E-Book, Deutsch, 350 Seiten
Meier Werke Band 1: Gedichte und Prosaskizzen.
1., Aufl
ISBN: 978-3-7296-2170-1
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Einige Häuser nebenan (1973) Der andere Tag (1974) Papierrosen (1976).
E-Book, Deutsch, 350 Seiten
ISBN: 978-3-7296-2170-1
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gerhard Meier Geb. am 20. Juni 1917, gestorben 22. Juni 2008 in Niederbipp. Er brach ein Hochbaustudium in Burgdorf ab und arbeitete 33 Jahre lang in einer Lampenfabrik bevor er mit 47 Jahren seine ersten Texte veröffentlichte. Gerhard Meier erhielt u.a. den Petrarca-Preis, den Fontane-Preis, den Gottfried-Keller-Preis und den Heinrich-Böll-Preis. Er zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Schweizer Autoren des 20. Jahrhunderts
Autoren/Hrsg.
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Die gewohnt waren
Ich sah sie
in Hospizen sitzen
bei Einbruch des Winters
die
die gewohnt waren
mit dem Sommer zu leben
Ihre Gesichter
waren Landschaften
mit Flüssen
Friedhöfen
Tempeln
und Nächten voll Grillengesang
An Pergolas drehten
die Blätter
und wurden groß
und wurden zum Riesenrad
wie’s die Jahrmärkte
haben im
Sommer
Dösende Stadt
Im schwankenden
Lichte döst die
Stadt
Ein Karpfengesichtiger
eilt über die
Brücke
Im Dunste der Schlachthäuser
grünen die
Kuppeln
Die Tauben fliegen die
Standbilder
an
Die Standbilder leiden
am Kote der
Tauben
Am Auslauf der Schlachthäuser
fischen sie
Karpfen
Im schwankenden Lichte
döst die
Stadt
Der Schmied schnarcht
Auf der gelben Fassade
des Hauses des
schlafenden
Schmiedes
räuspert sich jeweils im
Atem der Nacht
die projizierte
Platane
Die Embrios horchen
Von kurzen Horizonten herüber
trägt jeweils der
Atem der Nacht
das Gebell
räudiger Hunde
Der Schmied schnarcht
Erinnern reproduziert
Klees
Frühes Leid
und hängt es als Fahnen
an gelbe Fassaden
und projizierte
Platanen
wo es sich räuspert
jeweils im
Atem der Nacht
Das Gras grünt
Betont feierlich verläßt
der Güterzug das
Dorf
Nach den Windeln zu schließen
weht mäßiger
Westwind
Das Gras grünt
Das Land hat seine
Eigentümer vergessen
und hat es satt
nur Umgebung
zu sein
Traumschiffe
Im Licht der Nächte
hissen ihre Häuser
schwarze Segel
Nach toten Wünschen
riecht die Flut
nach Langeweile
Und Lüfte streuen den
Sirenensang unendlicher
Begehrlichkeiten
Am Strande brennt
das Monument des
Unbekannten
Und über tote Dörfer
gleiten Chagalls
Pendeluhren
Etüde
Wenn sie im Herzen
alte Verse
sagen
Und Rilksche
Laß die Winde los
und so
Wenn Vogelzüge Eichs
Verzweiflung
tragen
Und Villons Sommerwind
die Bäume
floh
Dann bläst der
tote Pan die
Herbstetüde
Und Nebelwände
sind Belsazars
Wand
Die Hunde ahnen Schnee
und schauern
prüde
Und die in Häusern
wohnen fürchten
Brand
Jahrzehntalt
Grausame Tage
wo Melancholie sich ausspannt
zwischen Sonne und Kirschblüten
windlose Melancholie
Wo Erinnern wächst
an Hauswänden
klematisblaues Erinnern
jahrzehntalt
Wo das Untüchtige
Schmerz leidet
unruhig durch die
Gassen heult
Und im geheimen
alles auf Flucht sinnt –
Flucht
Schlaflos
Die Zeit schlägt Stunden
in das Blei der
Nächte
Und auf dem Grunde
liegen sie in
Steinkorallen
Uhren um die
Handgelenke
Schlaflos horchend
ihrer Zeit
die Stunden schlägt
ins Blei der Nächte
Und Schwärme roter
Unruh zucken durch
Korallen
Fast reglos
Verwaiste Hunde
harren an
Fenstern
An den Kranen der Häfen
hängen die Güter
der Welt
Nur vom Baum
der Erkenntnis fällt
die verbotene Frucht
in die Binsen
19. November 1963
Ich sah den Totengräber
aus der Grube
nach den Beinen
eines Mädchens starren
heute
und um halb vier Uhr
machten alle Autos
Licht
Ein Tag mit Regen
Ab vierzig
Ab vierzig
wirst du feststellen
daß der Krug der
Erinnerung
dichthält
Daß Granit
alt ist
und die Konsistenz
des Lebendigen
weich
Daß Frauen
hübsch sind
besorgt
um den Hinz
um den Kunz
Daß Vorstädte
Herbstfeuer haben
und Herbstfeuer
Vorstädte
lieben
Und daß
alle jung
sind:
die Krüge
die Frauen
die Städte
Die Straße
Seit Henri Rousseau
die Straße malte:
gibt’s die
Straße
Mit Häusern
dran
Fabriken
Krematorien
Kapellen
dran
und der Wegwarte
Im Spiegelbild
der Nächte
geht sie oben
hin
Mit abgelegten
Träumen
dran
statt der Wegwarten
Man hat das rote Hotel abgetragen
Man hat das rote Hotel abgetragen
den Sitz der Dorfmusik
Den Stapeln blauer Echos aber
war nicht beizukommen
Kastanienbäume der Umgebung
werden frühjahrs nachtlang zögern
ob sie für diesmal Taubenflügel
oder Blätter treiben
sollen
Flecken wird der Himmel tragen
wie die Gesichter derer
die am Herzen leiden
die Straße sich dem Wind hingeben
der lüstern ihr das Staubkleid
schürzt
Im Herbst
und falls es Blätter wurden
werden sie auf Stapeln
blauer Echos
liegen
Toten Vögeln
gleich
Widmung
Beginn den Tag
mit einem Ei
(Reklamevers)
Und hör gelegentlich
den Vortrag
eines Pfarrers
über Benn
Präg dir das Lächeln
eingerahmter
Seniorchefs von
Tea-rooms ein
Und überhör den
Schrei der Wildgans
über Strömen
nachts
wenn schwarzer Eiswind
über abgebrochne Brücken
stürzt
und Kandelaber
Regenbogenmonde tragen
Erde
Denkt einer
Schnee
hängst du gemütvoll
Schwalbengirlanden
ins Einnachten
und längs der
Schienenwege
Wird einer zutraulich
läßt du ihn merken
daß Schmiede und
Einfältige deine
Bevorzugten
sind
Gebärdet sich einer
als währte er immer
und tapfer
verschweigst du
mit blumigem Lächeln
deine uralte
Diät
Nach Goethe gar zwei
Die Städte haben ihren Wind
die Dörfer ihren Drescherstaub
Baugruben ihren Erdgeruch
und Häuser ihre Leute
die Leute ihre Seele
nach Goethe gar zwei Seelen
und jeder hat sein Taschentuch
und seinen Mundgeruch
Hernach
Der Wagen wird sich dem
Boden einprägen vor
deinem Hause
Gleichaltrige werden da sein
Pensionierte und
Verbrauchte
Der Wind wird den
Regen schräg drücken
und den Dampf des
Roßmistes
Das Dorf wird seine Geheimnisse
preisgeben denen
die es feierlich
durchschreiten
Das Land sich aufrichten
für Augenblicke
Schnee an den
Schultern
Und der Wind wird drehen
hernach
und wird voll Wohlgeruch
des Frühlings
sein
Löscht am Himmel die Sonne
Der Wind lutscht
die Süße der Herdenglocken
Der Alte redet
vom Tod auf der Straße
Die Ebereschen
machen sich nackt
Die Sonne löst
den Häusern die Zunge
Die Fliegen stehen
gelähmt an den Fenstern
Das Moos
das einfache
grünt auf dem Dach –
Der Wind
von den Nackten
zum Rasen gebracht
löscht am Himmel die
Sonne
Gerücht
Dezembersonnen
spannen Hundeschatten
über grünende Sportplätze –
Das Fell bleibt den
Hunden
Männer
flechten die Kindheit
aufs Windrad im Einnachten –
Das Kind bleibt im
Manne
Statuen
streuen Gerüchte
aus über das Leben –
Das Gerücht aber vom Leben
bleiben die
Statuen
Winter
Blas in ein dürres Bukett
und träume den Wind
über Sommerfluren
Ich sah
Ich sah
wie die Häuser
die Farbe
verloren
Und sah
wie der Himmel
die Farbe
behielt
Und sah
wie man stirbt
und wie man
geboren
Wie sommers
die Ströme ihr
Wasser
verloren
Und wie
man gläserne
Marmeln
verspielt
Einzig die Fensterfronten
Wasserspiele
spielen
wieder auf Plätzen
Herzen hüpfen
wie...