E-Book, Deutsch, Band 280, 94 Seiten
Reihe: Lindemanns Bibliothek
Lott Liebe auf den zweiten Blick
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-88190-949-5
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie mir Karlsruhe zur Heimat wurde
E-Book, Deutsch, Band 280, 94 Seiten
Reihe: Lindemanns Bibliothek
ISBN: 978-3-88190-949-5
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Selbst der Dichter Johann Peter Hebel hatte viele Jahre Schwierigkeiten mit Karlsruhe. Wie ihm geht es vielen „Zugereisten“, die eigentlich nie nach Karlsruhe gehen wollten, aber sich dann nach einigen Jahren mit der Stadt befreundeten und irgendwann den Entschluss fassten, immer in Karlsruhe zu bleiben. In ihrem neuen Buch lässt Doris Lott einige dieser „Persönlichkeiten“ zu Wort kommen.
Die Bücher der bekannten Autorin gehören zu den Karlsruher „Bestsellern“, weil es ihr immer wieder gelingt, die Menschen und die Stadt mit den Augen der Liebe zu betrachten.
„Ich bin zutiefst berührt. Die Geschichten von Doris Lott, einer waschechten Karlsruherin, die Begegnungen mit 22 Nichtkarlsruhern schildern, bringen den Leser zum Mitempfinden, zum Lächeln stimmen ihn aber gleichzeitig ein wenig wehmütig. Sie stellen Persönlichkeiten unserer Stadt vor, die beschlossen haben, hier zu leben, hier alt zu werden und Karlsruhe, wo sie nie hinwollten, als ihre Heimat anzunehmen. Der Titel eines erfolgreichen Buches der Autorin hieß: „Vom Glück in Karlsruhe zu leben“. Ich wandle ihn ab: Vom Glück in Karlsruhe eine Autorin wie Doris Lott zu haben.“ Vera Maria Wieland, Geb. Freiin von Reischach Scheffel
Mit Geschichten von Alfons Bechtold, Annette Bernards, Roberto Borella, Birgit Bücker, Günther und Georg, Liesel Hermes, Hartmut Höll, Victoria Kahnes, Günter Knappe, Sebastian Kreutz, Franziska Lee, Jutta und Horst Leyendecker, Frank Mentrup, Klaus Nagorni, Peter Paepcke, Matthias Reinschmidt, Flavio Salamanka, Ewald Schrade, Heike Sieber, Elisabeth Spitzbarth, Robert Walter, Reinhold Würth, Gabriele Zeeck
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
„True love“
Günther und Georg Im Theaterfoyer strömt mir eine heiter gestimmte Menschenmenge entgegen, festlich gekleidet und in anregendem Gespräch vertieft. Händel-Festspiele 2016. Die Frau an der Garderobe im Kleinen Haus klärt mich auf: „Teseo“, sagt sie und lächelt. „Die sind alle ganz begeistert.“ Ich bin auf dem Weg zu einem französischen Gastspiel und gönne mir noch vor der Vorstellung ein Gläschen Sekt. Plötzlich steht Georg neben mir. Er sieht erschöpft aus. „Wo ist Ihr Freund?“, frage ich und habe das Gefühl, dass irgendetwas anders ist als sonst. Georg und Günther sind ein theaterbegeistertes Paar. Keine Premiere im Kleinen oder Großen Haus, ohne die beiden Freunde. Wo der eine ist, findet man auch den anderen. „Was ist passiert?“ „Mein Freund ist am 11. November verstorben“, sagt Georg. „Ich wollte noch so viel für ihn tun. Er wünschte sich z. B., dass das Schränkchen, in dem er viele kleine Dinge seit seiner Kindheit aufbewahrte, aus dem Keller wieder in die Wohnung zurückkommt. Ich hätte es ihm hochtragen sollen. Und dann seine Autogrammsammlung, auf die er so stolz war, die auch noch im Keller lagert. Hätte ich ihm die kleinen Wünsche nicht noch erfüllen können?“ „Jeder Tod hinterlässt Vorwürfe“, sage ich. Hat Georg nicht alles getan, was man für einen Freund, mit dem man 31 Jahre lang zusammengelebt hat, tun kann? Mir fällt die erste Begegnung mit seinem Partner Günther ein, als ich in der Markgrafenschule vor einer Klasse mit Ausländerkindern aus meinem Buch „Anton, der Eisbär“ vorlas. Günther J. wie er geschrieben werden wollte (mit „J“ für seinen Opa Johann), betreute die Kinder und wir alle ließen uns begeistern von dem kleinen Anton aus dem Karlsruher Stadtgarten. Wie gut der Lehrer doch mit seinen Schülern umging. Seit dieser ersten, näheren Begegnung wechselten wir manchmal, wenn wir uns im Theater trafen, ein paar Worte miteinander. Günther sparte nicht mit Kritik, aber manchmal war auch seine Begeisterung für die Aufführung einer Oper, eines Balletts oder Schauspiels mitreißend. Georg, der junge Freund, hielt sich bei solchen Gesprächen meist zurück, auch dann, wenn die beiden umringt waren von ihren Freunden. „Manchmal musste ich ihm aber auch widersprechen, ganz einfach, um ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen“, schmunzelt Georg. Oft ergab sich daraus ein munteres Hin und Her, was dann für alle Zuhörer eine riesen Gaudi war. „Der Günther wollte immer das letzte Wort haben. Der konnte reden ohne Ende, und er war ja auch gescheit und gebildet, hat in Heidelberg und Wien an der Universität studiert, u. a. bei dem Mediavistik-Papst Wapnewski, und konnte stundenlang über das mittelhochdeutsche Nibelungenlied sprechen und daraus auch rezitieren. Für mich war er ein Sprachgenie mit seinem „Queens Englisch“, wie er das nannte, denn er hat längere Zeit in London gelebt und dort auch am Opernhaus „Covent Garden“ hospitiert. Er sprach gut Französisch und dank seiner Lateinkenntnisse ganz passabel Italienisch. Ja, die Italiener, die standen seinem Herzen ganz nahe. Italien über alles. Sogar die Eier waren dort besser als in Deutschland, nicht nur die Tenöre und die großen Sängerinnen. Wir haben sie fast alle in Natura gehört. Aber die Griechin Maria Callas, die Callas, war seine große Liebe, er bewunderte sie unendlich. Er war darin einem Freund aus Heidelberger Tagen, dem vor einigen Jahren verstorbenen Filmemacher Werner Schroeter, eng verbunden. Die Italiener mochten ihn, wenn er mit seinem Veroneser Akzent ihr Loblied sang. „Mio passoporto e tedesco, ma mio cuore e italiano!“ „Mein Pass ist deutsch, aber mein Herz ist italienisch!“, pflegte er dann voller Begeisterung zu sagen, wenn wir in der Mailänder Scala oder bei den Festspielen in Verona waren. Der Günther war ein richtiger ‚Menschenfischer‘. Wenn er jemanden mochte, hat er ihn sich gleich einverleibt und wo Günther auftauchte, eroberte er die Herzen der Menschen. Meistens suchte er um jeden Preis den Kontakt mit den Künstlern und wollte unbedingt einen Blick hinter die Kulissen werfen. „Das war ziemlich anstrengend für mich, auch schon vor vielen Jahren, als er zeitweise mit dem grauen Star zu kämpfen hatte. Ich musste ihn damals auf jede auch noch so kleine Unebenheit aufmerksam machen und reichte ihm den Arm. Später, nach einer nicht ganz erfolgreich verlaufenen Hüftgelenksoperation, musste er am Stock gehen. Da ging schon nicht mehr alles von alleine. Als der Stock nicht mehr ausreichte, ging Günther, der immer Schmerzen hatte, am Rollator und das ganz langsam. Darauf folgte der Rollstuhl, den er selbst praktisch nicht bewegen konnte, da er die Kraft nicht mehr dazu hatte. Ich schob ihn darin überall hin. Zu den Ärzten, auch in unseren heiß geliebten zoologischen Stadtgarten und natürlich ins Theater. Endlich konnte ich das Tempo wieder einmal bestimmen! Deshalb schaffte ich auch eine Klingel an, um die trödelnden Leute zu verscheuchen, die so einem Rollstuhl ja immer im Wege sind. Als es schlimmer wurde mit der nachlassenden Gesundheit und ich am Rande meiner Kräfte war, begann der Marathon durch die Karlsruher Heime. Zunächst mehrmals auf der Suche nach einem Kurzzeitpflegeplatz. Und nach einem langen Krankenhausaufenthalt ging es nicht mehr zu Hause. Zunächst im ‚Haus Karlsruher Weg‘ und dann, nur wenige Minuten von unserer Wohnung entfernt, im ‚Friedensheim‘, wurde er liebevoll aufgenommen. Das war auch nicht leicht. Jeden Abend besuchte ich ihn dort. Am Wochenende holte ich ihn zum Kaffeetrinken und Abendessen nach Hause. Und wenn die anderen Heimbewohner für die Nacht fertig gemacht wurden, dann fuhr ich mit Günther ins Theater. Von der Stadt gab es zum Glück freie Taxifahrten. Für die vielen Transporte vom ‚Karlsruher Weg‘ ins Theater waren uns Herr Ayanoglu und seine Mitarbeiter eine sehr zuverlässige und vertrauensvolle Hilfe. Um dem Heimpersonal etwas behilflich sein zu können, lernte ich, Günther vom Rollstuhl ins Bett zu bringen.“ Der etwas zurückhaltende, zwanzig Jahre jüngere Georg, der nicht so gerne im Mittelpunkt stand und dem es peinlich war, wenn sein Freund, als er noch gesund war, im Theater mit erhobenem Haupt und selbstbewusst einen der Plätze in den vorderen Reihen einnahm, lernte für seinen Freund zu kämpfen. „Der Günther stand gern im Mittelpunkt. Damals, als er im Theater immer nach vorn ging, ließ ich mich auch mitziehen. Eines Tages gab’s dann mal einen Brief vom Verwaltungsdirektor, der uns darüber aufklärte, dass nur die gekauften Plätze eingenommen werden dürfen und diese über die ganze Vorstellung beizubehalten seien. Mir war das furchtbar peinlich. Aber der Günther hat den Brief einfach zerrissen! Ihm war es ganz egal, was andere über ihn dachten, er war total unkonventionell. Heute ist das ja anders im Theater, denn wenn’s mal ganz schlecht verkauft ist, wird man sogar aufgefordert nach vorne zu gehen. Ja, so war der Günther. Es gibt da eine Anekdote aus seiner Zeit als Lehrer im schwäbischen Aichhalden im Schwarzwald. Als er an einem Sonntagmorgen die Fenster in seiner Wohnung putzte, fragte ihn eine Frau: ‚Ganget se net in d’Kerch?‘ Und der Günther antwortete selbstbewusst und provozierend: ‚Nein, ich gehe ins Theater, da werden ähnliche Bedürfnisse befriedigt!‘ Ich erinnere mich noch, wie er schon ziemlich krank war und im Rollstuhl saß. Christa Ludwig kam nach Karlsruhe zur Opernklasse. Sie war sehr direkt mit ihrer Meinung und nicht einfach im Umgang, eine Diva halt. Dann wollte er anschließend zum Empfang, der eigentlich nur für geladene Gäste gedacht war. Ein Glück, dass Peter Spuhler uns das ermöglichte. Dort unterhielt er sich großartig und plauderte ungeniert mit der Sängerin über die alten Zeiten an der Wiener Staatsoper, an der er ja auch hospitiert hat. Theater, das war unsere Leidenschaft und Günther hielt sich für den Mittelpunkt der Welt. Er hatte einen Wunsch, und ich versuchte ihn zu erfüllen. Und als er unbedingt bei den Salzburger Festspielen dabei sein wollte, aber nicht mehr so gut laufen konnte, da habe ich mir ein Klappfahrrad gekauft. In Salzburg fuhr er dann mit dem Rad und ich rannte nebenher. Das war ein Bild für Götter und meiner Figur tat das gut! Dafür gab’s am Abend für mich eine ‚Mehlspeis‘ extra! Wir fielen auf, wie der sprichwörtliche ‚Rossbollen auf der Autobahn‘, aber was taten wir nicht alles für die Musik. Ich habe mir doch auch schon als 14-Jähriger an Weihnachten die Concerti Grossi von Händel gekauft. Das gefiel mir, aber damals auch Schlager und die Operettenmusik aus der Musiktruhe meiner Eltern. Wir lebten in Offenburg, fuhren mit dem Bus ins Karlsruher Theater und ich schmolz dahin, als Anton de Ridder ‚Komm in die Gondel mein Liebchen ...‘ sang. Später hat sich mein Geschmack geändert. Die Richarde haben es mir angetan! Zunächst lernte ich den Wagner zu schätzen. Meine große Liebe wurde aber Richard Strauss. Aus seinem Werk und damit verbundenen Zahlen schöpfe ich sogar die Kombinationen für die vielen Passwörter, die man heute braucht. Dann kam natürlich Mozart dazu und mit Günther die Italiener und überhaupt alle anderen. Ich denke zurück an die Zeit vor sechs Jahren, als sich Günther einen Oberschenkelhals-Bruch zuzog und seine Leidenszeit begann. Ich habe meinen Freund gepflegt in unserer Wohnung mit den über fünfhundert Teddybären und der riesigen Platten- und CD-Sammlung. Wir waren ja beide ,Jäger und Sammler‘, die jedes Programmheft seit Beginn unserer Theaterbesuche aufgehoben habem. Als Günther sich...