Marrak | Quo vadis, Armageddon? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 342 Seiten

Reihe: Memoranda

Marrak Quo vadis, Armageddon?


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-946503-99-6
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 342 Seiten

Reihe: Memoranda

ISBN: 978-3-946503-99-6
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
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In den neun Geschichten dieses ersten Bandes der zweibändigen Werkschau mischt Michael Marrak alle phantastischen Genres und schafft daraus seine eigenen skurrilen, wunderbar farbigen und zuweilen bedrückenden Welten, die die Atmosphäre der Werke von Samuel Beckett oder Franz Kafka ins 21. Jahrhundert transportieren. Die in diesem Band enthaltene Erzählung 'Die Stille nach dem Ton' wurde 1999 mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. 'Wiedergänger' erhielt den Deutschen Science-Fiction-Preis sowie den Deutschen Phantastik Preis 2000.

Michael Marrak (*1965) trat Anfang der Neunzigerjahre als Autor, Herausgeber, Anthologist und später als Illustrator in Erscheinung. Seine vielfach preisgekrönten Texte wurden in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt. Zuletzt erhielt er für 'Der Kanon mechanischer Seelen' den Kurd Laßwitz Preis und den Seraph.

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Die Ausgesetzten Ron Van Arsdall kannte eine Abkürzung. Sie führte von der Landstraße, die Charbonat und St. Yavin miteinander verband, durch eine mannshohe Ginsterhecke hinaus aufs freie Feld. Nach zweihundert Metern durchbrach Van Arsdalls Wagen die Einfriedung eines Landguts, durchquerte das Freigehege einer Straußenfarm und rammte zwei Red Necks. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, verließ er das Anwesen durch den gegenüberliegenden Grenzzaun wieder und setzte seine Fahrt über das Hochplateau fort, bis er den Wanderweg nach Violay kreuzte. Hier fuhr sein Landrover gegen einen historischen Grenzstein und brach nach rechts aus. In zunehmendem Tempo raste Van Arsdall nun bergab, über den Segelflugplatz von St. Raviné bis zum Aussichtspunkt Col Mounier – und schließlich die restlichen siebzig Meter in freiem Fall über die Klippe hinab auf die Route Secondaire 74. Die Gerichtsmedizin führte den Unfall auf einen spastischen Anfall zurück, ausgelöst durch einen Tumor in Van Arsdalls linker Gehirnhälfte. Sein Körper verkrampfte, sämtliche Muskeln kontrahierten, und sein rechter Fuß trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Man spekulierte, dass Van Arsdall bereits tot gewesen sein musste, als sein Wagen die Straußenfarm erreichte. Er hinterließ eine Frau, zwei Kinder, eine kleine Hotelkette und ein Vermögen von zwölf Millionen Euro. Mein Name ist Vincent Van Arsdall. Der ältere Herr mit der Abkürzung war mein Vater. Wenn man aus 400 Kilometern Höhe auf Mauritius hinabblickt, scheint es kaum vorstellbar, dass dort unten ein Jumbojet zu landen vermag, ohne über das Ufer hinaus ins Meer zu stürzen. Noch sagenhafter erscheint es, dass auf der Insel über eine Million Menschen leben, die tatsächlich größer sind als Koboldmakis. Während der Slider über Mauritius hinwegglitt, tauchte Réunion unter mir auf. Sekunden später hatte ich den südlichen Wendekreis überquert und näherte mich der Küste Madagaskars. Hunderte von Kilometern nordwestlich von Tuléar erkannte ich ein winziges Eiland in der Straße von Mosambik: die Europa-Insel. Ihr Name ließ mich nachdenklich hinauf zum Planetenhorizont blicken. Kein Zweifel, ich war verdammt weit weg von zu Hause! Bald darauf erhoben sich unter mir die Drakensberge. Das Hochland erstreckte sich bis über die ferne Lundarschwelle hinaus, als bestünde die restliche Welt nur noch aus afrikanischem Kontinent. Hätte man Bartolomeu Dias vor fünfeinhalb Jahrhunderten diesen Ausblick gewährt, wäre zu bezweifeln, dass er mit seinen Schiffen je den Hafen von Lissabon verlassen hätte. Er wäre entsetzt gewesen ob der Gewaltigkeit des Kontinents. Das Kapgebirge markierte zugleich den südlichsten Punkt meiner Umlaufbahn. Ab hier ging es in sanftem Bogen wieder nach Norden, in Richtung brasilianische Ostküste. Was nun folgte, waren viertausend Kilometer Südatlantik. Es lag keine einzige Insel auf meinem Kurs, und ehe ich Südamerika erreichte, würde ich bereits in den Erdschatten eingetaucht sein. Da ich keine Lust verspürte, auf den Ozean zu starren, ließ ich den Slider um die Längsachse rotieren und betrachtete die Sterne. Ich arbeitete weder für die NASA noch für die ESA oder Rosaviakosmos und hatte daher nicht viel zu tun. Eigentlich so gut wie gar nichts, außer die Aussicht zu genießen und mit meinem Leben ins Reine zu kommen. Zeit dafür hatte ich genug. Nun ja, nicht endlos viel, aber ausreichend – hoffte ich. Mein Aufenthalt im Orbit war eine rein private Angelegenheit. Den dreitägigen Flug hatte ich aus eigener Tasche bezahlt, samt den Zulagen für ›unerwartete Komplikationen während der Startphase‹ und ›eventuelle Beschädigungen von Regierungseigentum im Orbit‹. Letzteres bedeutete: Ob man nun unabsichtlich mit einem Satelliten kollidierte oder einen der Raumtransporter rammte, die zwischen der Erde und den Orbitalhotels pausenlos Touristen hin und her beförderten, es haftete immer der Pilot des Orbiters. ›SCHULD!‹ prangte in riesigen glühenden Lettern auf der Unterseite eines jeden Sliders – wenn auch nur für jene Personen sichtbar, die Leute wie mich verachteten. Die Abneigung dieser Menschen beruhte weniger auf der Tatsache, dass wir hier oben unvorstellbare Geldsummen fürs Nichtstun verschwendeten, sondern einzig auf unserer Hoffnung. Die ganze Sache begann mit Tito. Mit Dennis Tito wohlgemerkt, nicht mit dem jugoslawischen Ex-Staatspräsidenten. Um den heroischen Aspekt hervorzuheben, muss ich die Geschichte aber mit einem Helden beginnen: mit John Glenn. Wäre Hemingway fünfzig Jahre später geboren worden, hieße einer seiner berühmtesten Romane wahrscheinlich ›Der alte Mann und der Weltraum‹. Bereits 1962 hatte Glenn als erster Amerikaner die Erde im Orbit umkreist. Sechsunddreißig Jahre später flog er im Alter von 77 Jahren an Bord der US-Raumfähre Discovery erneut ins All und stellte damit in der Geschichte der Weltraumfahrt einen Altersrekord auf. Ein Rekord, der über zehn Jahre lang ungebrochen blieb. Es war jedoch Titos Reise zur legendären Raumstation ISS, die den Stein ins Rollen brachte. Nach vierzig Jahren bemannter Weltraumfahrt wollten endlich auch die gewöhnlichen Menschen in den Genuss des letzten Abenteuers kommen. Auf Tito folgte Shuttleworth, und spitzfindige Firmen nahmen bereits weitere Reservierungen an, obwohl die Voraussetzungen für den kommerziellen Beginn des Weltraumtourismus noch gar nicht gegeben waren. Es existierten keine wiederverwendbaren Raumfahrzeuge, die Touristen zumindest in die Erdumlaufbahn bringen konnten. Space Adventures war eine der Firmen, die Buchungen möglicher Weltraumflüge entgegennahmen; ultimative Abenteuerreisen, die zwischen 75.000 und 100.000 Dollar kosten sollten. Bevor es in den Weltraum ging, bot man den willigen und ausgabefreudigen Touristen ein Anlaufprogramm an, bei dem sie in Weltraumcamps am Astronautentraining teilnehmen konnten. Mutigere flogen nach Russland in die Star City, um an Bord einer Iljuschin für zehn Minuten die Schwerelosigkeit zu erleben. Für 12.000 Dollar konnte man schließlich in einer MIG mit Mach 2,5 an den Rand des Weltraums fliegen. Zegrahm Space Voyages und Incredible Adventures, zwei Anbieter von Abenteuerreisen in die Antarktis, in die Tiefen der Meere und zu anderen schwer erreichbaren irdischen Zielen, offerierten für 98.000 Dollar ebenfalls Reservierungen für einen Flug in einhundert Kilometer Höhe. Alle Reisenden ihres Space Cruiser sollten maßgeschneiderte Raumanzüge erhalten. Dazu hätte es spezielle Helme mit einem Sichtgerät geben sollen, mit dem man Bilder von am Rumpf angebrachten Kameras empfangen konnte, ganz zu schweigen von einem Kommunikationssystem und einer Mini-Cam, um den gesamten Flug als bleibende Erinnerung aufzuzeichnen. Die Civilian Astronauts Corp. bereitete indes die Mayflower-Expedition vor. Der wiederverwendbare Orbiter sollte vom Meer aus starten und dort wieder landen. Sobald sich 2000 Astronautentouristen für einen Flug verpflichtet und je 5000 Dollar gezahlt hätten, hätte man binnen eines Jahres die ersten Flüge anbieten wollen. Doch auch im Jahr 2003 existierten noch keine geeigneten Raumfahrzeuge für den Weltraumtourismus. Die X-Price Foundation lobte einen Preis von zehn Millionen Dollar aus, um die Entwicklung zu stimulieren. Ihre Bedingungen: Die privatwirtschaftlich finanzierte Raumfähre musste wiederverwendbar sein und in höchstens zweiwöchigen Startabständen jeweils drei Passagiere in eine Höhe von einhundert Kilometern bringen. John Glenn fand den Preis übrigens kreativ und innovativ. X-Price hatte zudem eine Lotterie namens ›Your ticket to space‹ ins Leben gerufen. Dem vierteljährlich ermittelten Gewinner winkte ein Flug in einer MIG. Um die Branche zusätzlich zu beleben, gab es in einer russischen Fernsehshow zeitweilig eine Reise in den Weltraum zu gewinnen – als Hauptpreis, versteht sich. Die Show stellte jedoch nichts anderes als einen verzweifelten Versuch der russischen Raumfahrtindustrie dar, möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen – eine Politik, die sich fünfzehn Jahre später als äußerst folgenschwer erweisen sollte. Im Jahr 2003 stellte der russische Raumfahrtkonzern RSC Energia einen kleinen Raumgleiter vor, der für Suborbit-Touristenflüge in eine Höhe von maximal 100 Kilometern konzipiert war; den Cosmopolis XXI. Vermarkter der Mini-Shuttle-Flüge war Space Adventures. Das System wurde von der gleichen Gesellschaft entwickelt, die für die Konstruktion des sowjetischen Raumgleiters Buran verantwortlich gewesen war. Ab dem Jahr 2006 flogen an Bord des Cosmopolis neben dem Piloten jeweils zwei Touristen mit, die während des Kurztrips mehrere Minuten lang Schwerelosigkeit erlebten und einen Blick auf die Erde werfen konnten. Die innerpolitischen Spannungen und die desolate Wirtschaft des Landes sorgten jedoch dafür, dass die finanzstarken Touristen ausblieben und das Projekt mehr als bescheiden lief. 2008 erklärten Tschetschenien und Inguschetien ihre Unabhängigkeit. Als Moskau nicht einschritt, folgten kurz darauf Dagestan, Altai und Nordossetien. Vier Jahre nach dem Erstflug des Cosmopolis zerfiel das Land in die drei Großstaaten Russland, Sibirien und Jakutien. Russland trat der EU bei, doch der Verlust zweier Weltraumbahnhöfe an den neuen Nachbarstaat Sibirien und mehrere tödliche Unfälle setzten dem Cosmopolis-Projekt kaum ein Jahr später bereits wieder ein Ende. Gingen mit den Krisen, Fehlschlägen und Desastern auch viele amerikanische und...


Michael Marrak (*1965) trat Anfang der Neunzigerjahre als Autor, Herausgeber, Anthologist und später als Illustrator in Erscheinung. Seine vielfach preisgekrönten Texte wurden in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt. Zuletzt erhielt er für "Der Kanon mechanischer Seelen" den Kurd Laßwitz Preis und den Seraph.



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