E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Maly Die Bildweberin
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8437-3077-8
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman | Ein sinnlicher Roman über ein vergessenes Frauenhandwerk - von Bestsellerautorin Beate Maly
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-8437-3077-8
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beate Maly, geboren in Wien, ist Bestsellerautorin zahlreicher Kinderbücher, Sachbücher und historischer Romane. Ihr Herz schlägt neben Büchern für Frauen, die gegen alle Widerstände um ihr Glück kämpfen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Nürnberg, 1534
Über dem Hauptportal der Kirche »Zu Unserer Lieben Frau« thronte die Statue Kaiser Karls IV. Wie jeden Tag zur Mittagsstunde öffneten sich nach dem Schlagen der Stundenglocke die beiden Türen links und rechts der vergoldeten Kupferstatue, und die sieben Kurfürsten traten heraus. Sie zogen dreimal um den goldenen Kaiser herum, der grüßend sein Zepter bewegte. Das technische Wunderwerk wurde von den Nürnbergern liebevoll »Männleinlaufen« genannt, doch nur die wenigsten schenkten dem Schauspiel besondere Beachtung.
Emilia Baumgart hatte sich das Spektakel angesehen und widmete ihre Aufmerksamkeit nun wieder dem bunten Treiben am Platz rund um den Schönen Brunnen mit seinen vierzig bunt bemalten und vergoldeten Figuren. Vorsichtig hielt sie den Einkaufskorb dicht an ihren Körper gepresst, damit ihr Einkauf nicht den gierigen Händen flinker Diebe zum Opfer fiel. Immer unverfrorener waren die Methoden der Burschen, die sich zu kleinen Banden zusammenrotteten, um noch hinterhältiger agieren zu können. Erst letzte Woche hatte einer von ihnen Emilias Schwester Barbara ein saftiges Stück Beinschinken und eine große Ecke Käse aus dem Korb stibitzt. Tagelang hatte die kleine Familie sich mit einfachem Hirsebrei zufriedengeben müssen. Emilia sehnte sich danach, endlich wieder etwas Würziges, Kaubares zwischen die Zähne zu bekommen.
Geschickt drängte sie sich durch die immer dichter werdende Menschenmenge. Kurz vor Marktschluss fanden sich besonders viele Käufer am Marktplatz ein. Sie kamen aus den umliegenden Dörfern, aber auch von weiter her, um am großen Nürnberger Markt erlesene Waren zu erstehen. Genau wie Emilia hofften sie, mit etwas Verhandlungsgeschick günstige Preise zu erzielen. Die meisten Händler wollten ihre Ware nämlich nicht wieder nach Hause schleppen. Lieber ließen sie vom veranschlagten Preis ein wenig nach.
Emilia hielt kurz an. Sie hörte Dialekte aus dem Süden wie aus dem hohen Norden des Reiches. Mehrere Wechsler boten ihre Dienste an. Bei ihnen konnten ausländische Käufer ihre Münzen gegen Nürnberger Währung eintauschen.
Es roch nach eingelegtem Hering, heißem Schmalzgebäck, gebratenem Spanferkel und geräuchertem Wildbret. An einem Stand wurden getrocknete Kräuter verkauft. Die Büschel hingen von einem Balken, den man über dem Verkaufstisch aufgebaut hatte. In großen Körben befanden sich abgerebelte Blättchen, die man lose nach Gewicht kaufen konnte. Emilia sog den würzigen Duft von Rosmarin, Lorbeer, Liebstöckel und wildem Thymian ein. Er erinnerte sie daran, dass sie in den nächsten Tagen Pflanzen fürs Färben der Garne und Stoffe sammeln musste. Ihre Dienstgeberin Kunigunde Löffelholz hatte sie schon mehrmals dazu aufgefordert, nur war bislang das Wetter zu schlecht gewesen.
Am nächsten Stand gab es exotische Gewürze aus fernen Ländern: Zimtrinde, Gewürznelken, Vanilleschoten. Emilia lief das Wasser im Mund zusammen angesichts all der Köstlichkeiten. Die Zutaten fürs eigene Abendessen hatte sie bereits im Korb: billige Flusskrebse, die die Fischer eimerweise aus der Pegnitz holten, und frisches Brot. Das Geld, das noch in dem kleinen Beutel an ihrem Gürtel lag, musste sie für andere Dinge als Nahrungsmittel aufbewahren. Zielstrebig ging sie an den Leder- und Tuchhändlern, den Hafnern und Knopfmachern vorbei. Sie verweilte nicht am Stand mit den hübschen, geklöppelten Spitzen aus Flandern und schenkte auch dem Käsestand keine Beachtung. Schnurstracks lief sie zum Farbenhändler Auer. Er kam nur zweimal im Monat in die Stadt, um seine Ware feilzubieten. Heute war eine dieser seltenen Gelegenheiten.
»Ein Zehennagel vom heiligen Antonius gefällig?« Ein Reliquienhändler trat ihr in den Weg und hinderte sie am Weitergehen. Seine bizarre Ware trug er in einem hölzernen Bauchladen vor sich her. »Oder lieber eine Locke der heiligen Barbara? Beides heute zum Spottpreis zu haben.«
»Danke, nein!«
Der Mann, dessen Kleidung schon bessere Tage gesehen hatte, ließ nicht locker. »Ich sehe, Ihr seid eine anspruchsvolle Kundin.« Er senkte die Stimme und beugte sich ganz nah zu ihr. Sein Atem roch unangenehm nach Zwiebeln.
Emilia trat einen Schritt zurück und stieß mit einer dicken Frau zusammen, bei der sie sich sofort entschuldigte. »Für Euch habe ich einen Splitter vom wahren Kreuze Christi. So was bekommt Ihr nicht alle Tage.«
»Auch daran habe ich kein Interesse. Vielen Dank!« Emilia wollte an dem aufdringlichen Mann vorbei, doch aus unerfindlichen Gründen sah er in Emilia eine potenzielle Kundin.
»Eine hübsche junge Frau wie Ihr kann gewiss den Segen und das Glück eines Heiligen benötigen.«
»Sehe ich etwa so aus, als würde ich Hilfe brauchen?« Der Verkäufer machte Emilia wütend.
»Jeder kann die Hilfe eines Heiligen brauchen«, meinte der Reliquienhändler versöhnlich. »Sorgen mit dem Liebsten zum Beispiel. Ihr seid immer noch nicht unter der Haube.« Er deutete auf ihre unberingte Hand. »Ein bisschen Hilfe von oben kann da nicht schaden.«
»Danke, darauf kann ich verzichten«, entgegnete Emilia verärgert. Was bildete dieser Mann sich ein? Es ging ihn überhaupt nichts an, ob sie einen Ehemann hatte oder nicht. »Ich vertraue auf meinen eigenen Hausverstand. Und nun tretet bitte zur Seite, damit ich weitergehen kann. Ich habe nicht ewig Zeit.«
Der Mann bewegte sich kein Stückchen.
»Ihr sollt mir nicht länger im Weg stehen, sonst rufe ich die Stadtwache. Und solltet Ihr es vergessen haben: Die Stadt Nürnberg bekennt sich zur Lehre Luthers.«
»Schon gut. Immer mit der Ruhe!« Er hob beschwichtigend beide Hände, drehte sich nach allen Seiten und hielt nach dem nächsten Opfer Ausschau, dem er seine fragwürdige Ware anbieten konnte.
Emilia fragte sich, wie viele Kreuze Christi es wohl geben mochte. In den fünfundzwanzig Jahren, in denen sie nun auf der Welt war, waren ihr so oft Splitter zum Kauf angeboten worden, dass man damit gut und gerne drei große Kreuze hätte zusammensetzen können. Als der lästige Mann endlich weiterging, warf Emilia einen Kontrollblick in ihren Korb. Zum Glück war alles noch da. Die Flusskrebse schienen für Diebe nicht so attraktiv zu sein wie ein großes Stück Schinken.
Emilia setzte ihren Weg fort. Am Ende der Reihe hatte der Farbenhändler seinen Stand aufgebaut. Es war bloß ein kleiner Tisch mit überschaubarem Angebot. In einem Holzkasten, der in mehrere Fächer unterteilt war, befanden sich winzige Mengen wertvoller Farbpigmente. Der Händler war ein kleiner, dünner Mann mit schütterem Haar und einer langen gekrümmten Nase, die ihm womöglich schon einmal gebrochen worden war. Als er Emilia erkannte, hellte sich sein Gesicht auf.
»Was für eine Freude! Die schöne Tochter von Walter Baumgart. Eine hübschere Maid gibt es nicht auf diesem Markt. Die Sonne erblasst angesichts Eurer Schönheit.« Er deutete eine Verbeugung an.
»Guten Tag, Herr Auer. Ihr könnt Euch die Komplimente für andere Kundinnen aufheben. Ich bin nicht hier, um schöne Worte zu hören.«
Der Farbhändler lächelte. »Das habe ich auch nicht erwartet. Dennoch seht Ihr allerliebst aus.«
»Danke.« Emilia wusste, dass sie hübsch war. Sie besaß zwar keinen eigenen Spiegel, aber Barbara hatte einen, den sie sich gelegentlich ausborgte. Emilia hatte das rötliche Haar ihrer Mutter geerbt, das in weichen Locken herabfiel, wenn sie es offen trug. Natürlich flocht sie es stets in sittsame Zöpfe, die sie wie eine Krone um ihren Kopf legte. Ihre Augen waren bernsteinbraun und ihre Haut stets von einer vornehmen Blässe, sah man von den Sommersprossen ab, die in der warmen Jahreszeit ihre Nase und Wangen überzogen. Wie der Reliquienhändler erkannt hatte, war sie immer noch ledig. Das lag nicht an fehlenden Heiratskandidaten, sondern daran, dass ihr Vater zu wenig Geld hatte, um eine Mitgift für beide Töchter zahlen zu können.
»Womit kann ich Euch heute dienen?«
»Mein Vater benötigt neues Farbpulver.«
»Hab ich es mir doch gedacht«, entgegnete der Farbenhändler. »Wo ist Euer werter Vater? Ich hoffe, er ist wohlauf und es fehlt seiner Gesundheit nichts.«
»Meinem Vater geht es sehr gut.« Emilia log, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie war es gewohnt, die Wahrheit zu beschönigen, wenn es um die Gesundheit ihres Vaters ging. Er war nach dem Tod seiner Frau in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen. An manchen Tagen schaffte er es nicht einmal aus dem Bett, so niedergeschlagen fühlte er sich. Die Ärzte konnten keinen Grund für seine Schwäche finden. Körperlich war er trotz seiner fünfundfünfzig Jahre kräftig und gesund. Aber sein Geist hatte keine Lebensfreude mehr. Es verging kein Tag, an dem er nicht erwähnte, dass er gerne sterben würde. Das war eine Sünde, denn niemand durfte sich den eigenen Tod wünschen. Wann das Leben endete, entschied Gott und niemand sonst.
»Das freut mich zu hören«, sagte Auer. »Welche Farben benötigt er denn diesmal?« Er zwinkerte...