziologischen Theorie
Geld und Krise: Positionen der soziologischen Klassik113
Christoph Deutschmann
Geld, Kredit und die Finanzkrise von 2007/08131
Heiner Ganßmann
Geld und Geldkrisen: Zeitdiagnostische Einblicke155
Manfred Prisching
III. Geld in der Eurokrise
Kommt es bei der Geldverwendung auf Vertrauen an? Eine populäre Annahme auf dem soziologischen Prüfstand187
Klaus Kraemer
Währung und Konflikt: Ambivalenzen der Eurokrise221
Georg Vobruba
Das Ende einer Illusion: Die politischen Folgen der Eurokrise241
Jenny Preunkert
IV. Zukunft des Geldes: Aktuelle Entwicklungen und Alternativen
Virtuelle Währungen und Peer-to-Peer-Kredite: Ein Beitrag zur Multidimensionalität des Geldes261
Sebastian Nessel
Monetäre Modernisierung: Vom Giralgeld zu Vollgeld291
Joseph Huber
Autorin und Autoren309


Einleitung - Geld, Krise und soziale Ordnung: Ein problemorientierter Aufriss
Klaus Kraemer und Sebastian Nessel
Was ist Geld? Was zeichnet eine Geldkrise aus? Welche Bedeutung hat Geld für soziale Ordnungen? Wie wirkt sich eine Geldkrise auf soziale Ordnungen aus? In ökonomisch stabilen Zeiten werden derartige Fragen kaum aufgeworfen. Allzu sehr scheint der Gebrauch von Geld eine selbstverständliche Angelegenheit zu sein. Das kann kaum verwundern: In komplexen, arbeitsteilig ausdifferenzierten Gesellschaften sind nämlich ausnahmslos alle Individuen und Organisationen darauf angewiesen, dass die Verwendung von Geld reibungslos "funktioniert". Selbst die Frage nach der "Werthaltigkeit" des Geldes bleibt vielfach unhinterfragt. Erst in Krisenzeiten wird die Selbstverständlichkeit des Geldgebrauchs brüchig. Die globale Finanzkrise von 2008, ausgelöst durch die Immobilienkrise in den USA von 2007, sowie die "Eurokrise" seit 2010 haben die fragile Natur von Geld und Kredit wieder sichtbar gemacht. In Zeiten solcher Krisen breiten sich dann in weiten Teilen der Bevölkerung massive Verunsicherungen darüber aus, was das Geld eigentlich noch wert ist und ob dem Bankensystem und den Institutionen der Geldordnung überhaupt zu trauen ist.
Die Reaktionsweisen in der Bevölkerung fallen hierbei sehr unterschiedlich aus: So schwoll in den Monaten nach dem Untergang der Investmentbank Lehman Brothers 2008 die Nachfrage nach Bargeld sowohl in den USA als auch in den Euroländern um das Vier- bis Sechsfache des sonst üblichen Umfangs an (Board of the Federal Reserve 2013, Deutsche Bundesbank 2013). Mit dem Ausbruch der Eurokrise 2010 stieg die Nachfrage nach 100-Dollar-Noten signifikant an. Auch wurde Bargeld in Europa verstärkt gehortet. Seitdem kann auch eine ungewöhnlich hohe Nachfrage nach Tresoren, hochklassigen Immobilien und anderen Sachwerten sowie - je nach Krisenphase - eine Flucht in Fremdwährungen beobachtet werden (FAZ vom 27.8.2012 und 9.4.2013).
Die Unsicherheit im Umgang mit Geld zeigt sich empirisch auf unterschiedlichste Weise, sogar in teils widersprüchlichen Bewältigungsstrategien. Die einen Geldbesitzer horten 500-Euro-Scheine im heimischen Tresor, oder sie holen ihr Geld vom Konto und hinterlegen es im Schließfach der Bank. Die anderen kaufen Fremdwährungen oder Aktien von "substanzhaltigen" Unternehmen. Und wiederum andere tauschen Geld gegen Immobilien ein.
Derartige Verhaltensweisen werfen die Frage nach dem Zusammenhang von Geld, Krise und sozialer Ordnung neu auf. Zwar sind in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen von Ökonomen, Politikwissenschaftlern und auch Soziologen zu den Ursachen und Folgen der Finanz- und der Eurokrise vorgelegt worden. Die sozialen Grundlagen monetärer Ordnungen sind bislang jedoch nur unzureichend erforscht worden. Dies gilt insbesondere für die Frage nach den makro- und mikrosoziologischen Voraussetzungen und Folgen von Geld-, Finanz- und Kreditkrisen. Die Finanzkrise von 2008 und dann die Eurokrise seit 2010 eröffnen jedenfalls eine keineswegs alltägliche Gelegenheit, dem Verhältnis von Geld und Kredit, Vertrauen und Misstrauen in die monetäre Ordnung auf den soziologischen Grund zu gehen. In diesem einführenden Beitrag beleuchten wir einige, uns besonders wichtig erscheinende Fragen zum Verhältnis von Geld, Krise und sozialer Ordnung. Zunächst rekapitulieren wir in aller Kürze zwei klassische ökonomische Geldtheorien und befragen diese nach ihrem Ertrag für eine soziologische Analyse der sozialen Grundlagen monetärer Ordnungen (1.). Hieran anschließend sichten wir ausgewählte neuere Beiträge der soziologischen Geldforschung (2.). Sodann beschreiben wir die sozialen Erwartungs- und Beziehungskonstellationen von Geld- und Kreditbeziehungen (3.). Auf dieser Grundlage unterscheiden wir zwischen Krisen in Geldbeziehungen und Krisen in Kreditbeziehungen und skizzieren abschließend am Beispiel der "Eurokrise" die Auswirkungen von Kreditgeldkrisen zwischen privaten Gläubigern und staatlichen Schuldnern auf die soziale Ordnung (4.).
1.Ökonomische Geldtheorien
Die Frage, was genau unter Geld zu verstehen ist, wird in Ökonomie und Soziologie kontrovers diskutiert. Ökonomen verbinden diese Frage vielfach mit einer weiteren nach der Geldentstehung. Grundsätzlich werden Tauschtheorien von Kredit- bzw. Staatstheorien des Geldes unterschieden (vgl. den Beitrag von Brugger in diesem Band). Erstere fassen Geld als Warengeld auf, Letztere als Kreditgeld. In der unter Ökonomen vorherrschenden, auf Carl Menger (1900) und Ludwig von Mises (1924 [1912]) zurückgehenden Tauschtheorie des Geldes wird argumentiert, dass der Tausch von Gütern über Märkte der Geldentstehung vorausgegangen sei. Geld entsteht in dieser Perspektive aus dem Bedürfnis wirtschaftlicher Akteure nach einer allgemeinen Ware, mit der alle anderen Güter ausgedrückt und in ein quantitatives Verhältnis zueinander gesetzt werden können. Die Verständigung der Akteure auf ein allgemein akzeptiertes Tauschmittel gleich welcher Form - historisch zunächst Güter wie Salz und Metalle wie Gold und Silber - wird auf gleichgerichtete Dispositionen zum wirtschaftlichen Tausch über Märkte und der dadurch erhofften ökonomischen "Effizienz" zurückgeführt. Den historisch langwierigen Prozess der Ausbreitung eines zunächst lokalen Geldgebrauchs zu einem gesellschaftsweiten, allgemeinen Zahlungssystem hat Menger bekanntlich "von unten" her beschrieben, das heißt aus der sachlichen Notwendigkeit individueller Wirtschaftsakteure, in einer sich arbeitsteilig entwickelnden Gesellschaft Güter nur auf Märkten kaufen und verkaufen zu können. Die Diffusion eines allgemeinen Tauschmittels ist für Menger (1900: 65ff.) gleichwohl nur durch Gewohnheitshandeln und Nachahmung möglich. Grundlegend für die tauschtheoretische Erklärung von Geld ist die Annahme, den Wert von Geld über Güterrelationen zu bestimmen: Geld ist, was Geld ausdrückt. Konsequenterweise wird Geld als "neutral" aufgefasst, da es selbst keinen Wert hat, sondern lediglich Güterrelationen abbildet (kritisch zur Neutralitätsthese vgl. Riese 1995; Ingham 2004; Ganßmann 2013). Die Entstehung von Krediten setzt in diesem Ansatz immer schon Geld voraus (all credit is money).
In Abgrenzung zu dieser Erklärung von Geld als Tauschmittel (medium of exchange), das Güterwerte lediglich neutral zum Ausdruck bringt, hat Georg Friedrich Knapp eine Staatliche Theorie des Geldes (1905) formuliert und damit den Grundstein für "chartalistische" Geldtheorien gelegt, die Geld zuvorderst als gesetzliches Zahlungsmittel fassen (medium of account) und als "Geschöpf der Rechtsordnung" (ebd.: 1) deuten (vgl. Ingham 2004: 47f.; Wray 2014). Damit beschreiben chartalistische Ansätze Geld nicht als reines Tauschmittel, das gewissermaßen "technisch" den Gütertausch ermöglicht, sondern als Zahlungsmittel bzw. als Schuldverschreibung, die erst in der Zukunft eingelöst werden kann. Ihre zukünftige Einlösbarkeit kann nur durch eine legitime staatliche Ordnung aufrechterhalten werden. Anstatt den Wert des Geldes auf zugrundeliegende Güterquantitäten zu beziehen, wird damit die Nominalität des Geldes bzw. Geldwertes hervorgehoben. Aus dieser Perspektive ist Geld nichts als ein Kredit (all money is credit). Mit der Vergabe eines Kredits werden Zahlungsansprüche und -verpflichtungen zwischen Gläubigern und Schuldnern vereinbart. Ob die Forderungen eines Gläubigers erfüllt werden und der Schuldner seinen Verpflichtungen auch tatsächlich nachkommt, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Aufgrund dieser irreduziblen Ungewissheit ist für Knapp eine dritte Instanz unverzichtbar, namentlich eine staatliche Ordnung, die die Einklagbarkeit der mit der Vergabe eines Kredits verbundenen Rechte und Pflichten garantiert. Folgt man Knapp, dann steht und fällt die Verwendbarkeit von Geld als gesetzliches Zahlungsmittel mit der Legitimität der staatlichen Ordnung. Nur solange die Akteure begründet annehmen können, dass ihre Kontrakte durch staatliches Recht gedeckt sind, sind sie auch bereit, dem Geld einen "Wert" zuzuschreiben. Zwar ignorieren auch Tauschtheorien des Geldes nicht die Bedeutung staatlicher Ordnungen für ein funktionierendes monetäres System. Der Staat erscheint hier allerdings kaum mehr als Rahmengeber der Geldordnung, keineswegs jedoch als Urheber oder Garant von Zahlungsmitteln.
Was folgt aus dieser Kontroverse zwischen tausch- und kredittheoretischen Ansätzen für die in diesem Buch zu erörternden sozialen Grundlagen monetärer Ordnungen und ihrer krisenhaften Entwicklung? Zunächst ist festzuhalten, dass es soziologisch wenig ergiebig wäre, eine Entscheidung zugunsten der Tausch- oder Kredittheorie des Geldes zu treffen. Ob nun Geld zuallererst allgemeines Tauschmittel ist, wie seit Menger unterstellt wird, um sodann alle weiteren Funktionen des Geldes wie Zahlungs-, Rechen- und Wertaufbewahrungsmittel hiervon abzuleiten, oder ob mit Geld eine Schuldbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner zum Ausdruck gebracht wird, die nur durch eine staatliche Rechtsordnung gedeckt werden kann, wie chartalistische Theorien im Anschluss an Knapp annehmen, ist für die Frage nach den sozialen Möglichkeitsbedingungen monetärer Geldordnungen von nachgeordneter Bedeutung. Auch würde es soziologisch kaum weiterführen, eine primäre Geldfunktion zu bestimmen, wie dies sowohl für Tauschtheorien im Anschluss an Menger als auch für auf Knapp zurückgehende Kredit- oder Staatstheorien des Geldes typisch ist. Aus einer soziologischen Perspektive ist vielmehr entscheidend, dass modernes Geld unterschiedliche "Funktionen" oder Verwendungsweisen erfüllen muss, wenn es als solches bezeichnet werden soll, also zumindest allgemeines Tauschmittel und zugleich gesetzliches Zahlungsmittel sein sollte. Ein Tauschmittel, das zum Kauf oder Verkauf von Gütern eingesetzt werden kann, ohne zugleich gesetzliches Zahlungsmittel zu sein, besitzt allenfalls rudimentäre Geldfunktionen (vgl. den Beitrag von Ganßmann in diesem Band).
Aus soziologischer Perspektive ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt anzuführen, der den zentralen Ausgangspunkt dieses Bandes bildet: die Frage nach den sozialen Grundlagen, auf denen jede Geldordnung basieren muss, um dauerhaft funktionieren zu können. So verweist beispielsweise schon Menger auf die unter den Akteuren eines Wirtschaftsraumes gemeinsam geteilte Gewissheit, Geld als allgemeines Tauschmittel nutzen und für den Erwerb beliebiger Güter wiederverwenden zu können, wobei die Verallgemeinerung einer solchen Erwartungsgewissheit auf Gewohnheitshandeln und "fortschreitende Nachahmung" (1900: 67) zurückgeführt wird. Und bei Knapp erfüllt sich die Erwartung in die Wiederverwendbarkeit von Geld erst dann, wenn die wirtschaftlichen Akteure an die Legitimität einer Rechtsordnung glauben und darauf vertrauen können, dass Geld staatlich autorisiertes Zahlungsmittel ist und staatliche Organisationen auch über die Mittel verfügen, diese im Zweifel durchzusetzen. Beide Gesichtspunkte sind für die Frage nach den sozialen Fundamenten monetärer Geldordnungen von zentraler Bedeutung, verweisen sie doch auf spezifische soziale Erwartungsstrukturen zwischen den Geldnutzern. Die Analyse geldbezogener Erwartungsstrukturen bildet auch den Kern einer genuin soziologischen Perspektive auf Geld und Krise.


Klaus Kraemer ist Universitätsprofessor für Soziologie am Institut für Soziologie der Universität Graz. Sebastian Nessel ist dort Universitätsassistent. 2012 gaben sie das Buch »Entfesselte Finanzmärkte. Soziologische Analysen des modernen Kapitalismus« heraus.


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