E-Book, Deutsch, 238 Seiten
May Korallenmond
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98481-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Geheimnis der Güldensteins
E-Book, Deutsch, 238 Seiten
Reihe: Das Geheimnis der Güldensteins
ISBN: 978-3-492-98481-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
3.
Das imposante Palais Güldenstein verschlug Laura wie jedes Mal, wenn sie hier ankam, den Atem. Der Herbst hatte den an der Fassade rankenden Wein blutrot gefärbt. Schießscharten in einer Mauer und der im Keller befindliche Kerker der ehemaligen Burg, auf der der Ahnherr derer von Güldenstein das Schloss hatte errichten lassen, ließen Laura schaudern. Auf diesen Mauern lastete ein Fluch, der das Schicksal der Familie bestimmte. Als sie zum Himmel aufblickte, schob sich gerade eine graue Wolke vor die Sonne. Die hellen Mauern verloren ihr Strahlen. Ein schlechtes Omen? Laura konnte nicht verstehen, was ihre Schwester an diesem Palais derart faszinierend fand, dass sie sich mit Christian entschieden hatte, hier zu leben. Auch wenn Amelie nicht oft über den Fluch sprach, spürte Laura dennoch ihre Furcht, besonders dann, wenn ihre Schwester sich um Christian sorgte. Einmal hatte ihr Schwager sich von einer Geschäftsreise außergewöhnlich verspätet. Weil er auf seinem Handy nicht erreichbar gewesen war, hatte Amelie sie völlig aufgelöst nachts angerufen und immer wieder von diesem Fluch geredet und behauptet, Christian könne ihm zum Opfer fallen.
Die dunkle Wolke zog weiter, und die Messingknäufe der Tore und Türen leuchteten auf und ließen das Palais wie ein verwunschenes Märchenschloss aus einem Fantasy-Roman erscheinen.
Amelie holte sie wieder in die Gegenwart zurück, als sie die wenigen Stufen des Haupteingangs hinunter auf sie zueilte. Wie elegant ihre Schwester wieder aussah in dem dunkelblauen Hosenanzug. Sicher eine Maßanfertigung. Die hochhackigen Pumps in der gleichen Farbe und die zart lachsfarbene Bluse sowie das darauf abgestimmte dezente Make-up standen ihr vorzüglich. Das Haar der Schwester, das sie sonst offen trug, war zu einem Dutt hochgesteckt. Sie wirkte so verdammt perfekt und selbstsicher, dass Laura sich dagegen trotz ihres neuen Sommerkleides unscheinbar vorkam. Nur eine widerspenstige Strähne, die sich aus Amelies Haarknoten gelöst hatte, zeigte, dass eben doch nicht alles so perfekt war, wie es schien.
Amelies Lächeln war wie immer liebevoll. »Laura, Liebes.« Die Schwester drückte sie an sich und gab ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange. »Danke, dass du gekommen bist.« Als sie sich voneinander lösten, schimmerte es feucht in Amelies Augen. Sie sah blass aus, und schmaler geworden war sie auch seit dem letzten Besuch.
»Schon gut, habe ich doch gern gemacht. Du bist dünn wie ein Spaghetti. So viel Stress?« Laura sah sie besorgt an.
Tränen schimmerten in Amelies Augen, dass sich Lauras Kehle zusammenzog. War es nur der Stress, oder bedrückte sie der mehr, als sie zugeben wollte? Früher hätte sie die Schwester gleich darauf angesprochen. Doch die Distanz zwischen ihnen ließ sie lieber auf eine günstigere Gelegenheit warten.
»Ja, der Stress. Erzähl mir lieber, wie deine Fahrt war.«
»Alles bestens, bis auf …« Laura brach ab, noch immer wütend über das Verhalten des Fremden von vorhin.
»Bis auf was?«, hakte Amelie sofort ein. In wenigen Sätzen berichtete Laura ihr von dem Vorfall.
»Die Beschreibung könnte auf mehrere Männer zutreffen. Wir haben einige Gäste mit Sportwagen. An die Marke kannst du dich nicht mehr erinnern?«
Laura schüttelte den Kopf. Sie hatte sich nie sonderlich für exklusive Wagenmarken interessiert.
»Hm, sobald du ihn siehst, gibst du mir ein Zeichen. Dann knöpfe ich mir den Kerl vor. Aber jetzt bringe ich dich erst mal auf dein Zimmer. Nach dem Dinner sollten wir dann die Aufgaben besprechen, ja?«
Dinner hatte Amelie gesagt. Das hörte sich wieder hochtrabend an. Abendessen hatte ihre Schwester es immer zu Hause genannt, aber das hatte sie wohl vergessen. Wahrscheinlich wurde in gehobenen Kreisen so gesprochen. Obwohl Amelie ihr vertraut war wie keine andere, war sie ihr fremd geworden.
Laura bekam das gleiche Zimmer wie immer, sehr geschmackvoll eingerichtet mit dem breiten Himmelbett und der Korbsesselgruppe neben dem Fenster. Das angrenzende Bad mit seinen blau-weißen Fliesen und den maritimen Motiven darauf wirkte verspielt. So wie Laura es liebte. Jede Dekoration war liebevoll ausgesucht, wie die echten Muscheln und getrockneten Seesterne an den Wänden. Von solch einem Bad hatte Laura immer geträumt. Aber als Buchhändlerin verdiente sie nicht genug, um sich so etwas leisten zu können.
Bis zum Dinner blieb ihr noch eine Stunde. Zeit genug, um in den Büchern zu stöbern.
Lieber wäre Laura lesend auf dem Zimmer geblieben, als mit Wildfremden irgendwelchen Small Talk zu halten. Aber das hätte ihre Schwester ihr übel genommen.
Nachdem sie sich schnell frisch gemacht hatte, streifte sie ihr nagelneues, lindgrünes Kleid über, das sie gestern in einer exklusiven Boutique erstanden hatte. Extra für hier. Fürs Dinner. Damit sie nicht wie die verarmte Verwandte wirkte. Nachdem sie fertig war, lief sie zum Bücherregal. Ledergebundene Ausgaben von Lord Byrons Gedichtbänden reihten sich neben der Geschichtensammlung Edgar Allan Poes, den Bänden der Bronte-Schwestern und den gesammelten Werken William Shakespeares. Christians Mutter hatte englische Literatur geliebt. Alle standen sorgsam geordnet nebeneinander, wie Laura es auch immer handhabte. Nur einer der Bände rechts außen in der Reihe ragte aus dem Fach und störte ihren Symmetriesinn. Sie drückte dagegen, aber irgendetwas klemmte dahinter. Entschlossen zog sie das Buch heraus und lugte ins Regal. Aus der Wand ragte irgendein metallener Keil, der das Zurückschieben verhinderte. Seufzend stellte sie die gesammelten Lyrikwerke von Novalis wieder ins Regal zurück.
Kurz darauf klopfte es an der Tür. »Laura, Amelie kann dich leider nicht abholen und hat mich geschickt, um dir zu sagen, dass du jetzt bitte in den Festsaal kommen möchtest! Das Dinner wird gleich serviert!«, hörte sie ihren Schwager Christian rufen. Sie unterdrückte ein Stöhnen und antwortete stattdessen in heiterem Ton: »Komme gleich!«
Auf dem Weg durch die Halle, begegnete sie Emanuel, Christians Bruder.
»So eilig?«, bemerkte er lächelnd.
»Ja, Amelie hat zum Dinner gerufen. Ich will nicht schuld sein, wenn alle aufs Essen warten müssen. Wo ist denn Eva?«, fragte sie und spähte über seine Schulter. Ein Schatten fiel über sein Gesicht.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie vorsichtig.
»Eva fühlt sich heute gar nicht wohl. Sie wird heute nicht mit uns essen können.« Dass seine Verlobte ihn nicht begleitete, schien ihn sehr zu belasten.
»Ich hoffe, ihr Unwohlsein geht schnell vorüber«, sagte Laura mitfühlend und las die Zweifel im Blick ihres Gegenübers.
»Ich weiß nicht …«, antwortete er mit gequälter Stimme.
»Vielleicht solltest du einen Arzt rufen.«
Ein bitteres Lächeln umspielte Emanuels Lippen. Schon beim letzten Besuch hatte seine Verlobte so zerbrechlich gewirkt. Doch auf die besorgten Fragen hatte Eva nur lächelnd abgewunken. »Ach, ich habe mich einfach nur noch nicht von meiner letzten Grippe erholt.« Während die anderen sich mit dieser Antwort zufriedengaben, hatte es Laura nachdenklich gestimmt. »Der Aufbau der Manufaktur, die Schlosssanierung … das ist alles zu viel für Eva. Aber sie kann unglaublich stur sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat«, hatte Amelie ihr erklärt. Jeder wusste, wie viel Kraft Eva in ihr Herzensprojekt steckte.
Jetzt sagte Emanuel: »Die Ärzte reden von Erschöpfung und drängen darauf, dass Eva sich Erholung gönnt. Eva hat kein Vertrauen zu ihnen, behauptet, dass ihr nichts fehle. Sie wird immer dünner.«
Tröstend legte Laura ihre Hand auf seinen Arm und sah zu ihm auf.
Hilflosigkeit und Verzweiflung lang in seinem Blick. Er berührte sie.
»Und wie kommst du damit klar?«
Er zuckte mit den Achseln. »Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen könnte … Sie weigert sich, noch einen Arzt zu konsultieren.«
»Soll ich vielleicht kurz nach ihr sehen?«, bot Laura an. Emanuel schien erleichtert zu sein.
»Ich wäre dir sehr dankbar. Vielleicht kannst du sie davon überzeugen, Dr. Mahler zu rufen.«
»Ich werde mein Bestes geben. Bitte sag Amelie, dass ich später komme. Ihr braucht mit dem Essen nicht auf mich zu warten.« Eva hatte Vorrang.
Emanuels Verlobte lag blass und zerbrechlich auf dem Sofa wie damals Lauras und Amelies Mutter. Laura war bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie der Anblick erschreckte.
»Hallo Eva, wie geht es dir?« Laura zog einen Hocker heran und setzte sich neben sie.
»Ich bin total erledigt. Habe gestern in der Porzellanmanufaktur aufgeräumt und zwei Beete bepflanzt. Brauche nur etwas Schlaf. Morgen ist ein neuer Tag«, meine Evaleise.
Behutsam griff Laura nach ihrer Hand. »Du musst mal eine Pause einlegen. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.« Es erschien Laura schier unmöglich, dass Eva allein die Porzellanmanufaktur aufräumte und sich noch nebenbei mit der Gartenanlage beschäftigte. Sie ließ es sich nicht nehmen, den Gärtnern beim Bepflanzen zur Hand zu gehen.
»Aber bis zur Garteneröffnung und zu unserer ersten Ausstellung im nächsten Monat soll doch alles fertig sein. Ich möchte, dass Emanuel stolz auf mich ist.«
Die tiefe Liebe, die aus Evas Augen für ihren Verlobten sprach, berührte Laura. Wie mochte es sein, jemanden so sehr zu lieben?
»Er ist sehr stolz auf dich, das sieht man ihm an. Du darfst dich nicht übernehmen. Es wäre doch schade, wenn alles fertig ist und du krank im Bett liegst. Vielleicht solltest du Dr. Mah…«
»Auf keinen Fall!«, unterbrach Eva sie. »Hör mir auf mit den Ärzten. Die reden immer nur von Schonen und Kur. Sobald der ganze Stress vorbei ist, werden Emanuel und ich in den Urlaub fahren. Dann geht...