Leppin | Die frühen Christen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung

Leppin Die frühen Christen

Von den Anfängen bis Konstantin
3. Auflage 2022
ISBN: 978-3-406-77390-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von den Anfängen bis Konstantin

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung

ISBN: 978-3-406-77390-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



DAS frühe Christentum gab es in den ersten drei Jahrhunderten nach Jesu Tod nicht. Was es gab, war eine Vielzahl von Christentümern. Die Entwicklungen der Gemeinden und die Wege ihrer Mitglieder konnten kaum unterschiedlicher sein. Denn die frühen Christen rangen mit der Frage, wie ein wahrhaft christliches Leben aussehen könnte, und gelangten dabei zu verschiedenen Antworten. Unter diesen Bedingungen entstand eine Vielfalt von Glaubensvorstellungen und christlichen Werthaltungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Lebenspraxis des Einzelnen hatten. So erzählt dieses Buch von einer christlichen Welt jenseits von Dogmen und Konzilsbeschlüssen. Empfand man sich als Christ, als Jude - und wer war eigentlich ein Heide? Auf welche Autoritäten sollte man in einer Welt hören, die so reich an Irrwegen und Verführungen war? Wie sollte man für sich selbst und für seinen Nächsten sorgen, auf dass Gott ein Wohlgefallen daran fand? Und welcher Weg führte über all die irdischen Zwänge, denen man im Imperium Romanum kaum entgehen konnte, hinweg zum ewigen Heil? Der renommierte Frankfurter Althistoriker Hartmut Leppin ist diesen und vielen weiteren Fragen anhand zahlreicher Beispiele nachgegangen und entwirft in seinem ebenso spannenden wie differenzierten Buch ein lebendiges, farbiges und facettenreiches Bild der Frühzeit des Christentums.

Hartmut Leppin lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Goethe-Universität zu Frankfurt/ Main.

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Prolog: Ein Leichnam kommt der Welt abhanden


Jesus war bei seinem Kreuz und lachte. Ein sterbender Leib, der ihm glich, hing derweil am Marterholz. Das beobachtete Petrus und nur er, denn die gewöhnlichen Menschen waren blind; sie sahen nichts als den Körper am Kreuz. So scheint es ein Text zu überliefern, der als die koptische Apokalypse des Petrus bekannt ist und der vielleicht in der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts entstand.[1]

Nicht der Erlöser als geistiges Wesen wurde demnach an das Kreuz genagelt, sondern sein fleischlicher Leib, den die anderen für den wahren Jesus hielten. Mit einer solchen Auffassung ließen sich manche Dilemmata lösen, vor denen frühe Christen standen. Denn wie sollte man es akzeptieren, dass der Prophet, der Menschensohn, der Herr, der Erlöser, der Sohn Gottes ans Kreuz genagelt worden war, eine Sklavenstrafe erlitten hatte? Christen wie Paulus vertraten eine andere Sicht: Gerade dass Gott seinen eigenen Sohn am Kreuz hatte leiden und sterben lassen, sei ein Zeichen der Rettung für die Menschen. Leicht zu begreifen war das nicht und wurde so zu einem Quell gedankenreicher Theologie.

Für den römischen Statthalter Pilatus stellten sich die Dinge gewiss weniger kompliziert dar. Leibhaftig war der Wanderprediger Jesus mit einer beachtlichen Zahl von Anhängern in Jerusalem eingezogen und hatte sich als Unruhestifter betätigt, sogar im Tempel für Streit gesorgt. Außerdem hörte man, dass er über die Königswürde rede – das konnte den Vertreter des römischen Kaisers nervös machen. Vielleicht war Jesus nach dem Eindruck des Statthalters nicht besonders gefährlich, doch mag dieser von der Hinrichtung eine Beruhigung der Situation erhofft haben, sofern er überhaupt an den Tod eines Nichtrömers viele Gedanken verschwendete. Wenn die kanonischen Evangelien indes den Eindruck erwecken, dass die jüdischen Eliten auf die Exekution Jesu gedrängt hätten, so ist das nicht auszuschließen, denn auch deren friedliches Verhältnis zur römischen Macht und ihrem Ansehen konnte ein solcher Charismatiker gefährden. Doch mögen die Autoren auch das Ziel gehabt haben, den reichstreuen Lesern zu suggerieren, dass der schändlich Hingerichtete eigentlich kein Gegner Roms sei. Jedenfalls kam es zur Hinrichtung, und die Anhänger Jesu leisteten keinen nennenswerten Widerstand.

Mit Jesu schmählichem Tod am Kreuz hätte der Fall erledigt sein müssen. Denn wie sollten seine Anhänger ihm noch die Treue halten, nachdem seine Ohnmacht offenbar geworden war? Doch es kam anders. Christen berichteten, dass der Leichnam regulär bestattet worden sei. Schon das wäre bemerkenswert: Üblicherweise ließ man die Gekreuzigten einfach hängen, als Beute für aasfressende Vögel und Zeichen der Erniedrigung. Gerade dieser grausame Umgang mit Verbrechern demonstrierte die Überlegenheit der römischen Ordnungsmacht. Weiter hieß es dann in einflussreichen christlichen Schriften, dass dieser Leichnam verschwunden sei. Frauen, gekommen, um ihn zu versorgen, hätten das Grab leer vorgefunden. Das war aus der Sicht der Zeit eine Katastrophe. Es fehlte die Möglichkeit, sich um den Toten zu kümmern, was höchste Pflicht aller Nahestehenden war. Man musste damit rechnen, dass der Leichnam geraubt, vielleicht gar misshandelt worden war. Hatten sich die römischen Autoritäten seiner bemächtigt? Oder die jüdischen Feinde Jesu? Wollten sie seine Verehrung verhindern? Oder war es der Gärtner, der einfach Ordnung schaffen wollte? Christus-Anhänger gaben eine ungewöhnliche Antwort: Jesus sei auferstanden, sagten sie, und in den Himmel aufgefahren. Zeugen meldeten sich, die das bestätigten, nur Christus-Anhänger, aber in ihrem Umfeld offenbar höchst glaubwürdig. Ihr Held hatte gelitten, war von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren.[2]

Diese Erfahrungen lassen sich leichter in antike Vorstellungen einbetten als in moderne: Gerade wer von jüdischem Wissen geprägt war, vermochte die scheinbare Niederlage des Predigers in sein Weltbild zu integrieren; vielen jüdischen Propheten war die Anerkennung durch die Zeitgenossen versagt geblieben, und sie hatten Demütigungen erlebt. Für Menschen, die in solchen Traditionen aufgewachsen waren, konnte Jesu Scheitern im Diesseits seine herausragende Rolle bestätigen. Bekannt war überdies die Idee, dass durch das Leiden eines Einzelnen für Untaten des Volkes Sühne getan werden könne. Der jüdische Prophet Jesaja (oder besser, eine Schrift, die unter seinem Namen lief; man spricht gerne von Deuterojesaja) hatte geweissagt, dass der Gottesknecht für die Sünden seines Volkes leiden werde. Es kursierte ferner die Vorstellung vom Menschensohn, der zwischen Gott und der Welt vermittelte.

Die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits waren zudem in der Antike nicht immer scharf gezogen: Berichte über Auferweckungen von Toten dürften manche Zeitgenossen gehört haben. Laut einem griechischen Mythos ging Alkestis für ihren Mann in den Tod und verdankte Herakles ihre Befreiung; auch manche Propheten des Volkes Israel sollen Tote auferweckt haben. Wichtiger aber: Das Motiv des Todes und der Erneuerung eines göttlichen Wesens war den Zeitgenossen ebenfalls nicht unvertraut. So genoss der Mythos des getöteten und wieder erneuerten Osiris auch außerhalb Ägyptens eine hohe Popularität; Mysterienkulte, die seiner gedachten, blühten im Römischen Reich, ebenso andere Kulte, deren Anhänger vergleichbare Vorstellungen hegten. Abwegig war es aus zeitgenössischer Sicht mithin nicht, Ähnliches für Jesus anzunehmen, wenn er denn mehr war als ein einfacher Mensch.

Allerdings betonten Anhänger Jesu, dass es ihm gar nicht um die Rückkehr auf Erden gegangen sei, weswegen er auch nach einigen Tagen entschwunden, eben in den Himmel aufgefahren sei. Auch solche Szenen waren nicht unbekannt. Berichten zufolge war der alte römische König Romulus in den Himmel aufgestiegen. Römische Kaiser wurden im Akt der Apotheose unter die Götter erhoben, durch den Beschluss des Senats, der sich aber gerne auf Zeugnisse von Beobachtern stützte, die etwa behaupteten, sie hätten einen Adler auffliegen sehen. Juden erzählten, dass Henoch, eine Gestalt der ersten Zeit, entrückt worden sei.

Wenn ich hier von Parallelen spreche, so behaupte ich nicht, dass die christliche Auferstehungslehre sich einfach aus ihnen ableiten ließe; es geht mir nur darum, den Verständnishorizont antiker Zeitgenossen sichtbar zu machen. Bei den Christen setzte sofort eine bemerkenswerte und ungewöhnliche Reflexion über die Geschehnisse ein: Schon sehr früh, lange bevor die bekannten Schrifttexte entstanden, bildeten sich, wohl im Kontext von Feiern, Formeln heraus, die von einer Auferstehung sprachen oder davon, dass Jesus wieder lebe, nachdem er gestorben sei. Der Apostel Paulus erklärte, die Rettung der Menschen erwachse daraus, dass Gott seinen eigenen Sohn habe leiden und sterben, dann aber auferstehen lassen. Ein Text aus dem gnostischen Spektrum wiederum erklärt, dass Jesus noch elf Jahre nach der Auferstehung auf Erden geweilt und seine Jünger unterrichtet habe.[3] Leicht zu begreifen war das alles nicht, und so wurde das Defizit, dass die Christen sich auf einen Hingerichteten bezogen, zu einer Herausforderung theologischer Reflexion.

Es bedarf nach wie vor beachtlicher Anstrengungen der Theologie, um die Ideen von Auferstehung und Himmelfahrt in unsere Zeit zu übersetzen. Der schlichte Historiker aber kann gar nicht anders, als beide ernst zu nehmen, da sie wirkmächtig waren. Denn antike Christen glaubten daran und handelten entsprechend; sehr bald scheinen einige als Missionare diese Nachricht weitergetragen zu haben. Die Erfahrung der Mitteilbarkeit des Glaubens verdichtete sich im Bericht über das Pfingsterlebnis, als die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt wurden und in den verschiedensten Sprachen zu predigen begannen, wie man sich berichtete (Apg 2,1–13).

Gleichwohl: Der Auferstehungsglaube war nicht selbstverständlich, wurde bestritten und unterlag Änderungen. So waren die Christen auch späterer Zeiten unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die Auferstehung Jesu ein reales, einmaliges Ereignis sei oder eher eine Vision, die Menschen immer wieder zuteilwerden könne. Die erstere Position sollte sich in der Kirche durchsetzen, die zweite galt als gnostisch. Irenäus behauptet gar, dass ihre Vertreter die Erkenntnis der Wahrheit mit der Auferstehung gleichsetzten (Haer. 2,31,2). Während Denker wie er die Autorität der Apostel hervorhoben, in deren Tradition sich die

II 5

Konsens

Bischöfe zunehmend stellten, erlaubten andere Lehren im Prinzip jedem, dieser Erfahrung teilhaftig zu...


Hartmut Leppin lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Goethe-Universität zu Frankfurt/ Main.



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