Lappert Auf den Inseln des letzten Lichts
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-446-23614-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 544 Seiten, Gewicht: 1 g
ISBN: 978-3-446-23614-1
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rolf Lappert wurde 1958 in Zürich geboren und lebt in der Schweiz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker, war später Mitbegründer eines Jazz-Clubs und arbeitete zwischen 1996 und 2004 als Drehbuchautor. Bei Hanser erschienen 2008 der mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnete Roman Nach Hause schwimmen, 2010 der Roman Auf den Inseln des letzten Lichts, 2012 der Jugendroman Pampa Blues, 2015 der Roman über den Winter sowie 2020 sein neuer Roman Leben ist ein unregelmäßiges Verb.
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PROLOG
Nachdem es fast den ganzen Juli hindurch geregnet hatte, brachte der August endlich warmes, trockenes Wetter. Sonnenschein, hatte der Mann im Radio gesagt, und Megan flüsterte das Wort, weil ihr der Klang gefiel. Sonnenschein. So nannte ihre Mutter sie, wenn es ein guter Tag und ihre Stimme ein zärtlicher Singsang war. Megan saß vor der Haustür unter dem Vordach und hielt die mit süßem Tee gefüllte Nuckelflasche fest, auf der bunte Blumen wuchsen. In einem Teller lagen Haferkekse und braun verfärbte Apfelschnitze. Das Gackern der Hühner wehte herüber, hin und wieder schnaubte Sam, der Gaul, wenn ihm die Fliegen zu lästig wurden. Weit weg stieg das Tuckern des Traktors ins unermessliche, blendende Blau. Ein Windhauch schob die heiße Luft von der Veranda und kühlte den verschwitzten Körper des Mädchens ein wenig.Die Frau im Auto sah zum Haus, ihr Gesicht mit der Sonnenbrille verschwamm in einem Viereck aus gleißendem Licht
Als der Mann den Motor anließ, drehte sie die Scheibe herunter und hob die Hand zu einem zaghaften Winken, aber dann setzte sich der Wagen in Bewegung, fuhr über den leeren, ockerfarbenen Platz und verschwand hinter den Bäumen, die entlang des ausgetrockneten Grabens standen. Während das Motorengeräusch verklang und der Staub sich legte, drang das Weinen des Jungen aus dem Haus, erst wimmernd, fragend, schließlich mit der ganzen Lautstärke und Kraft, die ein Halbjähriger aufzubringen vermag. Eine Weile lauschte Megan, wartete, dass jemand kam und sich um das lästige Wesen kümmerte, doch niemand kam. Nur die sorglose Hühnerschar war zu hören und das Brummen des Traktors, leiser als eine Hummel.Dann verstummte der Schreihals. Wahrscheinlich lag er da und glotzte an die Decke, die Augen groß wie die Knöpfe an Daddys Mantel, das Gesicht rot angelaufen und fleckiger als das Fell der Katze. Tobey. Krachmacher und Vielfraß, wenn er nicht gerade schlief. Toto. Kleiner Bruder, sagte Mommy immer, wenn Megan ihn ansah und sich wünschte, er würde in den Müll gestopft, zusammen mit der stinkenden Windel und der Rassel, die ihr gehörte, und dem rosafarbenen Tuch, auf dem sie geschlafen hatte, bis er auftauchte.Megan stellte die Nuckelflasche hin, drehte sich zur Seite, legte ihre Händchen auf die Holzplanken und stemmte sich hoch. Sie wartete, bis sie nicht mehr schwankte, dann bewegte sie sich in Richtung Vordertür, die offen stand wie alle übrigen Türen und Fenster des Hauses.




