E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Laudenbach Volkstheater
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8031-4373-0
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-8031-4373-0
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Theaterintendantinnen und Pianisten erhalten Morddrohungen, das Publikum muss ein Berliner Revuetheater wegen einer Bombenwarnung verlassen, in Zwickau marschieren Skins vor einer Galerie auf, in Stuttgart verlangen AfD-Abgeordnete eine Übersicht über Theatermitarbeiter mit Migrationshintergrund. Rechte Politiker sprechen üble Beleidigungen aus und appellieren ans Volksempfinden. Nichts davon ist ein Einzelfall.
Der Journalist Peter Laudenbach hat über hundert rechte Übergriffe auf die Kunstfreiheit dokumentiert. Welche Muster lassen sich dabei beobachten? Welche Funktionen und Folgen haben die gezielten Gewaltandrohungen in rechten Eskalationsstrategien? Was macht Theater und Kunstinstallationen zu attraktiven Zielen?
Der Angriff auf die Kunstfreiheit ist ein Angriff auf die offene, liberale Gesellschaft. Das Ziel sind die Markierung von Feindbildern, das Schüren von Aggression und die Polarisierung der Gesellschaft. Mit klugen und solidarischen Aktionen halten unzählige Menschen aus Kunst und Kultur dagegen.
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1 DER KOFFER MIT DEN HAKENKREUZEN
An einem Dienstag im September entdeckt ein neunjähriger Junge auf dem Theatervorplatz in Jena einen alten Koffer hinter einem Mülleimer. Auf Vorder- und Hinterseite prangt jeweils ein schwarzes Hakenkreuz in einem weißen Kreis. Als er seiner Mutter von dem Koffer erzählt, glaubt sie, er habe ein Bühnenrequisit gefunden. Der Junge gibt seinen Fund am Theater ab, wo sich zunächst ebenfalls niemand dafür interessiert. Erst am nächsten Tag öffnet ein Theatermitarbeiter den Koffer und erschrickt: Im Koffer ist ein Sprengsatz verbaut. »Die Kriminaltechniker finden ein Metallrohr, Drähte, Knetmasse, einen funktionsfähigen Zünder und zehn Gramm TNT, aber es fehlt die Energiequelle, um die Bombe zu zünden.«1 Hakenkreuz-Verehrer, die solche Attrappen basteln, können auch funktionsfähige Sprengsätze herstellen. Der Koffer ist eine Hassbotschaft. Sie richtet sich gegen das Theater, vor dem er abgestellt wurde, aber auch gegen die offene, angstfreie, diverse Stadtgesellschaft mit ihren Begegnungsräumen auf dem Theatervorplatz: »Er ist in der Neonazi-Szene als Treffpunkt der Alternativen verschrien. Erst vor wenigen Tagen hatte auf dem Platz ein Konzert stattgefunden.«2 Wäre die Attrappe eine echte Bombe gewesen, hätte ihre Explosion jede und jeden treffen können. Deshalb steht der Bombenkoffer auf dem Theaterplatz am Beginn dieses Buches. Die Neue Rechte hat die Kultur und Kunst als ergiebiges Kampffeld für sich entdeckt. Seit einigen Jahren bewirtschaftet sie es energisch. AfD-Politiker:innen reichern ihre zahlreichen kulturpolitischen Interventionen und öffentlichen Auftritte mit Polemiken und Beleidigungen gegen Künstler:innen an. Andere Akteur:innen demonstrieren ihr Ressentiment gegen die Kunstfreiheit mit Mord- und Bombendrohungen und bringen es in Brandanschlägen, Sachbeschädigungen und Demonstrationen zum Ausdruck. Marc Jongen, der kulturpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, und der AfD-Extremist Björn Höcke sprechen offen von einem »Kulturkampf«.3 Mit Formulierungen wie der »Entsiffung des Kulturbetriebs«, zu der beizutragen ihm »Ehre und Freude« sein werde4, beweist Jongen, dass auch ein AfD-Parlamentarier mit Doktortitel und betont bürgerlichem Habitus das Hassvokabular des Rechtsextremismus beherrscht. Die rechten Übergriffe zielen nicht nur auf die jeweils unmittelbar davon Betroffenen. Sie sind kein Nischenproblem einiger Kunstinteressierter. Die attackierten Theater, Buchhandlungen, Musikfestivals und Kulturzentren stehen stellvertretend für eine halbwegs liberale, demokratische Gesellschaft. Zu den Selbstverständlichkeiten und Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie gehören informelle und rechtliche Normen, der Schutz von Minderheiten, Meinungs- und Kunstfreiheit, aber auch Mindeststandards des respektvollen Umgangs. Sie benötigen, so der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller, »etwas schwer zu Fassendes, wie kollektive Einstellungen, zum Beispiel dass die Bürger bereit sind, einander zivilisiert und mit Respekt zu begegnen«5. Die rechten Übergriffe gegen Kultureinrichtungen richten sich gegen diese Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Das sehr viel weitere Feld der rechten Kulturkämpfe bildet den Rahmen dieser Angriffe auf die Kunstfreiheit. In dieses Feld gehören die von dem französischen Rechtsextremen Alain de Benoist inspirierten und von den deutschen Lautsprechern einer rechten Identitätspolitik propagierten Bemühungen um kulturelle Hegemonie, die Paranoiavisionen eines angeblich vom »Great Reset« bedrohten »Abendlandes« sowie die Wut deutscher Gartenzwerge, die für ihr Nationalgefühl dringend das »Zigeunerschnitzel« und das Recht auf ein bisschen Rassismus und Homophobie benötigen.6 Der hier verwendete Begriff »Neue Rechte« ist sicher etwas pauschal und der aktuelle Rechtsextremismus alles andere als »neu«. Als Sammelbegriff kann er dennoch nützlich sein, um das breite Spektrum rechter, rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien, Akteur:innen und Bewegungen zu bezeichnen.7 Theater, Konzerthäuser, Bibliotheken und Kunstausstellungen wollen zugänglich sein und sich nicht in der eigenen Exklusivität verschanzen. Gleichzeitig schaffen sie Bühnen der Aufmerksamkeit. Das macht sie zu weichen, ungeschützten und damit besonders attraktiven Zielen der rechten Aggression. Wenn in Kassel die lokale AfD zu Demonstrationen gegen das Kunstwerk eines documenta-Teilnehmers aufruft, das den Bibel-Vers »Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt« zitiert, und wenn der AfD-Stadtverordnete Thomas Materner diese Skulptur als »ideologisch polarisierende, entstellte Kunst« beschimpft8, wirkt die prominent im öffentlichen Raum sichtbare Skulptur wie ein Verstärker für das eigentliche Anliegen der rechten Akteur:innen, ihre Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Wenn einige Aktivisten der »Identitären Bewegung«, die modisch frisierte Nachwuchsfraktion der Hardcore-Rechten, am Wiener Burgtheater und am Deutschen Theater Berlin lautstark Vorstellungen stören9, mag ihnen der Auftritt vor Theaterpublikum für einen Moment die narzisstische Illusion von Bedeutung auf großer Bühne verschaffen. Die identitär bewegten Selbstdarsteller missbrauchen die Theater dabei als Bildhintergrund für ihre Social-Media-Videos. Das ist insofern ehrlich, als sich die Aktionen der Performance-Rechten als schlechtes Theater outen. Um das Ausmaß der Übergriffe auf die Kunstfreiheit zu erfassen, habe ich in Zusammenarbeit mit dem Kulturbündnis »Die Vielen«, mit Hilfe von zahlreichen Kulturinstitutionen, Einzelpersonen und Pressearchiven versucht, entsprechende Vorfälle möglichst genau und vollständig zu dokumentieren. Die für die Jahre 2016 bis 2021 erfassten gut 100 Fälle reichen von zahlreichen Morddrohungen und Beleidigungen bis zu schwerer Sachbeschädigung, Sprengstoff- und Brandanschlägen und Körperverletzung. Ebenfalls dokumentiert wurden unmittelbar gegen Künstler:innen und Kultureinrichtungen gerichtete öffentliche Äußerungen von AfD-Mandatsträger:innen. Die Dokumentationen der Übergriffe sind 2019 und 2021 zuerst in der Süddeutschen Zeitung erschienen.10 Die zugrundeliegende Recherche lieferte die Datenbasis für dieses Buch. Die Chronik der Übergriffe ist im Anhang abgedruckt.11 Meine systematische Recherche erfasst nur den Zeitraum bis 2021, aber auch danach haben weitere Übergriffe stattgefunden. Die Recherche dokumentiert, dass sich im untersuchten Zeitraum im Schnitt jeden Monat ein bis zwei rechte Übergriffe gegen die Kunstfreiheit ereignet haben. Ohne die von der Pandemie erzwungenen Einschränkungen des Veranstaltungsbetriebs wäre die Gesamtzahl der erfassten Übergriffe vermutlich noch höher ausgefallen. Die Dokumentation ist unvollständig, auch weil ich nicht öffentlich bekannt gewordene Vorfälle nur mit Zustimmung der Betroffenen veröffentlicht habe. Betroffen von den Übergriffen sind zahlreiche Künstler:innen und Kultureinrichtungen aller Genres – Musikfestivals, Buchhandlungen, Theater, Kunstwerke im öffentlichen Raum, Kabarett- und Revue-Bühnen, Jugendzentren und Bibliotheken. Nach dem Eindruck der Verantwortlichen in den Kultureinrichtungen haben die Übergriffe seit Mitte der 2010er Jahre deutlich zugenommen. Das deckt sich mit einer Studie von Politikwissenschaftler:innen der Universität Kassel. 80 Prozent der von ihnen befragten Bundesverbände verschiedener Segmente des Kulturbetriebs sehen ein »zunehmendes« oder »stark zunehmendes« Gefahrenpotential durch rechte Aktivitäten. 40 Prozent der befragten Bundesverbände und 57 Prozent der Landesverbände halten die Konsequenzen für die von ihnen vertretenen Kulturinstitutionen für »gefährlich« oder »sehr gefährlich«. Der Zusammenhang zum Aufstieg der AfD ist dabei evident: »Je höher der Zweitstimmenanteil der AfD (im jeweiligen Bundesland) ist, desto eher sehen die Verbände eine Gefahr für die eigenen Organisationen.«12 Aber rechte Übergriffe auf die Kunstfreiheit sind nicht auf AfD-Hochburgen beschränkt, sie finden bundesweit statt. Auslöser sind oft konkrete Kunstwerke oder Theateraufführungen, etwa mit Geflüchteten, oder Projekte, die sich mit dem historischen Nationalsozialismus oder dem aktuellen Rechtsextremismus auseinandersetzen. Kultureinrichtungen können allerdings auch alleine durch ihre Existenz Aggressionen auf sich ziehen. Die Übergriffe sind nicht zentral gesteuert, in der Regel gehen sie von lokalen Akteur:innen aus. Diese sind jedoch oft überregional gut vernetzt, so dass lokale Vorfälle schnell ein bundesweites Echo auslösen. Die rechten Akteur:innen lernen voneinander und entwickeln Routinen in der Bedrohung ihrer Gegner. Sie verwenden wiederkehrende rhetorische Muster zur Begründung ihrer Aktionen. Dazu gehört die Behauptung, mit ihrem demokratischen Engagement würden Kultureinrichtungen gegen das Gebot parteipolitischer Neutralität verstoßen. Diese Anschuldigung ist nicht haltbar. Zwar gilt für Beamte in Ausübung ihrer Tätigkeit das Gebot der politischen Neutralität: Richter:innen oder Staatsanwält:innen dürfen im Dienst Parteifreund:innen nicht bevorzugen, die Erteilung von Baugenehmigungen darf nicht von den politischen Vorlieben der zuständigen Beamt:innen beeinflusst werden, Lehrer:innen dürfen im Unterricht nicht zur Wahl einer bestimmten Partei aufrufen. Das...